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Die Plauderstube – Des Seeräubers Schatz – Kapitel 5

Des Seeräubers Schatz
Eine Preisnovelle von Edgar Allan Poe
Sonntag, den 30. Oktober 1859

5.

Als wir zuletzt mit unserer Untersuchung fertig geworden und von der ersten Aufregung etwas befreit waren, hob Legrand, der mich vor Ungeduld nach der Lösung dieses höchst ungewöhnlichen Rätsels brennen sah, einen ausführlichen Bericht aller damit verknüpften Umstände an.

»Sie erinnern sich«, sprach er, »des Abends, an welchem ich Ihnen die flüchtige Skizze überreichte, welche ich von dem Skarabäus gemacht hatte. Sie erinnern sich gleichfalls meines Ärgers, als sie darauf bestanden, dass meine Zeichnung einem Totenkopf ähnlich sei. Als Sie zuerst diese Bemerkung äußerten, glaubte ich, es sei ein Scherz. Nachher entsann ich mich jedoch der eigentümlichen Flecken auf dem Rücken des Käfers und gestand mir, dass Ihre Versicherungen nicht alles Grundes entbehren. Übrigens hatte mich der Spott über meine artistischen Fähigkeiten – da ich sonst für einen guten Zeichner gelte – irritiert. Ich wollte daher, als Sie mir das Pergamentblättchen zurückgaben, es zerknittern und verdrießlich ins Feuer werfen.«

»Sie meinen das Stückchen Papier?«, fragte ich.

»Nein, es sah allerdings aus wie Papier. Zuerst hielt ich es für solches. Als ich jedoch darauf zu zeichnen begann, bemerkte ich sogleich, dass es ein Blättchen sehr dünnes Pergament sei. Es war, wie Sie vielleicht vergessen haben, sehr beschmutzt. Als ich nun eben im Begriff war, es zu zerknittern, fiel mein Blick zufällig auf die Skizze, welche Sie betrachtet hatten. Sie mögen sich mein Erstaunen vorstellen, als ich in der Tat die Gestalt eines Totenkopfes dort entdeckte, wo ich, meiner Überzeugung nach, die Zeichnung des Käsers gemacht hatte. Im ersten Moment war ich zu verwirrt, um genau nachzudenken. Ich wusste, dass meine Zeichnung sich in den Einzelheiten sehr von dieser unterschied, und doch lag in den Umrissen eine gewisse Ähnlichkeit. Ich ergriff eine Kerze und setzte mich an das entgegengesetzte Ende des Zimmers, um das Pergament genauer zu prüfen. Indem ich es umdrehte, fand ich meine Skizze auf der Rückseite, ganz wie ich dieselbe gezeichnet hatte. Mein erster Gedanke war nun Überraschung über die auffällige Ähnlichkeit der Umrisse, über das merkwürdige Zusammentreffen der Umstände, dass, mir unbewusst, auf der anderen Seite des Pergaments just unter meiner Zeichnung des Skarabäus sich ein Schädel befinden, und dieser Schädel nicht bloß in den Konturen, sondern auch an Form und Gestalt meiner Zeichnung so ähnlich sehen sollte. Dieses sonderbare Zusammentreffen machte mich eine Weile vollständig verwirrt. So ergeht es uns häufig bei derartigen Zufällen. Der Geist müht sich ängstlich ab, eine Lösung zu finden, eine Folge von Ursache und Wirkung, und unfähig, dies zu erreichen, erliegt er einer Art temporärer Lähmung. Als ich mich jedoch von dem ersten Schrecken erholt hatte, dämmerte allmählich eine Überzeugung in mir auf, die mich noch weit mehr erstaunen ließ als jenes Zusammentreffen. Ich begann mich nämlich deutlich, ganz unzweifelhaft zu entsinnen, dass auf dem Pergament keine Zeichnung gewesen war, als ich meine Skizze des Skarabäus entwarf. Ich war dessen untrüglich gewiss, denn ich erinnerte mich recht gut, dass ich, um die reinste Stelle zu finden, das Blatt nach allen Seiten gedreht hatte. Wäre der Totenkopf dagewesen, natürlich, dann hätte ich ihn sehen müssen. Hier waltete in der Tat ein Geheimnis, zu dessen Lösung ich unfähig war; aber schon in jenem Moment schien in dem fernsten und verborgensten Winkel meines Geistes wie ein schwaches Licht eine Ahnung jener Ansicht zu glimmen, welche das Abenteuer der letzten Nacht so glänzend bestätigt hat. Ich erhob mich rasch und beschloss alles weitere Nachgrübeln zu verbannen, bis ich allein sei.

Nachdem Sie sich entfernt hatten und Jupiter in einen festen Schlaf gesunken war, begab ich mich an eine mehr methodische Untersuchung der Affäre. Zuerst besann ich mich auf die Art und Weise, wie jenes Pergament in meinen Besitz gekommen sei. Der Platz, wo wir den Skarabäus gefunden hatten, lag an der Küste des Festlandes, etwa eine Meile ostwärts von der Insel und nur eine kurze Strecke von dem Wasserstandsmesser entfernt. Als ich den Käfer ergriff, versetzte er mir einen schmerzhaften Biss, welcher veranlasste, dass ich das Tier fallen ließ. Jupiter schaute, bevor er das Insekt, welches zu ihm hingeflogen war, fing, mit seiner gewohnten Vorsicht, nach einem Blatt oder etwas dergleichen, womit er das Tier anfassen könne, umher. In diesem Augenblick fielen seine Augen, und die meinen gleichfalls, auf das Stückchen Pergament, welches ich damals für einen Papierfetzen hielt. Es lag halb im Sand begraben, und nur eine Ecke ragte hervor. Nahe dem Platz, wo ich dasselbe fand, bemerkte ich die Trümmer eines Rumpfes, welcher zu dem großen Boot eines Schiffes gehört zu haben schien. Das Wrack muss schon lange hier gelegen haben, denn die Ähnlichkeit mit derartigem Gebälk ließ sich kaum mehr erkennen.

Jupiter hob das Pergament auf, wickelte das Tier in dasselbe ein und reichte es mir hin. Bald danach gingen wir nach Hause und begegneten unterwegs dem Leutnant. Ich wies ihm das Insekt, und er bat mich, es zu dem Fort mitnehmen zu dürfen. Nachdem ich eingewilligt hatte, schob er es in seine Westentasche, jedoch ohne das Pergament, worin es eingewickelt gewesen war, und welches ich während seiner Besichtigung noch immer in der Hand hielt. Vielleicht fürchtete er, ich könnte meinen Sinn ändern, und hielt es für das Beste, sich des Käfers sogleich zu versichern. Sie wissen ja, wie enthusiastisch er sich für alles, was auf Naturwissenschaft Bezug hat, interessiert. Zu derselben Zeit muss ich unbewusst das Pergamentblättchen in meine eigene Tasche gesteckt haben.

Sie entsinnen sich vielleicht, dass, als ich an meinen Schreibtisch trat, um die Skizze des Tieres zu entwerfen, kein Papier an der gewöhnlichen Stelle zu finden war. Auch in der Schublade fand ich keins. Ich durchsuchte meine Taschen, in der Hoffnung, einen alten Brief zu finden. Bei dieser Gelegenheit fiel mir das Pergament wieder in die Hand. Ich teile die Umstände, unter denen es in meinen Besitz gekommen war, so ausführlich mit, weil dieselben mit eigentümlicher Macht auf mich wirkten.

Ohne Zweifel halten Sie mich für fantastisch, aber es dämmerte wirklich schon eine gewisse Ideenverbindung vor meinem Geist. Ich hatte zwei Glieder einer großen Kette zusammengebracht. Ein Boot lag an der Seeküste, und nicht weit von dem Boot ein Pergamentblättchen – nicht etwa Papier, auf dem ein Totenkopf gezeichnet war. Sie werden mich natürlich fragen, worin meine Ideenverbindung bestand? Ich antworte Ihnen, dass der Schädel oder Totenkopf weit und breit als das Emblem der Seeräuber bekannt ist. Die Flagge mit dem Totenkopf wird bei jedem Gefecht gehisst.

Ich habe gesagt, dass jenes Blättchen Pergament und nicht etwa Papier war. Pergament ist dauerhaft, unzerstörbar. Unwichtige Notizen werden nur selten auf Pergament geschrieben, da es für den gewöhnlichen Zweck des Zeichnens und Schreibens nicht einmal so geeignet ist wie Papier. Diese Reflektion ließ mich irgendeine Absicht, irgendetwas Bedeutsames in dem Totenkopf erblicken. Ich achtete gleichfalls auf die Façon des Pergaments. Obwohl eine der Ecken durch einen Zufall zerstört war, ließ sich erkennen, dass die ursprüngliche Form länglich gewesen sei. In der Tat, es war gerade solch ein Blättchen, wie man es zu einer Notiz wählen würde, zu einer Mitteilung, die man für lange Zeit und sorgfältig aufzubewahren wünscht.«

»Aber«, wandte ich ein, »Sie sagten ja vorhin, dass der Schädel nicht auf dem Pergament gewesen sei, als Sie Ihre Zeichnung des Käfers machten. Wie fielen Sie nun auf jene Beziehung zwischen dem Boot und dem Totenkopf, da letzterer, Ihrer eigenen Aussage nach (Gott weiß: wie? oder von wem?) erst später als ihre Skizze des Skarabäus musste gezeichnet worden sein?«

»Ja, hierin liegt das ganze Geheimnis, obwohl ich, bei diesem Punkt angelangt, verhältnismäßig geringe Mühe hatte, dasselbe zu lösen. Mein Verfahren war sicher und konnte nur zu einem einzigen Resultat führen. Ich raisonnierte zum Beispiel so: Als ich den Skarabäus zeichnete, war kein Totenkopf auf dem Pergament zu sehen. Als ich meine Zeichnung vollendet hatte, reichte ich Ihnen dieselbe hin, beobachtete Sie aufmerksam, bis Sie mir das Blättchen zurückgaben. Sie zeichneten den Schädel nicht, und außer Ihnen war niemand zugegen, der es hätte tun können. Keine Hand hatte ihn damals gezeichnet. Und nichtsdestoweniger war er da.

Ich versuchte mich nun mit ziemlicher Genauigkeit jedes Umstandes zu entsinnen, der in dem fraglichen Zwischenraum vorgefallen war, und mit Erfolg. Das Wetter war frostig kalt (o seltener und glücklicher Zufall!) und ein Feuer glühte im Herd. Ich war vom Marsch erwärmt und saß dem Tisch nahe. Sie jedoch hatten ihren Stuhl dicht an den Kamin gerückt. Gerade als Sie das Pergament in die Hand nahmen und es besehen wollten, kam Wolf, der Neufundländer, hinein und sprang Ihnen auf die Schultern. Mit Ihrer linken Hand streichelten Sie ihn und wehrten ihn ab, während Ihre rechte, welche das Pergament hielt, nachlässig zwischen den Knien herabfiel und in unmittelbarste Nähe des Feuers kam. Einmal glaubte ich schon, die Flamme hätte meine Zeichnung erfasst, und wollte Sie warnen, aber bevor ich noch den Mund aufgetan, hatten Sie Ihre Hand erhoben und betrachteten die Skizze. Als ich mich all dieser Einzelheiten entsann, zweifelte ich keinen Augenblick, dass die Hitze der Vermittler gewesen sei, welcher den Schädel auf dem Pergamente zum Vorschein gebracht habe. Sie wissen, dass chemische Präparate existieren und schon in grauer Vorzeit existiert haben, mit denen man auf Papier oder Pergament dergestalt schreiben kann, dass die Charaktere nicht anders sichtbar werden, als wenn man die Hitze des Feuers auf sie wirken lässt.

Ich untersuchte nun mit größter Sorgfalt den Totenkopf. Die eine Seite desselben – die am nächsten dem Rand des Pergaments – war viel deutlicher als die übrigen Partien. Unverkennbar hatte die Hitze nicht gleichmäßig auf alle Teile gewirkt. Ich zündete augenblicklich ein Feuer an und unterwarf jede Partie des Pergaments einer glühenden Hitze. Zuerst erreichte ich nichts, als dass die schwächeren Linien des Schädels bestimmter hervortraten. Bald jedoch ließ in der Ecke des Blättchens, schräg gegenüber des Totenkopfes, sich eine Figur erkennen, die ich zuerst für eine Geis hielt. Eine nähere Prüfung überzeugte mich jedoch, dass jene Figur ein Zicklein darstellte.«

»Haha!«, erwiderte ich, »ich habe zwar kein Recht, über Sie zu lachen oder zu witzeln, denn mit anderthalb Millionen ist nicht zu spaßen, aber Sie haben doch nicht ein drittes Glied in Ihrer Kette entdeckt? Sie wollen doch nicht eine besondere Beziehung zwischen Ihrem Seeräuber und einer Geis auffinden? Seeräuber, wissen Sie, haben nichts mit Geisböcken zu tun, die gehören in das landwirtschaftliche Gebiet.«

»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass es nicht das Bild einer Geis war.«

»Nun, meinethalben eines Zickleins – ungefähr ein und dasselbe Ding!«

»Ungefähr ein und dasselbe, aber auch ganz und gar nicht«, versetzte Legrand. »Sie haben vielleicht von dem Piratenhäuptling Kid gehört. Kid heißt in unserer Sprache ein Zicklein. Ich betrachtete die Figur des Tieres als ein Wortspiel, als eine Art hieroglyphischer Signatur. Ich sage: Signatur, denn die Stelle, an welcher sie gezeichnet war, sprach für diese Idee. Der Totenkopf an dem schräg gegenüber befindlichen Ende trug in derselben Art den Charakter eines Siegels oder Stempels. Ich wurde indessen sehr in Verlegenheit gesetzt durch die vollständige Abwesenheit aller sonstigen Charaktere, aller und jeder Schriftzüge, des Textes, nach welchem ich sah.«

»Vermutlich glaubten Sie, einen Brief zu finden zwischen dem Stempel und der Signatur?«

»Irgendetwas von der Art. Die Wahrheit zu bekennen, empfand ich eine unwiderstehliche Ahnung von einem ungeheuren Vermögen, das mit der Existenz des Pergamentblättchens verknüpft sei. Ich wusste kaum zu sagen, warum. Vielleicht war es bei alledem mehr ein Wunsch als ein wirklicher Glaube, aber können Sie sich vorstellen, dass Jupiters lächerliche Behauptung, der Käfer sei von solidem Gold, einen beträchtlichen Einfluss auf meine Fantasie übte? Ferner war das Zusammentreffen einer ganzen Reihe von Zufällen ein höchst wunderbares. Welch ein merkwürdiger Zufall, dass alle diese Ereignisse an dem einzigen Tag im ganzen Jahr vorfielen, der kalt genug war, um das Anzünden eines Kaminfeuers zu erfordern, und dass ohne dieses Feuer sowie ohne die Dazwischenkunft des Hundes gerade in jenem Augenblick, ich niemals den Totenkopf bemerkt hätte, folglich niemals in den Besitz des Schatzes gelangt wäre.«

»Fahren Sie fort, ich brenne vor Ungeduld.«

»Wohl! Sie haben von den mancherlei Gerüchten gehört, welche hier in der Gegend in Umlauf sind, von dem unbestimmten Gerede der Leute, dass irgendwo an der atlantischen Küste von Kidd und seinen Spießgesellen Geld vergraben worden sei. Diese Gerüchte mussten auf irgendeiner Tatsache beruhen. Dass sie so lange und so ununterbrochen existiert hatten, konnte, wie mir schien, nur darin seinen Grund haben, dass jener vergrabene Schatz noch immer vorhanden sei. Hätte Kidd seine Beute nur für eine Zeitlang versteckt und später dieselbe geholt, dann würden jene Gerüchte schwerlich in ihrer gegenwärtigen unveränderten Gestalt auf uns gekommen sein. Man erzählt sich mancherlei Geschichten von Goldsuchern, aber keine einzige von dem glücklichen Finder. Hätte der Pirat seinen Schatz wieder erhalten, dann würde die ganze Fabel verschollen sein. Ich nahm an, dass irgendein Zufall – etwa der Verlust eines Blättchens, welches den Aufbewahrungsort anzeigte – ihn der Mittel beraubt hätte, denselben wiederzufinden, und dass jene Tatsache seinen Nachfolgern bekannt geworden sei, welche sonst vielleicht nie von der Existenz des Schatzes würden gehört haben. Diese mochten durch ihre nutzlosen und vergeblichen Versuche, den Schatz zu entdecken, die erste Veranlassung der vielfachen Gerüchte gewesen sein, welche heutzutage in aller Munde sind. Haben Sie jemals gehört, dass irgendein erheblicher Fund von den Schatzgräbern an der Seeküste versteckt worden sei?«

»Niemals«

»Dass aber Kidds Reichtümer unermesslich gewesen sein sollen, ist bekannt. Ich nahm es daher für erwiesen an, dass die Erde noch immer dieselben berge, und Sie werden kaum überrascht sein, wenn ich Ihnen sage, dass ich die Hoffnung, ja fast die Gewissheit zu hegen begann, jenes so wunderbar aufgefundene Pergament enthalte einen Bericht über den Aufbewahrungsort des Schatzes.«

»Aber welches Verfahren schlugen Sie ein?«

»Ich hielt das Blatt nochmals ans Feuer, nachdem ich die Glut verstärkt hatte; aber nichts erschien. Ich hielt es nun für möglich, dass die Bekleidung von Schmutz der Grund des Fehlschlagens sei. Ich reinigte daher das Pergament, indem ich es mit warmen Wasser übergoss, legte es hierauf in ein zinnernes Gefäß, mit dem Totenkopfe nach unten, und erhitzte die Pfanne auf glühenden Kohlen. In wenigen Minuten wurde die Pfanne über und über heiß. Ich entfernte das Blatt, und zu meiner unaussprechlichen Freude traten schon an verschiedenen Stellen Charaktere in geraden Linien hervor. Abermals legte ich es in die Wanne und ließ es eine Minute länger dort liegen. Als ich es herausnahm, war es gerade so, wie Sie es jetzt erblicken.«

Mit diesen Worten überreichte Legrand mir das Pergament. Die folgenden Charaktere waren zwischen der Ziege und dem Totenkopfe gemalt.

8§4:(58;:26;§4*8958(?82;;5(12§8;-§]1†?;]
658228§4)4*.§803§::06(4**08§38149§4(5844†0*
†53)4†0*16!)5;5699;§8-845806;5†;5;8§58;]1(;3.
†4*892§47846(:8*;8;5†*5847†!?8;8§48:06*82§4§8
†4*89-6)98*)0]1*84;[1(;3?)84?3§;?(:31§46(.

»Aber«, sagte ich, ihm das Blatt zurückgebend, »ich schwebe noch gerade so im Dunkeln, wie zuvor. Wären alle Juwelen Golcondas bei Lösung dieses Rätsels mein, ich bin überzeugt, ich würde Sie niemals gewinnen.«

»Und doch,” versetzte Legrand, »ist die Lösung keineswegs so schwer, wie Sie vielleicht nach dem ersten flüchtigen Blick auf diese Charaktere sich vorstellen. Diese Charaktere bilden, wie sich leicht erraten lässt, eine Chiffre, d. h. sie haben einen Sinn; aber nach allem, was ich von Kidd gehört hatte, hielt ich ihn nicht für fähig, eine sehr komplizierte Geheimschrift zu entwerfen. Ich gewann die Überzeugung, dass es eine höchst einfache sei, freilich von der Art, dass sie dem rohen Verstand des Seemannes ohne den Schlüssel absolut unauflöslich erschien.«

»Und Sie lösten dieselbe wirklich auf?«

»Mit Leichtigkeit; ich habe zehntausendmal kompliziertere aufgelöst. Zufällige Umstände und ein gewisser Hang meines Geistes haben ein Interesse an derartigen Rätseln in mir geweckt und man darf wohl zweifeln, ob menschliches Genie überhaupt ein solches Rätsel ersinnen kann, das menschliches Genie nicht auch bei richtigem Verfahren aufzulösen vermag. In der Tat, nachdem ich einmal bekannte und leserliche Charaktere vor Augen sah, dachte ich kaum mehr an eine sonderliche Schwierigkeit, ihren Sinn zu enthüllen.«

»In dem vorliegenden Fall – wie überhaupt bei jeder vorkommenden Geheimschrift – handelte es sich zuerst um die Sprache, in welcher die Chiffre geschrieben war, denn die Prinzipien der Lösung hängen, – namentlich, was die einfacheren Charaktere betrifft – wesentlich von dem Genius des besonderen Sprachidioms ab und werden hierdurch bestimmt. In den meisten Fällen gibt es keinen anderen Ausweg, als dass eben der Auflösende den Versuch in jeder ihm bekannten Sprache unternimmt, bis sich die richtige herausstellt. Die vor mir liegende Schrift schien aber durch die Signatur jeden Zweifel zu entfernen. Das Wortspiel mit Kidd und Kid ist nur der englischen Sprache vergönnt. Bei alledem muss der Pirat ein schlauer Fuchs gewesen sein, denn die Lösung wollte mir auf diesem Wege durchaus nicht gelingen, und ich gewann die Überzeugung, dass jene Signatur wahrscheinlich dazu bestimmt sei, den zufälligen Finder des Blättchens absichtlich in die Irre zu führen. Übrigens lag es auch gar nicht in der Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann, welcher durch den täglichen Verkehr mit Leuten der verschiedensten Nationen eine Menge von Sprachen erlernt hatte, sich zur Aufbewahrung eines Geheimnisses gerade der englischen sollte bedient haben, auf welche der mutmaßliche Finder sicher als erstes verfiel. Ähnliches war mit der spanischen und französischen Sprache der Fall; wenigstens gehörten die meisten seiner Spießgesellen, in deren Hand jenes Blatt fallen konnte, den beiden genannten Völkerstämmen an. Außer diesen Sprachen mochte Kidd Deutsch oder Holländisch verstehen. Da mir Letztes fremd war, machte ich vorläufig mit dem Deutschen den Versuch.

Ich ruhte in meiner Erregung nicht, bis ich auf dem Pergament doch noch irgendeine Andeutung finden würde, die meine Begierde befriedigen konnte, und sah endlich ganz blass kaum bemerkbar eine Reihe von Charakteren und Ziffern, die meiner Untersuchung weitere Nahrung gaben. Wenn Sie Ihre Augen recht anstrengen, so können Sie sich von dem Vorhandensein derselben selbst überzeugen.

»Sie bemerken, es ist kein Spatium zwischen den Worten. Wäre das der Fall gewesen, so würde mir die Arbeit verhältnismäßig erleichtert worden sein. Ich hätte dann mit einer Zusammenstellung und Auflösung der kürzesten Worte begonnen und zuerst diejenigen entziffert, welche nur aus zwei oder drei Buchstaben bestehen. Da ich hier jedoch keine Trennung der Worte fand, war es mein erster Schritt, mich sowohl der vorherrschenden Buchstaben als auch der am seltensten vorkommenden zu versichern. Die Charaktere zählend, fertigte ich folgende Tabelle an:

Von der Chiffre
8 finden sich 31
4 21
§ 17
( 16
* 15
5 14
6 10
9
10 8
293 7
? 6
] 5
–– 3
7! 2


Der fast in allen Sprachen am häufigsten vorkommende Buchstabe ist e. Auf diesen folgt im deutschen Alphabet das n. Die übrigen Vokale kommen demnächst am häufigsten vor, besonders das t und r. Eine genaue Reihenfolge lässt sich nicht bestimmen; die Buchstaben d und t sowie namentlich das f (in seinen verschiedenen Zusammensetzungen und Zeichen, wie f, s, ff, ft, fz) machen z. B. jenen Vokalen besonders den Vorrang streitig. Noch zweifelhafter ist die Anordnung der übrigen Buchstaben; höchstens könnte man sagen, dass in der Regel sich die Buchstaben r und h, ferner auch m, l und g häufiger vorfinden als die zurückbleibenden Charaktere des Alphabetes, während sich im Englischen eine viel genauere Reihenfolge bestimmen lässt. Nur das e herrscht in beiden Sprachen so unzweifelhaft vor, dass man im Englischen, wie im Deutschen kaum einen noch so kleinen Satz-Abschnitt findet, in welchem der Buchstabe e nicht am häufigsten vorkäme.

Hiermit wäre nun gleich im Beginn das Fundament für mehr als eine bloß willkürliche Annahme gegeben. Der allgemeine Nutzen, welcher aus einer Tabelle wie der obigen entspringt, ist klar, – im gegenwärtigen Fall rief ich sie jedoch selten zu Hilfe. Da 8 am häufigsten vorkommt, nehmen wir zuvörderst an, diese Ziffer sei das e des natürlichen Alphabets.

Das gebräuchlichste Wort in der deutschen, wie in allen übrigen Sprachen ist der bestimmte Artikel. Sehen wir also zu, ob in unserer Chiffreschrift öfters die gleiche oder ähnliche Zusammenstellung dreier verschiedener Charaktere eintrifft. Hier finden wir nur dreimal die Zusammenstellung *89 und je einmal die Zusammenstellung *84 auf dem Pergament. Wir können daher mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Chiffre * den Buchstaben d repräsentiert. Nächst dem bestimmten, kommt der unbestimmte Artikel am häufigsten vor. Treffen wir daher nochmals eine gleiche Zusammenstellung von drei Charakteren verschiedentlich an, deren Anfang die 8 bildet, dann ist es kaum sehr gewagt, anzunehmen, dass uns das Wort »ein« entgegentritt. Und wirklich begegnet uns die Zusammenstellung 8§4 nicht weniger als dreimal an verschiedenen Stellen. Wir haben jetzt zwei neue Charaktere gewonnen, und wissen, dass § das t, sowie § das i vorstellen soll.

Hiermit ist viel erreicht; wir kennen jetzt namentlich mit ziemlicher Gewissheit die Anfänge und Schlüsse einer ganzen Reihe von Worten. Aus den uns bekannt gewordenen Chiffren sehen wir, dass der Zusammenstellung *89, wo sich dieselbe zum ersten Mal findet, das Wort »in« vorhergeht; es ist daher am wahrscheinlichsten, dass jene 9 den Buchstaben m oder r repräsentiert. Die Wahl fällt uns etwas schwer; indessen kommen wir auch hier allmählich zum Ziel. In der zweiten Zeile der Chiffreschrift stoßen wir nämlich auf folgende Zusammenstellung einer Reihe uns teilweise bekannter Charaktere:

*)4**08§.

Lösen wir jetzt die Charaktere, so weit wir deren Bedeutung gelernt haben, auf, dann erhalten wir folgende Buchstaben:

d)nbb0ei

Es liegt auf der Hand, dass zwischen den beiden nebeneinander gestellten d ein Spatium anzunehmen ist; und wir brauchen uns kaum zu besinnen, dass sich das letzte Wort nur als »drei« lesen lässt. Ebenso wenig können die beiden übrigbleibenden d zu einem und demselben Worte gehören, und dass folglich ( sich nur als u lesen lässt, ist wohl mehr als gewiss. Wir haben jetzt, mit der Gewissheit, dass in der Zusammenstellung *89 sich die 9 nicht als r lesen lässt, einen dritten neuen Buchstaben gewonnen, nämlich das m, welches der 9 entspricht.

Nehmen wir jetzt einmal unsere Tabelle zur Hand. Der Charaktere kommt nächst der 8 und 4, welche wir schon als e und n kennen gelernt haben, am häufigsten vor. Ein Blick auf die Zusammenstellung *8; belehrt uns, dass sich dieses Wort nur als »des« auflösen lässt; denn für r, m und n haben wir bereits andere Zeichen. Unsere Vermutung wird durch das häufige Vorkommen dieses Charakters unterstützt.

Es dürfte jetzt nötig sein, die verschiedenen, uns bekannt gewordenen Charaktere in tabellarischer Übersicht zu ordnen, um Verwirrungen zu vermeiden. Wir erhalten folgendes Resultat:

* repräsentiert d
8 repräsentiert e
§ repräsentiert i
9 repräsentiert m
4 repräsentiert n
0 repräsentiert r
; repräsentiert s
) repräsentiert u


Das heißt, wir haben nicht weniger als acht der wichtigsten Buchstaben entziffert. Die Hauptschwierigkeit ist jetzt entfernt. Nehmen wir z. B. die ersten acht Chiffren der Geheimschrift:

8§4;)58;

Von diesen sind uns nicht weniger als sechs bekannt, und die übrigen zwei lassen sich leicht erraten. Man braucht eben kein Sokrates zu sein, um zu wissen, dass die Zusammenstellung:

ein:u5es

als »ein gutes« zu lesen ist, und somit wieder zwei neue Wortzeichen enthüllt.

Es wird unnötig sein, mit den Details meiner Enträtselung fortzufahren. Ich habe genug gesagt, um Sie zu überzeugen, dass Chiffren von dieser Art leicht auflösbar sind, und um Ihnen einen Begriff von dem Rationellen einer solchen Auflösung zu geben. Glauben Sie mir jedoch, dass die vor uns liegende Probe zu der allereinfachsten Art von Geheimschriften gehört. Ich habe Ihnen jetzt noch die vollständige Übersetzung der auf dem Pergament befindlichen Charaktere mitzuteilen. Hier ist sie:

»Ein gutes Glas in dem Teufelsstuhl in des Bischofs Kastell einundvierzig Grad dreizehn Minuten Nordost zu Nord Hauptstamm siebenter Ast Ostseite Schuss von dem linken Auge des Totenkopfes eine gerade Linie von dem Baum durch den Schuss fünfzig Fuß hinaus.«

»Aber«, nahm ich das Wort, »mir scheint das Rätsel immer noch so verwickelt, wie zuvor. Wie ist es möglich, in diesem Gewäsch von Teufelsstühlen, Totenköpfen und »Bischofs Kastellen einen Sinn zu entdecken?«

»Ich gestehe«, versetzte Legrand, »die Sache hat noch ein schwieriges Aussehen für den oberflächlichen Blick. Mein erstes Bemühen war, die natürliche Satz-Einteilung zu finden, welche von dem Zeichner der Charaktere beabsichtigt war.«

»Etwas von der Art.«

»Aber wie konnten Sie das bewerkstelligen?«

»Ich sagte mir, dass es gerade die Absicht des Schreibers gewesen sei, die Worte ohne Spatium und Absatz nebeneinander zu stellen, um so die Schwierigkeit der Auflösung zu erhöhen. Nur musste ein nicht eben gar zu scharfsichtiger Mann sicher ein solches Vorhaben übertreiben. Wenn er in seiner Satzfügung an eine Stelle kam, welche der Natur der Sache nach einen Punkt oder Absatz erforderte, so gab er sich alle erdenkliche Mühe, seine Charaktere noch dichter als sonst zusammen zu rücken. Sie werden das auf dem Pergamentblättchen fünfmal sehen. Durch diese Finte eher geleitet als irregeführt, teilte ich die Sätze folgendermaßen ab:

»Ein gutes Glas in dem Teufelsstuhl in des Bischofs Kastell – einundvierzig Grad und dreizehn Minuten – Nordost von Nord – Hauptstamm, siebenter Ast, Ostseite – Schuss von dem linken Auge des Totenkopfes – eine gerade Linie von dem Baum durch den Schuss fünfzig Fuß hinaus.«

»Selbst diese Interpunktion«, meinte ich, »lässt mich noch im Dunklen.«

»Einige Tage lang war bei mir dasselbe der Fall« versetzte Legrand, »überall in der Umgegend von Sullivans Eiland zog ich mittlerweile Erkundigungen ein, ob irgendwo ein Haus oder ein Landsitz unter dem Namen Bischofs-Kastell bekannt sei. Da ich nirgends Auskunft erhielt, wollte ich schon meine Nachforschungen auf einen weiteren Umkreis ausdehnen und eine mehr systematische Prozedur einschlagen, als mir eines Morgens plötzlich in den Sinn kam, jenes Bischofs-Kastell mochte vielleicht mit einer alten Familie, mit Namen Bessop, in Bezug stehen, welche in früherer Zeit ein altertümliches Herrenhaus, etwa vier Meilen nördlich von der Insel besessen hatte. Infolge dieser Idee besuchte ich die Plantage und zog unter den ältesten Sklaven Erkundigungen ein. Zuletzt sagte mir eine alte Frau, sie habe von einem Platz Namens Bessop’s Casike, gehört und glaube, den Platz finden zu können; es sei jedoch kein Kastell, sondern ein hoher Felsen.

Ich erbot mich, ihr den Gang reichlich zu vergüten und nach einigem Zaudern willigte sie ein, mich an jenen Ort zu begleiten. Wir fanden ihn ohne sonderliche Mühe, und nachdem ich sie verabschiedet hatte, begann ich den Platz zu untersuchen. Das Kastell bestand aus einer unregelmäßigen Partie von Klippen und Felsen, einer der Letzteren fiel mir durch seine Höhe sowie durch seine isolierte und romantische Lage besonders auf. Ich erkletterte seinen Gipfel, und war nun sehr in Zweifel, was ferner zu beginnen sei.

Als ich nachdenklich umherschaute, fiel mein Blick auf einen schmalen Vorsprung an der Ostseite des Felsens, vielleicht anderthalb Ellen unter dem Gipfel, auf welchem ich stand. Dieser Vorsprung ragte etwa achtzehn Zoll über die Felskante hinaus und war höchstens einen Fuß breit, während eine Nische in der über ihm befindlichen Klippe ihm eine rohe Ähnlichkeit mit den hohllehnigen Stühlen unserer Vorfahren verlieh. Ich konnte nicht zweifeln, dass dies jener Teufelsstuhl sei, auf welchen das Pergament anspielte, und schien nun den vollen Sinn des Geheimnisses zu verstehen.

Das gute Glas wusste ich, konnte sich auf nichts anderes als ein Fernrohr beziehen, denn das Wort Glas wird selten in anderer Bedeutung von Seefahrern angewandt. Ein Fernrohr also war hier zu gebrauchen, das keine Abweichung zuließ. Ebenso wenig konnte ich zweifeln, dass die Sätze einundvierzig Grad und dreizehn Minuten und Nordost zu Nord auf die Richtung abzielten, in welcher das Fernrohr zu halten sei. Höchst aufgeregt durch diese neuen Entdeckungen, eilte ich nach Hause, holte ein Fernrohr und kehrte zum Felsen zurück.

Ich ließ mich auf den Vorsprung hinab und fand, dass es unmöglich war, anders als in einer einzigen, ganz bestimmten Stellung einen Sitz auf demselben zu gewinnen. Diese Tatsache bestärkte mich in meiner vorgefassten Idee. Ich nahm mein Fernrohr zur Hand. Selbstverständlich konnten sich die einundvierzig Grad und dreizehn Minuten nur auf die Höhe des Emporhebens am sichtbaren Horizont beziehen, denn die Himmelsgegend war durch die Worte Nordost zu Nord deutlich genug bestimmt. Die letzte Richtung stellte ich mithilfe eines Taschenkompasses leicht fest. Dann erhob ich das Teleskop so annähernd als möglich zu einem Winkel von einundvierzig Grad und bewegte es langsam auf und ab, bis meine Aufmerksamkeit durch eine kreisförmige Öffnung in dem Laub eines Baumes, welcher alle seine Waldnachbarn überragte, in Anspruch genommen wird. In der Mitte dieser Öffnung bemerkte ich einen weißen Fleck, konnte jedoch anfänglich nicht unterscheiden, was es sei. Den Fokus des Fernrohrs durch Schieben verstärkend, sah ich abermals hin und erkannte nun deutlich einen Totenkopf.

Nach dieser Entdeckung war ich sanguinisch genug, mein Rätsel für gelöst zu halten, denn der Ausdruck Hauptstamm, siebenter Ast, Ostseite konnte sich nur auf die Stelle des Baumes beziehen, an welcher sich der Schädel befand, während die Worte Schuss von dem linken Auge des Totenkopfes auch nur eine Deutung hinsichtlich des Auffindens der vergrabenen Schätze zuließen. Man sollte, so viel ich verstand, eine Kugel durch das linke Auge des Schädels hinabsenken und eine gerade Linie von dem nächsten Punkt des Baumes durch den Schuss (die Stelle, auf welche die Kugel herabgefallen war) ziehen. Diese Linie, bis zu einer Entfernung von fünfzig Fuß verlängert, würde einen gewissen Punkt anzeigen, und es schien mir wenigstens möglich, dass hier ein wertvoller Schatz vergraben sei.«

»All dies«, sagte ich, »ist außerordentlich klar, und obwohl scharfsinnig, doch sehr einfach und bestimmt. Was taten Sie nun, als Sie das Bischofs-Kastell verließen?«

»Nachdem ich sorgfältig den Platz ausgemessen hatte, an welchem der Baum sich befand, kehrte ich heim. Sobald ich jedoch den Teufelsstuhl verließ, war die kreisförmige Öffnung verschwunden. Wie sehr ich mich wandte, es war mir unmöglich, eine Spur derselben zu entdecken. Was mir als das Scharfsinnigste bei der ganzen Sache erscheint, ist die Tatsache, dass sich jene Baumöffnung von keinem anderen Punkt erblicken lässt als von jenem schmalen Vorsprung an der Ostseite des Felsens.

Auf dieser Wanderung zu dem Bischofs-Kastell hatte mich Jupiter begleitet, dem ohne Zweifel mein anscheinend zerstreutes Wesen seit mehreren Wochen nicht entgangen war und der infolge hiervon besondere Sorge trug, mich keinen Augenblick allein zu lassen. Am anderen Morgen gelang es mir jedoch, da ich sehr früh aufgestanden war, ihm zu entwischen. Ich wanderte auf die Hügel, um jenen Baum zu entdecken. Nach vieler Mühe machte ich ihn ausfindig. Als ich am Abend nach Hause kam, hielt mein Diener einen großen Stock für mich in Bereitschaft. Der Rest des Abenteuers ist Ihnen so gut wie mir bekannt.«

»Wahrscheinlich«, bemerkte ich, »verfehlten wir zuerst den Platz, weil Jupiter in seiner Dummheit den Käfer durch das rechte, statt durch das linke Auge des Schädels fallen ließ.«

»Allerdings. Dieser Irrtum machte einen Unterschied von dritthalb Zoll bei dem Schuss – d.h. bei demjenigen Pflock, welcher dem Baum am nächsten stand. Wäre der Schatz nun unter dem Schuss vergraben gewesen, dann hätte der Irrtum wenig zu bedeuten gehabt; aber der Schuss und der zunächst liegende Punkt des Baumes waren nur zwei Punkte, um die Richtung der geraden Linie zu bestimmen; je mehr diese also verlängert wurde, desto mehr schadete der Irrtum, und bei fünfzig Fuß war der Unterschied so groß, dass wir ganz von der Fährte abkamen. Hätte ich nicht eine so tief verwurzelte Überzeugung von dem wirklichen Vorhandensein eines Schatzes in der Nähe des Baumes gehabt, dann wäre all unsere Arbeit umsonst gewesen.«

»Aber Ihre feierliche Sprache, Ihr sonderbares Benehmen, Ihr Schwingen des Käfers, – wie überaus lächerlich! Ich glaubte wahrhaftig, Sie wären toll. Und warum bestanden Sie darauf, den Käfer statt einer Kugel herabfallen zu lassen?«

»Nur, um aufrichtig zu sein, ich fühlte mich durch Ihren Argwohn betreffs meiner Gesundheit etwas ennuyiert und beschloss, Sie im Stillen in meiner eigenen Manier durch ein bisschen nüchterne Mystifikation zu bestrafen. Deshalb schwang ich den Käfer und deshalb ließ ich ihn vom Baum fallen. Ihre Bemerkung über dessen schweres Gewicht brachte mich auf letztere Idee.«

»Ja, ich begreife; nun möchte ich nur über einen Punkt noch aufgeklärt sein. Was haben jene Skelette zu bedeuten, die wir in der Grube fanden?«

»Das ist eine Frage, die ich so wenig wie Sie selbst zu beantworten vermag. Es leuchtet mir jedoch nur eine Annahme hier ein, welche auf eine sehr traurige Art die Sache erklärt. Es ist klar, dass Kidd – wenn in der Tat Kidd diesen Schatz vergrub, woran ich gar nicht zweifle – es ist klar, dass er bei seiner Arbeit Helfer gehabt haben muss. Nachdem jene Arbeit beendet war, hielt er es für nötig, alle Mitwisser seines Geheimnisses zu entfernen. Ein oder zwei Schläge mit der Axt mögen hinreichend gewesen sein, die in der Grube beschäftigten Gefährten zu töten; vielleicht erforderte es ein Dutzend – wer vermag es zu sagen?«