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Der Welt-Detektiv Band 6

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Bergmann und Wilddieb II

Bergmann und Wilddieb
Eine Novelle von Julius Dornau
Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig, 1841

Das Schicksal freut sich, Sterbliche zu quälen, und treibt mit ihnen grausam oft sein Spiel.

Horaz

II.

Das Gasthaus Zur Ölmühle

Horch – wie Murmeln des empörten Meeres,
wie durch hohler Felsen Becken weint ein Bach,
stöhnt dort dumpfig tief ein schweres, leeres,
qualerpresstes Ach!

Schiller

Unfern einer lebhaften Landstraße, da, wo sie nach wenigen Stunden in den berühmten Badeort C. ausläuft, liegt ein unansehnliches kleines Häuschen, dem Einsturz nahe und mit Stroh gedeckt. Es war dies sonst ein Gasthof, nach dem ursprünglichen Zweck des Gebäues Zur Ölmühle genannt. Wer erst vor kürzerer Zeit das Erzgebirge bereiste, möchte sich jedoch schwerlich des Hauses erinnern, dessen Ölstampfen dem unglücklichen Gast bei Nacht ein großartiges Konzert vordonnerten und dessen Nachbarin, eine kreischende Sägemühle, die Nerven seines Gehörs auf die grausamste Folter spannten. Nun ist das Schild Zur Ölmühle verschwunden und ein neues Gasthaus, groß, schmuck und schön, zwanzig Schritte von dem alten erbaut worden. Es ist aus festem Gestein aufgeführt, mit Schiefer gedeckt und führt die prahlende Aufschrift Zur Stadt Dresden. In einer lichten und freundlichen Gaststube waltet ein nettes Schenkmädchen, aus dessen Wangengrübchen die Schalkheit lächelt und von deren Lippen die Gefälligkeit träuft. Hier scheinen fortan nur Freude und Glück, Scherz und Lust Wohnung suchen zu können. Anders war es in der Ölmühle. In der niedrigen, arg durchräucherten Schenkstube, die, ob auch zu gut, um das Grauenhafte einer Diebeshöhle zu bieten, doch viel zu schlecht war, um der Aufenthalt weiblicher Schönheit oder männlicher Grandezza zu sein, saß an einem Spätabend des Winters die Mehrzahl der männlichen Bewohner des Dorfes. Vor ihnen stand die schwere steinerne Kanne mit braunem Hopfengebräu. Die Tabakspfeife in ihrem Mund dampfte Wolken auf, so dick und dicht, als gälte es, eine helle Mittagssonne zu verfinstern. Ein allgemeines Gespräch wogte zwischen der Heu- und Kartoffelernte, zwischen der letzten Erntepredigt des Pfarrers »Bleibe im Land und nähre dich redlich, auch lasse dich nicht verlocken, mit den falschen Freunden des Glaubens nach Amerika auszuwandern« und zwischen den neuesten Nachrichten aus Polen, der Türkei und Ägypten, wie ein schlecht gesteuertes Schifflein hin und her, ohne jemals an ein Ziel gelangen zu können.

Teilnahmslos an dem allen zeigte sich ein Mann, der in der äußersten Ecke des Zimmers Platz genommen hatte. Sein schwarzer Leinwandanzug verkündete den Bergmann. Er saß still und in sich versunken da, nur zuweilen blickte er scheu und schüchtern sich um und suchte, wie die Eule den Lichtglanz, so die Blicke der Umgebung zu meiden.

Seine hohe und breite Stirn durchzogen lange und tiefe Furchen des Schmerzes und Kummers, das Feuer seiner tief liegenden Augen war zum flackernden Irrlicht geworden, um seinen Mund zuckte es fort und fort wie das Lächeln der Verzweiflung, und das schwarze Haar, das wirr den Kopf umstarrte, vollendete das Unheimliche des Anblicks. Die ganze Gestalt, ob auch von Not und Krankheit verfallen und eingesunken, war doch gedrungen und fest; der rechte Arm schien von einem neulichen Unfalle noch etwas gelähmt. Wer den Mann nach dem ersten Scheine beurteilen sollte, musste ihn für einen Verbrecher halten, der es nicht wagt, jemanden frei ins Auge zu schauen, aus Furcht, er könne einen seiner Verfolger erkennen; oder für einen Unglücklichen, den die Geißel des Schicksals bis auf die höchste Sprosse des Elends hinaufgetrieben hat, der nicht wieder rückwärts kann und vor sich den gähnenden Schlund der Verzweiflung sieht. Ach, das Atmen aus schwer niedergepresster Brust, das krampfhafte Zucken in den Muskeln des Gesichtes und in unbewachten Augenblicken das fieberhafte Beben durch die ganze Gestalt bezeugten so deutlich, dass es in dem Inneren des Unbekannten ärger stürme als draußen in der Natur; denn da brauchte eine Dezembernacht ihr raues Despotenrecht und schüttelte aus ihrem Sturmmantel Schnee und Eis über die Felder hin. Die Fluten der Zschopau kämpften gleich empörten Gefangenen gegen die fesselnde Eisdecke und der Mühlbach stürzte sich wutschäumend in die Schaufeln der Räder.

Der Arme hatte keinen Labetrunk vor sich. Er mochte einen solchen wohl lange entbehrt haben und sich schon dadurch beglückt schätzen, dass er einen kleinen Raum erlangt hatte, wo er vor dem Toben des Wetters sich schützen und durchwärmen konnte.

Niemand kümmerte sich um ihn, denn alle ringsherum zechten und waren fröhlich, und des Fröhlichen Augen übersehen ja so oft die Trauer in ihrer Nähe. Endlich warf die Wirtin, welche nicht mit dem Zauber der Jugend und Schönheit, wohl aber mit dem mannhaften Ernst der älteren Hausfrau alles überschaute und lenkte, einen Blick auf den bescheidenen Gast. Der Blick einer echten Wirtshauskönigin nun dringt in der Regel mit – wer weiß, welcher – magnetischer Geheimkraft in die innersten Tiefen der Tasche und macht diese bis zum letzten Pfennig zum Vorwurf des rätselhaften Hellsehens. Ein solcher Blick unterscheidet darum auch mit wahrhaft prophetischer Gewissheit, ob ein Wesen heilig ist oder profan, das will in der Schenkensprache sagen: ob es bezahlen kann oder nicht, ob es ein affirmativer oder ein negativer Gast sei. So wusste denn auch die regierende Dame der Ölmühle sogleich, dass der Bergmann noch schlimmer als ein negativer Gast war, dass er noch weit unter dem Nullpunkt des Wirtshausthermometers sich hielt. Zugleich warf sie auch einen richtigen Blick in seine Gemütswelt und erkannte, dass die Ebbe des Geldbeutels durch eine Flut von schweren Sorgen ersetzt werde. Aber mit Freuden sei es gesagt: Die Ölmühle war ein kleiner konstitutioneller Staat voll segnender Kraft für Menschen- und Volkswohl und ihre Fürstin liebte Mildherzigkeit und Wohltat. Sie hieß alsbald einen Krug von dem blassroten Gebräu füllen und dem Bergmann hinsetzen. Auch dieser richtete nun seinen Blick auf die gütige Wirtin. Das Auge aber, wenn es unmittelbar der Sprecher der Seele und des Gefühls wird, gewinnt einen wunderbar mächtigem Ausdruck, eine märchenhaft magische Kraft, von der sich jeder wider Willen angezogen und gefesselt fühlt.

Sei es der Blick des Bergmanns, sei es die Gewalt des Mitleides oder der Neugierde – genug, die Wirtin näherte sich ihrem einsamen Gast, setzte sich zu ihm, reichte ihm traulich die Hand und redete ihn mit freundlichem und ermunterndem Zuspruch an. Dann begann sie, klug wie ein gewandter Polizeichef, doch nicht ohne die Vorsicht und die Schonung, welche edlere Seelen den vom Schicksal feindlich Verfolgten gegenüber nie vergessen mögen, nach seinen Leiden zu forschen. Das Unglück, hat es anders noch einigen Glauben an die Teilnahmefähigkeit der Menschen, hat es das Herz durch Misstrauen noch nicht ganz zum Stein verhärtet, ist aber so leicht zur Mitteilung zu bewegen – vorzüglich wo es ein ungewöhnliches liebevolles Entgegentreten bemerkt. Des Bergmanns verzweiflungsdüsteres Gesicht überflog nun der Sonnenstrahl freudiger Überraschung, sein Auge blickte minder scheu und wild und seine Zunge entfesselte die drückenden Geheimnisse seines Herzens. Er sprach und sprach, er legte alle seine Sorgen, alle seine Qualen vor der teilnehmenden Wirtin nieder und erzählte ihr die Geschichte seines Unglücks von der Stunde seiner Geburt bis zum heutigen Tag.

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