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Der Detektiv – Das Gespensterwrack – Teil 2

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Das Gespensterwrack

Teil 2

Gleich darauf verließen Harst und ich die Jacht. Wir wollten uns die Stadt ansehen. Karl hatte gebeten, mitkommen zu dürfen. Aber Harst meinte, er könne nachher mit Pedersen an Land.

Ich ahnte, dass unser Spaziergang durch das Städtchen nicht ohne Nebenabsichten unternommen wurde. Unsere Verkleidung war so tadellos, dass selbst unser Freund Bechert uns nicht erkannt hätte.

Wir schlenderten durch die sauberen Straßen vorbei an ebenso sauberen, altertümlichen Häuschen, schauten uns die uralte Kirche von außen an und kehrten schließlich in einer Kneipe am Marktplatz ein, wo ein Teil der Tische hinter Efeukästen auf dem Bürgersteig stand. Wir setzten uns draußen nieder und waren überrascht, hier echt Nürnberger Bier vorzufinden, dazu auf der Speisekarte, natürlich in norwegischer Sprache, Eisbein mit Sauerkohl.

Dieses Eisbein lockte. Wir bestellten jeder eine Portion, die uns der Wirt dann sehr bald brachte. Alles war hier peinlich sauber und die ganze Aufmachung atmete biedere Gemütlichkeit.

Die Kneipe war recht leer. Hier hinter den Efeuwänden saßen außer uns nur noch fünf Personen an zwei Tischen: ein jüngeres Ehepaar mit einem Kind und ein älteres Ehepaar, die erst nach uns gekommen waren.

Der Wirt, der sich schon vorhin mit Harst auf Englisch unterhalten hatte, da Harsts norwegische Sprachkenntnisse recht gering waren, brachte uns die wieder gefüllten Biergläser.

»Gibt es öfter bei Ihnen dieses deutsche Spezialgericht?«, fragte Harst ihn jetzt.

»Nein. Nur wenn die Herren Maler es sich bestellen. Diese Portionen sind von gestern übrig geblieben. Wir haben hier nämlich eine kleine Malerkolonie jeden Sommer, darunter auch stets Deutsche.«

»Soso. Dann sind wohl jene älteren Herrschaften dort hinten auch Maler?«

»Nein. Die kenne ich wenigstens nicht. Es müssen Fremde sein. Der Herr mit der goldenen Brille spricht sehr schlecht Norwegisch.« Der Wirt ging wieder.

Da wurde es plötzlich gerade an jenem Tisch lebhaft. Der Wirt stand dort und hatte eine Banknote in der Hand, redete auf den Graubärtigen ein und zeigte auf die Banknote. Dann sprachen sie leiser.

Das Paar hatte nun bezahlt und ging.

Auch Harst rief den Wirt herbei und wollte unsere Zeche begleichen.

Der Wirt war noch immer erregt. »Eine wahre Plage ist’s mit dem verdammten Papiergeld«, sagte er, als Harst ihm einen Fünfzig-Kronen-Schein reichte. »Der Österreicher dort, der alte Herr, der soeben mit seiner Frau wegging, ist auch wieder mit ein paar dieser leider nur zu tadellos nachgemachten Fünfzig-Kronen-Noten angeschmiert worden.«

»Na, falsches Papiergeld gibt es überall«, meinte Harst.

»Aber nicht in solchen Mengen wie hier bei uns«, brummte der Wirt. »Man muss sich jetzt jeden Fünfzig-Kronen-Schein so genau ansehen wie ein seltenes Bild, sonst …«

Harst war plötzlich aufgestanden. »Bin sofort wieder da!« Und weg war er.

Harst kehrte erst nach etwa zwanzig Minuten zurück, fragte den Wirt noch, ob das österreichische Ehepaar nicht doch Malersleute seien.

»Nein. Der alte Herr ist Schriftsteller und will sich hier erholen. Sie sind aus Wien. Sie wohnen am Hafen im Hotel König Christian. Wegen der falschen Banknote kamen wir ins Gespräch. Die Leute heißen Prager – Schriftsteller Karl Prager. Er nannte mir seinen Namen, weil er der Polizei melden will, dass er mit acht falschen Scheinen hereingefallen ist und sich auf mich berufen will, da ich doch eine der Fälschungen erkannt habe.«

Wir gingen nun auch. Es war halb acht geworden.

Es war nun völlig dunkel. Aber die Straßenbeleuchtung reichte hin, sich zurechtfinden zu können. Als wir den Wohnsalon der Jacht dann betraten, saßen Tiessen, Pedersen und Karl wirklich schon mit dem Norweger bei Grog und Zigarren und hatten den kleinen Raum auch schon gehörig vollgequalmt.

Bevor Torgelson uns nun die Geschichte des Gespensterwracks mitteilte, erwähnte er, dass er des Öfteren den Kapitän des Lotsendampfers hier vertrete, da der Kapitän gallensteinleidend sei.

Im vorigen Frühjahr tobte eines Tages im April ein schwerer Sturm vor der Einfahrt in den Christianiafjord. Spät abends versuchte dann der in Bergen beheimatete und mit Heringen beladene, recht altersschwache Schraubendampfer Hardanger, der in der schweren See bereits leck geschlagen war, in den Fjord einzulaufen, passierte auch noch glücklich das Leuchtfeuer von Fulehuk, musste dann aber von seinem Kapitän am Ufer einer kleinen, felsigen Insel nördlich des Leuchtturmes auf Strand gesetzt werden, da er plötzlich sehr schnell zu sinken begann. Der Kapitän steuerte ihn zwischen zwei hohe, der Insel vorgelagerte Klippen, wo er sich dann so festrammte, dass er nun bis zum Maschinenraum voll Wasser lief. Die Reederei, der der alte Kasten gehörte, wollte das Geld nicht mehr aufwenden, ihn wieder flott zu machen, ließ nur die Ladung und alles Wertvolle daraus bergen und wollte ihn nachher als Brennholz auf Abbruch verkaufen. Es fand sich jedoch niemand, der Brennholz brauchte, in dem holzreichen Norwegen weiter kein Wunder. So blieb denn das Wrack liegen, wo es lag, und wurde den Touristen im Sommer oft als Sehenswürdigkeit gezeigt. Dann tauchten allerlei Gerüchte auf, dass es auf dem Wrack umgehe, und schließlich wurden auch die Behörden auf dies seltsame Gerede aufmerksam. Die umwohnenden Fischer sprachen von Geistern und Gespenstern, die auf dem Dampfer nächtlicherweile ihr Wesen treiben sollten. Sehr bald hatten dann ein paar Kriminalbeamte aus Christiania, die hinter dieser Gespenstergeschichte verbrecherische Vorgänge witterten, durch heimliche Beobachtung des Wracks festgestellt, dass diesem Gerede tatsächlich etwas Wahres zugrunde lag. Sie hatten mit eigenen Augen in mondhellen Nächten gesehen, wie auf dem Deck des Hardanger drei menschliche Gerippe gleich lebenden Wesen umherwanderten und suchten nun den Verursachern dieses nicht nur für abergläubische Gemüter reichlich grauenvollen Spuks das Handwerk zu legen, denn dass Menschen von Fleisch und Blut dahintersteckten, war ihnen gewiss. Zwei Detektive, besonders beherzte und erprobte Männer, begaben sich daher, nachdem eine genaue Durchsuchung des Wracks ergebnislos geblieben, eines Abends in aller Stille an Bord, während der kleine Lotsendampfer wie schon vordem wieder in der Nähe wie zufällig kreuzte, was bei einem Lotsenfahrzeug nicht weiter auffallen konnte.

Als der Mond aufgegangen war, hatte Torgelson, der wieder gerade den Kapitän vertrat, mithilfe eines Nachtglases das Deck des Wracks ständig genau im Auge behalten. Plötzlich hatte er dann, und zwar genau um Mitternacht, wieder jene drei Skelette bemerkt, die mit schlenkernden Knochenarmen hin und her gingen und sogar auf die Kommandobrücke stiegen.

»Ich sage Ihnen, Herr Harst«, fuhr er nun in seiner Erzählung fort, »es war ein Anblick, dass einem eine Gänsehaut über den Rücken lief. Ich bin wahrhaftig nicht im Geringsten abergläubisch, doch mir hätte jemand tausend Kronen geben können und ich wäre damals nicht auf das Wrack geklettert, wenigstens nicht nachts. Auch heute täte ich es um …«

»Schon gut«, unterbrach Harst ihn etwas ungeduldig »Was wurde denn aus den beiden Detektiven?«

Torgelson nickte traurig mit dem Kopf. »Was aus ihnen geworden ist? Nichts! Sie sind nie mehr zum Vorschein gekommen – nie mehr!«

»Ah, sehr merkwürdig! Hat man das Wrack nochmals durchsucht?«

»Natürlich. Gleich am Morgen, als es hell wurde.«

»Wie lange zeigten sich gewöhnlich diese Gespenster auf Deck?«

»Regelmäßig etwa eine halbe Stunde – so von zwölf bis halb eins. Aber sagen Sie nicht zeigten sich! Sie zeigen sich noch, wenn auch seltener.«

»Hat denn die Polizei nicht nochmals Beamte eine Nacht auf dem Wrack zubringen lassen?«

»Gewiss. Aber damals blieb der Spuk aus, der ja auch nicht in jeder Mondnacht auftauchte, nur hin und wieder. Dreimal noch sind Detektive, stets zu vieren, auf dem Wrack gewesen, immer ohne Erfolg. Da hat man denn die Sache aufgegeben, obwohl eigentlich das Verschwinden eines Amerikaners, der im Spätherbst des Vorjahres aus Sport, wie er vorher übermütig sagte, drei Tage auf dem alten Kasten bleiben wollte und auch allein in einem Boot hingefahren ist, den Eifer der Polizei wieder etwas hätte wecken müssen. Ich habe aber so das Gefühl, als ob auch den Beamten die Geschichte unheimlich ist. Ich kenne Verschiedene von ihnen persönlich. Wenn man von dem Gespensterwrack spricht, werden sie mit einem Mal sehr still und fangen schnell von was anderem zu reden an.«

»Ist das alles, Herr Torgelson?«, fragte Harst nun.

»Ja. Ich denke aber, es ist gerade genug, um den Namen Gespensterwrack zu rechtfertigen.«

Harst blickte sinnend vor sich hin. »Wie hieß der Amerikaner? Was war er?«, fragte er dann.

»Oh, es war ein älterer Herr schon. Den Namen habe ich nicht behalten. In New Orleans soll er zu Hause gewesen sein. Ich habe ihn selbst gesprochen, bevor er auf die Idee kam, die Gespenster vom Hardanger für alle Zeit zu verscheuchen. Er hat mich nach all diesen Dingen ausgefragt, die ich Ihnen soeben berichtet habe. Es war ein kräftiger Mann mit starkem, leicht ergrautem Vollbart und einer Hornbrille auf der Nase. Ich glaube, er sagte er wäre Künstler. Maler oder so was ähnliches. Es kommen so viele Maler hier an den Fjord. Sie pinseln immer an der blauen Fjordluft herum.«

Harst zündete sich eine neue Zigarette an, meinte dabei so nebenher: »Vor Kurzem soll doch ein Berliner hier sich aufgehalten und wahrscheinlich ebenfalls dem Spuk nachgespürt haben. Kannten Sie den Herrn vielleicht?«

»Jedes Kind in Vallö kannte ihn. Er machte einen etwas … hm … verdrehten Eindruck. Er war Fotograf von Beruf, sah aber mit seiner Künstlermähne und dem blonden Riesenbart wie einer von den Malern aus den Witzblättern aus. Er fotografierte alles Mögliche und angelte bei gutem Wetter den ganzen Tag. Jedenfalls muss er reich gewesen sein. Er hielt abends jeden frei, der nur Wein trinken wollte, und in den Hafenkneipen war er ein sehr beliebter Gast.«

Harsts Blicke begegneten den meinen. Wir verstanden uns: Der Verdrehte war Herr Lihin Omen gewesen, der nur deshalb so freigebig gewesen, weil er die Leute aushorchen wollte.

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