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Der Welt-Detektiv Band 6

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Bergmann und Wilddieb I

Bergmann und Wilddieb
Eine Novelle von Julius Dornau
Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig, 1841

Das Schicksal freut sich, Sterbliche zu quälen, und treibt mit ihnen grausam oft sein Spiel.

Horaz

I.

Die Reise ins Erzgebirge

Knapp’, sattle mir mein Dänenross,
dass ich mir Ruh’ erreite!
Es wird mir hier zu eng im Schloss,
ich will und muss ins Weite!

Gottfried August Bürger

Kaum hatte ich die Erlaubnis meines Obern, die Fesseln der Dienstpflicht auf einige Zeit abzustreifen, empfangen, kaum hatte ich die nötigsten Anordnungen in Bezug auf die Bedürfnisse der Gegenwart und Zukunft getroffen, so stand ich schon reisefertig an der Schwelle meiner Wohnung. Nach einer Stunde sah ich den Turm des Städtchens verschwinden, welches lange, ach so quälend lange Zeuge meines Lebens und meiner tatenvollen Träume gewesen war. Ich fühlte mich mit einem Mal so wohl, so glücklich. Es war mir, als sollte ich mit der Lerche mich aufschwingen in die blauen lauen Sommerlüfte und wie sie der vor meinem Blicke mehr als jemals sich verklärenden Schöpfung einen Hymnus jauchzen. Ich war frei! O süße Melodie dieses Wortes! Wer je in tiefster Seele dich empfunden hat, dem wurde eine Ahnung paradiesischer Wollust zuteil, dessen Sinn erfasse innerst die Würde und den Zweck des menschlichen Seins, dessen Herz ist geweiht, geweiht dem ersten und göttlichsten Gefühl in der Menschenbrust – dem Mitgefühl.

Das Ziel meines Wanderns war die Weite. Welche? Dieses galt mir gleich. Nur fort! Nur hinein in die Ferne! Hinein unter andere Menschen, andere Verhältnisse, um unter ihnen die Schmetterlingsfreude der Entpuppung in langen, beseligenden Zügen in mich einzusaugen! So hieß, ob auch unausgesprochen, mein Wahlspruch.

Aber wie, hatte jener Trieb, der vermittels aller Fiebern des Herzens mit dem Boden uns eint und zu dem Boden uns hinzieht, dessen Blumen zuerst unser Leben begrüßten, oder hatte jene unbekannte ehrfurchtgebietende Macht, welche uns bei jedem Schritte unserer Erdenbestimmung entgegenführt, mich geleitet? Ich fand mich bald am Fuß des Erzgebirges. Ich staunte nicht, ich freute mich darüber und trat hinein, wie zu einem Freund, von dem wir gewiss sind, bei jedem neuen Blick in sein liebes Auge neue Tugend und Liebenswürdigkeit zu entdecken. Ich durchkreuzte mit jugendlich glühender Wanderlust das Gebirge nach allen Seiten und Richtungen hin, lauschte dem Rauschen seiner düsteren Wälder, vertiefte mich in seine Täler, bestieg seine Höhen und machte mich zum Vertrauten seiner Bewohner. Aber ich mied die Städte und Schlösser, ich mied die Pforten der Vornehmen und die Schwellen der Reichen; denn hatte ich nicht diese wie jene verlassen, um die Natur, den Urquell aller Freuden und aller Erquickungen zu finden und in seinen ätherreinen Wellen mich zu kühlen und zu stärken. War ich jenen wie diesen nicht entflohen, um, ein Diogenes ohne Laterne, aber mit jugendfrischem Auge, nach Menschen zu suchen im Volk, in der Behausung des bescheidenen Auskommens und in der Hütte der jammernden Armut?

Ich bereue sie nicht, diese Wanderung. Ich fand, wonach Sinn und Gemüt verlangten. Mein Auge erschaute nicht ein himmelanstürmendes Gigantengebirge, nicht blendende Gletscher und glühende Firnen, nicht jähe Felsenrisse, nicht unergründliche Talschluchten. Mein Ohr vernahm nicht das Tosen der Katarakte, nicht den donnernden Sturz der Lawine, nicht die schrillende Pfeife des Räubers in der Waldnacht und nicht den dumpfen Pistolenschuss des Banditen. Für dies alles, wonach der wilde Romantiker, der phantastische Maler, der auf die Parforcejagd nach Bildern ausgehende Poet trachtet, boten mir reichlichen Ersatz die hier in sanften und weichen, dort in grollenden und schroffen Wellen sich hinbreitenden Fluren, die Berge mit ihrem von edlen Metallen schütternden Reichtum, die Täler mit ihrem regen Gewerbefleiß, die Wälder mit ihren hohen Fichten und dichtbelaubten Eichen. In solcher Umgebung atmete ich frei und fröhlich, ich fühlte, wie Freude und Friede mein Herz weiteten und in ihm Wohnung machten. Bemeisterte aber die Fantasie mit ihren stürmischen Forderungen die Ruhe des Gemütes, dann stellte zu rechter Zeit die Windsbraut sich dar, wie sie, oft umgeben von mitternächtigen Schreckbildern, durch die alten Forste dahinbraust. Dann sah ich den kühnen Wildschützen mit seiner Beute an mir vorüberziehen, dann neigten hundert wunderliche und schauerliche Märchen von bezauberten Rittern und Burgfräulein, von Nixen und Berggeistern sich zu meinem Ohr und ein Heer von Kobolden umgaukelte neckend und schreckend meine Schritte.

Zu dem allen nahte ich hier nicht Menschen, auf deren Wange die Tünche der Höflichkeit lächelt, und deren Stirn selbstsüchtige Gefälligkeit überglänzt; nein, ich wandelte zumeist nur unter Menschen, aus deren Auge Biederkeit und von deren Zunge Herzensgeradheit sprachen, unter Menschen, die in der harten Zucht der Sorge, Arbeit und Entbehrung ein fröhliches, gutes und frommes Gemüt sich bewahrten, deren Sitten durch Einfachheit das Herz gewannen. Bei des Bergmanns gemütlich wohltuendem Zuruf Glück auf! Fühlte ich mich stets von einer Glut von Wohlgefühl durchströmt, während die künstlichste Begrüßung in der feinen und gebildeten Welt, in den Salons und Teezirkeln mich oft mit Eiseskälte durchschauerte. Die natürliche Herzensergießung eines schlichten Landmanns über seine schmerzvolle Lage konnte mich in tiefster Seele erschüttern, während das pathetisch vom Prediger deklamierte Gebet den Armen um Gotteswillen mich oft genug zum Unwillen reizte, wenn ich seiner eigenen Herzenshärte dachte. Die einfache Erzählung eines erzgebirgischen Bauern, durchwebt mit seinen kunstlosen, aber oft überraschend richtigen Ansichten über menschliche Verhältnisse, über Welt und Vorsehung erweckte mich mehr zum Nachdenken und zur Begier, gewiss zu werden über alles, was das einzige Wort Menschenschicksal begreift, als ein Dutzend der gerühmtesten Romane, Novellen, Erzählungen und Gedichte es je vermochte.

Und eine solche Erzählung lieferte mir den Stoff zu diesem Buch. Sie ist keine Dichtung; ihre Hauptpersonen sind keine Schöpfungen meiner Einbildungskraft und ihre Charaktere und Handlungen keine Erfindung meiner Feder. Die Hauptbegebenheiten sind keinem nach Willkür und Laune gerüttelten Kaleidoskope entnommen, sondern treu nach den Gestaltungen in der Wirklichkeit wiedergegeben. In der Örtlichkeit endlich bedurfte es nur der Bilder meines Auges. Alle Teile der Geschichte gehören nämlich auf die Grenze zweier Länder, welche sich ins Erzgebirge teilen, gehören in eine Gegend, die, in sich abgeschlossen und in ihrer Eigentümlichkeit von den Umgebungen verschieden, als ein Gebirge im Gebirge dasteht, in eine Gegend, wo alles die schärfsten Umrisse zeigt, wo das sonst bescheidene Gebirge großartig wird und wild, wo unheimliche Felsenschluchten sich öffnen und im tiefen Talgrund die Bergwasser schäumend über Steingerölle dahinbrausen.

In dem Gedankengewebe der Erzählung wird manches Wort über Unglück und Elend, über Laster und Verbrechen und beider Verdammungswürdigkeit vor einem Gottesgericht, über die Unvollkommenheit unserer gesellschaftlichen Zustände und Verhältnisse in heller Färbung sich hervorheben – von selbst, ohne meine besondere Absicht und ohne geflissentliches Zutun. Zwar gestehe ich frei, dass mir das gemeine Geschwätz über Gut und Böse, ehrlich und unehrlich und wie die Bezeichnungen alle lauten mögen, mit denen eingebildete Catonen sich brüsten, gleich als könnten Tugend und Laster nach Gran und Skrupel abgewogen werden, immer sehr verdächtig und lächerlich erschienen ist, ja dass ich selbst dem Verbrecher, der im geheimen inquisitorischen Staatsbeamtenprozess und nicht im offenen Gericht von seinem Volk und seinen Genossen verurteilt wurde, nicht als heillosem Bösewicht fluchen mag. Zwar habe ich es kein Hehl, dass ich den Menschen nicht von dem Fatalismus der Gestirne und Himmelsbilder, wohl aber von dem seines inneren Organismus und seiner äußeren Stellung abhängig halte, und dass mir Armut und Unglück als Todfeinde der Tugend und des Gesetzes, als Verbündete von Verbrechen, Verzweiflung, Wahnsinn und Untergang erscheinen. Aber deshalb bin ich fern von jeder philosophischen oder Parteianmaßung, fern von dem Willen, sogenannte traurige Wahrheiten aufzustellen und durch sie die Gemüter aufzuregen. Ich trachte nicht, mit Byron und Shelley die zermalmende Geißel der Verzweiflung zu schwingen; ich wage nicht, mit Börne und Heine die stachlige Rute der Verneinung zu erheben; ich folge nicht der Bilderstürmerei der Sozialisten, obwohl ich an der prophetischen Bedeutung ihrer Träume halte und mit ihnen an den Beruf der Novelle und des Romans die Bewegungen der Gegenwart, die Missstimmungen und Leidenschaften der Gesellschaft, die Wahrheiten und Vorurteile, die Sitten und Unsitten der Zeit in blendender Helle abzuspiegeln, wie an die Untrüglichkeit des reinen Evangeliums Christi glaube – mit kürzesten Worten: Ich schrieb und schreibe, unbefangen, wie ich zu sein mich rühme, allein das, was ich sah, was ich hörte, was ich fühlte, was ich als von innen geschöpftes Wissen oder als Ergebnis der Erfahrung, als Tatsache erkannte.

Dies über meine Erzählung, über mich und den Schnitt meiner Feder!

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