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Der Detektiv – Schattenbilder – Teil 4

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Schattenbilder
Teil 4

»Noch einen Augenblick Palperlon!« Harsts Stimme war ruhig und klar wie bisher. »Ich möchte Sie warnen. Dieser ganze Häuserblock ist von der Kriminalpolizei umstellt. Keine Maus entschlüpft von hier. Es handelt sich für meinen Freund Bechert nicht lediglich um das Verschwinden meiner Mutter, sondern auch um den Mord an Miss Edith Shangarol. Ah, Sie zucken nun doch zusammen. Und Ihr Kumpane da machte eine Bewegung, als wollte er nach dem Zuluspeer greifen und mir die Kehle schleunigst durchstoßen. Diese Anzeichen eines schlechten Gewissens sagen mir genug! Denn dieser Schuss soeben war nur ein Probeschuss! Dass Sie beide gerade die angeblich mit einem Liebhaber entflohene Miss Edith in dem Dorf Moscheln für Ihre Zwecke benutzt haben, dass Sie beide einen Mord in eine fahrlässige Tötung, um mich verhaften zu lassen, verwandelten, dafür hatte ich bisher nur sehr schwache Beweise. Jetzt aber weiß ich es bestimmt: Miss Shangarol, die elegante junge Dame mit den Brillantplomben, die das indische Parfüm Assam-Kudri so sehr bevorzugte, dass der starke Duft sich auch dem Mann mitteilte, der ihren Liebhaber spielte, der sie verschleppte, vergiftete und ihre noch frische Leiche durch Fußtritte auf den Brustkorb verstümmelte, der Ihr Werkzeug, Palperlon in Moscheln als Maler Gräbner war, der auch das Päckchen mit der Brosche vorbereitete und ebenso Ihren Brief an mich besorgte – und auch Päckchen und Brief hatten den süßlichen Geruch festgehalten –, also diese Miss Shangarol ist die Tote von Moscheln. Ich weiß es! Und Bechert ahnt es! Bechert wird Sie beide überführen, selbst wenn wir hier sterben sollten. Ich warne Sie: Wir sind hier nicht in Indien! Unsere deutsche Polizei verfügt über andere Hilfsmittel. Unser Tod wird gerächt werden!«

Palperlons Freund flüsterte jetzt eindringlich auf Miss Simpkinson ein. Ich ahnte: Er wollte erreichen, dass Palperlon sich mit uns in Güte einige.

Und Palperlon nickte wiederholt, sagte nun: »Gut denn, lassen wir die beiden am Leben!«

Was dann folgte, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Wenn mir je klar wurde, dass dieser Palperlon ein vertiertes, wenn auch geistig hochbegabtes Scheusal war, so war es damals, als er seinen Kumpan, nachdem er Harst den Knebel wieder in den Mund geschoben hatte, hinterlistig beseitigte.

»Gehen wir ins Nebenzimmer und beraten wir erst«, hatte er zu dem Ahnungslosen gesagt. »Harst muss jedoch wieder den Knebel bekommen.«

Und dann – dann schritt der andere der Tür zu; dann hatte Palperlon blitzschnell den Speer ergriffen, stieß ebenso blitzschnell schräg von der Seite die breite Spitze dem Mann durch die Kehle.

Ein hoher Blutstrahl aus der klaffenden Schlagader sprang auf. Und den vor Schreck Vornübertaumelnden traf ein zweiter Stoß von hinten ins Herz. Mit dumpfen Krach polterte der Körper auf den Teppich, zuckte dort noch ein paarmal krampfhaft, lag still.

Wir beide waren hochgeschnellt. Aber vor uns stand nun die angebliche Miss Simpkinson mit demselben blutbefleckten Speer, zischte uns an: »Dass ich allein trotz der Umzingelung entkomme, ist sicher. Der da wäre mir nur hinderlich gewesen. Er hat Miss Shangerol ermordet – gewiss! Er war ihr Liebhaber, nur um das Scheckbuch zu erlangen. In London nannte man ihn nur den schönen Edward. Ein verkommener Maler ist es und seit Jahren einer meiner untergeordneten Helfershelfer. Die Idee dieses Verbrechens stammte von mir. Auch der Plan, der dann in Moscheln uns leider missglückte. Vielleicht möchten Sie auch wissen, wo die Gesellschaftsdame geblieben ist. Der Rhein ist verschwiegen. Bei einem Ausflug verunglückte sie! Dann floh das Pärchen. Das Weitere wissen Sie! So, und nun sollen Sie beide in aller Stille aber ebenso zuverlässig ins Jenseits befördert werden!« Abermals dieser teuflische Hohn, der umso abstoßender wirkte, als Palperlon in seiner Verkleidung ganz wie eine Frau aussah.

Unsere Lage war verzweifelt. Die dritte Etage unter dem Atelier war unbewohnt. Selbst wenn wir also hätten um Hilfe rufen können, wäre dies recht nutzlos gewesen.

Einzeln schleppte uns Palperlon nun durch einen kleinen Flur in eine winzige Küche, legte den Küchentisch mit der Platte auf den Fußboden und band uns mit Draht so zwischen den vier Beinen fest, dass wir mit angezogenen Knien uns gegenübersaßen. Nachdem er noch die Knebel gleichfalls mit Draht so befestigt hatte, dass wir sie mit der Zunge nicht herausstoßen konnten, öffnete er die beiden Hähne des auf dem Herd stehenden Gaskochers.

Dann noch ein ironisches »Sie werden sanft einschlummern, meine Herren! Leben Sie wohl!« Er ging hinaus, ließ das elektrische Licht aber brennen, schloss die Tür ab und nahm den Schlüssel mit.

Stille – Totenstille. Nur das Gas entströmte mit leisem Zischen den beiden Brennern.

Ich schaute Harst an. Aber der eisige Schweiß lief mir in die Augen. Ich sah nur, dass er den Kopf nach links gedreht hatte. Dann musste ich die Augen schließen. Der Schweiß fraß und entlockte ihnen Tränenströme.

Ich sah nichts. Aber desto reger waren meine Gedanken. Wie lange hatten wir noch zu leben? Wann würde die Luft so mit Gas geschwängert sein, dass wir das Bewusstsein verloren?

Eine halbe, eine Stunde? Noch kürzere Zeit? Und dann lauschte ich wieder. Das Zischen war gleichmäßig. Aber in meinen Ohren sang und klang das schnell kreisende Blut bald so laut, dass das Zischen zu verstummen schien.

Nun roch ich das Leuchtgas bereits.

Da – ein Stoß gegen mein Schienbein von Harsts Knie. Ich riss die Augen auf. Und Harst machte nun mit dem Kopf pendelnde Bewegungen, warf gleichzeitig den Oberkörper nach rechts.

Endlich verstand ich: Ich sollte ihm helfen, den Tisch nach rechts zu kippen.

Gleichzeitig warfen wir mit einem Ruck uns nach rechts. Umsonst – wieder versuchten wir es. Diesmal hob sich die Tischplatte links schon etwas vom Fußboden.

Ein neuer Versuch! Beinahe geglückt! Und jetzt schlug die Platte mit dumpfem Knall beim Zurückfallen auf den Fußboden auf. Wir ruhten uns ein wenig aus.

Gleichzeitig hörten wir nun irgendwo in der Nähe Schritte – ein langsames Tapp Tapp, als ob jemand ruhelos auf und ab wandert.

Harst warf mir einen Blick zu – einen Blick! Darin las ich: Vielleicht ist es meine Mutter! Und ich … ich muss hier erstickten!

Vielleicht waren es diese Schritte, die uns Riesenkräfte verliehen! Ich winkte Harst mit dem Kopf zu. Ein neuer Ruck! Und nun gelang es! Der Tisch lag auf der Seite und wir ebenfalls. Wieder machte Harst mir durch Kopfbewegungen und Blicke klar, was er beabsichtigte.

Ich will nicht im Einzelnen schildern, unter welchen Strömen von Schweiß wir dann mit dem Tisch ruckweise uns dem Herd näherten, wie wir mit dem einen der Tischbeine, das nun in einer Höhe mit dem Herd horizontal lag, den einen Gashahn zudrückten, mit dem anderen den zweiten, wie wir unter unerhörten Schmerzen mit von den Drähten zerschundenen Gelenken mit dem Tisch bis an das Fenster gelangten, wie das eine Tischbein dann die Scheiben einstieß, erst die untere, dann die andere, wie wir auch die noch haften gebliebenen Glasstücke hinunter in den Hof beförderten, wo sie klirrend zerschellten und den im Erdgeschoss nach hinten heraus schlafenden Magistratssekretär Neumann weckten, wie dieser, Einbrecher vermutend, mit dem Portier der Ursache der Fensterbeschädigungen nachspürte, wie sie zuerst nichts entdeckten, dann sich aber sagten, nur oben in der Atelierwohnung könnten die Fenster zertrümmert worden sein.

So glückte Harsts Rettungs- und Befreiungsplan. Wir hörten das Schrillen der Flurglocke des Ateliers. Immer wieder wurde geläutet. Dann Stille. Dann öffnete der Portier mit einem Dietrich die Flurtür; dann hörten wir Stimmen; dann lautes Rufen:

»Wer ist denn dort drinnen? Wer? Wer … Frau … Harst?«

Gleich darauf flog auch die Küchentür auf. Der Portier trat ein, prallte zurück, ließ die Tür weit offen, damit das Gas abzog, drehte die Drahtschlingen auf.

Harst war als Erster frei, lief hinaus. Ich folgte und sah im Nebenzimmer Mutter und Sohn sich umschlungen haltend.

Was die in diesen Tagen der Gefangenschaft schneeweiß gewordene Frau Harst nachher über ihre traurigen Erlebnisse erzählte, will ich hier nur ganz kurz wiedergeben. Sie war an jenem Nachmittag von einer Dame – also Palperlon – in ein Haus in einer Nebenstraße des Kurfürstendamms gelockt worden. Hier in einem Erdgeschosszimmer hatte die Dame ihr gedroht, Harald würde meuchlings beseitigt werden, falls sie Lärm schlage und nicht blindlings gehorche. Es handele sich lediglich um eine Erpressung, und sie würde doch nicht aus Geiz ihres Sohnes Leben aufs Spiel setzen wollen.

Die Ärmste hatte in ihrer Angst dann alles getan, was von ihr verlangt wurde. Erst in der Nacht war sie in einem Auto zu dem Atelierhaus geschafft und dort in ein kleines Zimmer eingesperrt worden, dessen einziges Fenster mit Vorhängen und darüber mit Kistendecken verschlossen war. Man hatte sie im Allgemeinen gut behandelt. Zudem lebte in ihr auch eine geringe Hoffnung, dass die Worte in der Gemme Harald es erleichtern würden, sie zu finden.

In derselben Nacht, als wir dem Tod entronnen waren und Frau Harst ihre Freiheit wiedererlangt hatte, saßen wir dann noch eine Weile in Harsts Arbeitszimmer und erholten uns von den Schrecken der letzten Stunden bei einer Flasche Burgunder.

Harst, der die Kriminalpolizei sofort nach Nr. 14 telefonisch gerufen hatte, denn dass das Haus Nr. 14 war umstellt gewesen, entsprach ja in keiner Weise den Tatsachen, sagte damals zu mir – und diese Sätze haben sich meinem Gedächtnis ganz fest eingeprägt.

»Ohne die von Karl beobachteten Schattenbilder, ohne Karls regen Detektiveifer hätte ich die Million vielleicht doch opfern, hätte ich auch die anderen Bedingungen erfüllen müssen. Nun aber: Hüte dich, Palperlon! Ich bin stets um dich!«

Und das hatte wie ein Schwur geklungen.

Karl Malke erhielt von Harst ein Sparbuch mit 25.000 Mark geschenkt. Aber er freute sich darüber gar nicht so übermäßig. Nein, er bat vielmehr, Harst möchte ihn doch lieber einmal bei einer neuen Arbeit mit ins Ausland nehmen; er sei ja über die Umgebung von Berlin nie hinausgekommen. So eine Reise sei ihm mehr wert als eine Million!

Nun, Karls Bitte sollte sehr bald erfüllt werden.

Darüber Näheres in dem

Gespensterwrack

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