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Hexengeschichten – Das Kornseil und die drei Hunde – Kapitel 4

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Das Kornseil und die drei Hunde
Nach Aktenstücken des Sennebergischen Gesamtarchivs

4

In der Oberstube des Schultheißen Lukas Voigt zu Bettenhausen saßen mit wichtigen Amtsmienen die General-Zentrichter und Amts-Keller Nikolaus und Wolfgang Siebenfreund, die Zentschöffen Valentin Ziegler und Michael Schott, nebst dem Registrator Herbertus Schulz, der die Stelle des protokollführenden Sekretärs vertrat, um die Zeugenverhöre vorzunehmen und auch die der Hexerei bezichtigte und eingezogene Familie Ehrhard in der Güte zu befragen.

Der Schulze hatte nach Hörensagen in bunter Reihe die Namen derer aufgezeichnet, aus deren Äußerungen irgendeine Mitwisserschaft der verfänglichen Sache und Sage, die im Dorf von Mund zu Mund lief, hervorging. Zuerst erschien Hans Röhner und sagte aus, er habe es von der Pfarrmarei gehört, dass Kurt Ehrhard ein Seil habe, und wenn er damit läute oder daran ziehe, so gebe es Korn. Weiter sei ihm nichts bewusst.

Röhner trat ab und Veit Herlichs Hausfrau wurde in die Gerichtsstube gewiesen. Sie erzählte den Streit der Knaben auf ihrem Hof und dass diese den kleinen Claus Ehrhard ein schwarzes Hündle geschimpft hätten. Ihr Mann habe ihren kleinen Thomas gefragt, warum sie jenen also schimpften, und der habe erwidert, dass der kleine Ehrhard auf der Weide von drei Hündlein erzählt, welches drei Teuflein wären, und dass Ehrhards ein Kornseil hätten.

Nun wurde der kleine Andreas Kißner befragt und erzählte ganz dasselbe. Er gestand ein, den Claus zuerst Schwarz’ Hündle geschimpft zu haben und wiederholte die Erzählung seines Spielkameraden Claus auf der Unterbirke. Als der Knabe abgetreten war, wurde Frau Suse Walter eingeführt und bevor sie befragt wurde, vereidigt. Frau Suse erzählte, dass sie der alten Anna Ehrhardin das häufige Feuerholen bei ihr untersagt und sie jene im Verdacht habe, ihren Kühen die Milch genommen zu haben.

Es folgte die Hausfrau des Bauers Hans Babst, welche gegen die Pfarrmarei, die Frau Lisbeth Dreißigacker und die Jungfer Kathe Böhse geäußert hatte, dass sie etwas Verdächtiges in Ehrhards Haus gehört habe. Sie solle nun sagen, was das gewesen sei.

Frau Sibylle Babst erzählte: »Unser Haus steht zuallernächst an Kurt Ehrhards Haus; es ist noch gar nicht lange her, so war drüben zu Nacht ein großes Wesen und ich hörte Ehrhards Stimme, welche rief: ›Nun, nun, nun! Umher! Umher!‹ Nachher kam ich vor ein paar Tagen in Görg Eirichs Haus, da berichtete mir Tiene, Görgs Frau, dass Ehrhards Junge auf der Weide von drei Teufeln erzählt habe, die sie im Haus hätten, da sagte ich: ›Ei der Teufel! Das ist am Ende der Lärm gewesen‹ – als die Hunde sich losgerissen und als ich drüben den Spektakel vernommen habe. So weiß ich auch und glaub es steif und fest, dass nur die alte Anna meine Kuh versprochen hat, die keine Milch mehr gibt.«

Eifrig protokollierte der Registrator Henrikus Schulz eine dieser unzusammenhängenden, dürftigen Aussagen nach der anderen. Nun erschien der lange Bauer Michael Dreißigacker; auch er hatte über Anna Ehrhard nachteilig gesprochen, und der Schulze hatte ihn zur Vernehmung berufen lassen. Michael erzählte: »Es ist noch nicht lange her, da habe ich Streit gehabt mit Ehrhards alter Frau und zu ihr gesagt: ›Anna, wenn mir etwas Böses widerfährt, will ich niemand bezichtigen als dich!‹ Sie hat aber darauf sich nicht verantwortet, so schlimm auch sonst ihr Maul ist. Später kam sie und wollte mir eine junge Ziege abkaufen, ich aber wollte nichts mit ihr zu tun haben, und sagte: ›Die Ziege ist mir nicht feil.‹ Am anderen Tage war meiner alten Ziege ein Stück Ohr abgeschnitten und bekam selbige einen großen Knoten, wurde auch, mit Ehren zu vermelden, voller Ungeziefer, und es währte gar nicht lange, so krepierte mir die alte Ziege und hinterdrein auch die junge. Ich traue dem Kurt Ehrhard und seiner Vettel von Weib nichts Gutes zu und fürchte mich vor beiden.«

Nach diesen Verhören meist älterer Personen wurden die jungen Burschen vernommen. Zuerst Valtin Hofmann, Franz Marschalls Pferdeknecht, siebzehn Jahre alt und aus Wohlmuthausen gebürtig. Er erzählte genau die Geschichte von den drei Hunden, wie er sie aus dem Mund des kleinen Claus selbst vernommen hatte, und fügte nur noch hinzu, dass er gehört habe, die Ehrhards hätten einmal eins der Hündlein mit auf die Geba an Acker genommen, das sei ihnen entlaufen. Kurt Ehrhard aber habe es mit einem Heuseil wieder gefangen.

Hierauf kam Balthasar Ulrich, Pferdeknecht beim Bauer Molter, siebzehn bis achtzehn Jahre alt, aus Gerthausen, an die Reihe. Er bestätigte in allem die Aussage seines Vorgängers, fügte aber hinzu, der auf der Geba wieder eingefangene Hund sei von Ehrhard auf dem Boden mit einem Seil angebunden worden, habe dieses zerrissen und mit einer Kette angebunden werden müssen. Darüber sei zur Nacht ein großer Lärm in Ehrhards Haus entstanden. Dann wollte Balthasar Ulrich gehört haben, von wem? Er wisse nicht mehr, dass die alte Anna Ehrhard in einer Nacht, als der eine Hund so hässlich getan, ihm Brot vorgeworfen habe. Darauf habe Kurt Ehrhard ihr geflucht, dass sie dem Hund Brot gebe.

Heinrich Pochert, der junge, erst sechzehnjährige Knecht Ehrhards, welcher ebenfalls vernommen wurde, sagte aus, es sei von allem nichts wahr, als dass der kleine Junge seines Brotherrn auf der Unterbirke die Geschichte von dem Kornseil und den drei Hunden erzählt hätte. Es wären aber solche Hunde gar nicht vorhanden; was den nächtlichen Lärm im Haus beträfe, so wäre nicht selten, dass die Pferde sich schlügen, und dass es das bei natürlich an Lärm, an Stampfen, Wiehern, Schlägen und Zurufen nicht abgehe. Er wisse nichts von Hunden, nichts von blauen Ochsen und nichts vom Kornseil.

Hans Gering von Oberweid, Baltzer Trotts Knecht, siebzehn Jahre alt, wiederholte die bekannte Erzählung des kleinen Claus; erwähnte auch des in derselben vorgekommenen redenden Ochsen sowie des Kornseils, doch wisse er außerdem nichts.

Nun erschien Frau Lisbeth Dreißigacker, die damals gegen die Pfarrmarei, gegen Frau Babst und gegen Kathe Böhse sich über Kurt Ehrhards Bruder Cunz geäußert habe und gab, was sie damals gesagt hatte, unverändert zu Protokoll. Dass Kurt den Bruder heimlich besuche, dass er ihm einen Pflugring gebracht, und dass ihr Mann gar oft gesagt hat, es sei nicht möglich und könne nicht sein, dass so viel Getreide, wie Ehrhard weggebe, auf seinen Äckern wachse. Dem fügte Frau Lisbeth noch hinzu: »Noch gar nicht lange kam die alte Anna Ehrhardin zu uns und klagte, unser Vetter, der große Michel Dreißigacker, habe sie eine öffentliche Milchdiebin gescholten und gesagt, sie habe seiner Ziege einen Knoten voller salva venia Läus gemacht — was sie nun tun solle! Ob sie das leiden solle? Ihrem Mann dürfe sie es gar nicht sagen, sonst gäbe es ein Unglück. Darauf sprach mein Mann zu der Alten: ›Ich weiß nicht, was Ihr tun sollt; tut, was Ihr wollt!‹ Ich sagte, ich meinesteils würde das nicht leiden und lieber den Rock am Leibe daran hängen, wenn ich mich unschuldig wüsste — die Alte hat aber nicht geklagt und sich nicht getraut zu klagen. Auch habe ich noch gehört, und zwar von Kurt Ehrhards eigener Schwester Kätterlein, dass er Wendel Böhmens Witwe eine Hemmkette gestohlen und sie unter einem Korb voll Hutzeln nach Suhl getragen und dort als altes Eisen verkauft habe.«

Weiter erschien, nach dem Abtreten der Frau Lisbeth Dreißigacker, der Bauer und Mitnachbar Wendel Alt, und berichtete, dass der kleine Claus Ehrhard seinem kleinen Michel auf der Unterbirke in die Hand gesehen und ihm prophezeit habe, dass er noch in diesem Jahr sterben werde. Darauf sei gleich am anderen Tag sein Michel todsterbenskrank geworden, sei zwar, Gott sei Lob, nicht gestorben, aber liege noch am Tode, und stehe der Ausgang in Gottes Hand. Und habe der Claus auf offener Weidetrift erzählt, dass ihm sein Vater solche heidnische Wahrsagerei gelehrt habe, die ein Gräuel vor Gott und Menschen sind. Daher könne ihm, dem Vater, wohl nicht verargt werden, wenn er böse Gedanken hege gegen Curt Ehrhard, zumal schon dessen Mutter im großen Verdacht der Zauberei gewesen, seine Frau, die alte Anna, noch damit belastet sei und sein ausgetretener Bruder Cunz, aus keiner anderen Ursache ausgetreten und landflüchtig geworden war.

Aus diesem seltsamen Chaos von Aussagen, denen noch immer einige hinzugefügt wurden, war es schwer, ein rechtsgültiges Urteil zu schöpfen und zu gewinnen. Die Beisassen des kleinen Gerichtshofes blickten sich ratlos einander an. Zuletzt lief alles auf den alltäglichen Glauben an Viehbezauberung, vielleicht etwas Ackerdiebstahl und auf die Erzählung eines überspannten Knaben hinaus, dessen unbedeutende Person nun plötzlich durch seinen Übermut oder seine verborgene Aufschneiderei zum Mittelpunkt eines Hexenprozesses wurde; denn seine Erzählung hatte ja doch den eigentlichen Hauptimpuls zu dieser ganzen Angelegenheit gegeben. Es schien nun an der Zeit, ihn selbst zu vernehmen.

So trat denn der zehnjährige Knabe ein, ziemlich befangen, zagend, eingeschüchtert durch so manches harte Wort, das er indessen vernommen hatte, denn schrecklich war des Knechts Vorhersagung teilweise schon in Erfüllung gegangen. Er solle nun alles aufrichtig sagen, was er den Knaben und Burschen auf der Weide erzählt habe.

Da begann Claus: »Es ist wahr, ich habe erzählt, wir hätten drei Hunde, die wären anfangs im Stadel im Barrn angebunden gewesen, hernach hätte mein Vater sie in die Bodenkammer geführt und an Seile gebunden, die Seile hätten sie zerrissen und hätten fortlaufen wollen, mein Vater hätte sie aber wieder gefangen und mit Ketten angebunden, waren aber dennoch wieder ledig worden und des Nachts zu meinem Vater auf das Bett gekommen, von dem sie aber mein Vater mit einem hinter dem Bett stehenden Prügel weggejagt habe. Mit dem Ochsen ist es so, wie berichtet und mir vorgelesen worden war. Er habe etwa zweimal in der Woche Geld gebracht, und zwar am Mittwoch und am Freitag, aber immer nur kleines Geld. Die Hunde hätten Kittel, Spanier und Wacker geheißen; sie haben nichts gefressen und wären unter der Hand weggekommen, niemand wisse wohin. Der Hund, so Wacker hieß, wäre mein gewesen, er hätte mir auch Geld gebracht, doch im Ganzen nicht über vier Gnacken, und die habe ich meinem Vater geben müssen.

Mit dem Kornseil, ja, das hing auf unserem Boden, es fiel aber niemals mehr als eine halbe Metze Korn herunter, wenn daran geläutet wurde. Es war ein altes Seil mit vielen Knoten, die Mutter hat später ein Kälbchen daran aufgebunden und hernachmals es zum Holzseil genommen.«

Warum er das alles so erzählt habe, als ob die Hunde und das Seil noch da wären, wurde Claus gefragt.

»Das wüßť ich nicht, getan zu haben; ich weiß nicht anders, wie ich habe erzählt, dass es also gewesen sei.«

Ob es sich so verhalten habe und wie ihn sein Vater das Wahrsagen aus der Hand gelehrt?

»Gott bewahre, ich habe den Jungen auf der Weide nur was weismachen wollen, und mein Vater hat mich nichts gelehrt, es war nur mein Spaß und ich wollte den kleinen Michel nur zum Narren halten.«

»Ei, da möcht’ man selbst zum Narren werden!«, rief der General-Zentrichter Nicolaus Siebenfreund und schlug auf den Tisch, dass Tintenfass und Streusandbüchse vor Schrecken hoch in die Höhe hüpften.

»Für heute ist das Verhör geschlossen!«, sprach der zweite General-Zentrichter und Amts-Keller Wolfgang Siebenfreund und erhob sich ächzend vom Stuhl. Der kleine Claus wurde abgeführt.

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