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Varney, der Vampir – Kapitel 3

Thomas Preskett Prest
Varney, der Vampir
oder: Das Blutfest

Ursprünglich als penny dreadful von 1845 bis 1847 veröffentlicht, als es zum ersten Mal in Buchform erschien, ist Varney, der Vampir ein Vorläufer von Vampirgeschichten wie Dracula, die es stark beeinflusst hat.

Kapitel 3

Das Verschwinden der Leiche – Floras Genesung und Wahn – Sir Francis Varneys Opfer

»Er ist ein Mensch!«, rief Henry. »Ich habe ihn sicher getötet.«

»Es scheint so«, sagte Mr. Marchdale. »Lasst uns jetzt zur anderen Seite der Mauer laufen und sehen, wo er liegt.«

Dem wurde sofort zugestimmt, und alle drei machten sich auf den Weg zu einem Tor, das in eine Koppel führte, über die sie liefen und sich bald von der Gartenmauer entfernten, um dorthin zu gelangen, wo sie die Leiche desjenigen zu finden hofften, der so unheimlich aussah, aber zu ihrer großen Beruhigung ein Mensch zu sein schien.

Sie hatten es so eilig, voranzukommen, dass es kaum möglich war, unterwegs viele Worte zu wechseln. Eine Art ohnmächtige Unruhe lag über ihnen, und in der Eile übersahen sie jedes Hindernis, das sie zu einem anderen Zeitpunkt wahrscheinlich davon abgehalten hätte, den direkten Weg zu nehmen, den sie suchten.

Es war schwierig, von der Außenseite der Mauer aus genau zu sagen, welches die Stelle war, an der die Leiche vermutlich gelegen hatte, aber wenn sie der Mauer in ihrer ganzen Länge folgten, würden sie sicher darauf stoßen.

Das taten sie auch; doch zu ihrer Überraschung fanden sie vom Anfang bis zum Ende keine Leiche oder auch nur Anzeichen dafür, dass eine dort gelegen hatte.

An einigen Stellen in der Nähe der Mauer wuchs eine Art von Heidekraut. Folglich würden sich Blutspuren darin befinden, wenn genau an der Stelle, an der das seltsame Wesen umzukippen schien, eine solche Vegetation vorhanden gewesen wäre. Das galt es festzustellen; aber nun, nachdem sie zweimal die ganze Länge der Mauer zurückgelegt hatten, blieben sie stehen und sahen einander verwundert an.

»Hier ist nichts«, sagte Harry.

»Nichts«, fügte sein Bruder hinzu.

»Es kann keine Einbildung gewesen sein«, erwiderte Mr. Marchdale schließlich mit einem Schaudern.

»Eine Täuschung?«, rief der Bruder aus. »Das ist nicht möglich; wir haben es alle gesehen.«

»Welche schreckliche Erklärung können wir denn dann vorbringen?«

»Um Himmels willen! Ich weiß es nicht«, rief Henry aus. »Dieses Geheimnis übersteigt alle Vorstellungskraft, und ohne das große Interesse, das wir daran haben, würde ich es mit einer Art von Neugier betrachten.«

»Es ist zu furchtbar«, sagte George. »Um Gottes willen, Henry, lass uns zurückkehren, um festzustellen, ob die arme Flora tot ist.«

»Meine Gedanken«, sagte Henry, »waren so sehr in den Anblick dieser schrecklichen Gestalt vertieft, dass ich nicht ein einziges Mal weiter daran dachte, um nachzusehen, ob sie dem Anschein nach tot ist. Gott helfe ihr! Arme, arme, schöne Flora. Das ist in der Tat ein trauriges Schicksal, das sie ereilt hat. Flora … Flora …«

»Nicht weinen, Henry«, sagte George. »Lass uns lieber nach Hause eilen, wo wir vielleicht feststellen, dass Tränen verfrüht sind. »Vielleicht lebt sie noch und wir können sie wiedersehen.«

»Und«, sagte Mr. Marchdale, »vielleicht kann sie uns etwas über diese furchtbare Heimsuchung erzählen.«

»So ist es«, rief Henry, »wir sollten nach Hause gehen.«

Sie machten sich nun auf den Heimweg. Während sie gingen, gaben sie sich selbst die Schuld daran, dass sie alle zusammen das Haus verlassen hatten, und stellten sich mit Schrecken vor, was in ihrer Abwesenheit mit denen geschehen sein könnte, die völlig ungeschützt zurückgeblieben waren.

»Es war ein voreiliger Entschluss von uns allen, dieser furchtbaren Gestalt nachzujagen«, bemerkte Mr. Marchdale, »aber quälen Sie sich nicht, Henry. Vielleicht gibt es keinen Grund für Ihre Ängste.«

Als sie in Sichtweite des alten Hauses kamen, sahen sie Lichter an den Fenstern aufleuchten und die Schatten von Gesichtern, die sich hin und her bewegten, was darauf hindeutete, dass der ganze Haushalt aufgestanden und in Aufruhr war.

Henry gelang es nach einiger Mühe, die Tür zum Flur durch eine erschrockene Dienerin öffnen zu lassen, die so sehr zitterte, dass sie kaum das Licht halten konnte, welches sie bei sich hatte.

»Sage mir, Martha«, sprach Henry, »ist Flora am Leben?«

»Ja, aber …«

»Genug … genug! Gott sei Dank, sie lebt. Wo ist sie jetzt?«

»In ihrem eigenen Zimmer, Master Henry. Oh je, was wird aus uns allen werden?«

Henry eilte die Treppe hinauf, gefolgt von George und Mr. Marchdale, und hielt nicht einmal inne, bis er das Zimmer seiner Schwester erreichte.

»Mutter«, sagte er, bevor er die Schwelle überschritt, «bist du hier?«

»Bin ich, mein Lieber … bin ich. Bitte komm herein und sprich mit der armen Flora.«

»Kommen Sie herein, Mr. Marchdale«, sagte Henry, »kommen Sie herein. Wir sind keine Fremden für Sie.«

Dann betraten sie alle das Zimmer.

Mehrere Lichter waren nun in das alte Gemach gebracht worden, und außer der Mutter des schönen Mädchens, das so furchtbar heimgesucht worden war, befanden sich noch zwei weibliche Hausangestellte, die in der größten Angst zu sein schienen, denn sie konnten niemandem helfen.

Der Mutter liefen die Tränen über das Gesicht. In dem Augenblick, als sie Mr. Marchdale erblickte, klammerte sie sich an dessen Arm, offenbar ohne zu wissen, worum es ging, und rief: »Oh, was ist das, was passiert ist … was ist das? Sag es mir, Marchdale! Robert Marchdale, du, den ich schon seit meiner Kindheit kenne, du wirst mich nicht täuschen. Sage mir, was das alles zu bedeuten hat?«

»Das kann ich nicht«, erwiderte er in einem sehr bewegten Ton. »So wahr Gott mein Richter ist, ich bin genauso verwirrt und erstaunt über die Szene, die sich hier heute Nacht abgespielt hat, wie du es sein kannst.«

Die Mutter rang die Hände und weinte.

»Es war der Sturm, der mich zuerst geweckt hat«, fügte Marchdale hinzu, »und dann hörte ich einen Schrei.«

Die Brüder näherten sich zitternd dem Bett. Flora befand sich in einer sitzenden, halb liegenden Haltung, gestützt durch Kissen. Sie war apathisch, ihr Gesicht furchtbar blass. Dass sie überhaupt atmete, war nur sehr schwach zu erkennen. Auf einigen Stellen ihrer Kleidung und um den Hals waren Blutflecken. Sie sah mehr wie eine, die irgendeine lange und schwere Krankheit gehabt haben muss, als ein junges Mädchen in der Blüte des Lebens und in den meisten robusten Gesundheit aus, wie sie am Tag vor der seltsamen Szene, die wir aufgezeichnet haben, gewesen war.

»Schläft sie?«, fragte Henry, als eine Träne aus seinen Augen auf ihre blasse Wange fiel.

»Nein«, antwortete Mr. Marchdale. »Das ist eine Ohnmacht, von der wir sie erlösen müssen.«

Es wurden nun wirksame Maßnahmen ergriffen, um den schwachen Kreislauf wieder in Gang zu bringen, und nach einiger Zeit hatten sie die große Freude, sie die Augen öffnen zu sehen.

Ihre erste Reaktion, als sie das Bewusstsein wiedererlangte, war jedoch ein lauter Schrei. Erst als Henry sie flehentlich bat, sich umzusehen und zu sehen, dass sie von lauter freundlichen Gesichtern umgeben war, wagte sie es, die Augen wieder zu öffnen und ängstlich von einem zum anderen zu schauen. Dann erschauderte sie und brach in Tränen aus, als sie sagte: »Oh, gütiger Himmel, sei mir gnädig und rette mich vor dieser furchtbaren Gestalt.«

»Es ist niemand hier, Flora«, sagte Mr. Marchdale, »außer denen, die Sie lieben und die, wenn nötig, Ihr Leben für Sie geben würden.«

»Oh, Gott! Oh, Gott!«

»Sie haben sich erschreckt. Aber sagen Sie uns ganz genau, was passiert ist. Sie sind nun in Sicherheit.«

Sie zitterte so heftig, dass Mr. Marchdale vorschlug, ihr ein Stärkungsmittel zu geben. Sie wurde, wenn auch nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten, überredet, einen kleinen Schluck Wein aus einem Becher zu trinken. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass die anregende Wirkung des Weines wohltuend war, denn ihre Wangen färbten sich leicht. Sie sprach in einem ruhigeren Ton: »Verlasst mich nicht. Oh, verlasst mich nicht, keiner von euch. Ich werde sterben, wenn ich jetzt allein gelassen werde. Oh, rettet mich, rettet mich. Diese furchtbare Gestalt! Dieses furchtbare Gesicht!«

»Erzähl uns, wie es passiert ist, liebe Flora!«, sagte Henry.

»Oder möchten Sie lieber versuchen, zuerst etwas zu schlafen?«, schlug Mr. Marchdale vor.

»Nein, nein, nein«, sagte sie, »ich glaube nicht, dass ich jemals wieder schlafen werde.«

»Sagen Sie das nicht; in ein paar Stunden werden Sie ruhiger sein, und dann können Sie uns erzählen, was geschehen ist.«

»Ich werde es euch jetzt sagen.«

Sie strich sich einen Moment lang mit den Händen über das Gesicht, als wolle sie ihre zerstreuten Gedanken sammeln, und fügte dann hinzu: »Ich wurde durch den Sturm geweckt und sah diese schreckliche Erscheinung am Fenster. Ich glaube, ich habe geschrien, aber ich konnte nicht fliehen. Oh, Gott! Ich konnte nicht fliegen. Es kam, es packte mich an den Haaren. Ich weiß es nicht mehr.« Sie strich sich mehrmals mit der Hand über den Hals.

Mr. Marchdale sagte mit besorgter Stimme: »Sie scheinen sich am Hals verletzt zu haben, Flora, da ist eine Wunde.«

»Eine Wunde?«, fragte die Mutter und brachte eine Lampe in die Nähe des Bettes, wo alle auf der linken Seite von Floras Hals eine kleine punktförmige Wunde sahen; oder besser gesagt zwei, denn die eine war ein wenig von der anderen entfernt.

Aus diesen Wunden war Blut hervorgequollen, das auf ihrer Nachtwäsche zu sehen war.

»Woher kommen diese Wunden?«, fragte Henry.

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Ich fühle mich sehr schwach und matt, als wäre ich fast verblutet.«

»Das können Sie nicht von sich behaupten, liebe Flora, denn es sind nicht mehr als ein halbes Dutzend Blutflecken zu sehen.«

Mr. Marchdale lehnte sich an das geschnitzte Kopfende des Bettes, um sich abzustützen, und stieß einen tiefen Seufzer aus. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Henry sagte mit besorgt fragender Stimme: «Sie haben etwas zu sagen, Mr. Marchdale, das Licht in diese Angelegenheit bringen wird.«

»Nein, nein, nein, nichts«, erwiderte Mr. Marchdale, der sich sofort aus dem Anflug von Niedergeschlagenheit, der über ihn gekommen war, erholte. »Ich habe nichts weiter zu sagen, als dass ich denke, dass Flora besser etwas schlafen sollte, wenn sie kann.«

»Keinen Schlaf … keinen Schlaf für mich«, schrie Flora erneut. »Muss ich allein sein, um zu schlafen?«

»Aber du wirst nicht allein sein, liebe Flora«, sagte Henry. »Ich werde an deinem Bett sitzen und dich beschützen.«

Sie nahm seine Hand in die ihre. Während die Tränen sich gegenseitig über die Wangen jagten, sagte sie: »Versprich mir, Henry, bei all deinen Hoffnungen auf den Himmel, dass du mich nicht verlässt.«

»Ich verspreche es!«

Mit einem tiefen Seufzer legte sie sich sanft hin und schloss die Augen.

»Sie ist schwach und wird lange schlafen«, sagte Mr. Marchdale.

»Sie seufzt«, sagte Henry. »Ich bin sicher, dass furchtbare Gedanken Ihr Herz bedrücken.«

»Still, still!«, sagte Mr. Marchdale und zeigte auf Flora. »Pst! Nicht hier … bitte nicht hier.«

»Ich verstehe«, sagte Henry.

»Lassen Sie sie schlafen.«

Es herrschte ein einige Minuten langes Schweigen. Flora war in einen tiefen Schlummer gefallen. Die Stille wurde erst von George unterbrochen.

»Mr. Marchdale, sehen Sie sich das Porträt an.«

Er deutete auf das Porträt in dem Rahmen, auf das wir bereits hingewiesen haben. In dem Moment, in dem Marchdale es ansah, sank er in einen Stuhl und rief aus: »Gütiger Himmel, welche Ähnlichkeit!«

»Es ist … es ist«, sagte Henry. »Diese Augen …«

»Und sehen Sie die Konturen des Gesichts und die seltsame Form des Mundes.«

»Genau … genau.«

»Das Bild soll von hier weggebracht werden. Sein Anblick genügt, um in der armen Flora alle früheren Schrecken zu wecken, sollte sie zufällig erwachen und ihre Augen plötzlich darauf werfen.«

»Und ist es so wie der, der hierher gekommen ist?«, fragte die Mutter.

»Es ist derselbe Mann«, sagte Mr. Marchdale. «Ich bin noch nicht lange genug in diesem Haus, um jemanden zu fragen, wessen Porträt das wohl ist?«

»Es ist«, sagte Henry, «das Porträt von Sir Runnagate Bannerworth, einem Vorfahren von uns, der dem Wohlstand der Familie durch seine Laster den ersten großen Schlag versetzte.«

»In der Tat. Wie lange ist das her?«

»Ungefähr neunzig Jahre.«

»Neunzig Jahre. Das ist eine lange Zeit … neunzig Jahre.«

»Sie denken darüber nach.«

»Nein, nein. Ich wünsche es mir, und doch fürchte ich …«

»Was?«

»Ihnen allen etwas zu sagen. Aber nicht hier. Wir werden morgen eine Unterredung in dieser Sache abhalten. Nicht jetzt.«

»Der Tag bricht bald an«, sagte Henry. »Ich werde mein heiliges Versprechen halten, mich nicht aus diesem Zimmer zu begeben, bis Flora erwacht; aber es kann keinen Anlass geben, einen von euch aufzuhalten. Einer genügt hier. Gehet alle und bemüht euch, so viel Ruhe zu finden, wie ihr könnt.«

»Ich werde Ihnen meine Pulverflasche und die Kugeln holen«, sagte Mr. Marchdale, »und Sie können, wenn Sie wollen, die Pistolen nachladen. In etwa zwei Stunden wird es helllichter Tag sein.«

Dieser Vorschlag wurde dankend angenommen. Henry lud die Pistolen nach und legte sie auf einen Tisch neben dem Bett, bereit für den sofortigen Einsatz. Dann, als Flora fest schlief, verließen alle außer ihm das Zimmer.

Mrs. Bannerworth war die Letzte, die dies tat. Sie wäre geblieben, hätte Henry sie nicht eindringlich gebeten, sich etwas Schlaf zu gönnen, um die erlittene Unterbrechung der Nachtruhe wettzumachen. In der Tat war sie durch ihre Beunruhigung wegen Flora so niedergeschlagen, dass sie nicht die Kraft hatte, sich zu wehren, sondern mit Tränen in den Augen ihre eigene Kammer aufsuchte.

Nun herrschte wieder nächtliche Ruhe im unglückseligen Haus. Obwohl niemand außer Flora wirklich schlief, war alles still. Geschäftiges Nachdenken hielt alle anderen wach. Es war ein Affront, sich hinzulegen, und Henry, der von seltsamen und schmerzhaften Gefühlen erfüllt war, zog seine gegenwärtige Lage der Angst und Besorgnis um Flora vor, von der er wusste, dass er sie empfinden müsste, wenn sie sich nicht in seinem Blickfeld befände. Sie schlief so fest wie ein sanftes Kind, das vom Zeitvertreib mit seinen Spielkameraden müde geworden war.

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