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Varney, der Vampir – Kapitel 2

Thomas Preskett Prest
Varney, der Vampir
oder: Das Blutfest

Ursprünglich als penny dreadful von 1845 bis 1847 veröffentlicht, als es zum ersten Mal in Buchform erschien, ist Varney, der Vampir ein Vorläufer von Vampirgeschichten wie Dracula, die es stark beeinflusst hat.

Kapitel 2

Der Alarm – Ein Pistolenschuss – Die Verfolgung und ihre Folgen

Lichter blitzten im Gebäude auf, einige Zimmertüren wurden geöffnet, Stimmen riefen einander zu. Unter den Bewohnern herrschte eine allgemeine Aufregung und Unruhe.

»Hast du einen Schrei gehört, Harry?«, fragte ein junger Mann, halb bekleidet, als er in das Schlafgemach eines anderen, etwa Gleichaltrigen, trat.

»Da habe ich, doch woher kam er?«

»Weiß Gott. Ich habe mich sofort angezogen.«

»Jetzt ist alles still.«

»Ja, aber ich habe es doch nicht geträumt. Es war ein Schrei.«

»Wir konnten nicht beide träumen, dass jemand geschrien hat. Was glaubst du, woher er kam?«

»Er kam so plötzlich, dass ich es nicht mit Bestimmtheit sagen kann.«

In diesem Moment klopfte es an der Tür des Zimmers, in dem die jungen Männer waren, und eine Frauenstimme sagte: »Um Gottes willen, steht auf!«

»Wir sind schon auf«, sagten die beiden jungen Männer und zeigten sich.

»Habt ihr etwas gehört?«

»Ja, einen Schrei.«

»Durchsucht das Haus, durchsucht das Haus! Woher kam er, könnt Ihr das sagen?«

»Das können wir nicht, Mutter.«

Eine weitere Person gesellte sich nun zu der Gruppe. Er war ein Mann mittleren Alters. Als er auf sie zukam, fragte er: »Gütiger Himmel! Was ist denn los?«

Kaum waren die Worte über seine Lippen gekommen, als eine so schnelle Folge von Schreien an ihre Ohren drang, dass sie sich davon völlig betäubt fühlten. Die ältere Lady, die einer der jungen Männer Mutter genannt hatte, fiel in Ohnmacht und wäre auf den Boden des Korridors gefallen, in dem sie alle standen, wenn sie nicht sofort von dem letzten Ankömmling aufgefangen worden wäre, der selbst taumelte, als diese durchdringenden Schreie durch die Nachtluft drangen. Er kam jedoch als Erster wieder zu sich, denn die jungen Männer schienen wie gelähmt.

»Henry«, rief er, »um Gottes willen, stützen Sie Ihre Mutter. Können Sie daran zweifeln, dass diese Schreie aus Floras Zimmer kommen?«

Der junge Mann hielt mechanisch seine Mutter fest. Dann sprang der Mann, der gerade gesprochen hatte, zurück in sein eigenes Schlafgemach, aus dem er mit einem Paar Pistolen zurückkehrte und rief: »Folgt mir, wer kann!« Er stürmte durch den Korridor in Richtung der alten Wohnung, von der die Schreie ausgingen, die aber inzwischen verstummt waren.

Das Haus war sehr stabil gebaut, und die Türen waren alle aus Eichenholz und von beträchtlicher Dicke. Unglücklicherweise waren sie  von innen verriegelt, sodass der Mann, als er die Kammer derjenigen erreichte, die so dringend Hilfe brauchte, hilflos war, denn die Tür war verschlossen.

»Flora! Flora!«, rief er; »Flora, sprich!«

Alles war still.

»Gütiger Gott!«, fügte er hinzu, »wir müssen die Tür aufbrechen.«

»Ich höre drinnen ein seltsames Geräusch«, sagte der junge Mann, der heftig zitterte.

»Und ich auch. Wonach klingt es?«

»Ich kann es nicht deuten, aber es ähnelt am ehesten einem Tier, das frisst oder irgendeine Flüssigkeit saugt.«

»Was in aller Welt kann das sein? Haben Sie kein Werkzeug, um die Tür aufzubrechen? Ich werde noch verrückt, wenn ich hierbleiben muss.«

»Ich habe etwas«, sagte der junge Mann. »Warten Sie einen Moment.«

Er rannte die Treppe hinunter und kehrte mit einem kleinen, aber stabilen Brecheisen zurück.

»Das wird reichen«, sagte er.

»Das wird es, das wird es. Geben Sie es mir.«

»Hat sie nicht geantwortet?«

»Nicht ein Wort. Mein Verstand sagt mir, dass ihr etwas sehr Schreckliches zugestoßen sein muss.«

»Und dieses seltsame Geräusch!«

»Es geht immer noch weiter. Irgendwie bringt es das Blut in meinen Adern zum Kochen, wenn ich es höre.«

Der Mann nahm das Brecheisen und schaffte es mit einiger Mühe, es zwischen die Tür und die Wand zu schieben. Es kostete große Kraft, es so zu benutzen, aber es gab plötzlich ein hartes, knackendes Geräusch.

»Drücken Sie fester!«, rief derjenige, der die Brechstange handhabte, »drücken Sie gleichzeitig die Tür.«

Der jüngere Mann tat es. Ein paar Augenblicke lang leistete die massive Tür Widerstand. Dann, plötzlich, gab etwas mit einem lauten Knacken nach – es war ein Teil des Schlosses – und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit.

Wie wahr ist es doch, dass wir die Zeit an den Ereignissen messen, die sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums abspielen, und nicht an ihrer tatsächlichen Dauer.

Für diejenigen, die damit beschäftigt waren, die Tür des alten Gemachs aufzubrechen, in dem das junge Mädchen schlief, das sie Flora nannten, schwoll jeder Augenblick zu einer Stunde der Qual an, aber in Wirklichkeit waren vom ersten Augenblick des Schreis bis zu jenem, als das laute Knacken das Aufbrechen des Türschlosses ankündigte, nur wenige Minuten verstrichen.

»Sie öffnet sich … sie öffnet sich«, rief der junge Mann.

»Einen Augenblick noch«, sagte der Fremde, während er mit dem Brecheisen hantierte, »einen Augenblick noch, und wir werden freien Zugang zum Schlafgemach haben. Seien Sie nicht so ungeduldig.«

Der Fremde hieß Marchdale. Noch während er sprach, gelang es ihm, die massive Tür weit aufzureißen und somit den Zugang in das Zimmer freizumachen.

Mit einem Licht in der Hand hineinzueilen, war für den jungen Mann namens Henry ein Kinderspiel, aber das rasche Voranschreiten in die Kammer hinderte ihn daran, genau zu erkennen, was sich darin befand, denn der Wind, der durch das offene Fenster hereinkam, erfasste die Flamme der Kerze. Obwohl er sie nicht wirklich auslöschte, blies er sie so sehr auf eine Seite, dass sie als Leuchte so gut wie wirkungslos war.

»Flora … Flora!«, rief er.

Mit einem plötzlichen Sprung sprang etwas vom Bett herunter. Der Aufprall auf ihn war so plötzlich, so völlig unerwartet und auch so ungeheuer heftig, dass er zu Boden geschleudert wurde und bei seinem Sturz das Licht ausgelöscht wurde.

Alles war dunkel, bis auf ein mattes, rötliches Licht, das ab und zu von der fast abgebrannten Mühle in unmittelbarer Nähe in den Raum fiel. Aber bei diesem Licht, das schwach, unstet und flackernd war, sah man jemanden zum Fenster schleichen.

Henry, obwohl er durch seinen Sturz so gut wie benommen war, erkannte eine Gestalt, gigantisch in der Größe, die fast vom Boden bis zur Decke reichte. Der andere junge Mann, George, erblickte sie, und Mr. Marchdale sah sie ebenfalls, ebenso wie die Lady, die mit den beiden jungen Männern im Korridor gesprochen hatte, als die ersten Schreie des jungen Mädchens den Schrecken in der Brust aller Bewohner des Hauses erweckten.

Die Gestalt war im Begriff, durch das Fenster, das zu einer Art Balkon führte, hinauszugelangen, von dem aus man leicht in den Garten hinabsteigen konnte.

Bevor die Gestalt verschwand, erhaschten sie alle einen Blick auf deren Profil. Sie konnten erkennen, dass der untere Teil des Gesichts und die Lippen mit Blut beschmiert waren. Sie sahen auch eines jener furchterregend aussehenden, glänzenden, metallischen Augen, die eine so schreckliche Erscheinung von unirdischer Grausamkeit darstellten.

Kein Wunder, dass sie alle für einen Moment von einer Panik ergriffen wurden, die jede Anstrengung lähmte, die sie sonst hätten einsetzen können, um diese abscheuliche Gestalt aufzuhalten.

Mr. Marchdale war ein Mann im reifen Alter; er hatte viel vom Leben gesehen, sowohl in diesem als auch in fremden Ländern. Obwohl er so verwundert war, dass er sich erschreckte, war es viel wahrscheinlicher, dass er sich schneller erholte als seine jüngeren Gefährten. In der Tat war es an dem, sodass er schnell genug reagieren konnte.

»Steh nicht auf, Henry«, rief er. »Bleib ruhig liegen.«

Fast in dem Augenblick, als er diese Worte aussprach, schoss er auf die Gestalt, die nun das Fenster ausfüllte, als wäre sie eine gigantische Figur, die in einen Bilderrahmen eingefasst war.

Der Knall im Schlafgemach war ungeheuerlich, denn die Pistole war keine Spielzeugwaffe, sondern eine, die für den echten Gebrauch bestimmt und deren Kaliber groß genug war, um eine zerstörerische Wirkung hervorzurufen.

»Wenn die Kugel ihr Ziel verfehlt«, sagte Mr. Marchdale, »werde ich nie wieder einen Abzug betätigen.«

Während er sprach, stürmte er vorwärts und griff nach der Gestalt, von der er überzeugt war, dass er sie getroffen hatte.

Die hochgewachsene Gestalt drehte sich zu ihm um. Als er einen Blick auf das Gesicht werfen konnte, was er dank des günstigen Umstands, dass die Hausherrin in diesem Moment mit einem Licht zurückkehrte, das sie aus ihrer Kammer geholt hatte, auch tat, wich er mit all seinem Mut und seiner Nervenstärke ein bis zwei Schritte zurück und stieß den Ausruf aus: »Gütiger Gott!«

Dieses Gesicht war eines, das man nie vergessen wird. Es war scheußlich gerötet – die Farbe von frischem Blut; die Augen hatten einen wilden und bemerkenswerten Glanz. Während sie vorher wie poliertes Metall ausgesehen hatten, waren sie nun zehnmal heller. Lichtblitze schienen aus ihnen hervorzuspringen. Der Mund war offen, als ob, von der natürlichen Physiognomie abweichend, die Lippen hinter den großen Eckzähnen zurücktraten.

Ein seltsames Heulen kam aus der Kehle dieser monströsen Gestalt. Sie schien sich auf Mr. Marchdale stürzen zu wollen. Plötzlich, als ob ein Impuls sie ergriffen hätte, stieß sie ein wildes, furchtbares, kreischendes Lachen aus, drehte sich um, sprang durch das Fenster und war in einem Augenblick vor den Blicken derer verschwunden, die sich durch ihre furchterregende Gegenwart fast zu Tode gequält fühlten.

»Gott helfe uns!«, jammerte Henry.

Mr. Marchdale holte tief Luft, dann stampfte er mit einem Fuß auf den Boden, als wolle er sich von der Erregung erholen, in die auch er geraten war, und rief: »Wer oder was es auch sein mag, ich werde die Verfolgung aufnehmen.«

»Nein, nein, nicht«, rief die Lady.

»Ich muss, ich will. Wer mag mit mir kommen? Ich folge dieser furchtbaren Gestalt.«

Während er sprach, stieg er durch das Fenster auf den Balkon.

»Und wir, George«, rief Henry aus, »wir werden Mr. Marchdale folgen. Diese furchtbare Sache geht uns fast mehr an als ihn.«

Die Lady, die Mutter dieser jungen Männer und des schönen Mädchens, das so furchtbar heimgesucht worden war, schrie laut auf und flehte sie an, zu bleiben. Aber man vernahm die Stimme von Mr. Marchdale, der laut rief: »Ich sehe es, ich sehe es, es läuft auf die Mauer zu.«

Sie zögerten nicht länger, sondern eilten sofort auf den Balkon und stürzten von dort in den Garten.

Die Mutter näherte sich dem Bett des bewusstlosen, vielleicht getöteten Mädchens. Sie sah es, allem Anschein nach blutüberströmt. Von ihren Gefühlen überwältigt, fiel sie auf dem Boden des Zimmers in Ohnmacht.

Als die beiden jungen Männer den Garten erreichten, fanden sie ihn viel heller vor, als man hätte erwarten können; denn nicht nur, dass der Morgen rasch heranrückte, sondern auch, weil die Mühle noch brannte. Diese sich vermischenden Lichter machten beinahe jeden Gegenstand deutlich sichtbar, außer wenn tiefe Schatten von einigen riesigen Bäumen geworfen wurden, die seit Jahrhunderten in diesem lieblichen Waldstück stehen.

Sie hörten die Stimme von Mr. Marchdale, als er rief: »Dort … dort … zur Mauer hin. Da … da … da … Gott, wie er sich entlang schlängelt.«

Die jungen Männer stürmten eilig durch ein Dickicht in die Richtung, aus der seine Stimme ertönte, und dann fanden sie ihn mit einem wilden und ängstlichen Gesichtsausdruck und mit etwas in der Hand, das wie ein Stück von einer Kleidung aussah.

»Wo geht’s lang, wo geht’s lang?«, riefen sie beide in einem Atemzug.

Mr. Marchdale stützte sich auf Georges Arm, während er an einer Baumreihe entlang zeigte und mit leiser Stimme sagte:  »Gott helfe uns allen. Es ist nicht menschlich. Seht dort … seht dort … erkennt ihr es nicht?«

Sie schauten in die Richtung, die er andeutete. In dieser befand sich die Mauer des Gartens. Dort war sie ganze zwölf Fuß hoch. Als sie ihre Blicke auf diese richteten, sahen sie die abscheuliche, monströse Gestalt, die sie im Schlafgemach ihrer Schwester gesehen hatten, wie sie verzweifelt versuchte, das Hindernis zu überwinden.

Dann beobachteten sie, wie es vom Boden bis zur Krone der Mauer sprang, die es fast erreichte, und dann jedes Mal mit einem dumpfen, schweren Geräusch wieder in den Garten zurückfiel, sodass die Erde durch die Erschütterung zu beben schien. Sie zitterten, ja, sie zitterten. Einige Minuten lang sahen sie der Gestalt bei ihren vergeblichen Bemühungen zu, den Garten zu verlassen.

»Was … was ist das?«, flüsterte Henry mit heiserem Ton. »Gott, was kann das nur sein?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Mr. Marchdale. »Ich habe es berührt. Es war kalt und klamm wie ein Leichnam. Es kann kein Mensch sein.«

»Nicht menschlich?«

»Sehen Sie es sich an. Es wird sicher entkommen.«

»Nein, nein, so lassen wir uns nicht erschrecken, über uns wacht der Himmel. Kommen Sie und lassen Sie uns um Floras willen versuchen, diesen dreisten Eindringling zu ergreifen.«

»Nehmen Sie diese Pistole«, sagte Marchdale. »Es ist die gleiche wie die, die ich abgefeuert habe. Probieren Sie ihre Wirkung aus.«

«Er wird weg sein«, rief Henry, denn in diesem Augenblick erreichte die Gestalt nach vielen wiederholten Versuchen und furchterregenden Stürzen die Krone der Mauer und hing dann einen oder zwei Wimpernschläge an ihren langen Armen, bevor sie sich ganz hinaufzog.

Der Gedanke, dass die Erscheinung, wie auch immer, gänzlich entkommen war, schien Mr. Marchdale wieder zu beflügeln. Er sowie die beiden jungen Männer rannten vorwärts auf die Mauer zu. Sie kamen so nahe an die Gestalt heran, bevor sie über die Mauer sprang, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, sie nicht mit einer Kugel aus der Pistole zu töten.

Henry hatte die Waffe, richtete sie mit festem Griff auf die große Gestalt. Er drückte ab, der Schuss löste sich. Es gab keinen Zweifel daran, dass die Kugel ihre Wirkung tat, denn die Gestalt stieß einen heulenden Schrei aus und fiel kopfüber von der Mauer nach außen.

»Ich habe es getötet«, rief Henry, »ich habe es getötet.«

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