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Gespensternovellen 1

Vilhelm Bergsøe
Gespensternovellen
Aus dem Dänischen übersetzt von Adolf Strothmann
Autorisierte Ausgabe, Verlag Otto Janke, Berlin 1873
Die glückliche Familie – Teil 1

Es war ein stiller, sonniger Augustabend. In Casamicciola, eine der größten Ortschaften auf Ischia, welche besonders durch ihre zahllosen Heilquellen berühmt ist, begann sich das Abendleben nach der brennenden Hitze des Tages zu entfalten. Ringsumher auf den Straßen erscholl Gesang und Gelächter; die langen Strohjalousien wurden in die Höhe gerollt, die laubbedeckten Loggien und grünen Veranden füllten sich mit plaudernden Matronen, welche nun die Spindel ruhen ließen, oder mit lächelnden Mädchen, welche verstohlene und schelmische Blicke zu den jungen Bauernburschen hinabsandten, die mit einer Nelke hinter dem Ohr und ein Liebeslied auf den Lippen langsam auf ihren schwer bepackten Eseln von der Feldarbeit unten im Tal heimkehrten.

Oben auf der Piazza – dem Forum Casamicciolas – wurden ernstere Geschäfte verhandelt. Hier standen die Männer in kleinen Gruppen verteilt, einige in ernsthaftem Gespräch über die nahen Aussichten der Weinlese, andere schreiend und gestikulierend, wenn es die lieben Bajocchi betraf, wieder andere ruhig eine Zigarre rauchend und die kleinen, drallen Kinder anschnauzend, die in ihrem ischiatanischen Nationalkostüm, Hemd und Strohhut oder zuweilen Strohhut ohne Hemd, häufig die Männer störten, bald durch ihr Spiel, bald durch ein Jammergeheul, das sie ausstießen, wenn die Mütter plötzlich erschienen, um sie unter einer Flut der verschiedenartigsten Ausrufe zu Bett zu bringen.

Mitten unter diesen gesagten und jagenden Gestalten, hoch erhaben über den kleinlichen Interessen, welche die Gruppen beschäftigten, thronte in stiller Würde eine Figur, die mit einem riesigen Panamahut, einer kreideweißen Jacke und den Unaussprechlichen der Municipalgarde bekleidet war. Er saß – verzeih mir, dass ich es verrate, Pisani! – auf einem ganz gewöhnlichen Strohstuhl vor dem Schilderhaus, in welchem sich weder eine Schildwache befand noch je von mir bemerkt worden war, und welches nur dahin gestellt zu sein schien, um ein Seitenstück zu dem von einer Krone überragten savoyischen Kreuz zu bilden, das auf der Mauer dicht daneben angebracht war und über dem die stolzen Worte Guardia municipale prangten.

So wie Pisani dort saß, das gedankenschwere Haupt auf die flache Rechte gestützt und eine kleine Zigarette zwischen den Lippen balancierend, war es leicht zu sehen, dass er zu den ersten Männern der Insel gehörte. Schalten sich ein paar Frauen – gleich schoss sein Blick zornig und böse nach der Seite hin, und es wurde wieder still; kreischten ein paar Kinder zu laut, so erhob der Panamaschatten sich langsam, wie die gelblichen Wolken vor dem Ausbruch des Tornado, und die Erschrockenen wagten nicht den Ausbruch zu erwarten, sondern flüchteten Hals über Kopf in die nächste Seitenstraße; sogar die Männer dämpften ihre Rede, wenn sie an ihm vorüber gingen, und grüßten ihn tiefer und ehrerbietiger als selbst ihre Priester.

Und in Wahrheit, Pisani verdiente all diese Ehren. Nicht allein besaß er den größten wirklichen Panamahut auf Ischia, und dergleichen ist auf einer solch kleinen Insel nicht ohne Bedeutung, sondern er hatte nach der Revolution in Neapel den piemontesischen Abgesandten beherbergt, welcher erschien, um Besitz von der Insel zu ergreifen, und er hatte, was von allem am höchsten galt, Vichy-Wasser für Garibaldi verschrieben, als dieser vor zwei Jahren die Bäder dort auf der Insel gebrauchte. Dies Vichy-Wasser hat Pisani unsterblich gemacht, mindestens, solange er lebte. Er hatte mit einem Schlag seinen gefährlichsten Gegner, den Apotheker, zermalmt, der kaum wusste, wo Paris liegt, geschweige denn was Vichy-Wasser sei, und es war daher nicht zu verwundern, dass jeder Fremde, welcher die Insel betrat und von Amtswegen etwas mit Pisani zu tun hatte, auch sofort die Geschichte vom Vichy-Wasser zu hören bekam, damit er später bei seiner Heimkehr seine Landsleute in Erstaunen setzen könne durch die geographischen Kenntnisse, in deren Besitz Ischia ist, und durch den Handelsverkehr, den es entfaltet.

Pisani sah mich über die Piazza schlendern, und der Panamaschatten kam in Bewegung, nicht wild und drohend, sondern wohlwollend, gutmütig winkend wallte er auf und nieder. Pisani hat eine Schwäche, eine verzeihliche Schwäche – ich kenne eine ganze Nation, welche dieselbe mit ihm teilt – er mag gern mit dem Fremden reden, Arm in Arm mit ihnen gehen, ihnen vom Vichy-Wasser und von seinen Beschwerden als erster Kommunalbeamter der Insel erzählen, und all das nicht allein, weil er sich für die Fremden interessiert, sondern auch weil die Fremden ihm ein gewisses Relief geben, das in der Verbindung mit der ausgezeichneten Gelegenheit, eine Sprache zu sprechen, die er selbst für Französisch hält, ihn hoch über den Apotheker erhebt, von den übrigen untergeordneten Leuten der Insel gar nicht zu reden.

»Ein schöner Tag und ein herrlicher Abend, Signore!«, begann er, als ich mich dem Schilderhaus näherte. »Sie sind wohlzufrieden mit dem Logis, dass ich Ihnen nachgewiesen habe?«

»Ausgezeichnet!«, erwiderte ich.

»Das glaube ich schon«, sagte er mit stiller Würde. »Wohin ich die Fremden weise, hat sich noch keiner beklagt. Aber wenn irgendetwas nicht recht wäre, sagen Sie es mir nur – ich kenne die Verhältnisse. Haben Sie meine neue Wegearbeit gesehen?«, fügte er hastig hinzu, als er sah, dass ich Miene machte, mich zu entfernen.

»Die Kommunalarbeit draußen vor dem Tor?«

»Ja, die Kommunalarbeit oder die unsrige; das heißt, ich bin der Urheber, ich habe den Plan und das Nivellement gemacht. O, das ist eine Arbeit, Erdaufwürfe, Sprengungen! Per Baccho, es wird eine gute Summe Ducati kosten, ehe wir damit fertig sind, aber es wird der beste Weg auf Ischia, der allerbeste, man wird darauf im Cabriolet fahren können, von Casamicciola bis Forio.«

Ich erklärte, dass ich nie den geringsten Zweifel daran gehegt habe, aber Pisani, der die treffliche Beute, die er geangelt hatte, nicht fahren lassen wollte, erhob sich und sagte: »Erlauben Sie, Signore, dass ich Ihnen das Geleit gebe. Ich muss doch hinaus, um den Arbeitern ihren Tageslohn zu bezahlen. Es ist ein undankbares Volk hier auf der Insel; die Kerle trauen nicht einmal den Kommunalbehörden und wollen nicht bis zum Sonnabend warten. Ihren Arm! Danke!«

»Mir scheint, dass ich Sie heute Morgen dort habe sitzen und auf die Arbeiter aufpassen sehen«, warf ich leicht hin, während wir über den Platz schlenderten.

Pisani antwortete nichts auf diese Bemerkung; es war, als hätte ich in die leere Luft gesprochen. Dagegen war der Panamaschatten in einer unablässig schaukelnden Bewegung bald nach rechts, bald nach links, aber der Hut selbst behielt unverrückbar seinen Platz, während die Hüte der anderen sich zur Erde neigten. So erreichten wir die Kirche, wo Pisani mit der Hand einem alten invaliden Chausseegräber winkte, der mit einem großen Messingschild auf der Brust dasaß und einen Salatkopf verspeiste. »Der passt auf die Arbeiter auf«, sagte er mit der Würde eines Königs. »Haben sie heute etwas geschafft, Viaggio? Gut, dann wollen wir hinausgehen und nachsehen, wie weit die Arbeit vorgerückt ist.«

Draußen vor dem Tor ließ Pisani meinen Arm los und begann Italienisch zu reden. Er erklärte mir, übrigens nicht ohne eine gewisse Sachkenntnis, die Richtung und Höhe des neuen Weges, und näherte sich dann drei oder vier anderen Chausseegräbern, die alle mit derselben Arbeit beschäftigt waren, in der wir Viaggio unterbrochen hatten.

Pisanis Ansehen schien indessen im Verhältnis zu seiner Entfernung von der Piazza abzunehmen; denn es entstand bald ein Zank über den Gegenstand, welcher in Italien zu den gröbsten Schimpfwörtern und den meisten Messerstichen Anlass gibt, – die Zahl der Bajocchi. Ich entfernte mich, um nicht Zeuge einer möglicherweise ausbrechenden Revolution zu werden, und da ein von dem hohen, bambusähnlichen Rohr, welches man hier Canna nennt, überschatteter Pfad dicht vor mir abbog, folgte ich diesem umso lieber, als ein paar Tamburine verlockend aus einer kleinen Vigne im Tal erklangen und lauter und lauter jubelten, je mehr das Gezänk auf dem Weg in der Ferne verhallte.

Bald hörte ich sie deutlich, diese seltsamen, bald lockenden bald jubelnden, bald kreischenden und neckenden Töne, wild und dämonisch wie die finstere Zeit, welche sie gebar, weich und sinnlich wie das Volk, bei welchem sie entstanden. Es war das erste Mal, dass ich die Tarantella auf italienischem Boden vernahm; bald mischte sich Gesang in das Klingen der Tamburine. Eine Art Improvisation schien es mir zu sein, und neugierig blieb ich stehen, um zu lauschen, da eine der gewöhnlichen endlosen Weinbergsmauern die Aussicht versperrte.

Plötzlich verstummten die Tamburine, alles wurde still, darauf erklang ein frisches, fröhliches Lachen, und ich vernahm leichte, hastige Schritte, wie von jungen Mädchen, die zu dem Haus zuliefen, während gleichzeitig die taktfesteren Tritte meines Freundes, des Signor Pisani, den Weg hinabdonnerten.

»Ein schlimmes Volk hier auf der Insel, Signore!«, bemerkte er, während er den Rest des Kupfergeldes, das er gezählt hatte, in die Tasche schob. »Nie mit dem zufrieden, was man ihnen gibt; essen Makkaroni, trinken Wein und schlagen das Tamburin vom Morgen bis zum Abend, das gefällt ihnen, aber arbeiten …!« Er machte eine jener unvergleichlichen, von einem Kehllaute begleiteten Gebärden, deren nur die Italiener Meister sind.

»Annunciatina, komm herauf!«, erklang eine helle Stimme gerade über unseren Köpfen, und ein junges Mädchen, mit einem bunten Schnupftuch um eine Fülle dunkler Locken, mit weißem Rock und bloßen Füßen arbeitete sich durch das Weinlaub, das Tamburin noch in der erhobenen Hand.

»Teresina, du verwünschte Hexe, wie kannst du wagen, in meine Vigne hinabzukommen und obendrein den Tanz zu tanzen, den Padre Giuseppe verboten hat. Das schickt sich nicht!«, schrie mein würdiger Freund, dessen Zorn wieder aufflammte.

»Ich habe ja nicht mit dir getanzt, alter Narr!«, rief Teresina und schnappte nach Luft. »Hätte ich irgend daran gedacht, ihn mit dir zu tanzen, so wäre es Sünde gewesen«

»Ekel, der du bist«, erscholl nun Annunciatinas Stimme, und ein anderes, jüngeres Mädchen schlüpfte durch das Weinlaub. »Geh heim zu deiner armen Frau, die du jeden Abend prügelst. Pass auf, dass dein alter Vater keine Dummheit begeht, indem er sich eine junges Frau nimmt, und dass Marriuccia nicht mit Beppino fortläuft, das ist besser, als dich hier herumzutreiben!«

Es war eine fürchterliche Salve, und ich erwartete eine entsprechende Explosion. Pisani schnappte zweimal nach Luft, dann wandte er sich zu mir, und während Gelächter und Tamburinenklang von oben erscholl, sagte er, im Vertrauen darauf, dass ich nichts verstanden hätte: »Zwei niedliche, höchst liebenswürdige Mädchen; sie machen sich an dem schönen Abend ein kleines Vergnügen.«

»Ja, so scheint es«, sagte ich.

Pisani fühlte sich etwas gedrückt. Erst als wir die Chaussee wieder erreichten, hatte er seine frühere Würde zurück erlangt, aber nun hatten wir auch schon die Piazza in Sicht. »Sie haben nie die Tarantella gesehen?«, warf er hin, als sei gar nichts vorgefallen.

»Nein, niemals«, antwortete ich. »Es ist mein höchster Wunsch, sie zu sehen, aber natürlich gut getanzt.«

»Wohlan«, sagte er und wies mit der Hand vor sich hin, »folgen Sie diesem kleinen Felspfad hier zur Rechten. Er führt den Berg hinauf und endet bei dem niedrigen, weißen Haus, dass Sie dort oben erblicken. Gehen Sie dort hinein und sagen Sie mit einer Empfehlung von mir, dass Sie die Tarantella zu sehen wünschen, dann bekommen Sie dieselbe so gut zu sehen, wie niemand auf der Insel sie tanzen kann. Sind Sie nicht zufrieden gestellt, so sagen Sie es mir, wenn Sie zurückkehren. Sie treffen mich auf der Piazza – dann werde ich mit der lustigen Familie sprechen.«

»Die lustige Familie? Wer ist das?«

»Das sind die Leute, welche dort oben wohnen; wir nennen sie immer so. Sie singen, tanzen und lachen vom Morgen bis zum Abend. Nichts vermag sie aus ihrem Humor zu bringen.«

»Aber man kann doch nicht so in ein fremdes Haus einfallen und verlangen, dass die Leute einem was vortanzen sollen. Ich kenne sie nicht, ich bin fremd …«

»Eben deshalb können Sie es tun. Außerdem, wenn Sie von mir grüßen, ist alles in Richtigkeit. Die Sonne geht erst in einer Stunde unter, wir haben heute Abend Vollmond, sodass Sie leicht den Rückweg finden werden. Wenn nicht, so bitten Sie den Mann, Sie zu begleiten. Er tut es, wenn Sie von mir grüßen.«

Mit diesen Worten wandte Pisani, der nun seine ganze Würde zurückgewonnen hatte, mir den Rücken und schlenderte langsam zu der lieben Piazza, wo sein leerer Thronsessel stand.

Es ist das Eigentümliche bei den Italienern, dass man als Fremder sie fast um alles Mögliche bitten kann. Lustig und gutmütig von Natur, höflich mehr aus innerem Drang als aus Bildung gewohnt an die Ansprüche und Launen des Reisenden, betrachten sie ihn fast wie ein verzogenes Kind, dem man in allem nachgeben muss. Schickte man einen Italiener zur Abendzeit zu einem dänischen Bauernhof mit einer Empfehlung von Hans oder Kunz, ihm einen Reel oder eine Sechstour vorzutanzen, so würde man ihn wahrscheinlich für toll ansehen und ihn aus dem Haus spedieren – hier findet man dergleichen ganz natürlich; das fremde Kind, das so weit gereist ist und so gut bezahlt, muss ja amüsiert werden.

Ich will nicht sagen, dass ich diese Betrachtungen anstellte, während ich den Berg hinaufklomm; dazu war derselbe zu steil und die Naturumgebung zu großartig. Der Pfad, welcher sich anfangs zwischen ein Paar Vignen hingezogen hatte, stieg nun höher empor und schlängelte sich über die Felsen, als wäre seine Zickzacklinie von einer jener großen smaragdgrünen Eidechsen berechnet, die mit ihren klugen, blitzenden Augen und geschmeidigen Bewegungen mir in rastlosem Spiel vorbeihuschten. Riesige schwarze Felsblöcke, mit weißem und gelben Moos bewachsen und auf ihren Bruchflächen vom Schillerglanz der Hornblende schimmernd, erhoben sich über dem Weg und nötigten den kleinen Pfad hin und wieder zu den launenhaftesten Krümmungen. Nun kam ein kleiner Bach, nun ein plötzlicher Abhang, und immer musste man mit angestrengter Aufmerksamkeit klettern, um nicht ins Tal hinabzustürzen, wo schon die runden Kirchenkuppeln, die schneeweißen Häuser und die mit trockenem Laub bedeckten Loggien von Casamicciola sich zu verkleinern und auszusehen begannen, wie der Adler sie erblicken mag, wenn er auf seinem Flug unter den Wolken dahinstreicht.

Ich schaute empor; das niedrige, weiße Haus lag gerade über meinem Haupt, vom hellsten und frischesten Grün umrahmt, aber ich war noch eine Strecke davon entfernt. Plötzlich erweiterte sich der Bergpfad, er gewann fast den Rang einer Landstraße, und mit dem Rang veränderte sich auch der Charakter. Schlanke, hohe Kastanien wiegten ihre schattigen Blätter im Abendwind, der wie eine erfrischende Briese von dem tiefen, dunkelblauen Meer herüberkam. Riesige Farnkräuter erhoben ihr glattes feingezacktes Laub und bunte Falter bewiesen, dass hier oben, wo die Glut der Sonnenstrahlen von der Bergluft gemildert und die Erde vom Wasser der Bergquellen befeuchtet wurde, dass hier noch die Blumen blühten, welche unten im Tal längst verdorrt und verwelkt waren. Die Luft wurde leichter, je höher ich emporschritt, der Weg verbreiterte sich dann und wann zu großen, grasbedeckten Ebenen, wo alte Kastanien und mächtige, krumm gebogene Eichen mich bisweilen in die Illusion versetzen, dass ich in Dyrehaven bei Kopenhagen wandele.

Plötzlich gewahrte ich ein großes, gelbes Stoppelfeld. Ich vernahm dumpfe, taktmäßige Schläge, wie das Geräusch von Dreschflegeln im Herbst. Zu meinem Erstaunen stand ich bald vor zwei halbnackten Männern, die mit einem Paar langer Stangen den abgemähten Roggen droschen, der auf der Erde lag.

»Wohnt hier die lustige Familie?«, fragte ich etwas zögernd.

»Höher hinauf, in der nächsten Campagna, Signore. Sie können nicht fehlen, wenn Sie dem Zaun rechts folgen.«

Der angedeutete Zaun war ein verwirrtes Gemisch von Efeu, Geißblatt, Brombeeren, wilden Rosen und den stechenden, aber wunderbar schönen Lakritzpflanzen, deren feingezeichnete, ovale Blätter etwas an die tropischen Schlinggewächse erinnern, die man in unseren Treibhäusern gewahrt. Hier hingen ein paar mächtige Aloen über den Weg hinaus, dort erhob sich ein riesiger Feigenkaktus mit seinen roten Früchten und stachlichten Blättern hoch in die Luft. Es war etwas seltsam Tropisches in dem ganzen Anblick. Nie habe ich die Rosensträucher so schwer von Blumen, die Brombeeren so groß und den Efeu so üppig wie hier gesehen.

Ein Gang von wenigen Minuten führte mich zu einem kleinen, verfallenen Holzpförtchen, dass an einem Mauerpfeiler lehnte, in dessen Nische ein schlecht gemaltes Madonnenbild angebracht war. Ein duftiger, frischer Blumenstrauß steckte in einer alten Tonmuschel unter dem Bild der Jungfrau. Das Pförtchen war offen und am Eingang stand ein weißer, braun gefleckter Hühnerhund und blickte mich mit seinen klugen Augen an.

»Wohnt hier die lustige Familie?«, fragte ich.

Der Hund schien mich zu verstehen, denn er wandte sich plötzlich um und sprang mir wedelnd voraus, einen dunklen, mit Weinlaub überrankten Gang hinab, als wollte er melden, dass ein Fremder ankomme.

Ich schritt durch den Gang, wo die vollen, runden Traubenbüschel in ihrer dunkelbraunen Pracht so dicht und schwer herabhingen, dass ich sie fast mit dem Kopf berührte, als ich weiterging. Der Gang erweiterte sich und endete bei einem Paar breitwipfliger, schattendichter Wallnussbäume; rechts vor diesen lag ein kleines Haus mit seinem flachen Dach und seiner unvermeidlichen laubbekleideten Loggia. Auf dieser saß ein junges Mädchen und streifte Lavendel ab.

»Wohnt hier die lustige Familie?«, fragte ich zum dritten Mal.

»Ja, Signore das sind wir«, antwortete sie ohne jede Spur von Verlegenheit. Dann erhob sie sich und schüttelte die duftenden Pflanzen auf ein weißes Tuch. »Gleich will ich Vater rufen.«

Sie verließ die Loggia, und bald darauf sah ich sie unten im Weingarten verschwinden. Ich hatte nun Muße, mich ein wenig umzusehen und die Umgebungen zu studieren, ehe ich mit meiner eigentlichen Absicht, der gewünschten Tarantella, herausrückte. Es lag eine Schönheitsfülle über dem kleinen Fleck Erde, die mich wahrhaft in Erstaunen setzte. Der Wein war aufgebunden, teils an schlanke Ulmen, teils an die gelben Rohrhalme, die in runden Bögen gezogen waren, so, dass sie laubbedeckte Gänge bildeten, wohin man sah. Überall blinkten die schweren Traubenbüschel durch das helle Laub.

Purpurrote Tomaten hingen von dem niedrigen Holzgitter herab, das den kleinen Gartenplatz um das Haus einzäunte, breitblättrige Feigen, voll blutroter, tauiger Früchte, standen rings um dasselbe her. Hohe Stockrosen erhoben ihre Blumenpyramiden in den Ecken des Gartens. Weiterhin plätscherte ein Quell aus einer Grotte, die mit Kallas, Venushaar und Farnkräutern wie übersät war. Inmitten dieser Blumenpracht ertönte der Wachtel melodischer Schlag, untermischt mit dem zwitschernden Triller, den ein einzelner Singvogel noch der untergehenden Sonne zusandte. Ich blickte zum Haus. Der gefleckte Hühnerhund hielt treulich Wacht auf der Schwelle, neben seinem Kopf erschien ein zweiter, schwarzlockiger, dunkeläugiger, dann kamen ein Paar kleine sonnenverbrannte Arme, ein Paar dralle Beinchen zum Vorschein, und ein kleines vierjähriges Mädchen, eines der reizendsten Geschöpfe, die ich gesehen habe, ließ seine großen, kohlschwarzen Augen fragend auf mir ruhen. Sie hatte offenbar noch nie zuvor einen Fremden gesehen.

»Wie heißt du?«, fragte ich.

»Giovannina«, flüsterte sie erschrocken und duckte sich hinter den großen Hühnerhund hinab, der ihr das Gesicht leckte.

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