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Der amerikanische Goliath

Der amerikanische Goliath

Obwohl das Rätsel seiner Herkunft seit 150 Jahren gelöst ist, umranken den amerikanischen Goliath auch heute noch vielerlei Legenden und Mythen.

Eigentlich zu Unrecht, denn seine Entdeckung war keine archäologische Sensation, sondern der wohl größte Betrug der jüngeren, amerikanischen Forschungsgeschichte, ein Schelmenstück par excellence, das es verdient, wieder einmal erwähnt zu werden.

Die Geschichte begann im Jahr 1866 merkwürdigerweise als theologischer Streit zwischen einem Tabakpflanzer und einem Pfarrer in einem kleinen Städtchen in Iowa.

Pfarrer Turk behauptete steif und fest, dass es in alten Zeiten Riesen gegeben hatte, denn das stünde in der Bibel (Tatsächlich werden dort viermal Riesen erwähnt); und was dort steht, sei nichts als die Wahrheit.

Diese Behauptung, ebenso wie die Begründung, hielt der Pflanzer und Zigarrenfabrikant George Hull für völligen Unsinn. Doch Turk ließ sich von Hulls Zweifel nicht beirren, sondern beharrte derart stur auf seinem Standpunkt, dass den Pflanzer schließlich so die Wut über den uneinsichtigen Pfarrer packte und er etwas Unglaubliches beschloss.

Wenn der Reverend auf Riesen bestand, so sollte er einen haben!

 

*

 

Hull setzte seine ganze Energie für die Umsetzung seines Vorhabens ein; doch dauerte es bis zum Juni 1868, dass sein Plan im wahrsten Sinne des Wortes endlich Gestalt annahm. Zusammen mit einem guten Freund reiste er zu den Gipsbrüchen bei Fort Dodge, Iowa, schlug dort einen gigantischen Block heraus und transportierte ihn unter größten Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen gen Osten.

Um die Neugierde der wissbegierigen Menschen zu befriedigen, denen er beim Transport begegnete, gab der den monströsen Gipsblock abwechselnd als ein Lincoln-Denkmal aus oder als Probestück des besten Bausteins der Welt für eine Ausstellung in Washington.

Der Transport selber stellte Hull und seine Helfer vor beinahe unlösbare Probleme. Allein auf den vierzig Meilen Wegstrecke von den Gipsbrüchen zur nächsten Eisenbahnstation zerbrach der Gipskoloss mit seinem Eigengewicht von gut fünf Tonnen mehrere Wagen und eine Brücke. Auch auf der Eisenbahn gab es weitere Schwierigkeiten, sodass es fast einem Wunder gleichkam, das Hull den Block in unversehrtem Zustand nach Chicago brachte.

Dort machte sich der Steinmetz Edward Burckhardt unverzüglich an die Arbeit. Das Ergebnis war schließlich ein liegender Riese von 3,17 Meter Länge und einem Gewicht, welches immer noch stolze 2719 Pfund betrug.

Nachdem der Steinmetz mit seiner Arbeit fertig war, machte sich Hull daran, den Gipskoloss zu behandeln.

Mit einem Spezialhammer, der mit Nägeln gespickt war, hämmerte der dem Riesenleib Poren ein und wusch ihn mit Säure, um ihm ein ehrwürdiges Alter zu verleihen. Danach transportierte ihn Hull in einer eisenbeschlagenen Kiste per Bahn und per Frachtwagen via Detroit und Syracuse bis in das Städtchen Cardiff im Staat New York. Von da aus ging es dann auf die Farm von William C. Newell, der gleichzeitig sein Verwandter und Komplize war. Dort wurde der Gipsriese hinter der Scheune in einem tiefen Loch vergraben.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Hull der ganze Spaß bereits 2200 Dollar gekostet, eine Menge Geld, wenn man bedenkt, dass selbst der Monatslohn eines Spitzencowboys zu der damaligen Zeit kaum höher als 35 Dollar war.

 

*

 

Am 16. Oktober 1869, auf den Tag genau ein Jahr nach der Beerdigung des Giganten, befahl William Newell zwei seiner Arbeiter beiläufig, ihm hinter der Scheune einen Brunnen zu graben. Die Arbeiter machte sich sogleich ans Werk. In einer Tiefe von etwas mehr als einem Meter stießen die beiden auf einen menschlichen Fuß, worauf sie ihre Schaufeln wegwarfen und voller Schrecken ins Farmhaus rannten.

Innerhalb von wenigen Stunden wusste die gesamte Nachbarschaft von dem Fund und innerhalb weniger Tage strömten Tausende (das ist keine Übertreibung, es waren tatsächlich Tausende) herbei, um den Giganten zu sehen, der sich nun vollständig ausgegraben, den Menschen in all seiner Größe und blassen Schönheit offenbarte.

Anfangs waren die Meinungen noch geteilt.

Das hat kein Sterblicher geschaffen, sondern dies ist das wahrhaftige Abbild und ein Kind Gottes, wie es einst auf Erden wandelte, war eine der Ansichten, eine andere, dass dies ein vergessenes Denkmal George Washingtons sei, eine Dritte besagte, dass es ein Standbild war, das die ersten eingewanderten Jesuiten errichtet hätten, um die Indianer zu erschrecken.

Doch schon bald mehrten sich die Stimmen, die behaupteten, es handle sich zweifellos um die jahrtausendealte Versteinerung eines riesigen Urmenschen, also genau das, was Hull ja bezweckt hatte.

Unterstützung bekamen die Verfechter dieser These von keinem geringeren als von James Hall, dem geachteten Direktor des New York State Museums, der behauptete, dass es das bemerkenswerteste Objekt war, welches jemals in Amerika zu Tage gefördert wurde.

Eine Aussage mit der er keineswegs Unrecht hatte, nur eben nicht in der Art die ihm vorschwebte.

Nur zwei Yale-Professoren bezeichneten die ganze Sache als kompletten Humbug.

Für die Zeitungen war das Für und Wider in dem Gelehrtenstreit um den Gipsriesen eine Sensation und für Hull und Newell das Geschäft ihres Lebens.

Sie nahmen Eintritt für die Besichtigung des amerikanischen Goliaths, Buden wurden um die Farm herum errichtet und von Syracuse aus extra ein Pferdeomnibusdienst zum Transport der Neugierigen eingerichtet.

An einem Tag kamen bis zu dreitausend Menschen.

Nach zwei Wochen wurden mit dem Giant Saloon und dem Goliath House zwei neue Restaurants eröffnet, wo man nicht weniger als drei verschiedene, einzig authentische und zuverlässige Beschreibungen des Riesen für horrendes Geld erwerben konnte.

 

*

 

Im Nachhinein kann man nicht sagen, dass sich die junge amerikanische Forschung an dem Gipsgiganten nur blamiert hätte. Von Beginn an wurde scharfe Kritik an dem Fund geübt. Bereits nach kurzer Zeit bestand unter den meisten ernsthaften Männern und Gelehrten keinen Zweifel mehr, das dies alles ein gigantischer Schwindel war.

Beschämend ist allerdings der Umstand, das, nachdem Hull alles gestanden hatte und auch die Vorgeschichte, also den Streit mit Pfarrer Turk, dabei nicht ausließ, die Stimmen, die in dem Riesen partout einen versteinerten Urmenschen sehen wollten, nicht verstummen wollten.

Kein Geringerer als der große Arzt und Essayist, Oliver Wendell Holmes, bohrte dem Gipskörper ein Loch hinter das Ohr und erklärte allen Ernstes, das dieser von wundervoller anatomischer Beschaffenheit sei.

Sogar der überaus kritische Philosoph Ralph Waldo Emmerson verkündete in aller Öffentlichkeit: »Über jedes Begreifen hinaus sehr wundervoll und unzweifelhaft alt.«

Dem ganzen Schwachsinn aber setzte einer der talentiertesten Studenten der ehrwürdigen Yale Universität die Krone auf, in dem er in einem 17-seitigen Referat behauptete, der Gipskoloss sei das uralte Abbild des phönizischen Gottes Baal zwischen dessen Ellbogen und Schulter er als Beweis Hieroglyphen entdeckt haben wollte.

Das Ende der Geschichte ist dann schnell erzählt.

Der Zirkusgigant P.T. Barnum bot Hull 60.000 Dollar für den Gipsriesen, wurde aber von einem anderen Schausteller überboten, der ihn nach New York brachte und dort am Broadway ausstellte. Aber Barnum wäre nicht Barnum gewesen, wenn er nicht blitzschnell reagiert hätte. Nur wenige Tage später präsentierte er im Wood´s Museum, also nur ein paar Häuserblöcke vom Broadway entfernt, dem erstaunten Publikum eine genaue Kopie des Riesen, die er unverschämter Weise als Das Original aller Cardiff- Riesen anpries.

Doch die Menschen hatten genug von der Posse um den Gipsriesen. Beide Schausteller verließen unter dem Druck der Straße New York so schnell sie konnten.

Der echte Gipskoloss ging dann solange auf Reisen, bis das Interesse erlahmte. Jahrzehntelang wurde er vergessen, bis man ihn schließlich 1934 für den Film The Mighty Barnum noch einmal ausgrub.

Danach fand er seine letzte Ruhestätte im Farmermuseum in Cooperstown, New York.

Quellenhinweis:
Der erste Amerikaner von C.W. Ceram, erschienen im Rowohlt Verlag Hamburg, ISBN 3498008382, Titel des Originals The first American, Copyright 1971 by Kurt W. Marek, erschienen im Harcourt Brace Jovanowich Verlag, New York

(gs)

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