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Die Sternkammer – Band 3 – Kapitel 10

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 3
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Zehntes Kapitel

Der alte Schlosshof von Westminster

Die Zuschauer außerhalb der Tore von Whitehall fühlten, wie ihre Lungen sich erweiterten und ihr Puls schlug, als sie auf die Töne der Trompeten und Hörner sowie auf das donnernde Geräusch der Pauken und der anderen kriegerischen Musik horchten, welches den Abmarsch der gerüsteten Krieger verkündete, die sogleich in den Schranken erscheinen sollten.

Es war in der Tat ein herrlicher Anblick, die lange und glänzende Prozession zu sehen, welche die vierzehn Ritter bildeten, alle so trefflich beritten, so glänzend gerüstet und von einem solchen Heer von Herren, Pagen, Knappen und Dienern zu Pferde und zu Fuß begleitet. Das Auge des Zuschauers wurde niemals ermüdet, die Verschiedenheit ihrer Rüstungen zu beachten. Einige von den Rittern trugen Harnische und Helme, glänzend wie Silber poliert, welche die Sonnenstrahlen wie Spiegel zurückstrahlten. Einige trugen rostfarbene, andere blaue, wieder andere kannelierte, noch andere mit Gold damaszierte und reich verzierte Rüstungen, noch andere schwarz lackierte Brustplatten, wie es bei dem Harnisch des Prinzen Karl der Fall war. Nur einer hatte eine Rüstung von glanzlosen Schwarz, und dies war Sir Giles Mompesson. Die Waffen waren an Form und Schmuck ein wenig verschieden. Einige trugen Schärpen über ihren Brustharnisch, und andere hatten Bandschleifen an ihren Lanzenspitzen, die von ihren Knappen getragen wurden.

Um der großen Menge, die sich in der Nähe von Whitehall versammelt hatte, Gelegenheit zu geben, so viel wie möglich von dem ritterlichen Schauspiel zu sehen, hatte Prinz Karl es so angeordnet, dass die Prozession zuerst ihren Weg durch das Holbeintor nehmen, sich dann an der Mauer der Privatgärten halten, das Königstor passieren und sich dann eine kurze Zeit in dem alten Schlosshof in der Nähe von Westminster Hall aufstellen solle, wo sich eine große Volksmenge ein gefunden hatte, unter welcher die Hellebardiere und Gardisten einen Raum frei hielten.

Die Prozession wurde von dem Prinzen angeführt, und der stattliche Schritt seines milchweißen Renners passte sehr gut zu seiner majestätischen Haltung. Als der lange Zug von Herren und Pagen, die ihn begleiteten, vorüber waren, um für die folgenden Raum zu lassen, erschien ein junger Ritter, der mehr als alle Übrigen die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zog. Dieser jugendliche Ritter hatte sein Visier erhoben, sodass seine schönen Züge deutlich zu sehen waren, die, vereint mit seiner wohlproportionierten Gestalt, die sich in seiner Rüstung sehr gut ausnahm, für weibliche Augen einen fast unwiderstehlichen Gegenstand der Anziehung bildeten. Auch empfahl ihn die Grazie und Gewandtheit, die er in der Leitung seines Pferdes zeigte, selbst strengeren Richtern, die nicht verfehlten, zu entdecken, dass seine Glieder, wenn auch schlank, im höchsten Grade kräftig und athletisch waren. Sie prophezeiten ihm einen günstigen Erfolg in den Schranken.

Als es bekannt wurde, dass dieser tapfere Ritter Sir Jocelyn Mounchensey, der auserwählte Gegner Buckinghams sei, richtete man noch größere Aufmerksamkeit auf ihn. Da sein gutes Aussehen und seine stattliche Haltung schon einen günstigen Eindruck machten, so wurde ihm mancher freudige Wunsch zugerufen, als er vorüberkam.

Infolge aller dieser Aufregung unter der Menge wegen Sir Jocelyn Mounchensey war Buckinghams Empfang von denselben Personen kalt, die Zurufe für den stolzen Günstling und sein fürstliches Gefolge so schwach und vereinzelt, dass er, der durchaus nicht an eine solche Vernachlässigung gewöhnt war und eifersüchtig auf die Zurufe gehorcht hatte, welche Mounchensey begleiteten, sich schwer gekränkt fühlte und sein Missfallen nicht verbergen konnte. Wenn er aber schon unwillig über seinen eigenen Empfang war, wurde er noch mehr erbittert bei der Behandlung, die seinem Verbündeten widerfuhr.

Dicht hinter ihm ritt ein Ritter in schwarzer Rüstung und mit schwarzem Federbusch auf seinem Helm. Dieser Ritter hatte starke Glieder und eine männliche Haltung. Er saß auf seinem kräftigen Renner, als sei er wohl an den Sattel gewöhnt, aber obwohl niemand etwas gegen seine Geschicklichkeit als Reiter oder gegen seine Tapferkeit als Ritter einwenden konnte, so dachten doch die meisten, er habe kein Recht, dort zu sein, und sie gaben diese Ansicht durch Rufen und Zischen zu erkennen.

Dieser schwarze Ritter war Sir Giles Mompesson. Sehr grimmig und drohend war sein Anblick.

Der weite Raum vor Westminster Hall gewährte dem ritterlichen Zug sowie ihren Begleitern und der versammelten Menge reichliche Gelegenheit, sich auszubreiten. Da aber die, welche hinten standen, nicht so gut sehen konnten, wie die, welche vorn standen, so wurde jede Erhöhung, die eine bessere Aussicht gewährte, lebhaft benutzt. Alle zugänglichen Punkte von Westminster Hall – das zierlich ausgearbeitete Portal und die Fenster – waren mit Zuschauern besetzt. So auch die Tore des alten Palastes und die Strebepfeiler der Abtei. Männer saßen, gleich grotesken Verzierungen, auf den ausgezackten Türmchen und steinernen Dachrinnen. Der hohe und seltsam bemalte Glockenturm vor den Portalen von Westminster Hall war mit Zuschauern bedeckt. Aber die beliebteste und für die beste geachtete Stellung war der Brunnen, der sich in der Mitte des alten Schlosshofes befand. Dieses Gebäude, welches von hohem Altertum und großer Schönheit war, mit spitzem Gipfel, von schlanken Säulen unterstützt und unten mit einem großen Bassin versehen, bildete den Punkt, um welchen sich die ganze Prozession drehte, als sie auf dem Platz ankam. Daher konnte man sie dort am besten sehen. Wer dort einen Platz erlangte, wurde für höchst glücklich gehalten.

Unter diesen glücklichen Personen waren drei von des Lesers Bekanntschaft, und wir denken, er wird kaum verfehlen, den Lehrling mit dem Knittel unter dem Arm und das blondhaarige, blauäugige Landmädchen an seiner Seite sowie den rüstigen alten Landmann zu erkennen, von dem sie begleitet waren. Alle drei waren entzückt von ihrer Stellung, und Dick Taverner tat sich viel auf seine Geschicklichkeit zugute, womit er dieselbe für sich und seine Begleiter verschafft hatte. Der hübschen Gillian konnte nichts besser gefallen, denn sie konnte nicht nur alles sehen, was vorging, sondern es konnte auch jedermann sie sehen – selbst Prinz Karl. Sie schmeichelte sich, dass sie nicht geringe Aufmerksamkeit errege. Und nun, da die ganze Prozession herankam, war der Anblick wirklich prachtvoll und wohl des Ansehens wert. Alles war der Betrachtung des Schauspiels günstig. Das Wetter war heiter und schön und ein schimmernder Sonnenschein erhellte die glänzenden Rüstungen der Ritter, das prächtige Geschirr der Pferde und die reichen Kleider ihrer Diener, während ein sanfter Luftzug die Federn auf den Helmen bewegte und machte, dass die Bänder an ihren Lanzen flatterten. Der Effekt wurde durch lebhafte Musik- und Trompetentöne erhöht. Der äußerste Enthusiasmus wurde unter den Zuschauern geweckt und sie stießen einen lauten und langgehaltenen Zuruf aus.

In diesem Augenblick warf Dick Taverner, der so lustig wie die Übrigen gerufen hatte, seine Mütze in die Luft und fing sie geschickt wieder auf, dann aber hielt er seinen Atem an und setzte seine Mütze auf, denn er sah einen Gegenstand vor Augen, der seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war die dunkle Gestalt eines Ritters in schwarzer Rüstung, der sein Ross durch die Menge auf den Brunnen zutrieb. Sein Visier war aufgeschlagen und das unheimliche Gesicht war dem Lehrling nicht unbekannt.

»Alle Heiligen mögen uns schützen!«, rief er. »Ist es möglich, dass dies Sir Giles Mompesson sein kann? Was tut er hier unter dieser edlen Gesellschaft? Es kann dem schurkischen Wucherer doch nicht gestattet sein, die Schranke zu betreten?«

»Schweigt, Freund, wenn Ihr klug seid«, murmelte eine tiefe Stimme hinter ihm.

»Nein, ich will nicht schweigen«, versetzte der Lehrling, ohne sich nach seinem Warner umzusehen und sein Blick fest auf Sir Giles richtend. »Ich will dem ehrlosen Ritter meine Meinung sagen. Ich fürchte mich nicht vor ihm. Hört, Ihr Herren«, rief er laut seiner Umgebung zu, »wisst Ihr, wer dieser schwarze Rabe vor Euch ist? Wenn nicht, so will ich es Euch sagen. Er würde Euch die Augen auspicken, wenn er könnte, und Euch und Euer Vermögen verschlingen, wie er es schon bei vielen anderen getan hat. Jener Unglücksvogel ist Sir Giles Monresson.«

»Unmöglich!«, rief einer von den Umstehenden unwillig. »Aber jetzt, da ich wieder hinsehe, bemerke ich, dass er es wirklich ist.«

»Ebenso gewiss, wie wir hier stehen«, sagte der Lehrling, »und wenn Ihr noch eines weiteren Beweises bedürft, so seht, er schließt sein Visier. Er denkt sich vor uns zu verbergen, aber dies wird ihm nicht helfen. Ein lautes Zischen für den schurkischen Erpresser, meine Herren, ein lautes Zischen für Sir Giles Mompesson!«

So aufgefordert, stießen die Umstehenden ein lautes Zischen aus und der Name des Sir Giles wurde mit Beiwörtern vereint, die seinem Ohr nicht besonders angenehm sein konnten.

»Es wäre am besten, ihn in Ruhe zu lassen, Tor«, rief die tiefe Stimme hinter Dick. »Ihr werdet Euch selber in Verlegenheit bringen.«

Aber der Lehrling wollte sich nicht raten lassen, und selbst Gillian, die sehr furchtsam war, dass ihm ein Unheil begegnen möchte, konnte ihn nicht zur Ruhe bringen. Er zeichnete sich so sehr unter der Bewegung aus, dass Sir Giles endlich auf ihn zuritt, ihn mit seiner behandschuhten Hand ergriff und ihn von dem Rand des Brunnens herunterzog. Dick strengte sich männlich an, um wieder freizukommen, aber er war in einem eisernen Griff. All seine Bemühungen, sich zu befreien, waren erfolglos. Er rief seiner Umgebung zu, ihn zu retten, aber sie wichen vor dem Versuch zurück. Die arme Gillian war sehr unruhig. Sie dachte, ihr Geliebter würde auf der Stelle der Rache des Sir Giles geopfert werden, und auf ihre Knie fallend, bat sie ihn kläglich, seines Lebens zu schonen.

»Pfui, Gillian!«, rief Dick, »betrage dich nicht so. Der ehrlose Ritter wird nicht wagen, mir etwas zu Leide zu tun. Und wenn er mich misshandeln sollte, wird mein Patron Sir Jocelyn Mounchensey mich rächen. Ich wünschte, meine Stimme könnte ihn erreichen – da würde ich nicht lange hier sein. Zu Hilfe! Sir Jocelyn! Zu Hilfe!«

Er rief des jungen Ritters Namen mit lauter Stimme.

»Wer ruft mich?«, fragte Mounchensey, sich durch die Menge drängend.

»Ich, Euer demütiger Anhänger Dick Taverner«, brüllte der Lehrling. »Ich bin in den Klauen des Teufels und bitte Euch, mich zu befreien!«

»Ha! Was ist dies?«, rief Sir Jocelyn. »Lasst ihn sogleich frei, Sir Giles, gebiete ich Euch.«

»Wenn ich mich aber weigere?«, versetzte der andere.

»Dann will ich Euch augenblicklich dazu zwingen«, donnerte Mounchensey.

»Wenn ich ihn loslasse, so geschieht es, weil ich mich verteidigen und Eure Unverschämtheit bestrafen muss!«, rief Sir Giles.

Während er sprach, warf er den Lehrling mit solcher Heftigkeit zurück, dass er auf den Boden gefallen sein würde, wäre er nicht in die Arme seiner knienden Geliebten gefallen.

»Nun, Sir Jocelyn«, fuhr Sir Giles heftig fort, »sollt Ihr mir Rechenschaft geben für dieses Einschreiten …«

»Halt!«, rief die gebieterische Stimme des Prinzen Karl. »Wir wollen hier keine Zänkereien haben. Sogleich an Eure Plätze in der Prozession, Ihr Herren Ritter. Wir sind im Begriff zum Turnierplatz zu ziehen.«

Hierauf gab er Befehl, weiter zu reiten. Alle weitere Störung wurde von dem Stampfen der Rosse und von dem Geräusch der Pauken und Trompeten übertönt.

Keineswegs entmutigt durch das Geschehene, würde Dick Taverner dem Strom gefolgt sein und seine Geliebte und ihren Großvater mit sich genommen haben, aber die Erstere war so erschüttert von dem Vorfall, dass sie fürchtete, die Unbesonnenheit ihres Geliebten könnte ihn in noch weitere Verlegenheit bringen, und sich ausdrücklich weigerte, weiterzugehen.

»Ich habe völlig genug gesehen«, sagte sie, »und wenn du einige Liebe zu mir hast, Dick, so führe mich hinweg und setze dich keiner weiteren Gefahr aus. Wenn du in der Tat weitergehen willst, so werde ich mit meinem Großvater zurückkehren.«

»Er wird wohl tun, Euren Rat zu folgen, junges Mädchen«, sagte die tiefe Stimme, die schon früher in Dicks Ohr gehört wurde, »wenn er meinen Rat angenommen hätte, würde er sich nicht freiwillig in den Rachen des Tigers gestürzt haben, und es ist gut, da er mit ganzer Haut davongekommen ist.«

Als er dies sagte, wendeten sich Dick und seine Geliebte zu dem Redenden um und erblickten einen großen Mann, maskiert und in eine schwarzen Mantel gehüllt.

»Der Himmel schütze uns! Es ist der böse Feind!«, rief Gillian zitternd.

»Nicht so, schönes Mädchen«, versetzte der Verkleidete, »ich bin nicht der Erzfeind der Menschen noch bin ich Euer oder Dick Taverners Feind. Euer tollkühner Geliebter vernachlässigte meinen früheren Rat, aber ich will ihm noch einen geben, in der Hoffnung, dass Ihr ihn bewegen werdet, ihn zu benutzen. Er mag sich vor Sir Giles Moinpessons Häschern hüten oder sein Hochzeitstag dürfte sich länger verzögern, als ihr beide es hofft – oder auch gar nicht erscheinen.«

Mit diesen Worten mischte sich der maskierte Mann unter die Menge, verschwand fast augenblicklich und ließ das junge Paar, besonders Gillian, in großer Bestürzung zurück. So ernstlich drang das Mädchen auf augenblickliche Entfernung, dass Dick sich genötigt sah, einzuwilligen. Da die sämtlichen Straßen um Whitehall unzugänglich waren, so begaben sie sich an den Fluss und ließen sich in einem Boot zu der London Bridge rudern, in deren Nähe der alte Greenford sein Pferd in einem Gasthaus untergebracht hatte.

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