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Hexengeschichten – Die Hexenkönigin – Kapitel 2 Teil 1

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Die Hexenkönigin
Kapitel 2 – Teil 1

Lurz hatte sich nicht niedergelegt, ohne im Bett noch einen langen Abendsegen zu beten. Dennoch reichte diese geistliche Waffe nicht gegen seine Anfechtung aus, die Lurz erlitt. Die Nachtmahr trat zu ihm in die Kammer, in Gestalt eines schwarzen Pferdes, und er musste es besteigen. Da sauste es fort durch die Winternacht im jähen Flug, schneller als Wind und Wolke. Das ging heidi immer fort und fort über Ebene und Gebirge, über Ströme und Meere, über beschneite Fluren, über dunkle Länder, durch kalte Luft, durch feuchte, durch milde, durch heiße Luft, durch Sturm und Schnee, durch Hagel und Gewitter – und immer drohte die Nachtmahr ihren Reiter abzuschütteln, der dahin flog im bloßen Hemd, barhäuptig, die Hände festgekrallt am Mähnenschopf und ihn zu werfen in Meerestiefen, in Felsenklüfte, in die Glut brennender Orte mitten hinein. Schier ging der Odem dem Lurz aus, er stöhnte laut und schmerzlich, die Glieder schlugen ihm vor Frost und seine Zähne klapperten wie im Fieber. Das dauerte lange, und zuletzt wandte die Nachtmahr schnaubend den Kopf nach ihren Reiter um und sah ihn grimmig an. Die Augen der Nachtmahr waren die Augen der Frau Grethe Strumpf. Sie schüttelte sich heftig und da vermochte der Lurz sich nicht länger mehr zu halten, sondern stürzte herab und fiel viele hundert Klaftern tief, bis er mit jähem markerschütternden Ruck erwachte und in seinem Bett lag. Aus dem Hühnerstall drang der Hahnenschrei, denn es war um die vierte Morgenstunde und schaurig kalt. Draußen heulte der Wind und warf Schnee und feinkörnigen Hagel an die Fenster.

Zitternd und bebend, zum Tode matt, hüllte Lurz sich fester in seine Decken, wäre gern wieder eingeschlafen, vermochte es aber nicht, denn eine schwere Angst beklemmte sein Herz. Er dachte, wenn er einschliefe, so käme die böse Trude wieder und peinige ihn. Es war ein qualvoller Zustand. Endlich schlief Lurz doch wieder ein, schlief tief und fest, bis des Bauers grobe Stimme ihn wach schrie, was zum Teufel er denn schlafe, bis die Kuh einen Batzen gelte? Ob er denn nicht wisse, dass heute Markttag sei und dass in die Stadt gefahren werden solle? Ob er nicht in des Teufels Namen gleich aufstehen und die Pferde füttern und tränken wolle und den Wagen rüsten? He! Der faule Kerl, der sich nicht schäme, in den Tag hinein zu schlafen, auf der Bärenhaut zu liegen und zu lunzen bis zum hellen Morgen!«

Lurz erschrak – es war in der Tat schon Tag, man merkte schon das Zunehmen der Tage, aber es war dem armen Knecht, als seien ihm alle Glieder gelähmt, als seien sie mit schweren Keulen ihm zerschlagen. Mit einem schweren stöhnenden Seufzer hob er sich vom Lager, mühsam kleidete er sich an und schritt die Treppe herunter. Unten wartete der Bauer, zur Wildheit aufgehetzt von seinem Weib, mit einem Knüttel auf ihn und wollte ihn schlagen, aber er tat es nicht, als er sah, wie der Lurz totenbleich aussah, wie die Knie ihm schlotterten und wie er sagte: »Guten Morgen! Zürnt nicht, Herr, ich bin krank!«

»Nun, so bleib daheim, beim Teufel! Kriech hinter den Ofen und sauf Hollertee!«, rief Friedrich Strumpf, warf den Knüttel in eine Ecke, ging selbst mit in den Stall und half die Pferde beschicken.

In der Wohnstube war Frau Strumpf beschäftigt, ihren Knaben festtäglich zu schmücken. Er sollte mit zum Markt fahren. Sie selbst war schon im vollen Putz, der ihr herrlich stand. Sie war eine schmucke Frau von gar nicht hässlichen Zügen, von einnehmenden sogar, erst zwölf Jahre verheiratet, blühend, wohlhabend, feurig. Es hätte einer seine Freude an ihr haben können, nur ihr Mann hatte keine rechte Freude mehr an ihr, denn sie befahl im Haus und im Hof, nicht er. Sie kaufte und verkaufte, nicht er, sie mietete das Gesinde und entließ es, nicht er. Er vegetierte nur als Pflanze, begossen mit Bier und Branntwein, er schalt nur, wenn sie es ihm befahl. Wollte er aus eigener hausherrlicher Machtvollkommenheit schelten, so gebot sie ihm zu schweigen. Ihren Knaben liebte Frau Grethe Strumpf überzärtlich, obwohl sie ihn bisweilen hart anließ. Es war so nun einmal ihre Gewohnheit, ihre Umgebung hart anzulassen, eine sehr üble Gewohnheit. Der Knabe war von aufgewecktem Geist, aber dennoch still und verschlossen. Er lernte leicht und behielt leicht alles, was er sah, hörte, las und lernte. An der Mutter hing er mit großer Liebe, vom Vater fühlte er sich mehr abgestoßen als angezogen.

Das Frühmahl wurde eingenommen, die Pferde hatten das ihre bereits verzehrt und wurden von Lurz an den schon in den Hof geschafften Wagen gespannt.

Die frische Morgenluft gab dem von der Nachtqual ermatteten Knecht wieder neue Kräfte. Der Sturmwind hatte sich gelegt, der Wintermorgen war hell geworden und die Kälte war schon sehr mäßig. Zum Schlitten­fahren lag nicht genug Schnee, aber die Wege waren hart gefroren und fest. Der Sitz des Wagenlenkers, welcher Friedrich Strumpf heute in eigener Person sein wollte, wurde festgeschnallt, dann auf dem hinteren Teil des Leiterwagens der Sitz für die Herrin und den Knaben. Erstere war mit der Magd in den Keller hinab gegangen, Barlies musste leuchten und dann helfen, den Korb mit den Eiern herauftragen, der gar nicht leicht war. Ein Hühnerei wiegt reichlich 3 ½ Lot, das machte über 32 Pfund, ohne die Schwere des Korbes und der Spreu, in der die Eier gut gesichert ruhten. Der Eierkorb wurde aus dem Haus von Barlies allein getragen, der Herr hob denselben auf den Wagen und machte ihn zwischen dem Vorder- und dem Hintersitz mit Stricken fest. Lurz, der Knecht, sah den Korb mit Schaudern. Mit Schaudern sah er auch auf dem Mist die schwarze Glucke sitzen, ehe noch, was soeben geschah, Barlies das Hühnerhaustürchen öffnete, woraus das gefiederte Völklein sich eilig herausdrängte und teils die Leiter herabschritt, teils gleich vom Brett niederflog. Barlies rief, die Schürze voll Hafer und Gerste mit lautem Komm, Putt, Putt, Putt! Komm, Putt, Putt, Putt! die Hühner zusammen und streute das Futter aus voller Hand. Da lief und flatterte alles herbei, auch die Tauben flogen vom geöffneten Schlag nieder. Alles pickte, gackerte, krähte und gurrte freudig durcheinander.

Auch die träge schwarze Glucke näherte sich dem Kreis, gerade als Andres mit der Mutter den Wagen bestiegen hatte, Friedrich Strumpf mit einem mächtig schallenden Knall der Peitsche die Pferde zum Laufen ermunterte und die Bäuerin noch im Davonfahren vom Wagen rief: »Haltet gut Haus! Und gute Besserung, Lurz!«

»Danke schön! Frau Grethe Strumpf!«, rief der Knecht ihr nach und wandte kein Auge vom schwarzen Huhn. Das schwarze Huhn tat auch, als fresse es, aber es fraß nicht; es pickte stets neben die goldenen Körner und ließ sie liegen.

Kein Hahn näherte sich dem schwarzen Huhn, um es zu treten. Die Hennen und die Tauben wichen zur Seite, wo die schwarze Henne schritt, als scheuten sie sich vor ihr. Das schwarze Huhn verlor nie eine Feder und sah man es recht an, so sah es so glatt aus, als ob es gar keine Federn habe, als ob nur Falten in einer fettigen glatten Haut eine scheinbare Zeichnung der Federnlage bildeten – eine unheimliche Federzeichnung. Das schwarze Huhn hob nie einen Flügel, es schritt niemals schneller oder langsamer, unstet, gleich dem Schritt der anderen Hühner. Es schritt stets in einem schwerfälligen langsamen Gleichmaß. Die meiste Zeit hockte die schwarze Glucke sitzend auf dem Misthaufen, als ob sie brüte, oder sie verkroch sich ganz.

»Nun Lurz!«, begann die Magd Barlies den Knecht zu necken: »Was hat Er denn? Er schaut drein, als ob Ihm die Hühner das Brot genommen hätten!«

»Ach, Barlies!«, entgegnete Lurz, »mir schwant, dass ein Huhn mich vom Brot bringt.«

»Ein Huhn?«, entgegnete mit verwunderter Frage die Magd. »Was denn für eins?«

»Ein schwarzes, Barlies«, gab Lurz trübselig zur Antwort. »Ich dachte gar! Er ist nicht gescheit, Lurz! Er fängt Grillen! Mach Er mir keine Mäuse!«

»Ich mache keine Mäuse, Barlies«, versetzte Lurz. »Mäuse machen ist Hexenwerk und bringt nichts ein. Ich sinne nur über das schwarze Huhn. Nicht wahr, das legt recht fleißig? Die Eier sind im Winter teuer, die Bäuerin gibt nur drei, höchstens vier um einen Batzen? Kosten also vier einen Batzen, vier Dutzend einen Gulden und vier Mandel oder ein Schock einen Gulden und fünfzehn Kreuzer, das kann die Eierhöckin lächern, denn was löst sie da für dreihundert Eier, Barlies?«

»Das weiß ich nicht, Lurz«, entgegnete die Magd, »ich kann nicht im Kopf rechnen.«

»Ich will es Ihr sagen, Barlies, ich kann etwas rechnen«, sprach Lurz. »Dreihundert Gier sind gerade fünf Schock. Das Schock einen Gulden fünfzehn Kreuzer machen fünf Schock gerade sechs Gulden fünfzehn Kreuzer!«

»Ei, du meine Güte, das nenne ich fünf gerade machen!«, schrie Barlies verwundert auf. »Dafür kauft man ja ein Kalb oder ein Läufer! Das ist ein Sündengeld!«

»Möglich, Sündengeld, Sie kann recht haben, Barlies!«, brummte Lurz durch die Zähne und schüttelte sich wie im Fieber.

»Mach Sie heute ein warmes Stübchen, mir ist nicht ganz just, mir ist, als hielte in mir keinen Knochen auf dem anderen. Ich hab schwer ausgestanden die vorige Nacht, ich bin wie zerschlagen.«

»Die Trud’ wird ihn geritten haben, Lurz!«, mutmaßte Barlies.

»Ja, eine Reiterei war’s, ich will d’ran denken!«, seufzte Lurz.

Draußen am Gehöft huschte eine Bäuerin hin, die Hebamme von Kesselbrunn.

»Guten Morgen!«, rief sie in den Strumpfenhof: »Ist die Bäuerin schon zum Markt?«

Weder der Knecht noch die Magd antworteten: Ja, beide fürchteten, die alte Hebamme wolle ihnen das Ja abgewinnen, dann habe sie Macht über sie den ganzen Tag. Beide antworteten aus einem Mund. »Sie ist nach Köln gefahren!«

Als die Alte vorüber war, blickte das Gesinde ihr scheu nach und flüsterte einander zu: »Das ist auch die rechte, das ist eine von der siebenten Bitte.«

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