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Nick Carter – Inez Navarro, der weibliche Dämon – Kapitel 11

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Inez Navarro, der weibliche Dämon
Ein Detektivroman

Nick Carters Sieg

In diesem Moment geschah etwas Unerwartetes. Es war zugleich die verhängnisvollste Überraschung für den Verbrecherkönig und entschied dessen Schicksal.

Nick Carter war von seinem Todfeind mit den seinen eigenen Taschen entnommenen Hand- und Fußschellen gefesselt worden. Darin lag der Schlüssel für den Vorgang der nächsten Sekunde.

Keineswegs zum ersten Mal war Nick Carter im Kampf überwältigt worden und ebenso wenig war ihm das Gefühl neu, mit seinen eigenen Fesseln in Bande geschlagen zu werden. Die Versuchung lag so greifbar nahe, den überwundenen Detektiv mit seinen eigenen Waffen unschädlich zu machen.

Darum hatte sich Nick Carter, um in Fall unliebsamer Wiederholungen nicht wehrlos zu sein, vorgesehen.

Jedes Paar seiner Hand- und Fußschellen besaß eine Geheimfeder, deren Existenz natürlich nur ihm selbst bekannt war. Sie war derart angebracht, dass nicht etwa ein Zufall sie öffnen und die Fessel lösen konnte, sondern man musste sie genau zu handhaben verstehen, wollte man sie mit Erfolg anwenden.

In dem Augenblick, in welchem Morris Carruthers sein vermeintlich wehrloses Opfer mit dem Oberkörper aufhob, erlangten Nicks auf den Rücken gefesselte Hände so viel Bewegungsfreiheit, um jene bestimmte Bewegung ausführen zu können, welche die Feder löste. Es war ein wiederholtes Schütteln und Rütteln, das sich wie ein ohnmächtiges Stemmen gegen die Fesseln aufnahm, diese aber sprengte.

Mit ungeheurer Geschwindigkeit schwang Nick Carter seine plötzlich befreite Rechte. Ehe Morris Carruthers sich dessen versah, hatte er auch schon einen furchtbaren Hieb auf den linken Unterkiefer erhalten. So wuchtig war der Schlag, dass der über Nick gebeugt stehende Verbrecherkönig wie ein umgestoßener Mehlsack lautlos zur Seite fiel.

Fast im selben Augenblick, jedenfalls früher, als Pancho den blitzschnell sich abspielenden Zwischenfall begriff und sich zur Abwehr anschicken konnte, hatte Nick Carter sich wieder zurückgebogen und mit fürchterlicher Wucht die beiden Füße nach dem Gesicht des gleichfalls über ihn gebeugt stehenden Pancho geschnellt – und zwar mit nicht minder prompter Wirkung.

Unter der Wucht des äußerst gefährlichen Stoßes fiel auch Pancho hintenüber und brach bewusstlos auf dem Teppich zusammen.

Im Nu war Nick auf den Füßen. Ein kurzer Druck auf die seine Knöchel umspannenden Stahlspangen, und diese fielen klirrend zu Boden.

Doch im selben Moment fühlte er sich auch schon wieder von Morris Carruthers um den Leib gepackt. Der Hüne war durch den Schlag nur sekundenlang betäubt worden. Nun stand er schon wieder. Mit vor rasender Wut knirschenden Zähnen, die Züge von Racheverlangen verzerrt, stürzte er sich von Neuem auf seinen Todfeind, um diesen niederzuzwingen und den Kampf zu beenden.

Die Gewissheit, dass er verloren sei, gelänge es ihm nicht, den Detektiv endgültig unschädlich zu machen, hatte die Kräfte des Verbrecherkönigs verdoppelt. Wie Stahlreifen pressten sich seine Arme um den Körper des anderen; und dieser begriff wohl, dass er die schaurige Umarmung seines Angreifers nicht abschütteln konnte, sondern dass es von Neuem auf Leben und Tod ringen hieß – von Neuem einen ungleichen Kampf aufnehmen, dessen Ende nicht zweifelhaft sein konnte, kam auch der andere Komplize wiederum Carruthers zu Hilfe.

Mit einem Blick nahm der Detektiv, wenn auch in angestrengtem Ringen mit seinem Gegner begriffen, geistesgegenwärtig die ganze ihn bedrohende Gefahr wahr. Noch hielt Inez den Revolver in der Hand, mit welchem sie vorhin Nick Carter betäubt hatte. Dämonisch funkelten ihre Augen, katzengleich schlich sie sich an die Kämpfenden heran, um den Detektiv nochmals von rückwärts zu treffen und zu lähmen … das war der sichere Tod, gelang ihr diese Absicht … zumal sich Pancho eben noch in halber Betäubung wieder mühsam aufraffte und mit weit geöffneten Augen, sich auf das Geschehene erst besinnend, um sich starrte.

Nick Carter begriff, dass er den Feinden keine Blöße geben durfte. Der Körper des mit ihm Ringenden musste ihn schirmen. So warf er sich, zugleich dem ihn Umklammernden ein Bein stellend, zur Erde nieder. Es gelang ihm, Carruthers mit sich zu Fall zu bringen.

Der Verbrecherkönig, welcher die Absicht seines Widersachers nicht durchschaute, war obenauf zu liegen gekommen. Er lachte voll teuflischer Freude auf, während Inez dagegen einen Ausruf bitterster Enttäuschung nicht zu unterdrücken vermochte, konnte sie nun doch nicht an den unten Liegenden heran.

Wer weiß, ob in dem ungleichen Kampf nicht dennoch Nick Carter, all seines Heldenmutes ungeachtet, unterlegen wäre, hätte nicht plötzlich lautes, wildes Schreien das Haus erfüllt.

»Patsy! Patsy!«, keuchte Nick Carter, der die Stimme seines Gehilfen sofort erkannte.

»Patsy! Patsy!«, schrillte auch Inez, doch mit gänzlich anderem, schreckerfülltem Ausdruck.

»Verdammt!«, stöhnte Morris Carruthers. »Die Schergen kommen …«

Das Mädchen stand unschlüssig und schreckgelähmt, wie von ihrer Geistesgegenwart verlassen. Doch Pancho fasste sie bei der Hand und zerrte sie fort. »Soll es auch um uns geschehen sein?«, keuchte er. »Fort … durch die Geheimtür … nur fort … fort!«

Inez ließ sich bis zur Wand führen. Dann, als Pancho sich an dieser zu schaffen machte, da wendete sie den Blick wieder zu den in unlöslicher Verschlingung sich am Boden wälzenden Todfeinden. Ein heiserer Schrei entrang sich ihren Lippen. Wie heller Wahnsinn leuchtete es in ihren Augen auf. Sie riss einen kurzen, funkelnden Dolch aus dem Busen. Mit einem schrillen Schrei stürzte sie sich auf die Ringenden, um die Klinge in die Brust des Mannes, der nun auch ihr Todfeind geworden war, zu stoßen.

Von draußen wurden Stimmen laut. Eilige Schritte, unter deren wuchtigem Tritt das Treppenhaus erdröhnte, kamen die Stufen empor.

»Caramba, Herrin, sind Sie von Sinnen?«, fluchte Pancho.

Gleich einem Tiger warf er sich auf Inez, mit brutaler Gewalt packte er die sich gleich einer Wildkatze Wehrende um die Hüfte, ehe sie ihre Absicht hatte erreichen können. Mit einem schrillen Wutschrei schleuderte sie den Dolch auf den um sein Leben Ringenden, in der sicheren Hoffnung, ihn zu treffen. Doch sie musste es noch mit ansehen, wie die Waffe unschädlich auf den Boden klirrte.

Dann schob Pancho die schöne junge Frau durch die inzwischen von ihm geöffnete Geheimtür – und die Letztere schloss sich hinter den beiden gerade in dem Moment, als Patsy, auf dem Fuße gefolgt von Chick Carter, ins Zimmer stürmte. Sie kamen zu spät, um die Geheimtür sich noch schließen zu sehen, doch rechtzeitig genug, um Nick Carter in höchster Not beizuspringen.

»Dort durch die Mauer müssen sie entflohen sein – die Frau und der Mann!«, schrie Patsy aufgeregt, während er auf die Wand deutete, von welcher die Portiere heruntergerissen worden war.

Aber Chick hörte nicht auf ihn. Mit einem Schrei äußerster Bestürzung eilte er auf die Ringenden zu, um seinem Vetter beizustehen.

Doch ehe er noch die beiden erreichen konnte, da war es Nick Carter gelungen, die würgenden Hände seines Gegners von sich abzuschütteln. Im gleichen Moment hob er auch schon mit gewaltiger Kraftanstrengung den Riesenkörper des Verbrecherkönigs und schmetterte ihn gegen die Wand – mit einer Wucht, wie etwa ein erwachsener Mann ein zweijähriges Kind zu werden vermochte.

Mit einem furchtbaren Aufprall krachte der Körper des Überwundenen gegen die Wand, prallte wieder ab von ihr und rollte auf den Boden, wo er wie zerschmettert liegenblieb. Nur ein leichtes Muskelzucken, einige unwillkürliche Bewegungen ließen erkennen, dass in Morris Carruthers noch Leben war.

Aber schon kniete Nick Carter, mochte ihm der Atem auch stoßweise mühsam über die zuckenden Lippen kommen, neben dem Bewusstlosen. Sein suchender Blick hatte die vorhin von ihm abgestreiften Fesseln auf dem Teppich erspäht. Nun hielt er die blinkenden Stahlspangen auch schon in den Händen. Eine Minute darauf hatte er Morris Carruthers so sorgsam gefesselt, dass diesem wohl jede Hoffnung auf Wiederbefreiung vergehen musste.

»Well, da sind wir ja überflüssig!«, bemerkte Chick lachend. »Meinen herzlichen Glückwunsch, Nick – da ist der Galgenvogel wieder eingefangen. Nun, diesmal werden sie ihn wohl in der Zentrale festhalten.«

»Wir wollen es hoffen!«, entgegnete der Detektiv, indem er sich mit Mühe von den Knien erhob. »Ich bin nahezu am Ende meiner Kraft«, gestand er, tief aufatmend. »Ich kann wohl sagen, es war der furchtbarste Kampf meines Lebens. Hätte mir nicht der Himmel beigestanden und mich wie durch ein Wunder siegen lassen, so wäre ich diesmal nicht mit dem Leben davongekommen.«

Die Vettern gaben sich schweigend die Hand. Dann wendete sich Chick an Patsy, der mit verzweiflungsvoller Gebärde an der massiven Wand herumhämmerte.

»Hallo, Patsy, was für Studien machst du eigentlich?«

»Sie müssen hier durch die Wand entflohen sein, die Frau und der Mann!«, schrie Patsy wütend. »Auch Carruthers muss durch die Wand gekommen sein, denn er tauchte plötzlich hinter der Portiere auf, die nun niedergerissen dort auf dem Boden liegt – aber wo nur, wo?«, rief er zornig. »Man kann nur die massive Wand spüren – es ist absolut nichts weiter zu entdecken.«

Nick Carter wehrte erschöpft ab.

»Lass das, Patsy, daran dürfen wir jetzt unsere Zeit nicht vertrödeln. Lauf lieber und hole einen Patrolwagen. Aber schnell, denn ich will diesen Morris Carruthers bis in die Zelle begleiten, und ich ruhe nicht eher, bis ich ihn sicher angeschmiedet weiß!«

»Pst! Nick Carter!«, hörte er den inzwischen wieder zur Besinnung Gekommenen flüstern.

Als er sich umwendete, saß er die ruhelosen Augen des Gefesselten mit stechendem Glanze auf ihm ruhen. »Eine Million Dollars bar und die Hälfte all meiner künftigen Einnahmen, wenn Sie mich verschonen, Carter!«, sagte der Verbrecherkönig.

Nick Carter war derart ermattet, dass er das an ihn gestellte Ansinnen zuerst gar nicht begriff; dann aber lachte er kurz auf. »Ich bin nicht bestechlich, Morris Carruthers!«, sagte er dann herb. »Das sollten Sie doch wissen, und hätten Sie mir ungezählte Millionen zu bieten – doch zahlen sollen Sie, wenn auch nicht an mich. Sie sind dem Gesetz ihr Leben schuldig geworden – und das sollen Sie diesmal heimzahlen müssen, so wahr ich Nick Carter heiße!«

Morris Carruthers schwieg; er maß den Detektiv nur mit einem teuflischen Hassblick. Er wusste nur zu gut, dass sein Schicksal diesmal endgültig besiegelt war.

Nick Carter stand mit der Hand an der schmerzenden Stirn und schaute fragend auf Chick. Er schien irgendeine Auskunft von diesem haben zu wollen, doch er musste sich erst lange besinnen, bis er endlich wieder wusste, was eigentlich in seiner Absicht lag.

»Es ging fürchterlich her, und sie hämmerten auf meinem Kopf herum, als ob er ein Amboss sei«, meinte er mit schwachem Lächeln. »Doch was führt dich hierher, Chick – gerade zur rechten Zeit? Du warst doch in Long Island und überwachtest diesen … diesen …«

»Silas Landgrove«, half Chick aus, als sein Vetter nach dem Namen suchend inne hielt. »Well, der Mann brach mitten in der Nacht auf und fuhr nach New York zurück. Natürlich fuhr ich mit ihm, ohne dass er es merkte. Augenscheinlich steuerte er zu meinem äußersten Erstaunen auf das Haus hier los, der unschuldsvolle Onkel vom Lande. So vorsichtig ich auch war, so muss er mich doch wahrgenommen haben, denn hier an der nächsten Ecke sprang er plötzlich in einen uptown fahrenden Straßenbahnwagen. Das geschah so schnell und während die Car in voller Fahrt begriffen war, dass ich mich nicht mehr auf den Hinterperron schwingen konnte. Immerhin war ein Gutes dabei, denn wie ich mich noch nach einer Fahrgelegenheit umschaue, da kommt durch die Dunkelheit Patsy angehetzt und läuft mir gerade in die Arme. Dass ich mich dann beeilte, hierher zu kommen, das kannst du dir wohl denken.«

Nick Carter lächelte schwach. Er atmete erleichtert auf, als in diesem Augenblick Patsy in Begleitung einiger handfester Policemen zurückkehrte und meldete, dass vor dem Haus der Patrolwagen bereit stände.

»Well, Chick«, entschied der Detektiv, »bleibe du hier allein zurück, während ich meinen Freund Carruthers nach den Tombs geleite. Sobald ich zurückkomme, wollen wir uns einmal im Haus umschauen und sehen, ob wir dessen Geheimnissen nicht auf den Grund kommen.«

Das geschah schon in wenigen Stunden, nachdem Morris Carruthers in der Mörderzelle der Tombs seinen unfreiwilligen Einzug gehalten hatte. Da stellte sich dann heraus, dass das anscheinend im vornehmsten Stil geführte Privathaus in Wirklichkeit ein Lagerplatz für zahllose gestohlene Gegenstände war. Auch der in verwichener Nacht von Pancho gebrachte schwere Sack hatte goldene und silberne Gerätschaften enthalten, die wenige Stunden zuvor erst aus einem der Nachbarhäuser entwendet worden waren.

Auch die Geheimtür wurde durch den Scharfsinn Nick Carters entdeckt, und ebenso stellte es sich heraus, dass sowohl die schöne Inez als auch deren Helfershelfer spurlos verschwunden waren.

 

*

 

Wenige Wochen darauf stand Morris Carruthers wiederum vor den Geschworenen. Doch diesmal saß keine Inez Navarro ihm zur Seite und suchte durch ihre sieghafte Schönheit die Jury günstig zu beeinflussen und mitleidig zu stimmen. Diesmal wurde die Verhandlung auch nicht durch erfahrene und durchtriebene Kriminalanwälte ungebührlich in die Länge gezogen, denn merkwürdigerweise musste sich Morris Carruthers mit dem Beistand des ihm vom Gericht zugeordneten Verteidigers begnügen. Es schien, als ob mit der Beschlagnahme all der im Haus an der 75th Street vorgefundenen gestohlenen Güter im Wert von vielen Hunderttausenden die geheimen Geldquellen des Verbrecherkönigs versiegt waren.

Neben Morris Carruthers saß während der ganzen Verhandlung anstatt der verführerisch schönen Inez der dem Publikum nicht minder interessante Meisterdetektiv Nick Carter, der geschworen hatte, Morris Carruthers nicht mehr aus den Augen zu verlieren, bis dieser den verhängnisvollen letzten Gang zum elektrischen Stuhl im Zuchthaus von Sing-Sing angetreten hatte.

Wie vorauszusehen war, sprachen die Geschworenen den Angeklagten einstimmig schuldig. Als Morris Carruthers, um sein Urteil zu empfangen, dem Richter wiederum vorgeführt wurde, da war es Nick Carter abermals, der ihm das Geleit gab.

Nach dem Buchstaben des Gesetzes sollte an Morris Carruthers verfahren werden; so entschied der weißhaarige, unbestechliche Richter. In der mit dem 3. März anfangenden Woche sollte er zum elektrischen Stuhl gebracht, in diesen gesetzt und so lange ein elektrischer Strom durch seinen Körper geführt werden, bis jegliches Leben in ihm erloschen und er vom Leben zum Tode gebracht war.

Als Morris Carruthers, an Händen und Füßen gefesselt, zu seiner engen Zelle zurückgeführt wurde, da maß er Nick Carter mit einem flammensprühenden Blick.

»Noch sitze ich nicht im elektrischen Stuhl!«, stieß er zwischen den zusammengepressten Zähnen hervor.

»Sie werden darin Platz nehmen, sobald der vom Richter bestimmte Tag graut!«, entgegnete der Detektiv, seinen Blick fest erwidernd. »Unbesorgt, ich lasse Sie nicht mehr aus den Augen.«

»Well, wir werden sehen – und wer zuletzt lacht, der lacht am besten!«, zischte der Verurteilte. »Doch ich habe eine Ahnung, als ob zuvor noch ein anderer von meiner Hand sterben würde.«

Nick Carter lächelte nur stolz. »Ihre Drohungen schreckten mich nicht, als Sie noch der gefürchtete Verbrecherkönig waren, Morris Carruthers – und noch weniger haben Sie heute über mich Macht«, sagte er, sich abwendend. »Doch machen Sie Frieden mit dem Himmel, Morris Carruthers, und geben Sie sich keinen eitlen Hoffnungen mehr hin, denn Ihre Lebensuhr ist abgelaufen – und ich, Nick Carter, habe meine Mannesehre dafür verpfändet, dass sie im elektrischen Stuhl in der Woche sterben, welche mit dem 3. März beginnt!«

Ende