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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Das Orakel des Gubdu-Steins – 5. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Das Orakel des Gubdu-Steins

5. Kapitel

Und doch ein Fehlschlag

Das Gewitter stand nun gerade über uns. Unser Gespräch hatte daher nur mit Unterbrechungen stattfinden können. Wie bei vielen tropischen Unwettern hörte das Toben der Naturgewalten unvermittelt auf. Die Stille war fast beängstigend. Fünf Minuten später hatten wir den klaren Sternhimmel über uns. Hauptmann Slooker eilte den Hügel zur Straße hinab, um zu sehen, ob der Kraftwagen bereits zurückgekehrt sei. Er kam mit drei Soldaten zurück, die alles Nötige auf den Schultern trugen. Die Leute wurden dann wieder zum Kraftwagen geschickt, wo sie warten sollten. Harst wünschte ohne Zeugen, auf deren Verschwiegenheit er nicht bestimmt rechnen konnte, in den Schlund hinabzusteigen.

Marconnay begriff nicht recht, weshalb Harst die Hilfe der Soldaten ablehnte. Er sprach dies auch offen aus. »Was schadet es, wenn die Leute auch plaudern sollten«, meinte er.

Wir vier standen nun am Rand der Felsspalte und hatten die Millionen Lichter des Nachthimmels als matte Beleuchtung über uns. »Weil man notwendig zu der Ansicht gelangen muss, Herr Major, dass in diese Kluft auch anderswoher einzudringen ist«, erwiderte Harst. »Der Mann, der Doktor Doogston zu diesem neuen Verbrechen trieb, musste sich sagen, dass die Priester den Orakelstein vielleicht auch weiterhin ebenso sorgfältig trotz seines Einsturzes bewachen würden. Wenn dies jetzt nicht geschieht, so ist das wohl auf die erste Bestürzung unter den Brahminen zurückzuführen. Ein Einsteigen in den Spalt wäre also möglicherweise auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen, das heißt, der Urheber dieses Planes hätte dessen Früchte vielleicht nie einheimsen können. Er ist jedoch ein so schlauer Kopf, dass er sich einer unsicheren Sache wegen nicht anstrengt. Mithin muss sie für ihn die Hoffnung auf vollen Erfolg von vornherein gehabt haben. Er wird eben einen anderen Zugang zu den Tiefen des Schlundes kennen.«

»Hm«, brummte der Major, »träfe dies zu, so hätte er die erhofften Schätze sich ja auch aneignen können, ohne den Gubdu abrutschen zu lassen.«

»Oh nein, er hätte sie sich nicht aneignen können, weil die Kluft wahrscheinlich nur so tief ist, dass das Tageslicht nicht hinabdringt, und dass man einen mit einer Laterne auf ihrem Grund herumsuchenden Menschen von hier dicht am Rand der Spalte bemerkt hätte. Mithin musste der Verbrecher erst die Kluft bis auf die beiden kleinen frei gebliebenen Stellen rechts und links des Steines verschließen, ehe er mit einiger Aussicht, unbemerkt zu bleiben, seinen Raubzug antreten durfte. Eine andere Erklärung für die Absichten des Mannes gibt es nicht.«

Marconnay lachte leise. »Ja, Ihnen gegenüber sagt man am besten zu allem Ja und Amen. Ich bekenne mich geschlagen. Sie werden recht haben.«

Harst ließ sich nun anseilen. Wir drei hielten das lange Tau. Er kletterte über den Rand der Spalte hinweg, pendelte nun frei in der Luft. Ganz langsam ließen wir das Tau durch die Hände gleiten. Sehr bald sahen wir nichts mehr von ihm. Es ging tiefer und tiefer abwärts. Achtzehn Meter Tau waren bereits abgelaufen, als die Belastung plötzlich aufhörte.

Harst hatte uns angewiesen, auf keinen Fall ihm etwas zuzurufen. Er wollte durch Rucke am Tau sich mit uns verständigen, und wir hatten ein paar einfache Zeichen vereinbart.

Wir warteten fünf, wir warteten zehn Minuten. Nichts geschah. Nicht einmal den Lichtschimmer von Harsts Taschenlampe bemerkten wir. Das Tau hing schlaff herab. Harst hatte sich offenbar losgebunden.

Wir lagen nebeneinander mit den Köpfen über der Kluft. Marconnay meinte, die Geschichte gefalle ihm nicht. Man könne da unten Harst durch einen Schlag auf den Kopf lautlos betäubt haben. Auch mir wurde bange um den Freund. Noch drei Minuten – ich hatte die Uhr in die Hand –, dann erklärte ich, die Herren möchten mich an einem zweiten Strick hinablassen. Der Hauptmann erwiderte, wir könnten auch die Längste der Strickleitern mit Eisenhaken hier oben sicher befestigen. Es geschah. Ich trieb zur Eile. Dieses Schweigen dort in der Tiefe des Schlundes war mir unheimlich. Endlich saß die Strickleiter an zwei Haken zuverlässig fest. Ich begann hinabzusteigen. Die Strickleiter schwankte, aber ich hatte bald herausgefunden, wie man an ihr Kletterschluss nehmen musste, damit sie ruhig hing. Ein paar Mal schlug ich unsanft mit dem Körper gegen vorspringende Zacken. Dann fühlte ich mit dem linken Fuß zuerst harte Unebenheiten unter mir. Gleichzeitig Harsts flüsternde Stimme.

»Ich wusste, dass du mir folgen würdest, mein Alter. Ich konnte meinen Posten hier nicht mehr verlassen. Sie waren nämlich schon einmal hier und dürften sehr bald mit einer Harke wiederkehren. Klettere also nach oben und sage den beiden Herren, sie sollen die Köpfe nicht mehr über den Rand hinausrecken und geduldig warten. Dann finde dich hier wieder ein!«

Ich sah nicht eine Spur von Harst. Pechschwarze Finsternis umgab uns. Ich antwortete mit einem kurzen Wird gemacht, führte meinen Auftrag aus und war dann kaum neben Harst wieder angelangt, der mich am Arm packte und nahe an sich heranzog, als meine Augen vor mir scheinbar in endloser Ferne einen hellen Punkt unterschieden, der zeitweise sich in einen verschwommenen Strich verwandelte. Ich kannte dieses Bild des Lichtkegels einer Taschenlampe von anderen nächtlichen Abenteuern her sehr wohl, flüsterte Harst daher zu: »Sie kommen!«

»Ja, sie kommen, lieber Alter. Und sie haben sehr wahrscheinlich einen langen Weg hinter sich, nämlich vom Haus des Agenten Jonathan Purklay bis hierher; immer unter der Erde, immer dem Hauptkanal der alten Kanalisations- und Bewässerungsanlage folgend …«

»Ah, also deshalb …«

»Ja, deshalb fanden wir Doktor Doogston auch im Haus Purklays wieder, besser im Keller des Hauses. Ich sagte mir gleich, dass das alte Kanalisationsnetz jener dahingeschwundenen Kulturepoche des Großmoguls von Lahore eine erhebliche Ausdehnung gehabt haben müsse und dass die Möglichkeit naheliege, ein Hauptarm könne vielleicht gar bis an die Felsspalte neben dem Gubdu-Stein reichen. Daher galt auch meine erste Frage an Major Marconnay, kaum dass ich mich den Herren vorgestellt hatte, diesem alten Kanalisationsnetz. Marconnay erklärte, der Hauptkanal solle einst in nördlicher Richtung und unter dem Rawi-Fluss entlang bis zum Tal von Sangpi, also noch weiter nördlich als der Goranna-Hügel, geführt haben. Palperlon hat also diese längst in Vergessenheit geratene Anlage sehr schlau für seine Zwecke ausgenutzt. Als er und Doogston vorhin bis dort an die Einmündung des Kanals in diesen Felsschlund gelangt waren, bemerkten sie oben am Rand eure gegen den hellen Nachthimmel sich abzeichnenden Köpfe und berieten ziemlich laut, wie sie die Weihgeschenke der Gläubigen, auf denen wir jetzt hocken, in die Kanalmündung hineinziehen könnten. Palperlon kam dann auf den Gedanken, hierzu eine Harke mit langem Stiel zu benutzen. Jetzt still. Sie sind schon sehr nahe …«

Der Lichtkegel in dem horizontalen, breiten Gang vor uns war klarer und größer geworden. Bald konnte ich zwei Gestalten unterscheiden, da der eine Mann die elektrische Lampe nun so hielt, dass ihr Schein nach hinten fiel.

Harst stieß mich an. »Revolver bereithalten!«, hauchte er.

Nun waren die beiden keine zehn Schritt vor uns. Wir hörten eine halblaute Stimme sehr nachdrücklich befehlen: »Vorwärts, Reginald, krieche auf allen vieren weiter nach vorn. Und dann harke behutsam hier in den Gang, was du erreichen kannst …«

Doktor Doogston gehorchte. Hin und wieder klirrte es metallisch, wenn er die Harke an sich zog. Hinter ihm kniete Palperlon am Boden und prüfte den Raub, legte Einzelnes beiseite, schob anderes achtlos von sich. Er schien mit der Ausbeute nicht sehr zufrieden zu sein.

Abermals fühlte ich Harsts Ellbogen; abermals hauchte er mir ins Ohr: »Wirf dich auf Doogston. Den anderen erledige ich. Los denn …«

Leider war mir von der unbequemen Körperstellung der linke Fuß eingeschlafen. Ich kam daher langsamer hoch als Harst, sah ihn bereits mit langen Sprüngen auf Palperlon einstürmen, als ich erst leidlich in Bewegung geriet.

Da –Harst hatte nicht an den Stiel der Harke gedacht, kam mit dem einen Fuß darunter und stürzte der Länge nach hin, raffte sich zwar sofort wieder auf, hatte aber die beiden Männer durch diese verdächtigen Geräusche bereits gewarnt.

Palperlon war wie ein Blitz hochgeschnellt und rannte den Kanal entlang. Auch Doogston wollte hinter ihm her. Harst packte ihn jedoch und schleuderte ihn nach rückwärts mir halb in die Arme. Ich wollte ihn zu Boden zerren, erhielt jedoch einen so sicher gezielten Hieb mit einem Revolverkolben in die Schläfe, dass ich ohnmächtig umsank. Ich erholte mich bald wieder und tastete mich nun, da von Harst nichts mehr zu sehen und zu hören war, bis zur Strickleiter hin, rief den beiden Verbündeten nach oben zu, sie sollten mich an dem Tau hochhieven, erzählte ihnen darauf unser Abenteuer und schlug vor, hier auf Harst zu warten.

Ich hatte so starke Schmerzen, dass ich mich niederlegen musste. Meine linke Stirnhälfte schwoll dick an. Nach einer halben Stunde erschien Harst auf der Strickleiter, schwang sich auf festen Boden und trat zu uns.

»Entwischt«, sagte er achselzuckend. »Wir haben eben Pech gehabt. Palperlon ist der reine Schnellläufer. Außerdem muss er noch einen zweiten Ausgang aus dem Kanal gekannt haben. Daran hätte ich sofort denken sollen. Die Harke konnte er unmöglich in der kurzen Zeit etwa aus Purklays Haus geholt haben. Dieser andere Ausgang wird nicht allzu weit von dieser Felsspalte entfernt gewesen sein. Jedenfalls war er plötzlich verschwunden.«

»Und Doktor Doogston? Sind Sie nicht mit diesem zusammengetroffen?«, fragte der Major gespannt.

»Ja, ich hätte ihn fangen können. Ich wollte es nicht. Ich hatte meine guten Gründe dafür, ihn entwischen zu lassen, denn ich kann diesen Palperlon nur mithilfe Doogstons dingfest machen. Wo ich Doogston nun zu suchen habe, weiß ich! Und dort wird auch Palperlon in der Nähe sein.«

Wir fuhren in dem Kraftwagen der Offiziere mit zu der Militärstation Mian Mir, wurden Marconnays Gäste und scherten uns nicht im Geringsten um den gegen uns von Amritsar aus vorliegenden Haftbefehl.

Unser Kampf gegen Warbatty nähert sich nun seinem endgültigen Abschluss. Das, was darüber noch zu sagen ist, will ich unter einem besonderen Titel schildern.

Der Ausgang dieser monatelangen Hetze ist merkwürdig genug, ihn mit allen Überraschungen und Enttäuschungen ganz eingehend darzustellen.

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