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Die Plauderstube – Der Fächer Kapitel 3

Der Fächer
Eine Kriminalgeschichte

3.

Seit diesem letzten Ereignis der Trennung der beiden Gatten waren zwanzig Jahre vergangen, und wir versetzen uns im Geiste in eine der besten Privatlogen in der großen Oper in Paris. Die heutige Vorstellung ist eine festliche und die unter derer besonderen Patronat der königlichen Familie. Das ganze Haus starrt von Uniformen, reichen Toiletten und bunten Kostümen, die zahlreichen Lichter spiegeln sich millionenfach in den Facetten der Diamanten und Juwelen. Wohin sich das Auge auch wenden mag, eröffnet sich ihm ein interessanten fesselnder Anblick: berühmte oder vornehme Männer und reizende reichgeschmückte Frauen. Hier ein sonnengebräunter Veteran, erst vor Kurzem mit dem Marschallstab belehnt, dort ein berühmter Diplomat, mit einem ganzen Firmament von Ordenssternen und Cordons auf der Brust; hier die Gesandten von mehr als fünfzig Höfen, dort die schönsten Damen aus aller Herren Ländern, und zwischen hinein sogar orientalische Kostüme. Wie immer bei solchen Veranlassungen gewährte schon der Zuschauerraum an sich ein fesselndes Schauspiel und jede einzelne Loge bildete mehr oder weniger einen Anziehungspunkt für die Neugier. Dies war in besonderem Grade auch mit der Loge der Fall, wohinein wir uns versetzt denken, nicht sowohl wegen des hervorragenden Ranges oder der blendenden Schönheit der Dame, welcher sie angehörte, sondern um des außerordentlichen Rufes willen, dessen die Dame bezüglich ihres Reichtums und politischen Einflusses genoss. Die Zeit hatte zwar in ihrem Gesicht große Veränderungen zu Wege gebracht. Allein diejenigen, welche damals auf jenem Marengoball in Havre anwesend gewesen waren, hätten trotz Puder, Schminke, Toilettenkünsten und Parfüm der Inhaberin dieser Loge die Züge der ehemaligen Jorisande de Cardillac wiedererkannt. An ihrer Seite saß eine blendend schöne junge Dame, die sie für eine Verwandte ausgab, die aber eigentlich nur den Lockvogel bildete, welcher die männliche Jugend der vornehmen Welt in ihre Salons zog. So waren denn auch heute nur zwei oder drei Auserwählte aus dem männlichen Teil ihres Zirkels in ihrer Loge zugelassen, mit denen sie jedoch ein ununterbrochenes Kreuzfeuer von Witz, Satire, Scherzen, geistvollen Einfällen und kritischen Bemerkungen unterhielt. Diese Dame ist eine Art Autokratin auf dem Gebiet der Kunst. Ihr Bouquet ist das schönste Ziel der Sehnsucht einer jungen Debütantin, denn ihm folgen mehr als dreißig anderer Bouquets und sichern den Erfolg und den Kredit der jungen Anfängerin. Heute Abend können alle ihre Bekannten bemerken, dass Madame Duravel in ihrer köstlichsten, rosenfarbensten Laune ist.

»Betrachten Sie einmal Madame Duravel!«, hieß es von Mund zu Mund, »ist sie nicht charmant? Es dürfte fürwahr unter unseren modernen Damen nur wenige geben, welche sich in den Fünfzigern so vorteilhaft ausnehmen würden, wie sie!«

Die Oper, welche an diesem Abend aufgeführt wurde, war eine ganz neue. Eine berühmte Sängerin trat in derselben zum ersten Mal auf. Daher wendete sich die Aufmerksamkeit des Publikums in nicht geringem Maße auch der Bühne zu. Der Erfolg der Oper und der Darstellerin der Hauptrolle waren schon mit Beginn des zweiten Aktes so gut wie entschieden, allein nun kam ein meisterhaftes Duett und von Szene zu Szene stieg das Interesse der Zuhörer, da der Komponist wirklich alle Hilfsmittel aufgeboten hatte, um seine Zuhörer förmlich zu überraschen. Die Sängerin wurde vergöttert: Dacapo-Rufe, Herausrufen bei offener Szene, Bouquets verkündigen ihr den errungenen Erfolg. So oft ein Akt schlosst, wurden sie und einige der beliebteren älteren Künstlerinnen und Sänger herausgerufen.

»Heute Abend scheinen die Künstler insgesamt in einem Wetteifer begriffen, um einander zu übertreffen. Lablache, Mario, die Grisi sind ausgezeichnet, das Orchester unübertrefflich!«

»In der Tat, Sie haben recht! Ich habe mich förmlich ergötzt, als ich vorhin die Gesichter der Zuhörer musterte. Niemand scheint zu einer Kritik aufgelegt!«

»Ausgenommen der sauertöpfische Herr hier in der Nebenloge, der einen Damenfächer in der Hand hält!«

»Fürwahr«, sagt Madame Duravel, »ich fragte mich schon längst, was dieser Mensch mit dem fatalen Gesicht in jener Loge zu suchen habe. Aber hört die Klingel des Regisseurs.«

Der Vorhang ging auf und einer der beliebtesten Sänger eröffnete den Akt mit einem Solo. Diese Arie war ein Wunder von korrekter Vokalisation und Phrasierung. Das Auditorium war in einer neuen Raserei des Entzückens und unsere Madame Duravel in einer nicht geringen Verlegenheit, denn sie hatte all ihre Bouquets schon geworfen.

»Geschwind, Eugenie, gib mir die Rose aus deinem Nacken!«, flüsterte sie dem schönen Mädchen zu, das neben ihr saß. »Ich habe Lablache noch nie so wundervoll singen hören, und zum ersten Mal in seinem Leben spielt er ebenso gut, wie er singt. Geschwind deine Rose, mein Kind! Er wird mehr Wert darauf legen als auf alle Bachelets aus der königlichen Loge!«

Das Mädchen zauderte erglühend und Madame Duravel erriet im Nuh die Ursache davon. »Aha, diese Rose hat dir ein gewisser Jemand vorhin ins Haar gesteckt, nicht wahr? Wie böse von mir, dass ich nicht daran dachte. Ja nun, so muss ich ihm ein Armband spenden! Main, mon Dieu! Ich vergaß, dass ich mein Smaragd-Bachelet bereits der kleinen Schelmin von Tänzerin zugeworfen habe.«

»Sie müssen es morgen Lablache sagen, Tante, das wird ihm ebenso lieb sein!«

»Nein, nein! Lablache muss etwas von der Duravel bekommen! Wie, gar keine Bouquets mehr, meine Herren? Da bleibt mir fürwahr nichts anderes übrig, als ihm meinen Fächer zuzuwerfen! Wo ist er, mein Kind? Es ist das Alexander-Fest darauf gemalt. Er wird darin ein absichtliches Kompliment sehen.

Der vermisste Fächer konnte jedoch nicht aufgefunden werden. Die gefälligen Kavaliere suchten vergebens unter den Theaterzetteln und Opernmänteln nach ihm. Da beugte sich der Fremde in der Nebenloge zu Madame Duravel herüber und flüsterte ihr leise und mit eigentümlich tiefer Stimme zu: »Könnte dieser Fächer hier vielleicht Ihrem Zweck entsprechen, Madame?« Dabei reichte ihr der Fremde, dessen ernstes Gesicht und fortwährend forschender Blick die Dame schon den ganzen Abend hindurch unangenehm berührt hatte, einen offenen Fächer hin.

Madame Duravel verbeugte sich mit einem verbindlichen Lächeln und heftete einen Blick flüchtiger Neugier auf den dargebotenen Fächer. Kaum aber war ihr Auge darauf gefallen, so haftete es stier und wie von einem Basiliskenblick angezogen auf der Malerei desselben. Die starren, entsetzt erfüllten Züge der Dante erblassten unter der weißen und roten Schminke. Ihr Blick war mit einer schreckenerregenden Starrheit auf den Fächer gerichtet, ihr ganzer Körper schauerte wie von Fieberfrost durchrieselt, ihre mit Juwelen bedeckten Finger klammerten sich krampfhaft und wie im Todeskampf in die Falten ihres Kleides – ein seltsamer, gellender Schrei entrang sich ihrer Brust, dann brach sie ohnmächtig zusammen. Alle Gäste ihrer Loge drängten sich um sie her, aller Augen waren auf ihre Loge gerichtet. Die Herren wollten teils Eugenie wegführen, teils der Ohnmächtigen beispringen, aber der fremde Herr, welcher rasch über die Zwischenbalustrade der Loge gestiegen war, wies sie zurück und blieb dicht bei dem bewusstlosen Körper Corisandes stehen. Ein wirres Gemurmel erhob sich unter den Logennachbarn, man schrie um Hilfe. Einige wähnten, der Fächer habe ein feines Gift enthalten, welches auf diese Weise Madame Duravel gereicht worden sei, und verlangten laut die Verhaftung des Herren, welcher ihr den Fächer geboten habe. Von allen Seiten des Theaters her gebot man Schweigen; die Vorstellung musste unterbrochen werden, und erst nach einiger Zeit gelang es, die Ruhe wiederherzustellen.

Mittlerweile war es den Herren in jener Lage gelungen, die ohnmächtige Madame Duravel in einen der Vorsäle (Foyers) hinauszuschaffen, wobei jedoch der fremde Herr nicht von ihrer Seite wich. Hier im Vorsaal wurde die Ohnmächtige noch von Krämpfen befallen. Nachdem ein halbes Dutzend der geschicktesten Pariser Ärzte, die der Vorfall aus ihren Logen und dem Parkett herbeigelockt, vergebens alle Hilfsmittel ihrer Kunst aufgeboten hatten, wurde Madame Duravel zu ihrem Hotel gebracht … Sobald die krampfstarren Finger der Ohnmächtigen den Fächer hatten fallen lassen, den sie seither noch umspannt, hob ein Herr aus ihrer Umgebung, bei welchem die Neugierde die Furcht überwog, denselben auf und untersuchte ihn. Der Griff war von Elfenbein, von wunderbar schöner chinesischer Arbeit, und auf dem Fächer von Atlas war die Ansicht eines Badehauses im italienischen Stil inmitten eines Garten gemalt. Unter der Landschaft stand mit großen goldenen Buchstaben in Lapidarschrift:

Außerdem war an dem ganzen Fächer gar nichts Auffallendes oder Ungewöhnliches, was die merkwürdig erschütternde Wirkung, welche der Fächer auf Madame Duravel hervorgebracht hatte, zu erklären oder zu rechtfertigen vermocht hätte.

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