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Die Kreuzfahrer – Erster Band – 1. Kapitel

Felix Dahn
Die Kreuzfahrer
Erzählung aus dem 13. Jahrhundert
Verlag Otto Janke, Berlin, 1884
Erster Band, Erstes Buch
Am Saum der Wüste
Erstes Kapitel

Das Kreuzheer, welches Kaiser Friedrich der Zweite, der Enkel des Rotbarts, in das Gelobte Land führte, war, von Zypern aus überfahrend, am 7. September des Jahres 1228 in Akkon gelandet und von hier die Küste hinabgezogen gen Süden bis nach Joppe.

In dieser Stadt machte man Halt, alsbald wurden Verhandlungen eröffnet: Sultan Alkamil von Ägypten hatte vor Kurzem seinem Neffen, dem Emir Al-Malik an-Nasir Salah ad-Din Dawud von Damaskus, die Heilige Stadt Jerusalem und ein Stück von Syrien entrissen und schickte sich an, das ganze Emirat Damaskus zu erobern.

Diesen in Krieg auflodernden Erbstreit unter den beiden Häuptern der Ungläubigen hoffte Friedrich, der Staatskunst nicht minder als der Feldherrnschaft ein Meister, verwerten zu können: Verträge sollten dem Kreuzheer das Waffenwerk wesentlich erleichtern.

Aber Vorsicht war geboten.

Ob die Verhandlungen glücken, ob sie scheitern würden – niemand vermochte das vorher zu sagen. Und im Heer wusste man gar nicht, welcher der beiden Parteien der undurchschaubare Sohn Heinrichs VI., der den Geist überlegener Staatskunst von seinem Vater geerbt hatte, sich schließlich zuneigen werde, mit wem er die geheimnisvollen Botschaften austausche, welche seine bis in den Tod ihm ergebenen und tief verschwiegenen sizilianischen Araber aus dem Lager vor Joppe in die Wüste hineintrugen, in unbekannter Richtung verschwindend …

Einstweilen aber – das war allbekannt – rückten die Heere der beiden Fürsten, das ägyptische von Süden, das damaszenische von Nordosten drohend gegen Joppe heran. Kam es nicht zur Verständigung, so konnten der Oheim oder der Neffe oder vielleicht, nach einem der in diesem Land so häufigen Umschläge der Interessen oder der Stimmungen, beide plötzlich über die kleine Streitmacht des Kaisers herfallen, ihren bisherigen Hader in den gemeinsamen Hass gegen die Franken versenkend. Deshalb hatte der kriegskundige Staufer nach den beiden bedrohten Seiten hin Vorposten ausgeschickt, welche ein paar Tagesmärsche vor Joppe, in günstiger Stellung jede Annäherung der Feinde beobachten und rechtzeitig melden sollten, nach rückwärts.

Gegen Nordosten, wider Al-Malik an-Nasir Salah ad-Din Dawud, hatte man nur ein paar schwache Fähnlein ausgesendet. Deutsche Kreuzfahrer waren es: Ritter aus dem Allgäu, aus Vorarlberg, aus den Tälern von Inn und Etsch; meist königliche Dienstmannen, Ministerialen des Reichs mit ihren berittenen Knechten.

Sie hatten Stellung auf dem letzten sanften Höhenzug genommen, der dicht vor dem Saum der großen Wüste hinlief.

Ein dünnes Rinnsal salzigen, kaum trinkbaren Wassers sickerte hier durch Sand und Steine zu Tal.

Auf der Hügelkrone wiegten drei Palmen ihre stolzen, Zedern gleichenden Äste leise, wie träumerisch, im Abendwind.

Im Westen, im Rücken des deutschen Lagers, sank rasch die Sonne; ein dunkelroter, matt glühender Ball ohne Strahlen. Dunst und Qualm, aufsteigend aus dem Hitze brütenden Boden, umschlossen bleigrau die glanzlose Scheibe.

Ein Aasgeier, den langen, nackten Hals weit vorgestreckt, flog mit trägem Flügelschlag, hin und wieder heiser kreischend, langsam der Wüste zu.

Unter den Palmen hatte man auf dem heißen Sand, den kein Franke hätte unbeschuht beschreiten können, mithilfe eines alten Segels und einiger gekreuzt eingerammter Speere ein höchst einfaches Zelt aufgeschlagen. Es war ein dürftiges Obdach; fast nur ein Schattenwinkel.

Außer den an Stamm und Blättern vom Wüstenstaub gelbbraun überkrusteten Palmen: ringsum, so weit das Auge blickte, keine Pflanze.

Nur an dem brackigen schmalen Geriesel reckten hie und da spärliche Halme des Wüstenhafers ihre stachligen Rispen starr empor.

Von dort her schritt eine hohe, schlanke Gestalt langsam gegen das Zelt hin. Es war der Ritter, der hier befehligte.

Er führte am Zügel ein Ross, das müde zum Sterben den Kopf hängen ließ.

Den schweren Sattel trug er, an dem Speer befestigt, samt dem langen schmalen Schild auf dem Rücken. Oft bückte er sich, brach wählerisch einzelne saftigere Halme, rieb sorgfältig die scharfen Randspitzen an der Scheide seines breiten Schwertes ab und reichte dann auf der flachen Hand das magere Kraut dem edlen Tier, das mit dankbarem Blick sein Auge suchte.

Vor dem Zelt angelangt, übergab er Schild, Speer, Sattel und Zügel einem jungen Burschen in grünem, nur bis an die Knie reichenden Wollwams, der eilig von dem braunen Lodenmantel aufgesprungen war, auf welchem er geruht hatte. Lichtblonde, fast weiße Haare umstanden ihm das runde Haupt, ganz kurz- und krausgelockt, fast einem Vlies vergleichbar, kaum niedergehalten von dem niedrigen Barett, von dem der Busch des Silberreihers nickte. Seine lachenden blauen Augen waren das einzige Heitere, was weit und breit zu sehen war.

»Herr«, rief er zu dem Hochragenden hinauf, »der Abendtrunk steht längst bereit. Der Wein wird schal, das kostbare Wasser wird lauwarm! Wie würde Frau Wulfheid schelten, ließet Ihr Euch daheim so lang erwarten! Wo wart Ihr?«

»Vorn.«

»Was? Abermals bei der Außenwache? Das sind fast zwei Stunden Weges: Wüstenweges! Und ich sehe es an dem Sand auf den Fußschuppen bis an die Knie hinauf, und um den Braunen zu schonen zu Fuß!«

»Hast du den Abendtrunk schon gemischt, Hezilo? Nein? So teile den Rest von Kyperwein: Bringe die eine Hälfte, dass wir dem Gaul die Nüstern reiben. Morgen muss er ruhen, sattle morgen das Reisepferd.«

Der Knabe holte aus dem Zelt in silbernem Becher eine arme Neige stark duftenden Weines.

»Hier. Und die andere Hälfte?«

»Die bringe ich dem kranken Herrn Heinrich von Eppan hinaus, wenn ich ihn ablöse.«

Beide waren nun eifrig beschäftigt, dem matten Streitross Nüstern und Bug fest mit dem edlen Nass einzureiben.

»Wie? Ihr wollt heute Nacht wieder die Lagerwache halten? Das ist die vierte Reihe, die Ihr für andere übernehmt.«

»Sie waren krank, alle drei.«

»Ihr habt das Fieber selbst!«

»Nicht stark.«

»Lasst mich hatte Nacht für Euch …«

Da schlang der Ritter den Arm um den Krauskopf und drückte ihn an den Kettenpanzer. »Nein, Hezilo! Du musst mir lebfrisch bleiben! Soll ich auch deine Schelmenaugen vom Fieber glasig sehen? Das wäre mir zu viel! Und hab ich es doch dem Trinelein in die Hand versprochen, für dich zu sorgen.«

»Ich werde es ihr erzählen«, sprach der Jüngling mit vor Dank leuchtenden Augen, was Ihr für mich getan habt. Aber was nehmt Ihr nun zum Nachtmahl, Herr Friedmuth?«

»Das Beste, was es an Speise gibt: heimbacken Brot!«

Der Ritter griff in eine dem schweren Sattel eingefügte Tasche und holte ein Stück steinharter Brotrinde hervor.

»Deine Katharina reichte mir beim Abschied einen runden Laib Roggenbrot. ›Nehmt‹, mahnte das Kind. ›Nichts heilt auf der Heerfahrt Hunger und Heimweh wie heimbacken, herdbacken Brot. So lehrte mich der Großvater. Es ist ein alter Spruch!‹ Und ein wahrer«, schloss er und biss hinein.

»Dann sind Hunger und Heimweh bei Euch schwächer als bei mir«, gab der Knabe lachend von sich. »Freilich, mein Heimweh gilt dem Trinele. Man kann wohl nicht ebenso stark Heimweh nach Frau Wulfheid haben.«

Herr Friedmuth runzelte die Stirn.

»Hüt’ die Zung’ sonst schüppl’ ich dir die krause Wolle. Sie ist unter der Sonne die wackerste Frau.«

Und die Herbste! Wie schad’, dass sie kein Mann geworden ist!«

»Sie hat im Wolfsbühler Wald den Eber gespeert, der dich schon angehauen hatte. Du verdankst ihr dein Leben.«

»Ich dankte es lieber jedem anderen Menschenkind. Sagt selbst, weshalb keine Seele sie lieb hat auf der ganzen Welt? Ausgenommen Ihr!«, fügte er langsam bei.

Der Ritter sah nachdenklich vor sich hin. Der Blick der großen, offenen Augen von schönem, dunklem Blau war in das Leere gerichtet. Dann sprach er bedächtig: »Weshalb? Weil sonst keine Seele ihren Kern erkennt.«

Und er beugte das hohe Haupt, um durch den Vorhangspalt in das niedrige Zelt zu gelangen.

»Ja, die Schale braucht was zum Beißen!«, ahmte der Junge lachend ihm nach, während er das Pferd völlig in den Schatten des Zeltes führte und die Zügel um die Schnüre und Pflöcke der Stangen knüpfte. Den dreispitzigen Schild und den langen Eschenspeer des Herrn lehnte er an die Seitenwand.

Als er eintrat, fand er den Ritter hingestreckt auf dem dunkelblauen Mantel, der den Sandboden statt eines Teppichs bedeckte.

Er hatte den schweren glockenförmigen Helm neben sich gesetzt. Das blonde goldfarbige Haar hing ihm schlicht, ungelockt herab. Über der Stirn war es waagerecht geschnitten. Die streng regelmäßigen, schönen, ob zwar nicht gerade fein geschnittenen Züge waren so von dem Haupthaar auf drei Seiten geradlinig umrahmt. Auch der etwas heller blonde Bart war eine Handbreit unter dem starken Kinn quer abgeschnitten. So sahen Haupt und Antlitz strenggebunden, fest bemessen aus. Der gerade, offene, redliche Blick verstärkte den Eindruck schlichter Kraft und steter Treue. Er stützte das Haupt auf die Hand und reckte die starken Glieder.

»Der Panzer, die Kettenringe drücken«, meinte Hezilo, der neben ihm kauerte. »Lasst mich nur die heißen, staubigen Fußringe lösen.«

»Auf der Vorhut?«, schalt der Ritter und schlug die geschäftige Hand mit sanftem Streich zur Seite.

»Auch den Bart solltet Ihr scheren oder scheren lassen«, begann der Jüngling. »Kein Ritter läuft doch heutzutage mit solch breitem starkem Bart unter die Leute: Lange Locken, glattes Kinn heischt jetzt zarter Frauen Sinn.«

»Jawohl«, erwiderte Friedmuth grinsend. »Weil wir hier so viele zarte Frauen haben! Für die heidnischen berittenen Pfeilschützen bei Tag und für die Schakale bei Nacht bin ich zier genug zu schauen.«

Eine kleine Weile vertrug Hezilo das Schweigen. Aber nicht lange. Dann hob er, das Federbarett zurechtrückend, an: »Herr! Ich weiß was.«

»Nicht eben viel!«, prustete der vor Lachen. »Falken kirren und Herrn Walthers Lieder singen; aber falsch!«

»Gut, gut! Und das Trinelein küssen, bis es nimmer weiß, ist es ein Mädel oder ein glühendes Eisen. Das alles zusammen ist auch schon was. Aber ich weiß noch was.«

Herr Friedmuth schien nicht gespannt auf des Falkners weitere Wissenschaft.

»Ich weiß«, fuhr dieser lauter fort, denn es verdross ihn, nicht gefragt zu werden, »weshalb der graue und braune Mönch schon zweimal nach Euch gefragt hat, nicht scheuend den weiten Weg, den vom Teufel gesegneten, von Joppe bis zu uns. Beide Male traf er Euch nicht. Ihr wart gegen die arabischen Reiter ausgezogen. Wisst Ihr, was der von Euch will?«

»Ich will’s gar nicht wissen«, erwiderte der Ritter.

Hezilo schwieg, beleidigt. Er sog an einer Zitrone, welche er im Gürtel trug. Ein braunes, halb nacktes Heidenkind auf der letzten Karawanenstation hatte die Frucht dem schönen Frankenknaben, als er vorüber trabte, an den Kopf geworfen: halb als Geschoss, halb als Geschenk der Gunst.

»Herr«, hob er nach einer Weile wieder an, »aber was anderes weiß ich nicht, was ich gern wissen möchte. Und das wisst Ihr, glaube ich, auch nicht. Und nicht der weise Herr Hermann, des Kaisers und Euer Busenfreund, und – verzeih es mir der heilige Albuin von Brixen! Ich meine, der großmächtige Kaiser Friedrich weiß es auch nicht!«

Herr Friedmuth musste lachen, so drollig sah der Schalk darein. »Nun, was wissen wir denn alle nicht«.

»Warum wir hier sind! In diesem viel gepriesenen Heiligen Land, in dem wahrlich nichts als heiße Hiebe und kaltes Fieber zu holen ist. Zwar, warum ich gerade hier bin, das weiß ich! Und in dem Stück ist Hezilo wieder einmal klüger als der römische Kaiser und all sein Heer. Ich hole mir von Goyen das Trinele – Frau Sälde küsse ihre lichte Stirn! Nicht zwischen der Etsch und Passer, zwischen Jordan und dem Meer. Aber der Herr Kaiser … und Ihr … und gar viele im Heer haben es nicht nötig, sich ein Weib zu holen. Hat mancher an der seinen mehr als genug und ist einfach unter die Heiden gefahren behufs einer Erleichterung! Und ein Trinelein gewinnt doch keiner, denn es gibt nur eins. Und das gehört mir!« Er zog aus dem Brustlatz des grünen Wamses eine mehrere Finger breite Zopfflechte hellblonden Haares, hielt sie vor seine leuchtenden Augen, küsste sie herzhaft zweimal und barg sie wieder mit Sorgfalt. »Aber Ihr, Herr«, fuhr er fort, »was tut Ihr hierzulande?«

»Ei, meine Pflicht.«

»Wie überall und immer! Kein Mensch hat je von Euch was anderes gesehen! Nun ja, Ihr seid des Kaisers Dienstmann. Aber warum ruft er Euch gerade hierher.«

»Ist des Kaisers Sache, nicht die meine.«

Bevor der Jüngling eine Erwiderung fand, schlug ein Reisiger die Zeltvorhänge auseinander und meldete: »Bruder Sebastian. Zum dritten Mal kommt er von Joppe.« Friedmuth machte eine unwillige, abweisende Handbewegung. Aber der Reisige fuhr fort »Er sagt, er bringt ein Schreiben Herrn Hermanns.«

Da flog ein Strahl heller Freude über Friedmuths offene Züge. Er winkte rasch Gewährung.

Hezilo rückte einen niedrigen Fußschemel zurecht und verließ das Zelt.

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