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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – Kapitel XV

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Erstes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XV. Zwei Engelsköpfe

Es handelte sich um einen langen Weg, d’Artagnan kümmert sich aber nicht darum. Er wusste, dass sich seine Pferde an den reichen Raufen des Gebieters von Bracieux gestärkt hatten. Er unternahm also mit vollem Vertrauen die vier oder fünf Tagesmärsche, die er, gefolgt von dem treuen Planchet, zu machen hatte.

Um die Langeweile zu vertreiben, ritten diese zwei Männer beständig nebeneinander und plauderten. D’Artagnan hatte allmählich den Herrn aufgegeben und Planchet hatte völlig die Lackeienhaut abgestreift. Es war dies ein Schlaukopf, der seit seinem improvisierten Bürgertum die freien Bissen der Landstraße sowie das Gespräch und die glänzende Gesellschaft von Edelleuten oft beklagt hatte und in einem Gefühl persönlicher Würde darunter litt, dass er sich durch die beständige Berührung mit Leuten von platten Ideen entwertet werden sah.

Es erhob sich also bald bei demjenigen, welchen er noch seinen Herrn nannte, zum Rang eines Vertrauten. D’Artagnan hatte seit langen Jahren sein Herz nicht erschlossen. So kam es, dass diese zwei Männer, als sie sich wiederfanden, sich auf eine bewunderungswürdige Weise zu verständigen wussten.

Planchet war kein ganz gewöhnlicher Gefährte bei Abenteuern. Er war ein Mann von gutem Rat. Ohne die Gefahr zu suchen, wich er nicht vor Streichen zurück, wie d’Artagnan wiederholt zu bemerken die Gelegenheit gehabt hatte. Er war Soldat gewesen und die Waffen adelten. Und dann mehr als all dies, wenn d’Artagnan seiner bedurfte, so war Planchet ihm auch nicht unnütz. D’Artagnan und Planchet gelangten so gleichsam auf dem Fuß von guten Freunden nach Blaisois.

Auf dem Weg sagte d’Artagnan, den Kopf schüttelnd und auf den Gedanken zurückkommend, der ihn beständig beschäftigte: »Ich weiß wohl, dass mein Schritt bei Athos vergeblich und albern ist, aber ich bin dieses Verfahren einem alten Freund, einem Mann schuldig, der den Stoff zu dem hochherzigsten, dem edelmütigsten von allen Menschen in sich trug.«

»Oh, Monsieur Athos war ein tüchtiger, stolzer Edelmann!«, rief Planchet.

»Nicht wahr?«, versetzte d’Artagnan.

»Ein Monsieur, der Geld ausstreute, wie der Himmel hageln lässt«, fuhr Planchet fort, »ein Mann, der das Schwert mit königlichem Ansehen in die Hand nahm. Erinnert Ihr Euch, Monsieur, des Zweikampfes mit den Engländern in der Umfriedung des Karmeliterklosters. Ach, wie schön und herrlich anzuschauen war Monsieur Athos an diesem Tag, als er zu seinem Gegner sagte: ›Ihr habt verlangt, dass ich Euch meinen Namen sage, Monsieur, desto schlimmer für Euch, denn ich werde genötigt sein, Euch zu töten.‹ Ich war in seiner Nähe und hörte ihn. Dies ist Wort für Wort seine Rede. Und dieser Blick, als er seinen Gegner berührte, wie er es gesagt hatte, und als sein Gegner fiel, ohne nur ein Uff zu sagen. Ach, gnädiger Monsieur, ich wiederhole, es war ein tüchtiger, stolzer Edelmann.«

»Ja«, versetzte d’Artagnan, »alles dies ist wahr, wie das Evangelium. Aber durch einen einzigen Fehler wird er all seine schönen Eigenschaften verloren haben.«

»Ich erinnere mich«, erwiderte Planchet. »Er liebte den Trunk oder vielmehr, er trank. Aber er trank nicht wie andere. Seine Augen sagten nichts, wenn er das Glas an die Lippen setzte. In der Tat, nie war ein Stillschweigen so sprechend. Mir kam es vor, als hörte ich ihn murmeln: ›Tritt ein, Trank und verjage meinen Kummer.‹ Und wenn er den Fuß einen Glases oder den Hals einer Flasche zerbrach, so gab es nur ihn, der es so machen konnte.«

Wohl«, versetzte d’Artagnan, »aber welch ein trauriges Schauspiel harrt unserer heute. Dieser treffliche Edelmann mit dem stolzen Auge, dieser schöne Kavalier, der unter den Waffen so glänzend aussah, dass man sich stets wunderte, dass er einen einfachen Degen statt eines Kommandostabes in der Hand hielt. Er wird in einen gekrümmten Greis mit roter Nase und triefenden Augen verwandelt worden sein. Wir werden ihn auf irgendeinem Rasen liegend finden, von wo er uns mit matten Augen anschaut und vielleicht nicht erkennt. Gott ist mein Zeuge«, fügte d’Artagnan bei, »ich würde dieses traurige Schauspiel fliehen, wenn mir nicht daran läge, dem glorreichen Schatten des erhabenen Grafen de la Fère, den wir so sehr liebten, meine Achtung zu bezeugen.«

Planchet schüttelte den Kopf und sagte nichts. Man sah, dass er die Befürchtungen seines Herrn teilte.

»Und dann«, fuhr d’Artagnan fort, »diese Hinfälligkeit, denn Athos ist jetzt alt; auch Armut vielleicht … er wird das wenige, was er besaß, vernachlässigt haben. Und dann der schmutzige Grimaud, stummer als je, und mehr Trunkenbold als sein Monsieur, … Höre, Planchet, all dies schneidet mir in das Herz.«

»Es ist mir, als sehe ich ihn vor mir, lallend und wankend«, sprach Planchet in kläglichem Ton.

»Ich muss gestehen«, versetzte d’Artagnan, »ich fürchte nur, Athos nimmt meinen Antrag in einem Augenblick kriegerischer Trunkenheit an. Das wäre für Porthos und mich ein großes Unglück und besonders eine wahre Verlegenheit. Aber während seiner ersten Orgie verlassen wir ihn, dann hat die Geschichte ein Ende. Wenn er wieder zu sich kommt, wird er es wohl begreifen.«

»Jedenfalls, gnädiger Monsieur«, sagte Planchet, »werden wir bald hierüber Licht bekommen, denn ich glaube, jene hohen Mauern, welche in der untergehenden Sonne erröten, sind die Mauern von Blois.«

»Das ist sehr wahrscheinlich«, sprach d’Artagnan.

»Reiten wir in die Stadt hinein?«, fragte Planchet.

»Allerdings, um Erkundigungen einzuziehen.«

»Gnädiger Monsieur, ich rate Euch, wenn wir dahin kommen, von gewissen Crême-Töpfen zu genießen, von denen ich viel habe sprechen hören, welche man oder leider nicht nach Paris kommen lassen kann und an Ort und Stelle genießen muss.«

»Gut, sei unbesorgt, wir werden davon essen.«

In diesem Augenblick kam einer von den schwerem mit Ochsen bespannten Wagen, die das in den schonen Waldungen der Gegend gefüllte Holz bis zu den Häfen der Loire führen, auf einem Weg voll von Geleisen auf die Straße, welche die zwei Reiter verfolgten. Ein Mann begleitete diesen Wagen, er hatte in der Hand eine lange Peitsche, woran ein Nagel befestigt war, mit welchem er sein langsames Gespann antrieb.

»He, Freund«, rief Planchet dem Ochsentreiber zu.

»Was steht zu Diensten, Messieurs?«, sagte der Bauer mit der den Leuten dieser Gegend eigentümlichen Reinheit der Sprache, welche die städtischen Puristen der Place de la Sorbonne und der Rue de l’Université beschämen würde.

»Wir suchen das Haus des Monsieur Grafen de la Fère«, sprach d’Artagnan. »Kennt Ihr diesen Namen unter den hohen Messieurs der Umgegend?«

Der Bauer nahm den Hut ab und antwortete: »Messieurs, dieses Holz, welches ich fahre, gehört ihm. Ich habe es in seinem Wald gefällt und bringe es zum Schloss.«

D’Artagnan wollte diesen Menschen nicht befragen; es widerstrebte ihm, von einem andern sagen zu hören, was er selbst zu Planchet gesagt hatte.

»Das Schloss«, sagte er zu sich selbst, »das Schloss! Oh! Ich begreife, Athos ist nicht sehr duldsam; er wird seine Bauern genötigt haben, ihn Monseigneur und sein Nest ein Schloss zu nennen. Er besaß eine schwere Hand, dieser liebe Athos, besonders wenn er getrunken hatte.«

Die Ochsen rückten langsam vorwärts. D’Artagnan und Planchet marschierten hinter dem Wagen; dieser Gang machte sie ungeduldig.«

»Dies ist also der Weg?«, fragte d’Artagnan den Ochsentreiber, »und wir können ihm, ohne Furcht, uns zu verirren, folgen?«

»Oh! Mein Gott, ja, Monsieur«, sprach der Mann, »Ihr könnt ihm ruhig folgen, ohne Euch in Begleitung dieser trägen Tiere zu langweilen. Ihr habt nur eine halbe Meile zurückzulegen und werdet dann rechts ein Schloss erblicken. Man sieht es hier noch nicht wegen einer Wand von Pappelbäumen, die es verbirgt. Dieses Schloss ist nicht Bragelonne, sondern La Vallière. Ihr reitet daran vorbei; aber drei Büchsenschüsse weiter ist ein großes weißes Haus mit einem Schieferdach, auf einem von ungeheuren Maulbeerfeigenbäumen beschatteten Hügel erbaut. Dies ist das Schloss des Herrn Grafen de la Fère.«

»Ist die halbe Meile sehr lang?«, fragte d’Artagnan, denn es gibt in dem schönen Frankreich gar verschiedenartige Meilen.«

»Zehn Minuten Wegs, Monsieur, für die zarten Beine Eures Pferdes.«

D’Artagnan dankte dem Ochsentreiber und gab seinem Ross die Sporen. Aber unwillkürlich beunruhigt durch den Gedanken, den seltsamen Mann wiederzusehen, den er so sehr geliebt, der so viel durch seine Ratschläge und sein Beispiel zu seiner edelmännischen Erziehung beigetragen hatte, ließ er sein Pferd wieder langsamer gehen und senkte den Kopf wie ein Träumer.

Planchet hatte ebenfalls in dem Begegnen und in der Haltung dieses Bauern Stoff zu ernsten Betrachtungen gefunden. Nie hatte er in der Normandie, in Franche-Comté, in Artois, in Picardie, in diesen Ländern, in welchen er sich hauptsächlich aufgehalten hatte, bei den Dorfbewohnern dieses leichte Wesen, dieses artige Benehmen, diese gereinigte Sprache wahrgenommen. Er war versucht zu glauben, er hätte irgendeinen Edelmann gesehen, einen Frondeur, der aus politischen Gründen, wie er, genötigt gewesen wäre, sich zu verkleiden.

An der Biegung des Weges erschien das Schloss La Vallière, wie es der Ochsentreiber gesagt hatte, vor den Augen der Reisenden, dann eine Viertelmeile weiter hob sich das weiße Haus, umgeben von seinen Maulbeerfeigenbäumen, auf dem Grund einer dicken Gruppe von Bäumen hervor, welche der Frühling mit einem Blütenschnee bestreut hatte.

Bei diesem Anblick fühlte d’Artagnan, der gewöhnlich nur sehr wenig in Aufregung geriet, eine seltsame Unruhe in der Tiefe seines Herzens. So mächtig sind das ganze Leben hindurch die Jugenderinnerungen. Planchet, der nicht dieselben Motive zu solchen Eindrücken hatte, schaute, erstaunt, seinen Herrn so bewegt zu sehen, abwechselnd d’Artagnan und das Haus an.

Der Musketier ritt noch einige Schritte vorwärts und befand sich vor einem Gitter, das mit dem Geschmack gearbeitet war, welcher die Gießereien jener Zeit auszeichnete.

Man sah durch dieses Gitter einen sorgfältig gepflegten Küchengarten, einen geräumigen Hof, in welchem mehrere Reitpferde stampften, die von Bedienten in verschiedenen Livreen gehalten wurden, und einen Wagen mit zwei Pferden bespannt.

»Wir täuschen uns oder dieser Mann hat uns getäuscht«, sagte d’Artagnan, »hier kann Athos nicht wohnen. Mein Gott, sollte er tot sein und dieses Gut einem seines Namens gehören? Steig ab, Planchet, und erkundige dich. Ich gestehe, dass ich meines Teils nicht den Mut dazu habe.«

Planchet stieg ab.

»Du fügst bei«, sagte d’Artagnan, »ein vorüberziehender Edelmann wünsche die Ehre zu haben, den Herrn Grafen de la Fère zu begrüßen, und wenn du mit der Auskunft, die du erhältst, zufrieden bist, so nennst du mich.«

Sein Pferd am Zügel führend, näherte sich Planchet dem Tor, ließ die Glocke des Gitters ertönen, und alsbald erschien ein Mann vom Dienst mit weißem Haar, aber von gerader Gestalt, und empfing Planchet.

»Wohnt hier der Monsieur Graf de la Fère?«, fragte Planchet.

»Ja, Monsieur, so ist es«, antwortete der Diener, welcher keine Livree trug.

»Ein Seigneur, der sich vom Dienst zurückgezogen hat, nicht wahr?«

»Ganz richtig.«

»Und der einen Lakaien Namens Grimaud hatte«, versetzte Planchet, welcher mit seiner gewöhnlichen Klugheit nicht genug Erkundigungen einziehen zu können glaubte.

»Monsieur Grimaud ist in diesem Augenblick vom Schloss abwesend«, erwiderte der Diener und begann, an solche Verhöre nicht gewöhnt, Planchet vom Kopf bis zu den Füßen zu betrachten.

»Dann sehe ich«, rief Planchet strahlend, »dass es derselbe Graf de la Fère ist, den wir suchen. Wollt mir also öffnen, denn ich wünsche dem Herrn Grafen meinen Herrn, einen ihm befreundeten Edelmann, zu melden, der ihn zu begrüßen beabsichtigt.«

»Warum sagtet ihr mir das nicht früher?«, sprach der Diener, das Gitter öffnend. »Aber Euer Monsieur, wo ist er?«

»Hinter mir, er folgt mir.«

Der Diener ging Planchet voraus und dieser machte d’Artagnan ein Zeichen, welcher mit pochendem Herzen in den Hof einritt.

Als Planchet auf der Freitreppe war, hörte er eine Stimme, welche aus einem unteren Saale kam und sagte: »Nun, wo ist denn dieser Edelmann und warum wird er nicht hierher geführt?«

Diese Stimme, welche bis zu d’Artagnan drang, erweckte in seinem Inneren tausend vergessene Erinnerungen, tausend Gefühle. Er sprang rasch vom Pferd, während Planchet, ein Lächeln auf den Lippen, auf den Herrn des Hauses zuging.

»Ah, ich kenne diesen Burschen«, sagte Athos, als er Planchet auf der Schwelle erblickte.

»Oh ja, Monsieur Graf, Ihr kennt mich und ich kenne Euch auch sehr gut. Ich bin Planchet, Monsieur Graf, Planchet, Ihr wisst wohl …« Der ehrliche Diener konnte nicht mehr sprechen, so war er betroffen von dem unerwarteten Anblick des Edelmanns.

»Wie, Planchet!«, rief Athos. »Sollte Monsieur d’Artagnan hier sein?«

»Hier bin ich, Freund, hier bin ich, teurer Athos«, rief d’Artagnan stammelnd und beinahe wankend.

Bei diesen Worten trat eine sichtbare Bewegung auf dem schönen Antlitz und den ruhigen Zügen von Athos hervor. Er machte rasch zwei Schritte gegen d’Artagnan, ohne ihn aus dem Blick zu verlieren, und schloss ihn zärtlich in seine Arme. D’Artagnan, welcher sich etwas von seiner Unruhe erholte, drückte ihn mit einer Herzlichkeit, die in Tränen in seinen Augen glänzte, an seine Brust.

Athos nahm ihn nun an der Hand und führte ihn in den Salon, wo mehrere Personen versammelt waren. Alle Anwesenden standen auf.

»Ich stelle Euch«, sprach Athos, »den Monsieur Chevalier d’Artagnan, Lieutenant bei den Musketieren Seiner Majestät des Königs, vor, einen sehr ergebenen Freund und einen der bravsten und liebenswürdigsten Edelleute, die ich kennen gelernt habe.«

Dem Gebrauch gemäß empfing d’Artagnan die Komplimente der Versammelten, gab sie nach Kräften zurück, nahm im Kreis Platz und fing an, Athos prüfend anzuschauen, während das einen Augenblick unterbrochene Gespräch wieder allgemein wurde.

Seltsamerweise war Athos kaum gealtert. Frei von den blauen Kreisen, welche Nachtwachen und Orgien hervorbringen, schienen seine schönen Augen größer und von einem reineren Glanz als zuvor. Sein etwas verlängertes Gesicht hatte das an Majestät gewonnen, was es an fieberhafter Aufregung verloren hatte. Seine trotz der Weichheit des Fleisches immer noch bewunderungswürdige nervige Hand trat blendend unter einer Manchette hervor, wie gewisse Hände von Titian und Van Dyk. Er war schlanker als früher; seine breiten, gut geformten Schultern kündigten ungewöhnliche Stärke an. Seine nun langen, wenig mit grauen durchstreuten, schwarzen Haare fielen zierlich und wellenförmig in natürlicher Biegung auf die Schultern herab. Seine Stimme war so frisch, wie die eines fünfundzwanzigjährigen Mannes, und seine prächtigen, weiß und unverletzt erhaltenen, Zähne verliehen fernem Lächeln einen unaussprechlichen Zauber.

Die Gäste des Grafen, welche an der unmerklichen Kälte der Unterhaltung wahrnahmen, dass die zwei Freunde vor Begierde allein zu sein brannten, schickten sich mit der ganzen Kunst und Artigkeit früherer Zeiten zum Abgang an, zu dieser wichtigen Angelegenheit der Leute von der großen Welt, so lange es noch eine große Welt gab, als man im Hof einen gewaltigen Lärm von Hunden vernahm und mehrere Personen zu gleicher Zeit sagten: »Ah! Raoul kehrt zurück.«

Athos schaute bei dem Namen Raoul d’Artagnan an und schien die Neugierde zu beobachten, welche dieser Name auf seinem Gesicht hervorbringen müsste. Aber d’Artagnan begriff noch nichts; er hatte sich von seinem Staunen noch nicht erholt und wandte sich daher beinahe maschinenmäßig um, als ein hübscher junger Mensch, einfach, aber geschmackvoll gekleidet, seinen mit langen roten Federn geschmückten Hut anmutig abnehmend, in den Salon eintrat.

Diese neue, ganz unerwartete Erscheinung berührte ihn ungemein. Eine ganze Welt von Gedanken stellte sich vor seinen Geist und erläuterte ihm durch alle Quellen seines Verstandes die Veränderung von Athos, welche ihm unerklärlich vorgekommen war. Eine seltsame Ähnlichkeit zwischen dem Edelmann und dem Kind enträtselte ihm das Geheimnis dieses wiedergeborenen Lebens. Er wartete schauend und horchend.

»Ihr seid zurück, Raoul«, sprach der Graf.

»Ja, Monsieur«, antwortete der Jüngling ehrfurchtsvoll, »und ich habe mich des Auftrags entledigt, den Ihr mir gegeben habt.«

»Aber was habt Ihr?«, fragte Athos besorgt, »Ihr seid bleich und scheint aufgeregt?«

»Es rührt davon her«, erwiderte der Jüngling, »dass unserer kleinen Nachbarin ein Unglück widerfahren ist.«

»Dem Fräulein da la Vallière?«, versetzte Athos lebhaft.

»Was denn?«, fragten mehrere Stimmen.

»Sie ging mit ihrer guten Marceline in der Einfriedung spazieren, wo die Holzfäller ihre Bäume abvieren, als ich vorüberreitend sie wahrnahm und anhielt. Sie bemerkte mich ebenfalls und wollte von einem Holzstoß, auf den sie gestiegen war, herabspringen, aber der Fuß des armen Kindes kam falsch auf und sie konnte sich nicht mehr erheben. Sie hat sich, glaube ich, den Knöchel verstaucht.«

»Oh, mein Gott!«, rief Athos, »und Frau von Saint-Remy, ihre Mutter, ist sie davon benachrichtigt?«

»Nein, Monsieur. Frau von Saint-Remy ist in Blois bei der Frau Herzogin von Orleans. Ich fürchte, die erste Hilfe könnte schlecht angewendet werden, und eilte hierher, um Euch um Rat zu fragen.«

»Schickt geschwind nach Blois, Raoul, oder vielmehr nehmt Euer Pferd und reitet schleunigst selbst dahin.«

Raoul verbeugte sich.

»Aber wo ist Louise?«, fuhr der Graf fort.

»Ich habe sie bis hierher gebracht und bei der Frau von Charlot abgesetzt, welche sie mittlerweile den Fuß in Eiswasser stecken ließ.«

Nach dieser Erklärung, welche eine Gelegenheit zum Aufbruch bot, nahmen die Gäste von Athos Abschied von diesem. Der alte Herzog von Barbé allein, der infolge einer zwanzigjährigen Freundschaft mit dem Haus de la Vallière vertraulich zu Werke ging, suchte dies kleine Louise auf, welche weinte, aber, als sie Raoul erblickte, ihre schönen Augen abtrocknete und wieder lächelte.

Der Herzog machte nun den Vorschlag sie in seinem Wagen nach Blois zu führen.

»Ihr habt recht, gnädiger Monsieur«, sagte Athos »sie wird früher bei ihrer Mutter sein. Ihr, Raoul, werdet wohl unbesonnen gehandelt haben und seid an diesem Unfall schuld.«

»Oh! Nein, nein, Monsieur, ich schwöre es Euch!«, rief das Mädchen, während der junge Mann bei dem Gedanken, vielleicht die Ursache dieses Unfalls zu sein, erbleichte.

»Oh Monsieur, ich versichere Euch«, murmelte Raoul.

»Ihr geht nichtsdestoweniger nach Blois«, fuhr der Graf wohlwollend fort, »und entschuldigt Euch und mich bei Frau von Saint-Remy; dann kehrt Ihr zurück.«

Die Farben erschienen wieder auf den Wangen des Jünglings. Nachdem er mit den Augen den Grafen gefragt hatte, nahm er in seine bereits kräftigen Arme das kleine Mädchen, dessen hübscher, vom Schmerz bewegter und zugleich lächelnder Kopf auf seinen Schultern ruhte, und trug es sachte in den Wagen; dann sprang er mit der Leichtigkeit und Eleganz eines vollendeten Stallmeisters zu Pferde, grüßte Athos und d’Artagnan und entfernte sich rasch, neben dem Schlag des Wagens reitend, in dessen Inneres seine Blicke beständig geheftet blieben.

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