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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nick Carter – Inez Navarro, der weibliche Dämon – Kapitel 4

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Inez Navarro, der weibliche Dämon
Ein Detektivroman

Nick Carter und der schöne Dämon

Der Detektiv beschloss, kaum dass er dem Polizeihauptquartier den Rücken gewendet hatte, am Kriminalgerichtsgebäude vorüberzugehen, um sich nach dem Schicksal des Farmers Silas Landgrove zu erkundigen. Gerade vor der Freitreppe stieß er auf Ten Itchi, einen seiner Assistenten, den er trotz der von diesem angelegten ausgezeichneten Verkleidung sofort erkannte.

Das war aber bei Ten Itchi nicht der Fall. Unwillig starrte dieser den vermeintlichen Stutzer vom Lande an, der es mit dummdreistem Lächeln wagte, ihm die Hand auf die Schulter zu legen. Unsanft wollte er die Annäherung zurückweisen und war nicht wenig erstaunt, als ihm Nick sich nun zu erkennen gab.

»Meister, ich muss Ihnen gratulieren«, meinte Ten Itchi unter einem tiefen Atemzug. »Das ist die wundervollste Maske, welche ich je gesehen habe – sie ist zum Schreien echt.«

»Well, mein Junge, nachgerade glaube ich auch daran. McClusky erkannte mich gleichfalls nicht und ebenso wenig Mary, unsere alte Haushälterin. Doch das nur nebenbei. Wie steht es mit Silas Landgrove?«

»Ist freigekommen. Chick sitzt drüben bei ihm in Richard Müllers Saloon; sie haben sich schon angefreundet.«

»Ausgezeichnet!«, sagte der Detektiv. »Ich werde zum Astorhouse (Astorhaus ist eines der ältesten Hotels, am unteren Broadway gelegen) gehen und mich dort in das Schreibzimmer neben den Fernsprecher setzen. Du, mein lieber Ten Itchi, begibst dich jetzt nach der 75th Street und löst Patsy ab. Du hast weiter nichts zu tun, als das bewusste Haus im Auge zu behalten und alle Ein- und Ausgehenden so genau zu betrachten, dass du mir dann von ihnen eine genaue Beschreibung geben kannst. Sollte das junge Frauenzimmer fortgehen, so beschattest du sie natürlich, einerlei, wohin sie auch gehen mag, und führe sie nach San Franzisko oder auf den Mond, verstanden?«

»Gewiss, Meister.«

»Ich denke, es wird dir keine Schwierigkeiten machen, Patsy zu finden?«

Ten Itchi lächelte nur.

»Well, sage ihm, er soll sich vor dem Gebäude der National Park Bank aufstellen, dort werde ich ihn ansprechen. Er soll sich aber etwas beeilen, denn ich will ebenfalls zu dem Haus an der 75th Street.«

Nick Carter hatte kaum das schräg der National Park Bank gegenüberliegende altberühmte Astorhouse erreicht, als er auch schon das charakteristische Anklingeln hörte, welches ihn davon unterrichtete, dass die Botschaft ihm galt. Als er das Hörrohr des Fernsprechers aufnahm, da war richtig Ten Itchi am anderen Ende des Drahtes.

»Ich habe das Haus eine Sekunde lang unbeobachtet gelassen, um Ihnen zu melden, Meister, dass ich Patsy nirgendwo auffinden kann. Er ist nicht hier; ich habe alle Signale erschöpft …«

»Hm, mag sein. Inez wird ausgegangen sein, und er folgt ihr nach.«

»Wüsste ich nicht, dass das gerade Gegenteil der Fall ist, so würde ich das Haus nicht unbeobachtet gelassen haben, um zu telefonieren«, meinte Ten Itchi. »Inez ist zu Hause; ich sah sie noch vor zehn Minuten am Fenster.«

»Hm!«, brummte der Detektiv. »Auch gut. Geh wieder zum Haus zurück und halte scharfen Ausguck.«

Nachdenklich verließ er das Astorhouse.

Ein schlaues Frauenzimmer!, dachte er halb belustigt, halb verärgert. Sie muss Patsy an der Nase herumgeführt haben, und er folgt jetzt irgendeinem gleichgültigen Gänschen statt unserem schönen Schwan. Well, ich will selbst zusehen!

Eine Viertelstunde später bog Nick Carter in die 75th Street ein. Er bemerkte Ten Itchi, nahm aber keinerlei Notiz von ihm, sondern schritt die Treppe zum Eingangstor des bewussten Hauses empor und setzte die Türklingel in Bewegung.

Er brauchte nicht lange zu warten. Ein Halbblut, eine Mischung aus Kubaner und Afrikaner, öffnete die Tür und schaute den Einlass Heischenden mit einem falschen, verschlagenen Blick fragend an.

Nick Carter starrte ihn, getreu seiner Rolle, mit dreistem Lächeln an, wie es Landleute wohl beim Erblicken eines Fremdlings zu tun pflegen.

»Nun, junger Mann«, meinte er gönnerhaft. »Spricht man vielleicht Englisch?«

»Yes, Sir.«

»Nun, dann wünsche ich die Meldung an Miss Inez Navarro befördert zu sehen, wonach ich sie zu sprechen wünsche«, fuhr der vermeintliche Stutzer mit gespreizter Würde fort.

»Wen soll ich melden, Sir?«

»Well, mich!«, meinte der Detektiv großartig.

»Aber Miss Navarro wird nach dem Namen fragen!«

»Wird sie? Tut sie? Aber um Gottes willen, mein Bester – bin ich Hinz oder Kunz? Man kennt mich in Hallow Green, niemand fragt dort nach meinem Namen, aber jedermann zieht vor mir den Hut! Und man soll mich in New York nicht kennen, bloß weil hier ein paar Häuser mehr sind? Doch all right, sagen Sie der Miss, ich bin Mr. Josuah Juniper. Nicht vergessen, junger Mann – sagen Sie das …«

»Well – und was wollen Sie von der jungen Lady?«, erkundigte sich das Halbblut voll unerschütterlichen Ernstes.

»Das werde ich ihr selbst sagen. Sagen Sie ihr, ich hätte Ihnen gesagt, ich würde es ihr selbst sagen, was Mr. Josuah Juniper, Esquire, ihr zu sagen hat.«

Das Halbblut blieb unerschütterlich ernst.

»Miss Navarro dürfte sie kaum empfangen.«

»Wie – was?«, ereiferte sich Nick, indem er vor Erstaunen die Backen aufblies. »Wen nicht empfangen – mich nicht empfangen? Mr. Josuah Juniper, nicht empfangen? Da sind Sie aber auf dem Holzweg, mein Bester! Die Königin von England würde mich empfangen, wenn sie noch am Leben wäre. Sagen Sie, junger Mann, dass ich kein Sheriff, kein Steuererheber bin; ich bin Mr. Josuah Juniper und entschlossen, hier so lange zu warten, bis Miss Navarro mich empfängt – und würde es darüber auch Sommer werden!«

»Wer ist es, Manuel?«, erkundigte sich eben eine tiefe, warme Altstimme vom Treppenhaus aus.

»Ich bin es, Miss Navarro. Ich, Mr. Josuah Juniper!«, rief Nick Carter, der sofort erriet, dass er es mit der jugendlichen Herrin des Hauses zu tun hatte, mit gespreizter Wichtigkeit. »Dieser hoffnungsvolle Jüngling hier will erst meinen ganzen Stammbaum wissen, bevor er mich einlässt …«

»Was wünschen Sie von mir?«, unterbrach das Mädchen den Geschwätzigen, indem sie die Stiegen heruntereilte und im Hausflur erschien.

»Well, ich wünsche mit Ihnen einige Minuten lang zu sprechen, mein schönes Fräulein – ich wurde vom Chef des Detektivbüro hierher geschickt und …«

»Schon recht!«, unterbrach ihn Inez Navarro. »Bitte, treten Sie hier ins Bibliothekszimmer.«

»Sehr verbunden, Miss – Donnerwetter – eh, bitte um Entschuldigung … aber das ist ein prachtvolles Zimmer, äußerst geschmackvoll. So was Schönes haben wir hier in Hollow Green nicht, so schön auch der Parlor von Missis Honeycomb ist. Sie ist die Schwägerin von unserem Pastor und sehr einflussreich – dabei Moses und die Propheten.«

Er machte lachend die Bewegung des Geldzählens; dabei hatte er glücklich sich sämtliche Einzelheiten des Zimmers eingeprägt und zugleich auch Zeit gefunden, die jugendliche Hausherrin zwar verstohlen, aber nichtsdestoweniger eingehend und aufs Schärfste zu betrachten.

In der Tat, Nick Carter musste gestehen, er hatte in seinem ganzen Leben noch nicht eine so wunderbar schöne junge Frau gesehen. Das war ein Liebreiz, ein süßer, bestrickender Zauber, der von dieser holden Frau ausging, wie er in den Sagen der Alten von der minniglichen Frau Venus sonnengleich ausgestrahlt haben mochte. Die da vor ihm stand mit brennenden Augen und leuchtend roten Lippen, mit wundervollem, rabenschwarzem Haar und jenem berückenden Sinneszauber darin, der die Sternennächte des Südens so unvergleichlich verklärt; ebenmäßig, schlank gewachsen wie eine Zeder, geschmeidig wie eine Weidenrute, und doch wieder so kraftvoll entwickelt wie eine Athletin.

Derartig hingerissen von dem unwiderstehlichen Liebreiz ihrer Person, hätte Nick Carter fast ganz ihren schlechten Charakter vergessen, hätte ihn nicht ein verstecktes triumphales Lächeln der schönen Frau daran gemahnt, auf seiner Hut zu sein. Er konnte sich nicht helfen, es lag etwas Grausames in diesem Lächeln, das ihn ernüchterte. Genau so, als ob über eine duftende Rose ein ekliges Gewürm kriecht.

»Goddamn, Miss, ich bin kein Mann von vielen Worten«, stieß er in der plumpen Weise hervor, wie sie ungebildeten Leuten, die sich gern auf den verfluchten Schwerenöter herausspielen möchten, eigen zu sein pflegt, »aber Sie sind sozusagen über alle Maßen schön – man möchte sein Herz an Sie verlieren …«

»Bitte, tun Sie das nicht, denn ich hebe wertlose Fundstücke nicht auf!«, unterbrach ihn das Mädchen mit hochmütigem Naserümpfen. »Sie sind Detektiv?«, fuhr sie dann in geschäftsmäßigem Ton fort, ihn dabei durchdringend fixierend.

»No, ich denke nicht, dass ich das gesagt habe«, bemerkte Nick nun schnell, »ich äußerte, der Chef vom Detektivbüro habe mich hierher geschickt. Well, er ist ein guter Freund von mir, Miss – und er behauptete, Sie hätten mit diesem Carruthers nichts zu schaffen. Ich behauptete nun das Gegenteil, ist ja auch selbstverständlich – oder ist es nicht, Miss? Well, wir wetteten miteinander um 100 Dollar, und ich bin nun hierhergekommen, um Sie nach dem richtigen Sachverhalt zu fragen, denn Sie müssen es doch am besten wissen, ob Sie dem Teufelskerl zur Flucht verholfen haben oder nicht, eh? Habe ich nicht recht?«

»Das weiß ich nicht; jedenfalls haben Sie recht mit der Behauptung, nicht das Pulver erfunden zu haben.«

»Aber das habe ich ja gar nicht behauptet!«, stotterte der angebliche Mr. Josuah Juniper.

»Nein, aber es ist ein wahres Glück, dass es schon erfunden worden ist. Doch was wollen Sie sonst noch, Mr. Turnip Juniper?«

»Josuah Juniper«, beeilte sich dieser zu verbessern. »Well, ich warte auf die Geschichte.«

»Auf welche Geschichte?«, unterbrach ihn die jugendliche Hausherrin kopfschüttelnd.

Nick Carter zwinkerte vertraulich.

»Eh, Sie machen mir doch nichts vor«, grinste er. »Die Geschichte, wie Sie den Carruthers losgeeist haben. Ich bin ein alter Fuchs. Mit Respekt zu sagen, Miss; so ein schönes Frauenzimmer wie Sie setzt sich doch nicht mir nichts, dir nichts, in einen Gerichtssaal neben einen ganz gemeinen Verbrecher und Mörder, hat sie nicht ihre guten Gründe dafür.«

»Well, Mr. Juniper, als ich dies tat, da wusste ich nicht, dass Mr. Carruthers ein Mörder ist.«

Der Detektiv zwinkerte wieder mit verkniffenen Augen.

»Eh, haben wir seither unsere Meinung geändert?«, erkundigte er sich.

Inez Navarro hatte sich in ihren Sessel zurückgelehnt und das Kinn in die Hand gestützt. »Ich weiß wirklich selbst nicht, für wen und was ich Morris Carruthers jetzt halten soll«, versetzte sie wie im Selbstgespräch, und ein ganz leiser Seufzer schien dabei über ihre Lippen zu schlüpfen. »Wahrhaftig, vor dieser schrecklichen Gerichtsverhandlung wusste ich nicht, dass es wirklich derartige Räuber und Mörder in der Welt geben könnte. Man liest darüber, aber das sind keine Erfahrungen, und nur solche an Menschen von Fleisch und Blut können uns überzeugen. Alles andere erhitzt nur die Einbildungskraft und zeitigt höchstens fantastische Bilder, von denen man sich entsetzt, die man aber nicht zu begreifen vermag – und was Mr. Carruthers anbetrifft, so gestehe ich freimütig, dass ich heimlich mit ihm verlobt bin und dass nur der Glaube an seine Unschuld, und weil ich diesen vor aller Welt kund zu tun wünschte, mich zu dem überspannten und törichten Einfall veranlasste, während der Gerichtsverhandlung an seiner Seite zu sitzen.«

»Well, Sie werden wohl auch geglaubt haben, dass Ihre bezaubernde Gegenwart ihre Wirkung auf die Herzen der Geschworenen nicht verfehlen könnte!«, warf der Detektiv schalkhaft ein.

»Das will ich zugeben«, gestand die junge Hausherrin freimütig.

»Well, Sie waren die ganze Woche Tat für Tag im Gerichtssaal?«

Inez Navarro nickte nur.

Der vermeintliche Landonkel lachte wieder mit plumper Vertraulichkeit.

»Na, schönes Fräulein«, meinte er, »nun geben Sie einmal Ihrem Herzen einen Stoß; mich machen Sie doch nicht dumm. Hand aufs Herz, wussten Sie nicht um die Fluchtabsichten dieses Morris Carruthers?«

Die Gefragte schaute ihn ernsthaft an und nickte leise.

»Sie sollen die Wahrheit wissen: Ja, ich hatte die unbestimmte Idee, dass Mr. Carruthers einen Fluchtversuch wagen wollte. Doch wann, wo und unter welchen Umständen – das alles entzog sich meiner Kenntnis vollständig.«

»Hm!«, knurrte Nick Carter, nachdenklich den Kopf wiegend. »Sagen Sie mal, Miss Navarro, haben Sie etwa schon wieder von Morris Carruthers gehört? Well, Sie brauche nicht rot zu werden«, setzte er mit einem unverschämten Lächeln hinzu. »Liebesleute schreiben einander doch, zumal unter solchen Umständen.«

»Sie fragen recht merkwürdig, lieber Herr, und ich könnte ihre Fragen mit vollem Recht unbeantwortet lassen – nicht wahr?«, entgegnete nun das schöne Mädchen mit einem allerliebsten spöttischen Lächeln um die Korallenlippen. »Doch ich will offen sein. Ja, ich hörte von Mr. Carruthers seit seinem Entweichen zweimal – und mehr noch, wenn Sie die beiden Lebenszeichen, die er mich geschickt hat, sehen wollen, so stehen sie zu Ihrer Verfügung, Mr. Jupeidi – oder wie sie sonst heißen.«

Es bedurfte seiner vollen Geistesgegenwart, um bei diesem kühnen Schachzug seiner schönen Gegnerin gelassen zu bleiben. Doch Nick Carter blieb ruhig und lächelte nur geschmeichelt.

»Da können Sie drauf wetten; her mit den Liebes-, wollte sagen Lebenszeichen!«

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