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Blutrosen – 2 – Das Duell

Blutrosen
Schauererzählungen
frei nach dem Französischen des Eugène Sue, Alexandre Dumas d. Ä, Honoré Balzac, Victor Hugo und andere
Verlags-Comptoir. Breslau. 1837
Druck von M. Friedländer in Breslau
Erster Teil

Das Duell

Wir lagen bei Malta vor Anker. Die Offiziere des englischen Schiffes Genoa bewirteten die Offiziere unserer Fregatte. Ich saß bei Tisch zwischen zwei Offizieren. Mein Nachbar rechts war ein Dreißiger, von edler schlanker Gestalt und dunkelbraunem Haar. Eine gewisse Sympathie musste mich zu ihm hingezogen haben, denn ehe die Mahlzeit begonnen hatte, kannten wir uns noch nicht, und beim Nachtisch waren wir schon sehr vertraut. Wir hatten einander über unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und ich möchte beinahe sagen über unsere Wünsche für die Zukunft, beinahe nichts mehr mitzuteilen.

Nach dem bei unseren Gastmählern mit den Engländern eingeführt im Gebrauch, fing man an, die Füße der Gläser zu brechen, sodass man immer sein Glas austrinken musste, wenn man einmal eingeschenkt und auf einen der unzähligen Toasts angestoßen hatte. Nach dem Wein wurde Punsch herumgegeben, wovon wir in ungeheurer Menge tranken, sodass wir zuletzt sehr gesprächig und zu einer unbegrenzten Offenheit geneigt wurden.

Mein neuer Freund, welcher, wie er mir gesagt hatte, gewöhnlich gar keinen Wein trank, hatte mir zu Ehren an diesem Tag eine Ausnahme gemacht. Er schien sich bei dem Punsche sehr wohl zu befinden. Sein bleiches Gesicht belebte, seine Wangen röteten sich, seine Augen glänzten, seine Unterhaltung wurde immer lebhafter, immer vertrauter.

Nun wurde von einigen der ausschweifenden Seeleute über das Thema Die Liebe und ihre Gewalt, gesprochen. Seeleute geben sich sonst gewöhnlich sehr wenig mit der Theorie dieses zarten Zeitvertreibes ab, sie halten sich an die Praxis. Man erzählte Verschiedenes und stritt hin und her.

»Die Toren«, sagte Wolf zu mir, indem er sein Glas mit solcher Gewalt auf den Tisch stieß, dass es zersprang, »sie sprechen wie der Blinde von der Farbe. Kommen Sie, wir wollen einen Spaziergang auf dem Deck machen.«

Wir stiegen hinauf. Die Luft war warm und drückend. Die Flaggen der Schiffe hingen an den Masten herunter.

»Halt! bleiben wir hier«, sagte mein Freund, indem er mich am Arm fasste und mit funkelnden Augen ansah. »Sie sind der erste Mann, mit dem ich mich so recht verstehe. Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die mir begegnet ist. Doch sie muss strenges Geheimnis unter uns bleiben«, fügte er mit wildem Blick hinzu. »Soll mich der Teufel holen, wenn ich weiß, warum ich Ihnen diese Mitteilung mache! Ist es der Punsch oder das Verhängnis, welches mich dazu treibt, aber ich kann nicht mithin, Ihnen zu erzählen, obwohl Sie mich für den schändlichsten Menschen halten werden, wenn Sie meine Geschichte gehört haben. Indes ich kann nicht anders. Übrigens, wenn ich mich morgen meiner Torheit erinnere, die ich in halber Trunkenheit begangen habe, ist es leicht möglich, dass ich Sie bitte oder zwinge, sich mit mir über das Schnupftuch zu schießen. Mein Geheimnis geht dann mit Ihrem Tod unter oder wird durch den meinen gleichgültig.«

Ich wollte einige Einwendungen machen, weniger aus Furcht als meines neuen Freundes wegen, er aber ließ mich nicht zu Worte kommen, zog mich neben sich aufs Hackbord, drückte mir heftig die Hand und begann:

»Vor ungefähr zwei Jahren war ich während des Krieges Befehlshaber einer Goélette im Mittelmeer. Meine Amtspflichten beschränkten sich darauf, von Zeit zu Zeit Kauffartheischiffe zu geleiten. Wir lagen bei Portovenere, einem kleinen italienischen Hafen, zwischen dem Meerbusen von Genua und von Especia, vor Anker. Ich konnte mich unbedingt auf meinen Lieutenant verlassen und begab mich häufig an Land, so traurig es auch im Städtchen Portovenere aussah. Der Grund davon war, dass ich dort Bekanntschaft mit einem Mädchen gemacht hatte, deren Vater Hafenkapitän war. Ich weiß nicht, wie sie nach Italien gekommen war, denn sie stammte aus Peru und hieß Peppa.

Lieber Freund, stellen Sie sich ein Mädchen von sechzehn Jahren vor, mit einem etwas bräunlichen Teint, dunklen feurigen und doch so süß schmachtenden Augen, Lippen wie Korallen, Zähnen wie Elfenbein, einer schlanken Taille und vollen Hüften und einer Fülle von langen, schwarzen Haaren, und sanft gebogenen Augenbrauen von gleicher Farbe.

Ach, Freund, wenn Sie Peppa gekannt hätten, in einem leichten, bloß mit einem Gürtel um die Hüften befestigten Battistkleid, sich in der freien Luft in ihrer Binsenmatte schaukelnd . . . bei Gott es war zum Tollwerden! Auch ich wurde es.

Ihre Mutter war früh gestorben, ihr Vater ein alter, braver, etwas einfältiger Mann. Der Dienst brachte mich mit ihm in beständige Berührung. Ich bemühte mich, ihm gefällig zu sein. Er wusste es mir Dank und öffnete mir sein Haus. Das wollte ich eben. Peppa war tugendhaft und besaß feste religiöse Grundsätze. Ich trug auch solche zur Schau, um mit deren Einfluss den meinen zu verbinden. Einmal hatte ich ihr gesagt: ›Peppa mich dünkt, es ist ein großer Egoismus, für sich selbst zu beten! Wenn Sie wollen, beten Sie für mich, und ich will für Sie beten!‹

Sie ging den Tausch ein, und da sie mich einer Tages fragte, was ich den Himmel am meisten bäte, antwortete ich: »Mein einziges und inständiges Gebet ist: Lieber Gott, gib dass Peppa mich so liebt, wie ich sie liebe!«

Sie errötete, war fast böse und sagte, dass sie im Gegenteil nichts inbrünstiger vom Himmel erflehe, als mich nicht zu lieben. Leicht können Sie denken, dass dieses Geständnis mich noch verliebter machte. Endlich gelang es mir, sie von meiner Leidenschaft zu überzeugen, die so aufrichtig, so heftig war, wie man nur denken kann. Ich liebte zum ersten Mal und liebte mit aller Glut, ja Raserei der Jugend. Und welch edles Herz hatte ich gefunden!

Eines Tages sagte Peppa zu mir: ›Es freut mich sehr, dass Sie verheiratet sind, Wolf, denn da ich arm bin, so werden Sie wenigstens nicht denken, dass ich Sie liebe, um Ihre Frau zu werden, oder weil Sie reich sind.‹

›Sie sind also verheiratet?‹, sagte ich zu meinem Freund Wolf.

›Keineswegs‹, erwiderte er, ›aber ich hatte mich dieser List bedient, um genau die Stärke und Art ihrer Liebe kennen zu lernen. Ohne diese Vorsicht fürchtete ich, wie der künftige Ehemann geliebt zu werden, welches doch etwas sehr Langweiliges ist. Doch hören Sie weiter.‹

Eines Tages, als Peppas Vater in eigener Person ein verdächtiges Schiff untersuchte, fand er es voller Kranke, die man noch nicht angezeigt hatte, und war also selbst genötigt, unter der Aufsicht der Gesundheitswachen mit ihnen eine achttägige Quarantäne zu halten.

Stellen Sie sich meine Freude vor! Peppa blieb allein mit einer alten Erzieherin. Nachdem ich, mich in einer gemessenen Entfernung von dem Schiff haltend, den Vater getröstet hatte, begab ich mich an Land zu seiner Tochter, um sie um das zu bitten, was ich täglich bat. Allein je dringender ich wurde, desto sparsamer fielen ihre Gunstbezeugungen aus. So ging es sechs Tage. Am siebenten war ich fest entschlossen, mir eine Kugel durch den Kopf zu jagen, allein, da ich das, was ich einmal wollte, auch stets ernstlich wollte, so musste Peppa, freiwillig oder mit Gewalt, vor meinem Tod mein sein. Sie hatte mir ihre Liebe gestanden, der Besitz war daher nur noch eine bloße Formalität. Nicht wahr?«

Ich entgegnete meinem Freunde mit einem etwas zweifelhaften Hm! und bat ihn fortzufahren.

»In dem Augenblick, als ich mich an Land begeben wollte, brachte ein Kadett Depeschen vom Admiral. Ohne einen Grund anzugeben, befahl mir derselbe am anderen Morgen mit Tagesanbruch unter Segel zu gehen und zu dem Geschwader zu stoßen. Ich glaubte vor Schreck in die Erde sinken zu müssen. Nicht im Entferntesten hatte ich an meine Abreise gedacht. Indes erteilte ich Befehle für den anderen Morgen und begab mich an Land, um meiner Peppa die Nachricht mitzuteilen. Ohne einer bestimmten Absicht bewusst zu sein, hatte ich immer meine Pistolen mit mir genommen.

›Morgen muss ich dich verlassen, Peppa, um dich vielleicht nie wieder zu sehen‹, sagte ich zu ihr.

›Wie! Du gehst? Schon morgen?‹, rief sie mit einer Freude, die mir unerklärlich war. Dann fiel sie mit den Worten Großer Gott, ich danke dir! auf die Knie.

›Peppa! Was soll das?‹, fragte ich.

Sie aber warf sich voll Entzücken an meinen Hals und bedeckte mich mit Küssen. ›Du gehst«, sagte sie, »aber nicht eher als morgen, und diese Nacht noch gehört uns. Es ist die erste und einzige! Ach Geliebter, das Andenken an sie und deine Peppa soll ewig in deiner Seele leben. Du wirst deine Peppa verlassen‹, fügte sie in der höchsten Aufregung einer leidenschaftlichen Frau hinzu. ›Du wirst sie verlassen, dich weit entfernen, aber dich dann nach ihr sehnen, mehr denn je. O, du weißt nicht, kannst nicht wissen, wie unendlich ich dich liebe, und welche Überwindung es mich gekostet hat, dir zu wiederstehen. Aber siehe, Geliebter, so habe ich stets mir die Liebe geträumt. Einen Tag, einen einzigen Tag des unaussprechlichsten Glückes will ich genießen, aber nur einen einzigen, damit er einzig sei in all meinen Tagen! Mein ganzes Leben muss ich in diesem einzigen Tag leben; denn täuscht mich meine Ahnung nicht, so werde ich dich nie wiedersehen, und täuscht sie mich, so erlangst du in Zukunft nichts mehr von mir.‹«

»Ihre Peppa war ein seltenes Wesen«, sagte ich zu meinem Freund. »Sie waren zu beneiden, Sie müssen sehr glücklich gewesen sein.«

»Um wahnsinnig zu werden! Ich kehrte schnell an Bord zurück, um für den nächsten Morgen meine Befehle zu erteilen. Es war etwa drei Uhr nachmittags, als ich allein eine Jolle bestieg, um mich unbemerkt an Land zu begeben. Ich ruderte nahe an dem Schiff des Vaters meiner Peppa vorbei, um mich fest zu überzeugen, dass die Zeit der Quarantäne nicht vor dem anderen Morgen abgelaufen sein würde. Ich sah den würdigen Kapitän, der mir viele Grüße an seine Tochter auftrug. Nun richtete ich mein Fahrzeug gegen den Teil der Küste, an welchen Peppas Garten stieß.

»Aber Sie sagen mir nichts von den Skrupeln«, unterbrach ich meinen Freund, »die Sie bei dem Anblick des vertrauensvollen guten Alten fühlen mussten, dessen Tochter Sie verführen wollten?«

»Zum Henker, mein Freund«, antwortete er mir heftig, »an meiner Stelle würden Sie ebenso wenig daran gedacht haben. Skrupel? Kann man Skrupel haben, wenn man in die Arme einer Peppa eilt? Bedenken Sie doch, dass sie meiner wartete, dass sie ihre alte Erzieherin entfernt hatte, dass sie allein, ganz allein, und von demselben Feuer entbrannt war, welches mich verzehrte. Sie können sich denken, in welchen süßen Träumereien ich schwelgte, als ich, nahe daran zu landen, einen Menschen zu bemerken glaubte, der um die Felsen, welche das Fahrwasser begrenzten, herum, auf mich zu schwamm. Mein Zweifel wurde bald zur Gewissheit; ich sah einen sonnverbrannten, krausköpfigen Menschen, der immer schwimmend mir Zeichen machte, auf ihn zu warten. Ich ließ mein Segel nieder und blieb liegen. Er kam heran und fragte mich, ob ich ein Offizier der Goélette sei.

›Ich bin der Kommandant‹, antwortete ich.

›Dann Herr Kapitän, kann ich mir die Mühe sparen, bis an Ihr Schiff zu schwimmen. Hier ist etwas für Sie allein.‹

Bei diesen Worten löste er von seinem Hals eine kleine bleierne Kapsel, welche er mir mit der einen Hand überreichte, indes er sich mit der anderen auf das Steuerruder meines Bootes stützte und so auf der Oberfläche des Wassers blieb, ohne zu schwimmen. Ich öffnete die Kapsel mit meinem Dolch und las, denken Sie sich meinen Zustand, las einen zweiten Befehl des Admirals, unter Segel zu gehen, und zwar nicht erst am anderen Morgen, sondern in demselben Augenblick, wo ich diese Botschaft erhalten würde. Die Schnelligkeit meiner Goélette war bekannt, und er befahl mir, mich unmittelbar zu ihm zu begeben, um einen Auftrag von der äußersten Wichtigkeit auszuführen. Noch hätte ich, Zeit, den Hafen zu verlassen, aber am anderen Morgen, vielleicht schon diesen Abend möchte es unmöglich sein, denn die Franzosen würden vor Portovenere kreuzen; ja sie könnten in diesem Augenblick vielleicht schon da sein. Dieses befürchtend sende er, der Admiral, mir daher von Especia seinen Schiffspatron, einen sicheren, ihm ergebenen Mann, dem er befohlen habe, sein Boot bei dem Felsen außerhalb des Fahrwassers. zu lassen, um womöglich in die Reede hinein zu schwimmen, damit nicht sein Fahrzeug von dem Feind bemerkt werde, im Falle dieser bereits nahe am Hafen kreuze.

Leider war es diesem verwünschten Patron gelungen, die Befehle seines Admirals auszuführen und, mit der Hand aufs Steuer gestützt, und seine grauen Augen auf mich heftend, sagte er: ›Da Sie Sich also an Bord begeben werden, Herr Kapitän, so haben Sie die Güte, mich mit sich zu nehmen. Mein Admiral hat mir befohlen, wenn ich den Franzosen und Haifischen entginge, ihre Goélette zu besteigen. Den Franzosen bin ich nicht ohne Mühe entgangen, denn ich sah eine Fregatte und eine Brigg unter dem Wind, und wenn wir nicht alle Segel beisetzen, so möchte es in einer halben Stunde zu spät sein, Herr Kapitän.‹«

»Alle Teufel! Und Peppa?«, unterbrach ich Wolf.

»Geduld«, erwiderte er. »Ich sitze bei Ihnen zur Beichte und muss Ihnen also alles erzählen, was mir in diesem teuflischen Augenblick durch den Kopf ging. Ha! Ich erinnere mich meiner damaligen Idee, als wenn ich sie gestern gehabt hätte. Vielleicht ist das deswegen, weil ich so oft daran denke«, fügte Wolf finster nach einem kurzen Stillschweigen hinzu.

Mein erster Gedanke war, dass ich nicht gehen würde. Unfehlbar wurde ich erschossen, aber das war mir gleichgültig. Ich war am Morgen schon entschlossen, mich selbst zu erschießen, wenn ich von Peppa nichts mehr erlangen würde. Von dieser Seite also hatte ich keinen Zweifel mehr. Nur darum handelte es sich, wie sollte ich mich dieses verwünschten Patron entledigen! Warum hat ihn nicht ein Haifisch verschlungen, dachte ich, denn dann hatte er mir nicht die Befehle des Admirals überbringen können, und ich brauchte nicht eher als den anderen Morgen abzusegeln; freilich mit der Gefahr den Feind zu treffen. Aber ich hatte doch diese langersehnte köstliche Nacht für mich; und morgen, bei Tagesanbruch, noch glühend, noch berauscht von Peppas letzten Küssen und Umarmungen, einen wütenden ruhmvollen Kampf gegen einen ungeheuer überlegenen Feind zu bestehen.

»Das war in der Tat herrlich«, sagte ich, »und wäre nicht dieser verwünschte Patron gewesen.«

»Ja, ja, dieser verwünschte Patron«, fuhr Wolf bitter­lächelnd fort. »Aber ich vergaß, Ihnen zu sagen, dass in dem Augenblick, wo ich diese Betrachtungen über die Befehle des Admirals gemacht hatte, meine Jolle durch einen starken Strom unmerklich zu einer Stelle hingetrieben wurde, welche der im Mittelmeer so häufigen vulkanischen Strudel wegen äußerst gefährlich war. Ich wurde aus meinen Gedanken durch einen Schrei des Patrons gerissen, der arglos meinem Boote folgte, an welchem er sich festhielt. Er hatte, sich plötzlich vom Strudel ergriffen fühlend, das Steuerruder losgelassen und ward wie ein Kreisel herumgetrieben. In Todesangst rief er mir zu: ›Werfen Sie mir schnell ein Ruder zu oder ich bin verloren!‹

Wäre ich meiner ersten Bewegung gefolgt, ich hätte ihm meinen Bootshaken zugeworfen, um sein Leben zu retten …«

»Aber die zweite, Wolf«, sagte ich beklommen, »welches war ihre zweite Bewegung?«

»Meine zweite Bewegung!«, antwortete Wolf finster und kalt, »war nichts zu tun, sondern mit teuflischer Freude zuzusehen, wie der Strudel den Unglücklichen hinunterzog. Er verschwand, indem er mir noch zurief: ›Mörder!‹ Ja, ich war sein Mörder, denn sein Leben war in meiner Gewalt, und es wäre mir ein Leichtes gewesen, ihn zu retten.«

Ich erhob mich rasch, aber Wolf hielt mich zurück und sagte bitter lächelnd: »Mensch mit dem zarten Gewissen, siehe in das Innerste deiner Seele hinab … untersuche die verborgensten Falten deines Herzens … bedenke die ganze Trunkenheit meiner wahnsinnigen Liebe, der ich schon mein Leben zum Opfer zu bringen bereit war … erwäge wohl, dass die vollkommenste Straflosigkeit mir zugesichert war … dass in einem tiefen Grab, tief wie der bodenlose Abgrund, der den Patron verschlungen hatte, mein Geheimnis schlief … bedenke, dass der Zufall alles getan hatte … dass der Gedanke, niemand kann es wissen, oft die strengste Tugend erschüttert, denn nicht selten ist die Tugend nichts weiter als Furcht vor Öffentlichkeit … mit einem Wort, sag dir alles, was ich mir in meiner fürchterlichen Lage Beruhigendes sagen konnte … denk vor allem, dass ich mit Raserei liebte, dass ich auf dem Punkt war, das zu verlieren, was allein der Tod dieses Menschen mir gewähren konnte. Und nun wage es, mir bei der Seele deiner Mutter zu schwören, dass du anders gehandelt hättest!«

Wolf sah mich dabei mit einem scharfen, kalten Blicke an, der mir das Herz durchbohrte.

Dann fuhr er fort: »Ich will nichts sprechen von jener seligen Nacht, die ich mit Peppa verlebte. Mehr als zwei Jahre sind seitdem verflossen … Peppa ist längst tot … doch bei der bloßen Erinnerung, wie klopfen meine Adern … wie wallt mein Blut!

Am andern Morgen geschah, was der Admiral voraus gesehen hatte; die Franzosen landeten bei Portovenere. Mit Tagesanbruch erreichte ich meine Goélette, und ich muss Ihnen gestehen, dass ich mit Unempfindlichkeit die armen Burschen betrachtete, welche durch meinen Ungehorsam auf die Schlachtbank geführt werden sollten. Denn wäre ich den Befehlen des Admirals nachgekommen, so hätten wir ein mörderisches Gefecht vermieden.

Meine Mannschaft war erprobt in manchem heißen Tag; ich feuerte noch ihren Mut an, und wir verließen das Fahrwasser mit dem festen Entschluss, uns in den Grund bohren zu lassen. Besonders war das meine Absicht.

Die Goélette schwamm mit ihren langen Achtzehnpfündern wie ein Fisch. Da sahen wir eine Brigg und eine Fregatte, die Erstere vor, die andere unter dem Wind. Die Brigg machte Jagd auf uns und kam nahe an uns heran. Nach einem blutigen Gefecht, in welchem ich zwei Mal verwundet wurde, verließ sie uns, nachdem sie auf das Jämmerlichste zugerichtet war. Die Fregatte, welche ihre Schusslinie passieren musste, um uns zu erreichen, fing nun an, uns zu beschießen, und es wäre wohl um uns geschehen gewesen, wenn nicht ein glücklicher Zufall uns zu Hilfe gekommen wäre, durch welchen wir ihren Hauptmast herunterwarfen. Auf unserem Schiffe war nur einiges Takelwerk zerschossen, wir entkamen glücklich und vereinigten uns am Abend mit dem Admiral.

Ich hatte vor dem Treffen achtzig Leute und vier Offiziere. Bei dem Admiral angekommen, zählte ich nur noch einen Kadetten und zweiundzwanzig Matrosen; die Übrigen waren geblieben.

Der Admiral lobte meinen Mut, versprach mir baldige Beförderung, bedauerte aber sehr den Tod seines Patrons, welcher, wie er glaubte, von einem Haifisch verschlungen oder, ehe er mein Schiff erreichen konnte, vom Krampf ergriffen worden.

›Wie schade‹, sagte er, ›dass der Unglückliche Ihnen nicht meine Befehle überbringen konnte, wir würden dann nicht den Verlust so vieler tapferer Leute zu betrauern haben, doch‹, fügte er hinzu, ›wir hätten dann auch nicht Gelegenheit gehabt, Ihnen zu diesem so glorreichen Treffen Glück zu wünschen, Herr Kapitän Wolf.‹

Zwei Monate später belohnte mich der Grad eines Fregattenkapitäns für meine schöne Tat, wie sich der Minister in dem Schreiben ausdrückte.

Dies ist meine Geschichte, Freund. Sie müssen gestehen, dass ich wohl mitsprechen kann, wenn von der Liebe und deren Opfern die Rede ist«, sagte Wolf mit einer bitteren Miene. Dann fügte er hinzu: »Aber sehen Sie, da. kommen unsre Kameraden!«

Die Offiziere hatten ihre Untersuchung beendet und wollten sich nun an Land begeben. Ich wurde von meinem neuen Freund Wolf getrennt und sah mich gezwungen, ein Boot zu besteigen, in welchem er nicht war. Da ich ihn am Landungsplatz auch nicht traf, so mutmaßte ich, dass er an Bord geblieben sei. Um die etwas düsteren Gedanken, welche die Mitteilung meines Freundes in mir erregt hatte, zu vertreiben, begab ich mich bald zur Ruhe. Doch auch dem Gott der Träume gefiel es, mich mit der schrecklichen Begebenheit, die ich eben erzählen gehört habe, zu unterhalten. Bald sah ich meinen Freund in den Armen seiner Peppa, bald im Gewühl der Schlacht, bald den unglücklichen Patron, wie er unterging und Mörder! schrie.

Am anderen Morgen wurde mir ein Billett folgenden Inhalts überreicht:

»Ich erwarte Sie auf dem Wall, dem Palast der Großherrn gegenüber. Ich muss Sie unbedingt sprechen.«

Wolf.

Sogleich begab ich mich auf den Wall. Mein Freund Wolf war schon da. Er war zwar ein wenig blass, aber er lächelte und sein Gesicht hatte sogar einen Ausdruck von Sanftmut, den ich am Abend vorher nicht bemerkt hatte.

Er kam auf mich zu und sagte, sehr freundlich, indem er mir die Hand reichte: »Ich war überzeugt, dass Sie bald kommen würden.«

Ich schüttelte herzlich seine Hand und fragte, was er wünsche.

»Lieber Freund«, sagte er, »vor allen Dingen muss ich Sie um Verzeihung bitten, dass ich gestern Ihre Zeit in Anspruch nahm, um Ihnen eine unheimliche Geschichte zu erzählen.«

»Hol mich der Henker, wenn ich noch an das denke, was Sie gestern der Wein sprechen ließ, lieber Wolf!«, antwortete ich. »Noch einmal: Reden wir nicht mehr davon, ich habe es schon vergessen.«

»Ach nein«, entgegnete er mit trübem Lächeln, »es war nicht der Wein, der aus mir sprach, ich sagte nur die reine Wahrheit. Sie sind der Einzige«, fügte er hinzu, indem er seine großen blauen Augen schwermütig auf mich heftete, »der um diese verhängnisvolle Geschichte weiß.«

»So dürfen Sie auf meine Verschwiegenheit rechnen«, versetzte ich. »Die Geschichte mag wahr oder erdichtet sein, sie ist bei mir in tiefster Vergessenheit begraben.«

»Sie wissen, was ich Ihnen gestern sagte«, fuhr er mit seiner sanften wohltuenden Stimme fort. »Es darf dies Geheimnis nur einer von uns besitzen; beide — das ist unmöglich.«

«Lieber Freund, sprechen Sie im Ernst?«

»Ja vollem Ernst. Sie besitzen ein Geheimnis, welches, wenn es bekannt wird, mich für das gelten ließ, was ich bin — für einen Mörder«, fügte Wolf schmerzlich hinzu, »und da ich, dem doch so viel daran liegen muss, es nicht bewahren konnte, wie werden Sie das können? Ein solcher Zweifel wäre mir zu schrecklich. Das darf und kann nicht so bleiben.«

Nun ergriff er meine beiden Hände, drückte sie, und sagte bittend: »Verweigern Sie es mir nicht. Zwingen Sie mich nicht zu einem Schritt, der Sie nötigen würde, das zu fordern, um welches ich Sie jetzt bitte.«

»Weil es Ihnen gefallen hat, mir Ihr verteufeltes Abenteuer mitzuteilen, müssen wir einander eine Kugel durch den Kopf jagen! Nun, wenn es nicht anders sein kann, bin ich’s zufrieden; aber Sie werden wenigstens gestehen, dass es doch eine ärgerliche Geschichte ist«, versetzte ich unmutig.

»Ich sehe das wohl ein, aber es ist nicht zu ändern. Verzeihen Sie mir deshalb, lieber Freund«, erwiderte Wolf.

»Zum Teufel, nein, dazu ist es Zeit, wenn Sie mir den Schädel zerschmettert haben. Denn damit dieser verdammte Spaß vollständig werde, müssen wir uns wohl übers Schnupftuch schießen?«

»Allerdings«, entgegnete Wolf mit seiner weichen Stimme. »Ich werde meine Pistolen bringen, daher brauchen Sie keine mitzunehmen, wenn Sie nicht etwa Misstrauen …«

»Kapitän«, unterbrach ich ihn ernsthaft, »sprechen Sie nicht aus, denn diesmal …«

«Verzeihen Sie, mein Freund. Aber machen Sie Ihren Sekundanten aufmerksam, dass es ein Duell auf Leben und Tod sei, und dass es nicht mehr beigelegt werden könne.«

»Nun wahrlich, mein Freund, wir sind so verrückt wie zwei Kadetten, die eben aus der Seeschule kommen«, versetzte ich. »Wann soll dieser tolle Streich beginnen?«

»In zwei Stunden! Beim alten Hafen wollen wir uns treffen«, entgegnete wehmütig Wolf, nickte und entfernte sich langsam.

Ich kehrte an Bord meines Schiffes zurück, schrieb mehrere Briefe und traf noch einige andere Vorkehrungen. Einer meiner Freunde, ein Fregattenkapitän war nur ungern mein Sekundant, als er die Bedingungen dieses mörderischen Duells erfahren hatte. Wir wollten uns über ein Taschentuch schießen, eine Pistole geladen, die andere nicht.

Am meisten ärgerten mich die Ausfälle meines würdigen Sekundanten.

»Sie haben gewiss das Duell wieder gesucht, wie neulich auf Martinique, sagte er, »es wird Ihnen noch einmal übel bekommen. Es wäre doch schade, ein junger, mutiger Offizier von so schönen Hoffnungen …«

Vergebens versuchte ich ihm zu beweisen, dass ich nicht der Beleidiger sei.

Seine beständige Antwort war: »Man hat mir gesagt, der Kapitän Wolf trinkt gewöhnlich nur Wasser und sei wegen seiner Sanftmut und seines Hanges zur Einsamkeit bekannt. Wie, zum Henker, soll er sich betrunken und Sie zuerst beleidigt haben?«

»Aber zum Teufel, mein Herr …«, schrie ich.

»Schön, fangen Sie auch mit mir Händel an, um mir zu beweisen, dass Sie kein Zänker sind«, antwortete ruhig mein Sekundant.

Es war zum rasend werden. Ich siegelte meine Briefe, gab meinem Burschen einige Aufträge, ließ ein Boot aussetzen und steuerte mit meinem Sekundanten dem Platz zu.

Mein Freund Wolf war schon da. Er kam uns ruhig entgegen, seine Wangen waren mit einer leichten Röte bedeckt, seine Haare sorgfältig geordnet, seine Augen strahlend. Ich habe selten einen Menschen von so ausgezeichneter Schönheit gesehen.

Es war sonderbar. Während der Überfahrt hatte ich mein Möglichstes getan, mich in Wut zu bringen; es war mir nicht möglich. Ich war im Begriff, mich ohne Zorn, ohne Hass, bloß der Ehre wegen, auf Tod und Leben zu schießen; denn hätte ich das Duell ausgeschlagen, so hätte mich Wolf durch eine Beleidigung dazu gezwungen.

Ich konnte ihm nicht zürnen, und trotz seines Verbrechens hasste ich ihn nicht; ja ich gestehe, er übte einen eigenen Einfluss auf mich aus. Eine angeborene Liebe zu allem Außerordentlichen, machte, dass ich nicht einen Augenblick an den Tod dachte, der vielleicht in nächster Minute mein Los sein konnte.

»Meine Herren«, sagte mein Sekundant, »Sie wissen, dass einer von Ihnen in wenigen Minuten nicht mehr leben wird!«

»Wir wissen es«, antwortete Wolf mit Ruhe.

«Zur Sache denn, meine Herren«, sprach mit ernster Stimme der Kapitän. »Möge Gott Ihnen verzeihen.«

Mein Sekundant nahm die Pistolen, welche Wolf mitgebracht hatte, und wollte sie untersuchen.

»Das leide ich nicht, mein Herr!«, rief ich, indem ich ihm die Pistolen aus der Hand nahm.

Wolf ergriff meine Hand, drückte sie fest und sagte: »Wackerer Freund! Doch noch eine Frage und Bitte. Haben Sie so viel Vertrauen zu mir, um mir die Wahl zu lassen, obwohl es meine Waffen sind?«

Ich überreichte ihm die Pistolen. Er. nahm eine, ich die andere. Das Herz schlug mir heftig, als ich mich ihm gegenüberstellte.

Niemals werde ich seine feste, ruhige Haltung vergessen. Er strich sein schönes schwarzes Haar aus dem Gesicht und legte einen Augenblick seine Stirn in die Hand, als wollte er sich sammeln. Dann hob er die Augen gen Himmel mit dem Ausdruck unaussprechlicher Dankbarkeit. Nun sah er mich mit schmerzlich freundlichem Blick an, erhob seine Pistole und zielte. Ich tat dasselbe.

»Sind Sie fertig, meine Herren?«, fragten die Sekundanten.

»Ja.«

»Gütiger Gott, vergib ihnen«, sagte der alte stille Offizier, indem er in die Hände schlug.

Wir schossen beide zu gleicher Zeit.

Einen Augenblick war ich von der Explosion geblendet und betäubt. Als ich wieder zu mir kam, sah ich die Sekundanten über Wolf gebeugt, der in seinem Blut schwimmend am Boden lag und sich auf seinen Ellbogen stützte. Meine Kugel hatte ihm die Brust zerschmettert.

»O Gott! Sie haben es gewollt«, rief ich voller Verzweiflung. »Sie wissen, es war nicht meine Schuld. Verzeihung, teuerster Freund, Verzeihung!«

»Ich war der Beleidiger und leide meine gerechte Strafe. Ich verzeihe Ihnen meinen Tod«, sagte er mit schwacher Stimme, und indem er sich meinem Ohr näherte, waren seine letzten Worte: »Meine Maßregeln hatte ich so genommen, dass ich von Ihrer Hand fallen musste. Ich wollte nicht als Selbstmörder sterben. Haben Sie Dank! O Peppa!«

Mit diesem letzten Worte hauchte er seinen Geist aus. Nun begriff ich, warum er unter den Pistolen gewählt hatte.

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