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Der Arzt auf Java – Dritter Band – Kapitel 3

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Dritter Band
Kapitel 3

Das Heilmittel ist schlimmer als das Übel.

Nach dem Tod der Negerin Cora, nach dem Erscheinen Noungals auf dem Schauplatz des Dramas, in welchem Eusebius van der Beek eine so verhängnisvolle Rolle spielte, war der junge Holländer der Ebene zugeeilt.

Die Verwirrung seines Geistes war so groß, dass er, ohne sich Rechenschaft davon zu geben, ob er dem Dorf Gavoet, wo er Esther gelassen hatte, den Rücken zuwendete oder nicht so schnell vorwärts lief, wie seine Kräfte es ihm gestatteten, seine Stirn dem Winde preisgebend. Er bemühte sich, sein brennendes Hirn abzukühlen, durchschritt bebaute Felder, eilte durch die Täler, erkletterte die Berge, floh die Wohnstätten und die Menschen, denn in jedem der Letzteren glaubte er einen Feind zu erkennen, nachdem er Noungal gesehen hatte.

Dieser wilde Lauf dauerte so lange, bis die Ermüdung, und noch mehr als die Ermüdung, die brennenden Strahlen der Sonne Eusebius’ Kraft erschöpft hatten. Keuchend, kraftlos, sank er auf den Boden nieder und blieb ohnmächtig liegen.

Als er wieder zu sich kam, neigte sich der Tag seinem Ende zu. Die goldene Scheibe der Sonne sank am Horizont nieder, umgeben von einem Netz rötlicher Wolken und mit ihren Strahlen die Wipfel des Taikoekoie purpurn umsäumend.

Eusebius hatte einige Mühe, seine Gedanken zu sammeln. Er besann sich kaum auf das, was während der vorhergehenden Nacht sich zugetragen hatte. Seine Verzweiflung ließ nur eine Art schmerzhafter Betäubung zurück. Er schwankte auf den Beinen wie ein Betrunkener. Sein Kopf schien leer zu sein. Das leiseste Geräusch, die geringste Bewegung tönten darin wieder und verursachten ihm stechende Schmerzen. Glühender Durst, ein fürchterliches Fieber verzehrten ihn. Instinktmäßig sah er sich nach Wasser um. Als er so seine Blicke umherschweifen ließ, bemerkte er Gras und Kräuter, deren frisches Grün gegen das dürre Heidekraut rings umher abstach und das Bett eines Baches anzudeuten schien. Er schleppte sich bis dorthin. Die brennende Mittaghitze hatte den Bach ausgetrocknet, doch die Erde war feucht geblieben. Indem er an dem Lauf aufwärts ging, durfte er hoffen, die Quelle zu erreichen.

Der junge Holländer sammelte seine ganzen Kräfte und seinen ganzen Mut und schleppte sich in dieser Richtung vorwärts. Bald bemerkte er einen Fels, aus welchem das Wasser in Tropfen hervorquoll und in ein Becken fiel, welches der Schatten des Felsens gegen die Strahlen der Sonne schützte.

Statt sich auf diese Quelle der Wiederbelebung zuzustürzen, blieb Eusebius stumm, regungslos und voll Entsetzen stehen. Er richtete sich hoch empor, blickte umher und erkannte, dass der Zufall ihn zu der Diamantenquelle geführt hatte, welche der armen Cora so verderblich gewesen war.

Seine Haare sträubten sich ihm auf dem Kopf, sein ganzer Körper zitterte krampfhaft. Er bebte bei dem Gedanken, den zuckenden Leichnam der Negerin zu seinen Füßen zu erblicken, und schloss unwillkürlich die Augen. Dann jedoch besiegte er sein Entsetzen und blickte umher. Nirgends gewahrte er die Leiche Coras. Er würde geglaubt haben, das Opfer eines fürchterlichen Alps zu sein, wenn er nicht zwei Schritt von sich entfernt den Boden mit einer bräunlichen Farbe und einer klebrigen Masse bedeckt gesehen hätte. Dieser Fleck war offenbar durch das Blut der Negerin hervorgebracht worden. Mochte dem indessen sein, wie ihm wollte, so fühlte Eusebius sich doch glücklich, die Leiche seines Opfers nicht zu erblicken und atmete hoch auf. Dann aber bemächtigte sich seiner ein furchtbarer Wahnsinn. Am Morgen hatte er in seiner Verwirrung sich die Gelegenheit entschlüpfen lassen, ungeheure Reichtümer zu erwerben und die bösen Absichten des Doktor Basilius zu verspotten. Diese Gelegenheit gab ein glücklicher Zufall ihm zurück.

Er vergaß seine Schmerzen, das Fieber, den Durst, kniete am Rande der Quelle nieder und senkte seine Arme bis auf den Boden herab, um die kostbaren Steine zu ergreifen, die er einige Stunden zuvor gesehen und berührt hatte. Aber die, welche er mit seinen Händen hervorzog, unterschieden sich in nichts von den Kieseln, mit denen der Fuß des Felsens bedeckt war. Er nahm einen derselben, zerschmetterte ihn zwischen zwei Steinen und fand weiter nichts als Feuersteine.

Keuchend vor Erwartung wiederholte er zehn Mal den Versuch, und zehn Mal fand er denselben Erfolg. Da zerriss sein Herz. Er setzte sich auf einen Vorsprung des Felsens und weinte. Die heftige Erschütterung, die er empfunden hatte, gab seinem Verstand seine Klarheit zurück; er besann sich auf alles.

Die erste Träne, die er vergoss, war seinen törichten Hoffnungen gewidmet, aber die durch Schmerz erwachte Seele kehrte schnell zu zärtlicheren Gefühlen zurück. Er weinte über sich selbst, über sein trauriges Schicksal, besonders aber über Esther.

Er war nun weit entfernt von dem Dünkel seiner ersten Tage. Er erkannte seine Schwäche, er sah, wie alle die finsteren Prophezeiungen des Doktor Basilius sich eine nach der anderen erfüllten. Er fragte sich, ob er den Mut und die Kraft haben würde, der letzten Prüfung zu widerstehen. Indem er in Gedanken die Schlinge maß, in welche er sich verwickelt fühlte, schwand, der übernatürlichen Macht dessen gegenüber, der in diesem Kampf sein Gegner war, sein Mut.

Er dachte daran, Esther aufzusuchen, ihr zu gestehen, was vorgegangen war, ihre Verzeihung zu erstehen und ihr den Vorschlag zu machen, in einem gemeinschaftlichen Tod den Triumph ihrer Gefühle gegenseitiger Zärtlichkeit und eine Zuflucht gegen die höllischen Umtriebe des fürchterlichen Noungal zu suchen.

Die kurze Ruhe, die er genossen, der Entschluss, den er gefasst hatte, verliehen ihm neue Kräfte. Er stand auf und machte sich auf den Weg; aber die Dunkelheit war so groß geworden, dass er es fürchtete, sich auf die von giftigen Dünsten erfüllte Ebene zu wagen und nur langsam und zögernd vorwärts schritt. So ging er seit etwa einer Stunde, als ein dumpfer, verworrener Lärm die Stille unterbrach. Es war der Ton, welchen die Pferde machen, wenn sie mit ihren Hufen die ausgedörrte Erde berühren. Das Geräusch kam schnell in der Richtung auf Eusebius zu näher; dieser sprang in eine Kaffeepflanzung hinein und verbarg sich hinter dem Laubwerk eines der Bäume.

Etwa ein Dutzend der eingeborenen Reiter, welche die Garde des Gouverneurs bildeten und mit der Distriktpolizei in den Provinzen beauftragt waren, ritten einige Schritt vor dem jungen Mann vorüber. An ihrer Spitze galoppierte auf einem ungesattelten Pferd ein Mensch, der nicht gleich seinen Begleitern die lange Lanze mit dem dreieckigen Wimpel trug.

Dieser Mensch schien den Übrigen als Führer zu dienen. Eusebius sah, wie er mit dem Arm gegen die Höhen des Benderango deutete, und glaubte in diesem Führer Noungal zu erkennen. Alles Blut erstarrte in seinen Adern und kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn. Ohne Zweifel hatte der Malaie ihn den Behörden der Provinz angezeigt und sich dann erboten, ihnen den Strafbaren auszuliefern.

In einer ersten Regung fühlte Eusebius sich versucht, sein Versteck zu verlassen, sich den Soldaten auszuliefern und sein Geschick der Gerechtigkeit seiner Mitmenschen anzuvertrauen; aber die Zeit rascher Entschlüsse war für den Holländer vorüber. Seine Seele hatte die jugendliche Rechtschaffenheit und Tatkraft verloren, seitdem Eusebius sich durch den Dämon des Geizes in Versuchung führen ließ. Ein kaum bemerkbarer Flecken genügt, um eine gute Frucht zu verderben.

Er empfand Furcht, indem er in Gedanken sah, welche Folgen ein solcher Entschluss nach sich ziehen könnte. Es war ein Wahnsinn, Richter des 19. Jahrhunderts überreden zu wollen, dass man das Opfer übernatürlicher Verfolgungen sei. Würden sich diese Richter nicht viel mehr überzeugt gefühlt haben, dass die Angaben, die er zu machen hatte, nichts wären, als die gemeine List des Verbrechers, der den Wahnsinn erheuchelt, um seinen Kopf zu retten? Er sah sich entehrt, beschimpft, verurteilt und mindestens für den Rest seines ganzen Lebens in ein Irrenhaus gesperrt.

Dann dachte er an Esther. Um seine Feigheit zu entschuldigen, versteckte er sich hinter seiner Zärtlichkeit für dieselbe. Er leugnete die Möglichkeit, dass sie diese Prüfung siegreich bestehen würde. Es schien ihm unwahrscheinlich, dass die Liebe seiner Frau, die er für das Kostbarste der ihm gebliebenen Güter erklärte, nicht verlöschten sollte, wenn die menschliche Gerechtigkeit, das Haupt dessen traf, dessen Namen sie trug, wenn die Öffentlichkeit der Sitzung das Ärgernis noch dem Verrat hinzufügte, den sie ihm zum Vorwurf machen durfte, und den er durch die Einmischung Noungals zu rechtfertigen versuchen wollte.

Indem er die Gewissensruhe verlor, büßte er auch die Grundlage jeder Kraft ein; indem er an sich selbst zweifelte, lernte er auch den Zweifel an den anderen. Er beschloss daher, Esther zu sehen, ehe er sich dem Richterspruch, der seiner wartete, bloßstellte. Wenn man ihn aber in der Umgegend von Taikoekoie verfolgte, dann war es wahrscheinlich, dass man es nicht vernachlässigt hatte, das Gasthaus von Gavoet, wo man ihn offenbar erwarten musste, zu umstellen.

Eusebius beschloss daher, diese Gegend zu verlassen und später einen Boten an seine Frau zu senden, um sie zu sich zu berufen. Er richtete sich nach den Sternen und versuchte sich dem Ufer des Meeres zu nähern, das, wie er wusste, einige Stunden gegen Westen liegen musste. Mit Tagesanbruch erreichte er die Küste und wendete sich dann gegen Norden. So hoffte er den bebauten Teil des Distrikts von Preangers zu erreichen, wo er ein Asyl zu finden hoffte, von wo es ihm leicht sein würde, Esther von seiner Lage zu benachrichtigen. Vier Tage lang schritt er in dieser Richtung vorwärts, von Muscheln lebend, die er an der Meeresküste sammelte, von wilden Früchten, die er von den Gesträuchen des Küstendistrikts pflückte, und auf den Felsen der Klippen schlafend.

Aber Eusebius van der Beek hatte von seinen schon erschöpften Kräften zu viel erwartet. Das Fieber, an dem er litt, nahm zu. Seine zerfetzten Kleider schützten seinen Körper nicht mehr gegen die Wirkung der brennenden Strahlen der Sonne. Seine Füße, nur mangelhaft durch sein zerrissenes Schuhwerk bedeckt, bluteten unter der Berührung der spitzen Steine und der zerbrochenen Muscheln, mit denen der Weg bedeckt war, den er folgte.

Bald verweigerten seine Füße ihm den Dienst. Ihm schwindelte, und tausend blendende Fantasiebilder tanzten ihm vor den Augen. Die Verzweiflung bemächtigte sich seiner und flößte ihm die Verachtung des Entsetzens ein, dem er gewichen war, als er vor den Reitern floh, welche Noungal führte. Einen Tod für den anderen genommen, schien ihm der, dem er in dieser Wüste ausgesetzt war, fern von jeder Hilfe, jedes Trostes beraubt, noch entsetzlicher als der, welchen das Gesetz den Mördern bestimmt. Er beschloss daher, sich den menschlichen Wohnungen wieder zu nähern, die er bisher vermieden hatte.

Er befand sich in diesem Augenblick in einer nackten Wüste, welche durch den Widerschein der Sonnenstrahlen zu einer gewaltigen Feuermasse gemacht wurde. Zu seiner Rechten bemerkte er eine grünende Oase und zwischen hohen Palmenstämmen die Bambusdächer mehrerer Wohnungen. Er versuchte dorthin zu gelangen; aber indem er vorwärts schritt, schien die grüne Insel vor ihm zurückzuweichen. Er glaubte schon, sie zu berühren, und plötzlich sah er sie wieder, eine halbe Stunde vor sich liegen und erblickte ringsum sich her nichts als verkrüppeltes Holz, verbranntes Gesträuch, verdorrtes Gras und unfruchtbare Felsen. Seine Verzweiflung verwandelte sich nun in eine Art von Wut. Er brach in rasende Verwünschungen gegen Noungal aus, gegen die, welche das letzte Werkzeug dieses Dämons gewesen war. Er verwünschte sein Geschick, er lästerte die Vorsehung, die ihn verließ. Er wälzte sich im Sand, schlug sich mit geballten Fäusten und stieß Geschrei aus, welches nichts Menschliches mehr hatte.

Allmählich schwanden seine Sinne. Eine Art von Nebel breitete sich zwischen seinen Augen und seiner Umgebung aus. Seine ausgetrocknete Kehle ließ kaum noch keuchende, mühsame Atemzüge hindurch. Es schien, als hätte für den armen Eusebius die Todesqual begonnen, und diese Qual war so schmerzhaft, dass er den Tod herbeirief, der allein seine Leiden verkürzen konnte.

Als ob dieser letzte Wunsch Erhörung gefunden hätte, fühlte er plötzlich auf seinem Fuß einen eigentümlichen kalten Druck. Als er den Blick darauf wendete, bemerkte er eine kleine Schlange, die sich um sein Knöchelgelenk geschlungen hatte.

Es war eine jener Nattern, die man in Java Bidudaks nennt, die kleinste der zahlreichen Schlangenarten der Insel, aber von allen vielleicht die, deren Biss am gefährlichsten ist. Das Tier ließ in der Sonne seine schwarzen und goldenen Schuppen funkeln. Seine blutigen Augen waren fest auf Eusebius’ Augen gerichtet. Es streckte ihm seine gespaltene Zunge mit einem leisem drohenden Zischen entgegen.

In dem Zustand der Ermattung, in welchem Eusebius sich befand, hatte er nicht die Kraft, sich der drohenden Gefahr zu entziehen. Er sank zurück und wurde ohnmächtig. In diesem Augenblick trat ein Mensch, der mit einem Bündel trockenen Holzes beladen war, auf die Lichtung, auf welcher dieser Auftritt stattfand. Mit einem Blick bemerkte er Eusebius und den Bidudak, welcher, durch die Regungslosigkeit seines Opfers sicher gemacht, an den Kleidern des Holländers hinaufgeglitten war, bis zu dessen Hals, als wollte er den Ort suchen, wo die Wirkung des Bisses am sichersten war.

Der Mensch ließ seine Last fallen, riss einen biegsamen Zweig von einem wilden Zimtbaum, streifte die Blätter ab, näherte sich Eusebius leise und traf den Bidudak mit seiner Gerte so geschickt, dass er ihn in zwei Stücke hieb, welche noch einige Augenblicke zuckten, als wollten sie sich wieder miteinander vereinigen, und dann auf den Sand hinabfielen.

Der Mann, in welchem unsere Leser Argalenka erkannt haben, betrachtete hierauf den, welchen er gerettet hatte, aufmerksamer. Eine Träne benetzte seine Augen, und er sank nieder aus die Knie, erhob die Hände gen Himmel und rief: »Dein Diener dankt dir, Buddha! Der, welcher hier liegt, hatte für den armen Beduis die Hand der Freigebigkeit geöffnet, und du wolltest nicht, dass eines deiner Kinder vor dir erscheinen sollte, das Gewissen belastet mit der Schuld unerfüllter Dankbarkeit.«

Indem Argalenka Eusebius wecken wollte, den er nur schlafend glaubte, bemerkte er die Ohnmacht des jungen Mannes. Er begriff, dass seine Aufgabe noch nicht erfüllt sei und rief Arroa, dass sie ihm Beistand leiste.

Während der Greis die umliegenden Sträucher des trockenen Holzes beraubte, welches für die Haushaltung nötig war, unterhielt die junge Indianerin, träge an dem Ufer eines Baches sitzend, sich damit, das Wasser über ihre Füße fließen zu sehen, die sie in den Bach gestellt hatte.

»Tochter, Tochter«, rief Argalenka, »hier ist ein Mann, der an einem verfluchten Tag sich nicht fürchtete, seine Hände zwischen deinem Vater und denen auszustrecken, die ihn verfolgten. Er liegt hier, des Bewusstseins beraubt. Buddha will, dass die Erinnerung an die Wohltat die vierte Generation überleben soll. Wirst du mir nicht beistehen, ihm Gutes mit Gutem zu vergelten? Bringe Wasser herbei, um seine Lippen zu erfrischen. Ach mein Gott«, fuhr der arme Greis fort, »ich vergesse immer, dass von meinem Kind der böse Geist mir nur die Hülle gelassen hat, dass ihr Verstand in der Dunkelheit umherirrt, welche den Aufenthalt der Erwählten umgibt. Hört sie mich auch, so versteht sie doch nicht, was ich von ihr verlange.«

Aber zur großen Überraschung des Beduis, der aufgestanden war, um selbst zum Bach zu gehen, erschien Arroa auf der Lichtung, in der Hand ein großes zusammengerolltes Platanenblatt tragend, aus dem das darin enthaltene Wasser Tropfen für Tropfen herabrieselte.

Sie ging gerade auf Eusebius zu, kniete neben ihm nieder, erhob sanft den Kopf des jungen Mannes, stützte ihn auf ihre Knie, öffnete die bleichen Lippen des Holländers und träufelte die frische Feuchtigkeit, die ihr improvisiertes Gefäß noch enthielt, hinein.

»Arroa, Arroa!«, rief Argalenka, der über der Freude, welche diese Äußerung des Verstandes bei seiner Tochter ihm verursachte, Eusebius vergaß. »Arroa, solltest du mir zurückgegeben sein?«

Arroa ließ einige Augenblicke vergehen, ohne zu antworten. Ihr auf den jungen Mann gerichteter Blick hatte einen eigentümlichen, starren Ausdruck angenommen, und sie fuhr fort, ihm ihre eifrigste Sorgfalt zu beweisen.

»Greis!«, rief sie endlich mit scharfer, kurz abgestoßener Stimme, »ist denn deine Tugend nichts als eitle Worte? Gibt deine Dankbarkeit dir nicht ein, was du für den tun musst, der dir zu Hilfe kam? Du hast noch nicht daran gedacht, dass Buddha die Haut des weißen Mannes für den Schatten und für die Frische schuf, wie das glänzende Gewebe der Blume des Rosenstrauchs. Verderblich ist für beide die glühende Sonne unseres Klimas. Denke daher vor allem daran, den, welchen du deinen Freund nanntest, der Wirkung der glühenden Strahlen zu entziehen, welche in ihm die Quelle des Lebens vertrocknen.«

Argalenka folgte gehorsam seiner Tochter. Er nahm Eusebius auf seine Arme und trug ihn an den Rand des Baches, der durch ein Gebüsch riesiger Bananenstauden beschattet wurde. Arroa setzte sich wieder neben den jungen Mann, aber weder der Schatten noch die Frische noch das Wasser, mit welchem die Indianerin das Gesicht des Holländers badete, genügten, diesen zum Leben zurückzurufen. Die Aufregung Arroas wuchs, je länger ihre Bemühungen fruchtlos blieben.

»Der Fluch der bösen Geister treffe mich«, rief sie mit einer unaussprechlichen Heftigkeit, »wenn der Hauch deines Lebens unter meinen Händen erlischt! Willst du warten, Greis, bis die Bidudaks oder die Tiger der Junglen, mir ihre Hilfe bringen? Eile zur Hütte, nimm das Pferd, und du wirst im Dorf vielleicht eine mitleidige Seele finden, die dir einige Tropfen von dem stärkenden Saft des Palmenbaumes gibt, der mächtiger sein wird, wie dieses Wasser. Geh, Vater«, fuhr sie fort, indem sie plötzlich den Ton wechselte und einen liebkosenden Ausdruck annahm, der mit der Leblosigkeit ihrer Züge kontrastierte. »Geh, Vater, und kehre schnell zurück. Buddha würde es uns nicht verzeihen, wenn wir den Tod unsere Schuld gegen diesen jungen Mann tilgen ließen.«

Argalenka war so ergriffen, indem er seine Tochter sich so verständig und zusammenhängend aussprechen hörte, dass er vor ihr auf die Knie sank, seine Arme um den Hals der jungen Indianerin schlang und sie mit einer Freude, welche hinlänglich zeigte, was in seiner Seele vorging, an sein Herz schloss.

Arroa machte sich ungeduldig aus seiner Umarmung los und rief hart: »So geh doch, Greis!«

»Ich gehe«, erwiderte Argalenka, »und ich werde das Pferd bringen. Wir setzen den weißen Mann hinauf und führen ihn zu unserer Hütte, die seine Wohnung sein soll.«

»Ja, ja, Vater, du sprichst gut«, sagte Arroa, »aber geh, ich beschwöre dich!«

Der Beduis stand auf und entfernte sich, indem er seinem Gott zweimal dankte, den Europäer an seinen Weg geführt zu haben, weil das Gefühl der Wohltat genügt hatte, um seinem Kind den Verstand zurückzugeben.

Sobald das Gebüsch sich hinter Argalenka geschlossen hatte, blickte Arroa mit einer gewissen Besorgnis umher. Als sie sich überzeugt hatte, dass niemand sie sehen oder hören konnte, neigte sie sich über das Gesicht Eusebius, nahm dessen Hände in die ihren und drückte sie. Dann riss sie eine Purpurblüte aus dem Kranz chinesischer Rosen, welcher ihre Stirn schmückte, zermalmte sie zwischen den Zähnen, öffnete die Kleider des jungen Mannes und legte die zerbissenen Blätter auf den Ort, wo sie sein Herz leise klopfen fühlte. Darauf begann sie jenen monotonen Gesang anzustimmen, den ihr Vater hörte, als er sie im Tempel des Berges Sadjiva wiederfand.

»Du, den ich seit so langer Zeit in meinen Träumen verfolge«, sagte sie, »du, dessen Bilder einzige Strahl war, welcher für meine Seele in den Nebeln der Nacht glänzte, du, nach dem ich mich sehnte, sollte ich dich denn nur wiedergefunden haben, um dich zu verlieren? Sollte die Quelle vertrocknet sein, in dem Augenblick, in welchem mein Mund sich aus derselben erquicken will und ehe ich den Durst nach deinen Küssen, der mich verzehrt, befriedigen konnte? Du willst fort in das Land der Schatten, Unsinniger? Das Lager, das du dort findest, ist hart und kalt, es ist der Fels, es ist die feuchte Erde. Die Arme, welche dich umschlingen werden, haben das süße Leben, die zärtliche Wärme des duftenden Fleisches verloren, welche das Leben der Liebe aus einem Körper in den anderen überträgt. Statt des harmonischen Klanges der Küsse wirst du dort nichts mehr hören, als Rasseln der Gebeine, welche in den Umarmungen zusammentreffen, die den Toten vorbehalten sind. Bleibe bei den Töchtern der Erde. Denkt denn die Blume des Malatti daran, ihren Kelch zu schließen, vor alle Hauche der Luft, die über unsere Insel hingehen, sie wechselweise geliebkost haben? Entschließt der Vogel mit dem glänzenden Gefieder, der die Luft zum Schauplatz seiner Liebe macht, sich dazu, auf der Erde zu ruhen, so lange noch eine Gefährtin seinen Schnabel mit ihrem liebenden Schnabel berührt? Vielleicht verschmähst du uns, ohne zu wissen, was du verschmähst. Die Göttinnen, welche die Tempel der Anbeter Brahmas schmücken, sind schön, aber diese Göttinnen sind nur Bildsäulen. Die Weiber deines Landes sind gleich ihnen von Marmor und Stein. Sie können dich nicht gelehrt haben, was die Liebe ist! Ha, wenn eine der geliebten Töchter der Sonne, in deren Adern ein Strahl des belebenden Gestirns gefallen ist, dich einst in ihre Mysterien einweiht, dann wirst du die Entzückungen verachten, die alle Götter ihren Erwählten versprechen, und du wirst sie ihnen schenken, wenn sie deinen Lippen nur die Küsse lassen, deren Gewalt zu würdigen du kennen lerntest.«

Indem Arroa diese Worte sprach, neigte sie sich mehr und mehr über das Gesicht Eusebius’. Ihre Haare und Wangen streiften die Stirn des jungen Mannes. Plötzlich pressten die roten Lippen der Indianerin, als wiche sie einer unwiderstehlichen Macht, sich heftig auf die kalten, entfärbten Lippen des Holländers.

Die Wirkung dieses Kusses war unmittelbar und gewaltsam.

Eusebius öffnete die Augen, als ob ein elektrischer Funke sie berührt hätte. Sie wendeten sich sogleich auf die feuchten Augen, auf den bezaubernden Blick, auf den bebenden Mund der Indianerin, und beide schienen in eine wollüstige Ekstase zu versinken.

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