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Der Welt-Detektiv Band 6

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Marthe Brossier (1599)

Marthe Brossier1 (1599)

Im Frühling des Jahres 1598 verließ Marthe Brossier, die Tochter eines Tuchhändlers aus Romorantin in Sologne, mit ihrem Vater und ihren Schwestern ihre Heimat. Sie erbat sich auf ihrem Weg überall geistliche Hilfe, um den Dämon auszutreiben, der in ihr säße und heftige Konvulsionen verursachte. Scharenweise strömten ihr das blindgläubige Volk zu.

Miron, Bischof von Angers, und der Official von Orleans unterwarfen sie einer sehr genauen Prüfung. Es schien ihnen, dass der Teufel gar nichts mit ihrer Krankheit zu tun habe, dass sie ihre Besessenheit bloß simuliere. Unter Strafe der Exkommunikation wurde demzufolge allen Geistlichen der Diözese von Orleans verboten, bei Marthe Exorzismen anzuwenden. Miron ließ, nachdem er ihr reichlich zu essen gegeben hatte, ihr Weihwasser reichen. Sie blieb ruhig, verfiel aber in die heftigsten Zuckungen, als man ihr anderes Wasser darbot. Dann befahl er, man solle ihm das Beschwörungsbuch bringen, und begann mit feierlicher Stimme den Anfang der Aeneis vorzulesen. Die Besessene ging in die Schlinge. Sie hielt das Latein des Vergil für den Anfang der Beschwörung und versuchte durch heftige Konvulsionen zu bekunden, wie sie der Teufel quäle. In Orleans legte man ihr ein Lexikon vor, welches auf alte Manier eingebunden war. Sie hielt es für ein Teufelsbuch und erzitterte schon beim Anblick des Einbandes. Man ließ sie darin lesen und sie stieß zufällig auf einige rau klingende und schwierig auszusprechende Silben, die ihr als die heftigsten Beschwörungsformeln gelten und sogleich gewaltsame Konvulsionen bei ihr hervorrufen.

Diese Erscheinungen erinnern Zug für Zug an den Vorfall im Baumgarten von Franklin zu Auteuil, wo die Kommission, welche den Einfluss des magnetischen Agens untersuchen sollte, einen jungen Menschen, der sich in der Nähe eines magnetisierten Baumes zu befinden glaubte, zu Konvulsionen veranlasste.

Im Frühjahr 1599 kam Marthe nach Paris und pilgerte dann nach St. Geneviève. Die dortigen Kapuziner hielten sie für besessen und exorzisierten sie öffentlich in der Kirche. Zu dem Schauspiel ihrer Zuckungen strömte eine Masse von Neugierigen aus Paris zusammen. Das Gerücht verbreitete sich durch die ganze Stadt und das gemeine Volk war fest von ihrer Besessenheit überzeugt.

Gegen Ende März beauftragte der Kardinal von Gondi, damals Bischof von Paris, die Ärzte Riolan, Marescot, Autin, Ellain und Duret, über ihre Konvulsionen Bericht zu erstatten. Bei der ersten Untersuchung fanden diese die Zunge rot und entzündlich; in den Eingeweiden war das Geräusch von Luft zu hören, aber die Kranke konnte auf die ihr vorgelegten griechischen und lateinischen Fragen, wie dies damals Sitte war, nicht antworten. Das erste Urteil der Ärzte war: Marthe wäre unbedeutend erkrankt, simuliere die Besessenheit und der Teufel hätte an ihrem Zustand keinen Anteil. Bei der zweiten Untersuchung, bei der Marescot und Riolan fehlten, stach Duret eine Nadel in ihre Hand, ohne dass sie eine Schmerzensäußerung ausstieß. Bei der dritten legte der sie exorzisierende Pater Seraphin besondere Kraft und Energie in seine Beschwörungsformel. Marthe steckte die Zunge heraus, verdrehte die Augen, zitterte am ganzen Leib, warf sich auf die Erde und sprang dann in großen Sätzen bis an die Tür der Kapelle. Da rief Seraphin aus: Wer jetzt noch ungläubig zweifelte, der sollte doch sein Leben daran setzen und mit dem Teufel kämpfen. Marescot erwiderte, er wolle darauf eingehen, ergriff die Besessene bei der Gurgel und befahl ihr, inne zu halten. Sie gehorchte auf der Stelle und gab danach gleichsam als Entschuldigung an, der böse Geist habe sie in demselben Augenblick verlassen.

Bei der vierten Untersuchung blieb Marthe so lange ruhig, als sich die Ärzte neben ihr befanden. Als sie sich verbargen, traten die Konvulsionen sofort wieder ein. Als sie wiederkamen, gelang es Marescot zum zweiten Mal, die gewaltsamen Bewegungen zu hemmen. Riolan war über den ganzen Vorfall sehr entrüstet und richtete harte und scheltende Worte an Marthe. Autin gestand, er könnte zu keinem klaren Urteil kommen. Duret behauptete, die Konvulsionen der Kranken, die Art, wie sie die Zunge herausstreckte, ihre Unempfindlichkeit gegen Schmerz wären hinlängliche Beweise, dass sie unter der Gewalt des Teufels stände. Seiner Meinung schloss sich eine andere Kommission von Ärzten an, die sich den drittfolgenden Tag versammelt hatte, und behauptete auch, Marthe habe auf griechische und lateinische Fragen richtig geantwortet. Heinrich IV., damals in Fontainebleau, fürchtete, die widersprechenden Ansichten mochten den nur schlecht verhaltenen religiösen Groll und Zwiespalt wieder aufwühlen, und befahl deshalb dem Parlament, einzuschreiten und vor allem die öffentlichen Schauspiele zu unterdrücken.

Marthe Brossier wurde eingeschlossen und vierzig Tage lang genau beobachtet. Eine neue Kommission von vierzehn Ärzten erklärte sie für nicht besessen, und auf Grund dieser Aussage und mit Rücksicht auf den ganzen Verlauf ihrer Anfälle befahl der Senat, sie nach Romorantin zurückzuführen, von wo sie sich nicht mehr entfernen sollte und wo sie unter genaue Kontrolle der Ortsbehörde gestellt wurde. Aber die Geschichte war noch nicht zu Ende. Die Regierung musste dem Kapuziner Dupuy die Kanzel untersagen, den Prediger der Sorbonne sehr derb zurechtweisen, die laut gegen den Missbrauch der Gewalt loszogen, gegen die Hindernisse eiferten, die man den Exorzismen entgegensetzen wollte. Die Brossier floh unter dem Schutz eines mächtigen Edelmanns und ging nach Italien. Sillery, französischer Gesandter in Rom, und der Kardinal d’Ossat wurden sogleich beauftragt, die Sache beim Papst zu vertreten und ihm darzustellen, dass in der Brossier nichts Übernatürliches läge. Der Hof atmete erst freier auf, als er sich wohl versichert hatte, dass in Rom keine Sympathien für Marthe existierten. So groß war damals noch die Furcht der weltlichen vor der geistlichen Macht.

Dass bei Marthe von Besessenheit keine Rede ist, ist klar, aber dass sie nicht hysterisch gewesen und nicht an fixen Wahnvorstellungen gelitten habe, ist aus den Tatsachen noch nicht zu demonstrieren. Wenn eine Konvulsionnaire durch den Anblick, durch die Annäherung gewisser Gegenstände, beim Aussprechen mancher Worte Zuckungen bekommt, so ist dies offenbar weniger die wirkliche Natur der Gegenstände, als die Eigentümlichkeiten, die man ihnen beilegt. Es ist nicht der wirkliche Sinn der Worte, sondern der ihnen untergelegte. In Loudun bewirkte die Berührung eines mit Federn gefüllten Säckchens ebenso heftige nervöse Erscheinungen2, wie die Applikation der übrigen Reliquien. In der Epidemie von St. Medard in Paris bewirkte eine Handvoll Erde, von der man voraussetzte, dass sie von Medards Grabe entnommen worden sei, beim Auflegen ebenso sicher Zuckungen, wie die wirklich vom Grab entnommene Erde. Schon der Anblick mancher Reptilien oder anderer Tiere oder die bloße Besorgnis, dass sie in der Nähe seien, kann bei Hysterischen, die einmal einen Widerwillen vor solchen Tieren haben, nervöse Zufälle hervorrufen. So kann man auch Marthe Brossier für eine Hysterische halten, deren Zufälle durch die Exorzismen noch gesteigert werden mussten. Dass der Anblick eines anderen Buches, das sie aber für ein Zauberbuch hielt, der Klang lateinischer Worte, die an sich bedeutungslos, für sie aber fremdartig waren, dieselben Erscheinungen hervorriefen, wäre von diesem Gesichtspunkt also noch kein durchgreifender Beweis für ihre Simulation.

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  1. Die von Calmeil noch vorher mitgeteilte Geschichte von der Hinrichtung des Aupetit, Pfarrer von Payas in Limousin, enthält nichts wesentlich Neues. Er leugnet erst alles und erst nachdem er auf der Tortur gelegen hatte, gesteht er seinen Umgang mit dem Teufel.
  2. Ein Graf von Lude machte damit die Probe, unter dem Vorwand, es seien heilige Reliquien.

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