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Neue Gespenster – 2. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil
Zweite Erzählung

Ein furchtbarer Unhold verschlingt die entblößte Brust einer säugenden Mutter.

Wie sonderbar der Zufall zuweilen dem Wunderglauben im ganzen Umfang dieses Wortes Nahrung gibt und Betrügern zu Hilfe kommt, davon ist folgende verbürgte Tatsache ein redendes Beispiel:

Als im siebenjährigen Schlesischen Krieg die russische Armee gegen die Neumark vorrückte und die Bewohner dieser Provinz kein besseres Schicksal erwarten ließ, wie Preußen gehabt hatte, versuchten viele, besonders auf dem platten Land, ihr Geld durchs Vergraben in Sicherheit zu bringen. Dies tat auch der Schäfer eines unweit Frankfurt an der Oder gelegenen Dorfes; (irre ich nicht, so war es das Dorf Frauendorf). Er vergrub aber in Gemeinschaft mit seinem Knecht sein und dessen Geld. Das seine belief sich auf achthundert Talern. Das Geld des Knechts betrug zweihundert Taler. Außer diesen beiden Eigentümern wusste nur noch die Frau des Schäfers um das Geheimnis und den Ort, wo Mutter Erde den Schatz verbarg.

Noch vor Ende des Krieges und früher, als der Schäfer sein Geld wieder auszugraben gewagt hatte, starb dieser. Bald darauf ging der Knecht aus den Diensten der Frau, welche die Schäferei behalten hatte, und erstand meistbietend das Wirtshaus in einem benachbarten Dorf, wo er sich häuslich niederließ. Die Frau wusste, dass er kein Vermögen hatte. Dieser Ankauf, zu welchem er eine Summe von tausend Talern baren Geldes bedurfte, fiel ihr schwer aufs Herz. Sie fasste einen Verdacht, den sie in ihrer sonst arglosen Seele, bei allem gutmütigen Willen dazu, dennoch nicht unterdrücken konnte. Sie grub daher mit Zuziehung des Mitinteressenten, nach dem verscharrten Geld und fand — nichts.

Was war natürlicher als die Besorgnis, dass ihr ehemaliger Knecht, der sich bei dieser Wahrnehmung nicht einmal unbefangen und verdachtlos nahm, das Geld heimlich ausgegraben haben mochte. Da sie indessen keine Beweise hatte, die vor Gericht gelten konnten, vor einem Injurienprozess aber, wie vor jedem anderen weislich zitterte, so ergriff sie ein Mittel, welches, ungeachtet seiner Belachenswürdigkeit, an dieser Dörflerin umso weniger auffallen kann, da jezuweilen auch sogar Städterinnen aus den gebildeteren Ständen in ähnlichen Fällen sich desselben bedient haben sollen — das heißt, sie wandte sich an einen sogenannten klugen Mann.

Zu Spredenhagen, einem kurmärkischen Dorf des Storkower Kreises, wohnte nämlich ein Bauer, der die Zukunft so gut durchschaute, wie er die Vergangenheit und Gegenwart kannte; der die Geheimnisse der umliegenden Gegend nicht weniger wusste und benutzte, wie diejenigen seines Wohnorts. Er war daher so bekannt, als auch allgemein geehrt und gefürchtet. Zu ihm hin geschahen der Wallfahrten mehrere, wie damals zu der berüchtigten Dame zu Endor. Beinahe dreißig Lebensjahre hindurch verrichtete er unerhörte Taten, und selbst lange nach seinem Tod noch wirkte er fort – durch seine Witwe.

Zu diesem Orakel des aufgeklärtesten Jahrhunderts nun nahm auch die bestohlene Schäferin ihre Zuflucht, teilte ihm die ganze Lage der Sache mit und der kluge Mann wusste Rat. Er zeigte ihr in einem magischen Spiegel den Dieb; natürlich keinen anderen als ihren ehemaligen Knecht. Er befahl ihr, zum Diebe zu gehen, ihm den Diebstahl auf den Kopf zuzusagen und das Entwendete mit der Drohung wieder zu fordern.

»Der kluge Mann werde den Dieb zu züchtigen wissen, wenn er zumindest sich weigern würde, das Gestohlene herauszugeben.«

Dagegen sich machte die Bestohlene verbindlich, ihrem Ratgeber nach Verlauf eines Jahres zum Beweis ihrer Erkenntlichkeit ein Geschenk von einhundert Talern in Bar auszuzahlen, sofern sie das Entwendete wirklich wieder erhalten würde.

Sie eilte nun gerades Weges zu dem angeblichen Dieb, verfuhr mit ihm nach Vorschrift und hatte die Freude, dass der Überraschte aus Furcht vor den mächtigen Drohungen jenes ihm schrecklichen Mannes sogleich gestand, das Geld entwendet zu haben, und sogleich versprach, innerhalb dreier Jahre und in drei Raten das Entwendete zu erstatten. Hiermit war auch die Schäferin, welche bald darauf zum zweiten Mal heiratete, vollkommen zufrieden.

Nach Verlauf eines Jahres hielt der Dieb Wort und zahlte abschlägig dreihundert Taler aus.

Einige Wochen danach wurde die Empfängerin durch den klugen Mann an die ihm versprochenen einhundert Thaler erinnert. Nun schien der Schäferin eine solche Belohnung für die ihr geleisteten Dienste außerordentlich. Sie wagte es daher zu versichern, es sei ihr mit diesem Versprechen kein Ernst gewesen war. Sie würde nicht so töricht sein, es zu erfüllen, denn was der kluge Mann ihr gesagt habe, das habe sie selbst früher als er gewusst etc.

Der kluge Mann schwieg nach dieser kategorischen Antwort ein ganzes Jahr mit seiner Forderung. Als aber nun der Schäferin wiederum dreihundert Taler ausgezahlt wurden, erfolgten von seiner Seite die nämlichen Ansprüche, und vonseiten der Schäferin wurde die nämliche abschlägige Antwort erteilt.

Der kluge Mann wartete mit seiner Forderung abermals ein ganzes Jahr. Als aber der Schäferin nun auch die letzten zweihundert Taler zurückgezahlt worden waren und sie immer noch nicht an die Erfüllung ihres Versprechens dachte, ließ er ihr sagen, sie möchte ihm innerhalb der nächsten vier Wochen die versprochenen einhundert Taler auszahlen oder er würde ihr einen Unhold auf den Hals schicken, den sie nicht gern haben würde.

Allein auch auf diese Drohung erhielt er nichts als lose Worte. Die Schäferin dachte sich nämlich unter dem angedrohten Unhold das, was sich auch der kluge Mann, der bei solchen Gelegenheiten weislich zweideutige Orakelsprüche von sich gab, zuverlässig darunter gedacht hatte – einen Gerichtsdiener, den sie indessen nicht fürchten zu dürfen glaubte.

Aber die gute Frau hatte mit einem Mann zu tun, dessen Kraft und langer Arm weiterreichten als bei gewöhnlichen Menschenkindern. Der Gerichtsdiener blieb zwar aus, jedoch an seiner Stelle erschien – hu! Mich graust es bei dem bloßen Gedanken daran?

Die gegebene Frist von vier Wochen war verflossen. Plötzlich entstand nun zur Stunde der Mitternacht auf dem Schäfereihof unter den Schafen ein grässlicher Lärm. Da war nun der angedrohte Unhold! Schrecklich heulten die Hunde, angstvoll blökten die Schafe, mit fürchterlichem Getöse lief alles durcheinander. Der Schäfer stürzte zur Tür hinaus, um die Ursache dieses unerhörten Aufstandes zu entdecken und größerem Unglück vorzubeugen; allein kaum war er unter den Schafen, als ihm ein scheußliches Gespenst auf den Rücken sprang und mit einem Paar fürchterlicher Klauen seinen Hals umklammerte. Er fühlte, dass er eine schwere Bürde trug, und strebte aus allen Kräften, sich derselben zu entledigen; allein es gelang ihm auf keine Weise. Vielmehr umschlang ihn der höllische Reiter immer fester, ohne jedoch einen Laut von sich zu geben.

Der so geängstigte Mann sah sich endlich genötigt, in die Stube zu laufen, um sich dort des Untieres entledigen zu lassen. Hier war Licht, und Beleuchtung soll ja bösen Geister unerträglich sein. Unglücklicherweise stand die Hausfrau, die ein saugendes Kind hatte, im Hemd und mit ganz entblößtem Busen da. Kaum hatte der Unhold diesen Busen in das lüsterne Auge gefasst, so sprang er mit einem Satz vom Rücken des Mannes herab, zu der bebenden Hausmutter hin und verschlang die eine Brust derselben mit teuflischem Wohlbehagen.

Diess Ungeheuer war ein wütender Wolf: eine Erscheinung, die in jenen, an das ehemalige Polen grenzenden Gegenden selbst noch nicht einmal etwas ganz Ungewöhnliches war, da man gleich deren seit jener Zeit schon Hunderte erlegt hatte. Auch er wurde sogleich durch den Schäfer erstochen.

Indessen starb das unglückliche Weib, aller angewandten Mühe ungeachtet, teils vor Schrecken, teils an den Folgen der ihr abgebissenen Brust.

Dass der Ruf des klugen Mannes durch dieses zufällige Ereignis ungemein gewachsen sein werde, lässt sich denken. Sonderbar war es bei dieser Begebenheit, dass der Wolf nicht den Schäfer, mit welchem der kluge Mann eigentlich nichts zu teilen hatte, sondern die Frau desselben verwundete, die ihm die versprochenen hundert Taler vorenthalten hatte; allein auch hiermit ging es ganz natürlich zu.

Indem der Schäfer den von Hunden verfolgten Wolf in das erleuchtete Zimmer schleppte, begann für das wütende Tier der Augenblick des Kampfes auf Leben und Tod. Was seinen wilden Blicken sich nun zuerst auffallend darstellte, das wurde der Gegenstand seiner Wut. Bisher war die tote, seine Blutgier nicht reizende Pelzmütze des Schäfers, auf dessen Rücken er sich gleichsam vergriffen oder verpackt1 hatte, seinem Rachen das Nächste gewesen. Nun erblickte er an seiner Seite die Lockspeise der entblößten vollen Brust der Schäferin, welche zur Rettung ihres um Hilfe rufenden Mannes herbeigesprungen war. Was ist begreiflicher, als dass nun die unglückliche Frau das Opfer seiner gereizten Wut wurde.

Show 1 footnote

  1. So wie ein ergrimmter Hund sich oft zu verbeißen pflegt