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Nick Carter – Carruthers, der Verbrecherkönig – Kapitel 8

Nick Carter
Carruthers, der Verbrecherkönig
oder: Lebendig begraben
Kapitel 8

Auf der richtigen Fährte

Rasch hatte Nick Carter sich wieder mit Weste und Rock bekleidet und es auch nicht verabsäumt, seine Waffen gehörig instand zu setzen, um sie jeden Augenblick zur Verfügung zu haben. Seine Stiefel konnte er getrost anziehen, denn da diese Gummisohlen hatten, so vermochte er auf ihnen so geräuschlos wie auf weichen Filzschuhen einherzugehen.

Rasch stand er am oberen Ende der Treppe. Diese wurde durch eine massive und mit Eisen beschlagene eichene Bohlentür abgesperrt. Ein Druck auf die Klinge überzeugte Nick Carter davon, dass sie verschlossen war. Doch das bereitete ihm den geringsten Kummer, denn vor sich sah er ein Schlüsselloch, und er wusste, dass sein Spezialdietrich mit einem jeglichen Schloss im Handumdrehen fertig wurde. Dagegen beschlich die Besorgnis ihn, dass von der anderen Seite ein Riegel vorgelegt sein mochte, dessen Beseitigung natürlich in erheblichem Maße schwieriger gewesen wäre. Unmöglich zu vollbringen war auch eine derartige Arbeit nicht; doch sie hielt auf und war auch mit Geräusch verbunden, da er den Türteil, auf welchem der Riegel festgeschraubt war, aussägen musste.

Als er indessen mit seinem Dietrich die Tür aufgeschlossen hatte, fand er diese durch kein weiteres Hindernis versperrt. Carruthers hatte offenbar gar nicht mit der Möglichkeit seines Entkommens gerechnet und es darum ganz unterlassen, noch irgendwelche besonderen Vorsichtsmaßregeln anzuwenden.

Im nächsten Augenblick war Nick Carter in das Souterrain des Hauses geschlüpft.

Durch die vorgelegten Fensterläden drangen nur vereinzelte Sonnenflimmer. Doch Nick Carters Augen waren an die Dunkelheit gewöhnt, und er vermochte auch im Finsteren zu sehen. Es wurde ihm augenblicklich klar, dass das Haus unbewohnt war, denn im gesamten Souterrain befand sich auch nicht ein Einrichtungsstück. Sogar der Küchenofen war entfernt, und in sämtlichen Räumen lag der Staub fingerdick, ein sicheres Zeichen, dass niemand in ihnen weilte.

»Hm, ja«, flüsterte der Detektiv vor sich hin. »Ich erinnere mich nun – das Haus hier sieht auch von außen kläglich verfallen aus. Ein besseres Versteck hätte Meadows gar nicht finden können, und niemand würde auf den Einfall gekommen, ihn hier zu suchen … und dieser Carruthers konnte sich keinen besseren Alibibeweis schaffen … man wusste ja, dass er im Haus an der Boston Road weilte … das heißt, man nahm es an … in Wirklichkeit war er ganz anderswo und hatte uns allen eine lange Nase gedreht, indem er seinen Ausgang durch dieses Haus benommen hatte … dieser Carruthers ist wirklich einer von den wenigen Halunken, von denen man noch etwas lernen kann!«

Nick näherte sich der zum Parterre führenden Tür und lauschte von Neuem. Er glaubte zwar kaum, dass die von ihm Gesuchten sich noch im Haus aufhalten würden, verabsäumte aber trotzdem nichts von seiner sonstigen Vorsicht.

Die Lippen und die Kehle brannten ihm wie lebendiges Höllenfeuer. Er schlich auf den Zehenspitzen zu der Küche zurück. Dort befand sich über dem Ausguss ein Wasserhahn. Möglicherweise hatte man das Wasser nicht abgesperrt. Er musste an sich halten, um nicht in einen Freudenschrei auszubrechen, als wirklich Wasser hervorgetropft kam.

Schier übermenschliche Überwindung kostete es ihn, nun ruhig abzuwarten, bis das zuerst schlammig trüb zum Vorschein kommende Leitungswasser sich soweit geklärt hatte, um trinkbar zu erscheinen. In einem Winkel hatte Nick eine zerbrochene Tasse entdeckt. Diese wusch er mit großer Sorgfalt zwei-, dreimal ab. Dann endlich füllte er die Tasse und führte sie an die Lippen. Er ließ sich durch die nur zu natürliche Gier nicht zu überhastigem Trinken verleiten, sondern nur schluckweise trank er von dem Tasseninhalt – und dieser erschien ihm ungleich köstlicher als die erlesensten Weine, als der prickelndste eisgekühlte Champagner … und doch war es nur Wasser … New Yorker Leitungswasser, das nichts weniger als gut ist, und das in diesem Fall noch schlechter als gewöhnlich, nämlich lau und trüb war.

Als Nick Carter noch eine zweite Tasse Wasser behutsam geschlürft hatte, fühlte er sich wie neugeboren. Von Neuem schlich er zum Treppenaufgang und lauschte wiederum nach irgendwelchem Geräusch im Hausinnern.

Nichts regte sich, und Nick Carter beschloss, unter Anwendung aller nur erdenklichen Vorsicht die Treppe zu ersteigen und sich oben im Haus nach den beiden Verbrechern umzusehen, denn es war immerhin möglich, dass sie bei ihrer fluchtartigen Entfernung irgendeinen Gegenstand zurückgelassen hatten, der wiederum auf ihre Spur führen konnte.

So langsam und behutsam wie möglich erstieg der Detektiv die Treppe. Um jedes Knarren der Stufen zu vermeiden, setzte er die Füße hart an die Bordschwellen. Eine Minute später stand er im Parterre, dem Hauptstockwerk des Hauses, von welchem aus eine weitere Treppe zum zweiten und letzten Stocke führte.

Auch hier war es im Korridor finster, obwohl draußen schon lange die Sonne schien. Es war indessen für den Detektiv ausreichend hell genug, um ihn erkennen zu lassen, dass Vorder- wie Hinterzimmer jeglichen Möbelstückes beraubt waren. Weder die Zimmerböden noch den Korridor und die Treppen deckten Teppiche, wohl eins der wesentlichsten Erfordernisse selbst im bescheidensten amerikanischen Haushalt, ohne welche der Yankee sich nun einmal keine Behaglichkeit denken kann.

»Well, ich werde mir zum Überfluss auch einmal die zweite Etage ansehen, denn in diesem Haus hat sich Meadows noch heute Nacht verborgen gehalten, so viel ist sicher … und das kann nur im zweiten Stockwerk gewesen sein, denn hier in diesen öden Räumen fühlt sich doch keine Maus gemütlich, geschweige ein verwöhnter Bankpräsident.«

Unter Anwendung derselben Vorsichtsmaßregeln begann Nick Carter nun auch die zum Oberstock emporführende, gleichfalls teppichlose Treppe zu ersteigen. Bald stand er im oberen Korridor und wollte sich gerade an der zum Frontzimmer führenden Tür vorüberschleichen, als er plötzlich wie gebannt stehen blieb, den Atem anhielt und lauschte.

Die nächste Sekunde schon schlich er sich an die Tür heran, presste sein Ohr gegen diese und horchte wieder.

Sein scharfes Gehör hatte ihn nicht getrogen! Er hatte Stimmen zu hören vermeint – und nun wusste er, dass er sich nicht getäuscht hatte.

In dem Raum jenseits der Tür sprachen zwei Personen miteinander. Doch es musste innen eine Polstertür vorhanden sein, welche jedes Geräusch fast bis zur Unhörbarkeit abdämpfte. Nick Carter vermochte, aller Anstrengung zum Trotz, nicht einmal zu unterscheiden, ob es sich um männliche oder Frauenstimmen handelte, geschweige, dass er auch nur ein einziges Wort der Unterhaltung zu verstehen imstande gewesen wäre.

Ein grimmiges Lächeln umspielte die fest aufeinandergepressten Lippen des Detektivs, und in seinen blitzenden Augen tauchte ein stahlharter Blick unbeugsamer Entschlossenheit auf.

»Ich werde bald wissen, was ich von diesem Zwiegespräch zu halten habe!«, flüsterte er vor sich hin. »Kann man den kürzesten Weg nicht einschlagen, so nimmt man auch mit einem Umweg vorlieb … die Hauptsache ist nur, dass er auch wirklich zum Ziel führt!«

Damit verließ er seinen Standort und schlich sich den Korridor hinunter bis zu der in das hintere Zimmer führenden Tür. Minutenlang stand Nick Carter wieder still und lauschte. Doch keinerlei Geräusch ließ sich im Inneren des Zimmers vernehmen, welches auf die Gegenwart von Menschen hätte schließen lassen. Endlich fasste Nick Carter sich ein Herz und drückte so vorsichtig wie möglich die Klinke nieder.

Diese gab seinem Druck nach, und die unverschlossene Tür ließ sich ohne Schwierigkeiten aufmachen.

Etwa handbreit öffnete sie der Detektiv. Dann blieb er wieder, mit der Hand an der Klinke, in abwartender Stellung, und wie geblendet musste er plötzlich seine Augen schließen.

Nicht dass es besonders hell im Zimmer gewesen wäre, denn dessen Fensterläden waren geschlossen, und durch die schräggestellten Blenden drang nur eben so viel Sonnenlicht, dass ein soeben von der Straße ins Zimmer Getretener es schwierig gefunden haben würde, sich im letzteren überhaupt zurechtzufinden. Anders dagegen Nick Carter, der aus der Dunkelheit zum Licht stieg und welchem der Sonnenflimmer beinahe wie eine blendende Illumination erschien, an deren Lichtfülle er sich nur allmählich zu gewöhnen vermochte.

Als dies geschehen, schaute Nick Carter sich aufmerksam im Raum um. Es handelte sich um dasselbe Hinterzimmer, wie er es auch im anderen Haus vorgefunden hatte. Entsprach auch die übrige Hauskonstruktion dem anderen Gebäude, so führte jene angelehnte Tür dort zu einem schmalen Durchlass, der zum Vorderzimmer führte und mit Waschgelegenheit sowie zwei diese flankierenden Wandschränken ausgestattet war.

Kurz entschlossen trat Nick Carter in das Hinterzimmer ein. Das eine Fenster war nahebei, und er konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick hinaus zu tun, denn die Blenden der Läden waren derart gestellt, dass man durch sie auf die Straße hinausschauen konnte, ohne von dieser aus wahrgenommen werden zu können.

Wie Nick Carter vermutete, fiel sein Blick auf das Carruthers’sche Haus … oder vielmehr auf eine rauchende Brandstätte, auf welcher noch eine Anzahl Feuerwehrleute geschäftig tätig waren.

Morris Carruthers hatte Wort gehalten und mit eigener Hand das Haus angezündet.

Schon die nächste Sekunde indessen ließ Nick Carter vergessen, was er erschaut hatte; denn deutlicher als zuvor drang Stimmengemurmel zu seinem Ohr. Er konnte sich nicht täuschen, die Stimmen drangen durch die angelehnte Tür des zum Vorderzimmer führenden Durchlasses.

Heiß leuchtete es in den Augen des Detektivs auf, und mit raschem Griff vergewisserte er sich, dass seine Waffen in Ordnung waren und er sich auf dieselben verlassen konnte.

Ich habe mich etwas ermüdet gefühlt!, dachte er. Hm, wenn es sich aber zufällig bewahrheiten sollte, dass die beiden im Vorderzimmer miteinander Plaudernden Morris Carruthers und Isaak Meadows sind – und ich wüsste nicht, wer anders es sein könnte – dann dürfte es sich ereignen, dass ich alle Mattigkeit vergesse und den Kerlen zeige, wie ich mich nicht davor fürchte, selbst in die Höhle des Löwen zu dringen.