Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Detektiv – Das Auge der Prinzessin Singawatha – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Das Auge der Prinzessin Singawatha

4. Kapitel
Prinz Achmed Ibur Dau

Bisher hatten wir aus dem Zimmer keinen Laut vernommen.

Nun aber rief der Prinz strengen Tones: »Ich befehle dir, antworte! Was sollten die beiden farbigen Laternen?« Er sprach das Englische fehlerfrei und fließend.

Seine blonde Tochter hob den bis dahin leicht gesenkten Kopf.

»Du weißt, dass ich mir nichts befehlen lasse, nichts und von niemandem! Du hast das Recht längst verwirkt, als Vater von mir Gehorsam verlangen zu dürfen …« Ihre schlanken Hände hatten sich in heftiger Erregung nach ihm ausgestreckt. »Gib mich frei! Nochmals bitte ich dich darum! Ich habe von meiner Mutter deutsch fühlen und denken, an einen dreieinigen Christengott glauben gelernt. Nichts verbindet mich mehr mit diesem Haus, diesem Land! Ich will keine Gefangene sein wie all diese armen Geschöpfe, die Ihr, ob Frauen, ob Mädchen, in Eure Harems einsperrt, die dort aus Langeweile geistestötendem Grübeln verfallen, die Ihr geistig mordet …«

Der Prinz zuckte die Achseln.

»All das habe ich so oft von dir gehört, dass ich nicht mehr zu versuchen brauche, dir klar zu machen, weshalb ich nie, niemals dulden kann und werde, dass Achmed Ibur Daus Tochter als Abtrünnige der Lehre des Propheten in die Fremde zieht!« Seine Stimme schwoll mit jedem Wort an. »Niemals wirst du dieses Haus verlassen – verstehst du mich? Ich werde deinen Trotz zu brechen wissen, werde die Verräterin Suleimah und dich so festhalten, dass ein Entweichen fernerhin unmöglich ist! Vor den Toren meines Palastes, vor dem Eingang meines Harems macht auch die englische Polizei, die Allah wie sämtliche Engländer verderben möge, respektvoll Halt! Ich warne dich zum letzten Mal, Singawatha. Willst du mir sagen, weshalb ihr beide vor anderthalb Stunden …«

Eine kurze Handbewegung der Prinzessin hieß ihn schweigen. Sie erhob sich, trat dicht auf ihn zu.

»Du hast meine Mutter über alles geliebt. Das weiß ich«, sagte sie eindringlich. »Auch mich hast du bis vor jenem unseligen Abend auf Händen getragen. Vater, beim Andenken meiner Mutter flehe ich dich an: Gib mir die Freiheit, lass mich hinüber nach Deutschland, wo die wohnen, die mich freudig aufnehmen werden, wenn sie auch bettelarm sind, eben die Verwandten meiner Mutter.«

Achmed Ibur Dau hatte plötzlich die Linke wie schützend über die Augen gelegt.

Sekunden verrannen. Dann ließ er die Hand sinken. Und seine Stimme war hart und liebeleer, als er seiner Tochter zurief: »Niemals! Niemals! Du wirst bleiben, wo du bist. Deine Zukunft kennst du. Der Maharadscha von Alwar will dir die Ehre erweisen, dich zu seiner Gattin zu erheben. Sobald der Doktor Paresquieux den Verlust des Auges ausgeglichen hat, und das wird übermorgen Vormittag geschehen, erfolgt meine Benachrichtigung an den Fürsten, dass der Hochzeit nichts mehr im Wege steht.«

Singawatha kehrte langsam zum Sessel zurück, setzte sich, spielte nervös mit einem blitzenden Armband an ihrem linken Handgelenk.

Eine Weile drückendes Schweigen. Dann der Prinzessin helle klare feste Stimme:

»Ich werde nie des Maharadschas Frau werden – niemals! Ich warne dich! Denn nur aus Angst vor den Miteingeweihten eurer politischen Verschwörung ist dein Herz zu Stein mir gegenüber geworden. Meinst du, ich weiß nicht, weshalb du vorhin deine Augen bedecktest? Wer die Mutter so über alles geliebt hat wie du die meine, der kann das Unglück seines Kindes nur wollen, weil er dazu gezwungen wird!«

Achmed Ibur Dau hatte die Arme über der Brust verschränkt. Fast feierlich sagte er nun: »Über der Liebe, selbst der größten, steht das Vaterland, steht die Freiheit von Millionen! Wer Achmed Ibur Dau aus dem alten Königsgeschlecht der Tallabisser einen Feigling nennt, kennt ihn schlecht. Was sollte das rote und grüne Licht, Singawatha? Sprich! Zwinge mich nicht dazu, dich bis zur Ankunft des Maharadschas wie eine Verbrecherin dort einsperren zu lassen, von wo Suleimah nie wieder …«

Die Prinzessin schnellte hoch. »Wollt ihr sie erdrosseln, stumm machen?«, keuchte sie, und ihre Gestalt flog wie im Schüttelfrost. »Wollt ihr sogar vor einem Mord nicht zurückschrecken, ihr erbarmungslosen Sklavenhalter, die ihr auf Grund eurer aberwitzigen, veralteten Religion euch anmaßt, jede Frau nach eurem Belieben knechten zu können! Ich warne dich! Hörst du – ich warne dich!«

Ihre Erregung schwand urplötzlich. Sie lachte kurz auf. »Ja, lass mich nur einsperren! Ich kenne die Kellerräume! Dort wird so mancher Frauenseufzer ungehört verhallt sein. Tu es doch! Rufe deine Diener, deine Mitwisser, deine Wächter, deine Herren!«

Achmed Ibur Daus dunkle Augen musterten die Tochter nun misstrauisch.

»Was soll dieses lächerliche Ich warne dich. Was soll es? Glaubst du, du könntest mich schrecken durch derlei billige Redensarten?«

»Oh, ich habe dich schon erschreckt! Ich sehe es dir an. Vater, uns trennt eine unüberbrückbare Kluft«, fügte sie weich hinzu. »Vater, sorge, dass die erstorbene Kindesliebe sich nicht noch in Hass verwandelt.«

Der Prinz wandte sich kurz um, nahm eine Zeitung vom Tisch auf.

»Geh!«, sagte er befehlend. »Ich will dir bis morgen Vormittag Zeit gewähren, dich auf deine Pflicht als Mohammedanerin zu besinnen.«

Singawatha schritt zur Tür.

Der Prinz war allein. Er begann, unruhig das Gemach zu durchqueren. Dann drückte er auf den Knopf des Haustelegrafen.

Ein Diener trat ein, verneigte sich tief.

»Ich brauche dich nicht mehr, Hassan. Bestelle dem Hausmeister, dass die Prinzessin vorläufig im Harem bleibt.« Der Prinz hatte sich der Landessprache bedient. Harst hat mir später diese Sätze deutsch wiederholt.

Der Diener blieb aufgerichtet stehen. »Und Suleimah?«, fragte er.

»Ja doch, bringt sie hinab«, rief der Prinz gereizt.

Hassan verbeugte sich und verschwand.

»Sehr vielsagend!«, flüsterte Harst mir zu. »Diese soeben belauschten Szenen haben mir nun auch das Letzte klar gemacht. Wir werden uns erlauben, Seiner Hoheit einen Besuch abzustatten.«

Er richtete sich auf, pochte an die Scheibe der Balkontür.

Der Prinz schlug den Vorhang zurück. Das Licht der Krone fiel voll auf den schwarzbärtigen Inder, der so echt aussah und doch ein Deutscher war.

Die Tür ging auf.

»Wer bist du?«, fragte Achmed Ibur Dau. Seine Haltung und Stimme bewiesen, dass ihm Furcht völlig fremd war.

Dann bemerkte er mich, wollte mit einem Satz zurück ins Zimmer. Aber Harst hielt ihm schon den Revolver vor das Gesicht.

»Staatspolizei!«, flüsterte er. »Keine Bewegung ohne meine Erlaubnis. Hoheit! Ihr Palast ist völlig umzingelt.«

Der Prinz wurde aschgrau im Gesicht.

Harst deutete auf den Sessel. »Nehmen Sie Platz, Hoheit. Wir haben einiges zu besprechen.«

Ich schloss die Tür und die Vorhänge, verriegelte auf Harsts Wink auch die beiden anderen Türen.

Wir setzten uns dem Prinzen gegenüber auf zwei gepolsterte Elfenbeinhocker.

»Hoheit, ich habe vorhin gelogen«, begann Harst, den Revolver auf den Schenkel stützend. »Wir sind nicht Beamte der Staatspolizei. Ihr Palast ist auch nicht umstellt. Ich bin der deutsche Privatdetektiv Harald Harst. Das dort ist mein Freund Schraut. Vielleicht haben Sie schon von uns gehört?«

»Genug, um auch bestimmt zu wissen, dass Sie mich und meine Tochter belauscht haben«, meinte Achmed gelassen und nahm eine noch zwanglosere Haltung ein. »Weshalb dieser Überfall, Master Harst?«

Er schlug ein Bein über das andere, fuhr fort: »Wollen Sie sich nicht lieber als meine Gäste betrachten, Master Harst? Ich habe seit Stunden nicht geraucht. Bitte, vielleicht reicht Master Schraut mir dort das Glaskästchen herüber.«

Da Harst mir zunickte, holte ich es von dem Rauchtischchen. Der Prinz hielt es uns entgegen.

»Bitte, bedienen die Herren sich. Die Höflichkeit verbietet mir, eine Zigarette zu genießen, wenn meine Gäste nicht dasselbe tun.«

Harst lehnte nicht ab, sagte jedoch: »Hoheit, ich komme in einer Angelegenheit zu Ihnen, die sich vielleicht nicht ohne eine gewisse Zwangsausübung meinerseits erledigen lässt.«

»Oh, ein Harald Harst vertritt stets nur die Sache des Rechts«, erwiderte der Prinz liebenswürdig.

Wir rauchten die ersten Züge schweigend. Ich merkte Harst an, dass die Höflichkeit Seiner braunen Hoheit ihm nicht recht angenehm war. Er hätte lieber in anderem Ton mit ihm verhandelt.

»Sie haben die Hilfe eines gewissen Doktor Paresquieux in Anspruch genommen, Hoheit, um Ihrer Tochter ein Glasauge einsetzen zu lassen«, begann Harst wieder. »Sie kennen diesen Doktor seit einem halben Jahr etwa, nicht wahr?«

Der Prinz nickte. »Eine Zufallsbekanntschaft, Master Harst. Der französische Arzt wurde mir hier in einem Spielklub vorgestellt, besser, er ließ sich mir vorstellen, und im Laufe der Unterhaltung kam das Gespräch auf den künstlichen und künstlerischen Ersatz menschlicher Augen. Da nun Singawatha dem Maharadscha — Sie haben auch das wohl erlauscht — nicht gut einäugig als Gattin zugeführt werden konnte, war es mir sehr lieb, dass …«

»Danke. Ich verstehe. Der Maharadscha sollte nicht ahnen, dass die Prinzessin das linke Auge eingebüßt hatte. Deshalb hielten Sie, Hoheit, Ihre Verbindung mit dem Doktor auch geheim und trafen in der verflossenen Nacht mit ihm bei dem Goldschmied, der unten am Fluss wohnt, zusammen. Hoheit, haben Sie mal in den Zeitungen von jenem Verbrecher gelesen, dem ich …«

Ich weiß nicht, ob Harst plötzlich die Worte wirklich so schwer über die Zunge kamen oder ob die Ohnmachtsanwandlung, die mich mit einem Mal kraftlos von meinem Hocker gleiten ließ, an einer Gehörstörung schuld war. Ich lag jedenfalls auf dem Teppich, suchte mich umsonst wieder aufzuraffen.

Dann ein ironisches Lachen und die lauten Sätze: »Ja, meine Zigaretten sind etwas sehr schwer! Man dringt nicht ungestraft bei Achmed Ibur Dau ein!« Das war das Letzte, was meine Sinne begriffen.

Ich verlor die Besinnung.