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Die Riffpiraten – Kapitel 17

Heinrich Klaenfoth
Die Riffpiraten
Verlag Albert Jaceo, Berlin, um 1851

Kapitel 17

St. Bethlehem

Das Zivil-Beschäftigungshaus in Mexiko war um die Zeit, von der Frau Mercurian redete, äußerst stark bevölkert. Es war in zwei Sektionen geteilt, welche eine die männlichen, die andere die weiblichen Individuen in sich schloss. Die erste Abteilung wollen wir hier nur angedeutet haben, über die andere indessen einige Bemerkungen machen.

In dem allgemeinen und größten Schlafsaal, in welchem sich etwa dreißig Betten befanden, zogen sich gewöhnlich die Insassen zu einer Zeit zusammen, in welcher sie von ihren Zwangsarbeiten, die mit dem Glockenschlag sieben Uhr des Abends aufhörten, frei waren.

Dieser Aufenthalt war die eigentliche Börse der Anstalt zu nennen, da hier alle Neuigkeiten des Tages zur Sprache kamen. Diejenigen von den weiblichen Personen, welche ihr Wort und ihre Stimmen unter dem großen Haufen besonders zur Geltung brachten, standen entweder durch ihre persönliche Verworfenheit, worauf sie ein trauriges Gewicht legten, oder durch eine Art rednerischer Begabung in einem besonderen Ansehen.

Den meisten dieser Unglücklichen war der Stempel der Prostitution und Schande des ganzen weiblichen Geschlechts auf die Stirn gedrückt. Durch einen allgemeinen Frohsinn, rohen Jubel, entsetzlich unsittliche Redensarten versuchten sie sich über ihre Lage zu betäuben. Die buchstäbliche Gemeinheit, besonders wenn sie sich vom Auge der Aufseher frei wussten, sprudelte über alle Schranken – schaudererregender Raum! Man war in einer Kloake, angefüllt und verpestet durch Verworfenheit und übergärenden Frevel an der Menschenwürde, denn das ist eine der edelsten Zierden der Menschheit, die weibliche Schamhaftigkeit. Man muss schaudern, zu welcher Entsittlichung und zu welcher Tiefe eine Frau zu sinken imstande ist, wenn man dagegen den Edelsinn und die engelgleiche Tugend, zu der wiederum eine Frau sich aufzuschwingen imstande ist, in eine Parallele stellt.

In einer Ecke dieses großen Schlaf- und beziehungsweise Gesellschaftssaales saß eine arme Negerin, traurig und in sich gekehrt. Sie hatte sich auf einem kleinen Holzschemel niedergelassen und trocknete von Zeit zu Zeit ihre Tränen, die ihr reichlich über die Wangen flossen, welche sie immer wieder mit ihrer Schürze abtrocknete.

Sie nahm keinen Anteil an dem rohen und lärmenden Gespräch, sondern saß einsam, bis sie sich plötzlich von einem mutwilligen Mädchen an der Hand ergriffen und trotz ihres Widerstrebens in den großen Haufen gezogen sah.

»Schaut herab, große Priesterin«, rief die Mutwillige in einem Anflug guter Laune einer Person mit einem blauen Ring um die Augen und einem matten, erloschenen Blicke zu, »hier ist die heilige Genovefa, welche dir ihre Sünden noch nicht gebeichtet hat.«

Die Mehrzahl der Anwesenden brach in ein widerliches, heiseres, wildes Gelächter aus und riefen einstimmig: »Sie muss beichten, muss beichten!«

»Alles muss seine Ordnung haben«, sagte die Priesterin mit einer heiseren und rauen Stimme. »Wir werden eine parlamentarische Sitzung über sie halten.«

»Ja, das wollen wir«, applaudierten alle wie aus einem Mund.

Die Priesterin war nur mit einem alten zerfetzten Unterrock bekleidet, aus dem, als sie sich auf einen Stuhl, der von den übrigen auf einen Tisch gesetzt worden, wie auf einen Thron niederließ, ein verdorrtes Knie mit einer gelben Haut heraustrat. Auf einem Knöchel schlotterte ihr ein durchlöcherter Strumpf, der früher weiß gewesen war, der andere Fuß war bloß. Ihren Oberkörper umgab ein Spencer, dessen früheres Grün kaum zu erkennen war. Sie hatte ihr kurzes, mit Grau meliertes kümmerliches Haar, welches sie eben zusammenzunehmen im Begriff war, mit der einen Hand gefasst, als sie den obigen Vorschlag machte.

»Wessen Geistes Kind bist du, unschuldige Seele?«, hob die Priesterin mit einer pathetischen Pantomime an.

»Ach, ich bin aus Porte au Prince!«, sagte das geängstigte Mädchen in einem bittenden Ton, »lasst mich nur gehen, da ich unglücklich bin.«

»Hier ist der Hafen der Ruhe unserer irdischen Taten, der Tempel des Glücks, welches du, arme Seele, nur nicht vollständig begriffen hast!«, erklärte die Priesterin.

»Sagt mir nur lieber, wie ich wieder fortkomme«, bat die arme Negerin.

»Nichts leichter, als das, obwohl du mindestens ein halbes Jahr hier sitzen musst, so darfst du nur den Aufseher oder den Inspektor verführen. Er gibt dir sodann ein gutes Zeugnis und du bist frei.«

»Aber wenn du ihn küsst, so nimm dich in Acht, dass du dich nicht an seiner rotglühenden Nase verbrennst«, sagte eine aus dem Haufen, welche Rede von einem allgemeinen, schallenden Gelächter begleitet wurde.

»Oder dass er dich nicht beißt, weil er, wie er sagte, ein ganzes, junges, aber hübsches Mädchen mit Salz und Pfeffer zum Frühstück verzehren könne«, meinte eine andere.

»Oder dass er dich nicht in seine Diebestasche steckt«, hieß es weiter.

»Wenn er nicht etwa seine Riesenschnupftabakdose mit echtem Spaniol darin hat«, bemerkte wieder eine andere.

»Ruhe«, gebot die Priesterin und fuhr dann fort: »Was hast du für ein Gewerbe?«

»Ach, ich bin ein armes Dienstmädchen«, sagte die Negerin, »und war so unglücklich, eines Abends mit meinem Bräutigam in einer finsteren Gasse …«

»Ah, wir verstehen schon«, riefen alle wie aus einem Munde und ein schallendes Gelächter erfolgte nun, dass die arme Schwarze vor Schrecken bebte.

Die Priesterin verschaffte sich Ruhe und fuhr dann fort:  »Bei wem dientest du zuletzt?«

»Bei Madame Raben, ach, das war eine schändliche Frau, die ist an meinem Unglück schuld, sie hat mich unmenschlich gequält.«

»Dich, ihr Dienstmädchen, das fast alle Tage davonlaufen kann?«

»Ja, das Fortlaufen war nicht möglich«, entgegnete die Negerin.

»Warum nicht?«

»Die Madam machte es zu schlau!«

»Nun?«

»Als ich mich ihr vermietete, sagte sie zu mir: ›Sieh, mein Kind, bei mir hast du es sehr gut, weil du dir jede Woche zwei Sonntage machen kannst, unseren Sabbat und deinen Sonntag.‹ Dann gab sie mir eine Coronilla Mietgeld und sagte: ›Du kannst ausgehen fast jeden Abend, so oft du willst, wenn du deine Arbeit fertig hast.‹ Hierin hielt sie streng genommen Wort, denn ihre Arbeit wurde nie fertig. Nach ein paar Tagen traf ich eine Landsmännin, dieser teilte ich mein vermeintliches Glück mit, weil ich, wie ich ihr sagte, eine so gute Herrschaft getroffen hätte. Aber diese wusste mir andere Dinge von ihr zu erzählen, da sie Mädchen kannte, die bei der Dame gedient hatten.«

›Es ist der schlechteste Dienst in der ganzen Stadt‹, sagte sie wohlmeinend.

Ich wollte ihr die Coronilla wieder hintragen, ich stand schon vor der Tür, aber wo sollte ich armes Mädchen hin. In acht Tagen war die Ziehzeit da. Ich betete und vertraute auf den lieben guten Gott.«

»Hört! Sie hat gebetet«, schrien einige und lachten.

»Darauf zog ich in Gottes Namen, mit dem Vorhaben, gleich wieder zu kündigen, in das Haus. Aber die Dame tat so süß, so liebevoll den ersten Tag, dass mir aller Mut zum Kündigen verging, ließ meinen Koffer holen, wofür sie den Trägerlohn zu bezahlen versprach, mir aber das Geld später wieder abgezogen hat. Als sie meine Effekten in ihrer Gewalt hatte, sagte sie den ersten Tag zu mir:  ›Du hast wohl einige Coronillas liegen?‹

›Ja, Madame‹, sagte ich.

›Ist es Silbergeld?‹

›Ja!‹, antwortete ich.

›Wie viel hast du?‹

›Sechs Piaster und einige Scheidemünzen‹, fuhr ich in meiner Unschuld fort.

›Sieh, hier habe ich nur lauter Papiergeld‹, und sie zeigte mir einen ganzen Haufen. ›Ich muss eine notwendige Ausgabe in Silbergeld machen. Gib die sechs Piaster her, du sollst sie heute Abend wiederhaben.‹

Ich war so einfältig, ihr mein Geld zu geben, was sie nur deshalb haben wollte, um mich ganz in ihre Gewalt zu bekommen. Als nun die gesetzliche Zeit zum Kündigen verstrichen war, ging es los. Tag und Nacht hatte ich nicht Ruhe.«

»Gab sie dir das Geld nicht gleich wieder?«, fragte die Priesterin.

»Zwei Monate war ich fest. Als ich mein Geld verlange, sagte sie: ›Nichts bekommst du früher, bis du deine Zeit richtig ausgehalten hast.‹«

»Dieser Bösewicht von Weib!«, riefen einige.

»Dieser Teufel von Judenseele!«, riefen andere.

»Die Grausamkeit, die diese Frau an mir verübte, ist nicht zu beschreiben«, erzählte das Mädchen weiter. »Ich musste unaufhörlich arbeiten und bekam kaum zu essen. In ihren Augen war ich ein Hund.«

Die Negerin fuhr fort, nachdem sie sich mit ihrer Schürze die Tränen getrocknet hatte:  »Wenn ich ohne ihre Begleitung ausgehen musste, was selten geschah, hetzte sie mich, dass ich laufen musste, als gälte jede Sekunde mein Leben.«

»Hattest du denn nie frei?«, fragten einige teilnehmend.

»Nie, nie hatte ich eine einzige Stunde für mich. Meine größte Sorge war um meinen Bräutigam, dem ich keine Nachricht von mir geben konnte.«

»Aber des Nachts doch!«, bemerkte eine sehr scharfsinnig.

»Auch dann nicht einmal«, antwortete die arme Negerin unschuldig.

Diese Erzählung hatte doch einige Teilnahme unter den rohen Gemütern erregt und es entstand eine allgemeine kurze Stille, dann fragte die Priestern: »Nun sage mir, wie kommst du hierher?«

»Da mir die Jüdin, ohne straffällig zu werden, eine Zeit freigeben musste, mir einen Dienst zu verschaffen, so benutzte ich diese Gelegenheit, meinen Joseph aufzusuchen. Ich bestellte ihn an dem Abend, an welchem ich abging. Er kam und unser Glück nach so langer Trennung war groß, wir traten hier unvorsichtiger Weise in einem dunklen Ort etwas zurück, um ungestört sprechen zu können. Da kam plötzlich, wie aus den Wolken gefallen, die Polizei und arretierte mich. Madame Rubens hatte ganz recht, redeten sie zueinander während meines Transportes, in dem Winkel steckte wirklich ein Paar. Die eingezogenen Erkundigungen der Behörde über meinen sittlichen Wandel bei Madame Rubens veranlassten dann diesen Arrest in St. Bethlehem.«

Hier wurde die Verhandlung plötzlich durch ein lautes Getümmel von außen unterbrochen.

Alle drängten sich zur Tür, um aus den Flur zu sehen.