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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Warbattys Testament – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Warbattys Testament

4. Kapitel
Der Affe und die Sonne

Leider kam die Prosa nur zu schnell.

»Das da dürften noch recht frische Blutspritzer sein«, sagte Harst. Und ich erwachte. Die Wirklichkeit verlangte ihr Recht.

Er hatte auf eine etwa fünf Meter entfernte Stelle des Fliesenbodens gedeutet. Auch ich erkannte dort nicht nur kleine, reihenweise Bluttropfen, sondern auch drei handgroße Lachen, die die Sonne bereits tiefbraun verfärbt hatte.

Harst prüfte die Umgebung nun auf seine Art, das heißt, ganz als Detektiv. Als er sich mir dann wieder zuwandte, sagte er: »Einige zwanzig Wilde gegen die fünf Reiter – eine für die Gond faule Sache, falls die fünf aufmerksam gewesen wären! So aber haben sie sich überrumpeln lassen, und wahrscheinlich ist nur der Graf Hardefels als früherer Offizier geistesgegenwärtig genug gewesen, noch drei von der Bande niederzuknallen.«

Er schritt dann, die Augen stets auf dem Boden, dem Ausgang zu, entschwand meinen Blicken und kehrte nach einer Viertelstunde zurück.

»Die Gond haben ihre Gefangenen weggeschleppt«, erklärte er. »Die Fährte verliert sich an einer der alten Stadtstraßen, wo die Steine mir nichts mehr verraten konnten. Es wird uns schwer werden, für die fünf etwas zu tun. Versuchen werden wir es. Ich halte das für meine Pflicht den Landsleuten Pickering und Hardefels gegenüber. Wir müssen die Ruinenstadt umkreisen und feststellen, wo eine Spur eines größeren Trupps in die Wildnis einbiegt. Nur so können …«

Er schwieg plötzlich, nieste, lachte, als ich »zur Gesundheit!« rief und fügte dann hinzu:

»Merk dir dieses Hatschi! Es ist bedeutungsvoller, als du ahnst. Mir ist da soeben ein seltsamer Gedanke gekommen.« Er sprach diese Sätze etwas leiser, das Nächste wieder recht laut, indem er auf den singenden Papagei zeigte, der gerade wieder sein Lied anstimmte.

»Wir wollen doch erst Warbattys Rebus zu deuten suchen, lieber Schraut. Ich bin zu begierig, festzustellen, ob es sich wirklich um eine Falle handelt oder um einen Schatz.«

Wenn dieser singende Vogel hier der richtige war, dann musste auch der Affe auf diesem Hof zu finden sein. Und nun hatten wir Glück. Ich war es, der zwischen hohen Riesendisteln ein Steinbild entdeckte, das einen auf einem Sockel sitzend den Affen darstellte, der in jeder vorgestreckten Hand eine Schale hielt.

Harst besichtigte den Affen sehr genau, nachdem wir die Disteln mit den Büchsenkolben umgebrochen hatten. Dann fragte er mich: »Nun, was hältst du von den Angaben Warbattys?«

Ich kannte den Wortlaut des Rebus bereits auswendig und wiederholte daher langsam aus dem Gedächtnis: »Dort scheint die Sonne dem Affen ins Gesicht, und der dunkle Strich, während der Mittagsmahlzeit dreimal verlängert …«

Und ich fügte hastig hinzu: »Der dunkle Strich ist vielleicht der Sonnenschatten, den der Affe wirft, und zwar gerade mittags.«

»Hm?«, machte Harst.

»Bist du anderer Ansicht?«

»Vielleicht. Am besten, wir suchen jeder für sich das Rätsel zu lösen. Aber halte deine Büchse nach wie vor bereit und die Augen offen! Die braune Bande kann zurückkehren.«

Er ging langsam davon auf den Brunnen zu. Dort setzte er sich auf den Rand des Marmorbassins, zündete sich eine Zigarette an und grübelte anscheinend über Warbattys Vermächtnis nach, das nun das Vermächtnis eines Lebenden geworden war.

Ich war, was unseren alten Gegner und dessen Helfershelfer Herbst anging, ehrlich froh, dass die Gond die beiden als Gefangene mitgenommen hatten, denn es wäre doch ein verteufelt ungemütliches Gefühl gewesen, hier auf offenem Platze jederzeit einer heimtückischen Kugel ausgesetzt zu sein.

Ich bemühte mich nun mit allen Mitteln meines durch den Umgang mit Harst ein wenig geschärften Verstandes, die Lösung des Rebus zu finden.

Ich wiederholte so und so oft, während ich meine Blicke zwischen der Affenstatue und dem Marmorpapagei hin und her wandern ließ: »Der dunkle Strich findet den singenden Vogel, dessen Schnabel den Weg weist, dessen Ende der Anfang ist.«

Was sollte das heißen, was nur? Affe und Papagei standen etwa dreißig Meter auseinander und der Schnabel des Vogels wies nach Südwest, wie ich mithilfe des Taschenkompass feststellte, während der Affe genau nach Südost schaute.

War der dunkle Strich der Schatten? Ich sann und sann.

Der Affe befand sich links neben dem Springbrunnen, wenn man vor diesem stand und nach Norden blickte. Ich hatte mir ausgeklügelt, dass der dreimal verlängerte Schatten des Affen eine gedachte Linie schneiden müsste, die man vom Sockel des Papageis nach Südwesten zog, also in Richtung des Schnabels.

Aber dies konnte nie zutreffen. Das hatte ich bald heraus.

Ich ging hin und her, prüfte die Entfernungen, die Richtungen – alles umsonst.

Nun stand auch Harst auf, sah nach der Uhr, rief mir zu: »Genau zwölf Uhr!«

Auch er schritt auf und ab, blieb stehen, ging weiter, schüttelte den Kopf, murmelte allerlei vor sich hin, meinte dann: »Ein ganz verzwicktes Rätsel. Ich hoffte, ich würde es in Kurzem erledigt haben. Aber ich versage hier! Lassen wir die weiteren Bemühungen für heute. Morgen ist auch noch ein Tag. Und morgen Vormittag werde ich die Geschichte klären, so wahr ich Harald Harst heiße!«

Ich ahnte nicht, was alles er unter dieser Geschichte verstand, ahnte nichts von den Überraschungen, die meiner warteten und die mir wieder einmal bewiesen, wie unendlich meines Freundes und Brotherrn geistige Fähigkeiten den meinen überlegen waren.

Er hatte auf dem Rand des Springbrunnens gestanden, als er mir diese Sätze mit halb zurückgezogenem Kopf zurief. Jetzt sprang er auf die Marmorfliesen hinab, fügte hinzu: »Ich habe Hunger. Kehren wir nach unserem Schlupfwinkel zurück.«

Ich fand, dass er getrost weniger laut all das hätte schreien können. Wenn man sich vor braunem Gesindel zu hüten hat, schont man seine Stimme besser.

Als wir nun durch die toten Straßen der toten Stadt dahinschritten, sagte ich zu ihm, dass es doch eigentlich wenig vorsichtig sei, hier so unbekümmert sich gegenseitig etwas zuzurufen.

Er lächelte dazu. »Lieber Schraut, du wirst dich wundern!« Er klopfte mir derb auf die Schulter. »Nachher sollst du die Lösung des Rebus erfahren. Den Rest aber erst morgen Vormittag.«

Ich blieb stehen. »Wie, du hast …«

»Ja, ich habe!« Er zog mich mit sich fort. »Ich habe das Schwerste herausgekriegt, und das ist, dahinterzukommen, was der dunkle Strich bedeutet. Jedenfalls ist es nicht der Schatten, mein Lieber. Na, ich serviere dir die Erklärung als Nachtisch.«

Ich bat, flehte. Denn ich war neugierig. Und dies wohl mit Recht. Doch er blieb Harst – das heißt – hart und unerbittlich.

Unser Konservenmittag war eingenommen, die Pferde waren versorgt und wir streckten uns auf die Grasstreu hin, die unsere Betten darstellte.

Harst bot mir eine seiner geliebten Mirakulum an. Das war bei ihm ein Zeichen sehr guter Laune. Er schonte seinen Vorrat sehr.

Er hielt mir das Streichholz hin, meinte dann nach den ersten Zügen: »Ja, ohne Hitze könnten wir die Zigaretten nicht in Brand kriegen, und ohne die wärmenden Sonnenstrahlen hätte ich das Rebus nie gelöst. Die Sache ist die, lieber Schraut, jede schlechte Rede fängt mit Also an. Also: Satz eins: Dort scheint die Sonne dem Affen ins Gesicht. Dadurch soll nur gerade auf dieses Affenstandbild hingewiesen werden. Es sind noch andere Affen dort vorhanden.«

»Andere? Ich habe keinen bemerkt.«

»Schlimm genug. Gewiss, keine Statuen. Aber Reliefaffen an der letzten Säule des Zugangs. Doch diese drei ausgehauenen Affen kriegen, da sie nach Norden glotzen, nie einen Sonnenstrahl ins Gesicht. Mithin muss die Steinfigur der richtige Affe sein. Satz zwei: Der dunkle Strich, während der Mittagsmahlzeit dreimal verlängert. Der Schatten des Affen um die Mittagszeit konnte mit diesem dunklen Strich nicht gemeint sein. Denn sonst hätte auch der Monat und Tag angegeben sein müssen, an dem man den Schatten etwa messen und dreimal verlängern soll. Die Sonne hat nicht an jedem Tage mittags denselben Stand. Daher fällt die Schattenlänge an den verschiedenen Tagen auch verschieden aus. Nein, sagte ich mir, mit dem dunklen Strich muss der Verfasser des Rebus auf etwas anderes haben hindeuten wollen. Worauf aber? Doch fraglos auf etwas, das um die Mittagszeit stets dieselbe Länge hat, aber auch nur dann! Ich will hier vor dir nicht den Geistreichen spielen, lieber Alter. Kurz: Ich habe den Strich gefunden. Und er hängt recht eng mit dem nur zeitweise hochsprudelnden und singenden Brunnen zusammen. Unter den Steinfliesen des Tempelhofes muss ein Teil der Geisierwasser ebenfalls zeitweise hochquellen. Dann tritt zwischen den Fugen der Fliesen etwas Feuchtigkeit hindurch und färbt die Ränder dunkel. Ich habe nun beobachtet, dass genau um die Mittagszeit dieser dunkle, feuchte Strich seine größte Länge erreicht. Man kann dies unschwer daraus ersehen, dass sich auf den Rändern dünne grünliche Schichten abgelagert hatten, die ebenfalls gerade so lang wie der feuchte Strich sind.«

»Donnerwetter – glänzend!«, entfuhr es mir.

»Danke für die Anerkennung! Das Weitere ist ein Kinderspiel. »Der Strich findet den singenden Vogel.« Das bedeutet, man soll vom Sockel des Papageis ab den dreimal verlängerten Strich in Richtung des Schnabels, also genau nach Südwest ziehen. Der Schnabel weist eben den Weg, dessen Endpunkt der Anfang, das heißt, der Beginn des Erfolges ist. Ich habe nun unauffällig die richtigen Entfernungen abgeschritten, freilich vom Rand des Bassins an, ganz unauffällig. Den Radius des Bassins habe ich nachher dazu gerechnet, und so gelangte ich an eine jener großen Marmorfliesen, die in dem Muster des Fliesenbelags sich häufiger wiederholen.«

Harst machte eine kurze Pause.

»Und diese Marmorplatte«, flüsterte er nun, »dürfte der Zugang zu irgendwelchen geheimen Gelassen sein.«

»Du … du kriegst wirklich alles heraus!«, sagte ich ehrlich erfreut. »Diese Rebuslösung soll dir mal einer …«

»Keine Schmeicheleien, Herr Max Schraut, zumal doch die Hauptsache noch fehlt, der dramatische Teil, der sich morgen Vormittag abspielen wird.«

Gleich darauf streckte Harst sich bequem zum Verdauungsschläfchen hin. Ich tat ein Gleiches. Am Tag würden die Gond nie wagen, uns anzugreifen.

Erst gegen sechs Uhr Nachmittag begaben wir uns zu dem Palmenwäldchen und dem Tempelhof.

Unterwegs sagte Harst zu mir: »Auf keinen Fall darfst du jetzt etwa sofort beginnen, dich nach der bewussten Marmorplatte umzusehen. Du setzt dich auf den Rand des Springbrunnens und tust gar nichts!«

Mir erschien dieser Verhaltungsbefehl etwas eigentümlich. »Fürchtest du denn Lauscher?«, fragte ich.

»Nein. Ich will nur vorsichtig sein. Jetzt, hoffe ich, wird … na … wir werden ja sehen …«

Als wir uns im Tempelhof befanden, tat Harst ganz so, als müsste er noch immer dem Rätsel des Vermächtnisses nachspüren, ging hin und her, beschaute den Affen, beschaute den Papagei, sodass in mir beinahe der Verdacht entstand, er hätte ein wenig renommiert und kenne die Rebuslösung noch gar nicht.

Dann aber blieb er stehen, kniete nieder und holte sein Jagdmesser hervor, schob die Klinge in die Fugen der Steinfliesen, winkte mir nun.

Ich eilte zu ihm, sah, wie er eine große Platte hochhob.

Und unter dieser achteckigen Marmortafel gähnte ein Schacht, in dem eine eiserne Leiter in die Tiefe führte.

Harst stieg hinab. »Folge mir langsam und lege dann die Platte wieder auf.«

Er hatte seine Taschenlampe eingeschaltet. Ich wunderte mich, dass er hier so keck eindrang.

»Ist das nicht unvorsichtig!«, warnte ich.

»Nein, lieber Schraut! Wir haben hier bestimmt nichts Besonderes zu fürchten. Jedenfalls keine Falle.«

Ich fügte die schwere Platte mühsam, auf der Leiter stehend, wieder ein. Sie passte haarscharf hinein.

Die Leiter hatte 28 Sprossen. Dann stand ich in einem niedrigen Gewölbe, das nach Osten zu weiterging. Es war leer. Harst schritt voran. Wir kamen an einen gemauerten, schmalen Gang. Dann betraten wir wieder ein Gewölbe. Aber hier strahlten die Lichtkegel unserer Lampen in den prachtvollsten Mosaikbildern an den Wänden wider, gleißten in den zahllosen Goldplättchen, die dazu mit verwendet worden waren. Säulen reckten sich hier aus dem Boden hoch. Und die Mosaikbilder dieser Säulen sprühten vor edlen Steinen in allen Farben.

»Also dies ist Warbattys Vermächtnis!«, meinte Harst leise. »Man wird förmlich trunken von all dem Glanz!«

Weitere Räume gab es hier nicht. Wir fanden nur noch einen zweiten, aber völlig mit Geröll ausgefüllten Schacht.

Zwei Stunden blieben wir unten. Wir hatten in einer Ecke Harzfackeln gefunden. Bei deren Licht schwelgte Harst in all den Schönheiten dieser unterirdischen Tempelhalle.

Dann ging es wieder nach oben.

Der Abend nahte. Wir saßen in unserem Schlupfwinkel. Harst schätzte die dort verborgenen Schätze an Edelsteinen ungefähr ab, meinte, zehn Millionen reichten nicht hin als Wertangabe.

Zehn Millionen!

Und die hatte Warbatty seinem erbittertsten Feind hinterlassen!

»Warbatty bleibt mir unverständlich«, sagte ich nun. »Wenn er zum Beispiel wirklich in Madras gestorben wäre, dann wärest du rechtmäßiger Eigentümer all der Kostbarkeiten.«

»Hm!«

»Was soll das Hm?«

»Morgen, lieber Alter, morgen!«

Und ich erwartete mit brennender Ungeduld den nächsten Tag.