Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Hannikel – 15. Teil

Christian Friedrich Wittich
Hannikel
oder die Räuber- und Mörderbande, welche in Sulz am Neckar in Verhaft genommen und daselbst am 17. Juli 1787 justifiziert wurde
Verlag Jacob Friderich Heerbrandt, Tübingen, 1787

D u l i, Hannikels Geschwisterkindvetter, ungefähr 30 Jahr alt, wurde zu Groß-Schieberstadt, zu Mannheim gehörig, geboren und getauft. Seinen Vater, Simon Reinhardt, nannte man gewöhnlich nur den Battebatt, und seine Mutter Barbara hieß unter den Zigeunern, aus welchen sie entsprossen war, die Danena. Sie kam nach Straßburg ins Zuchthaus, wo sie sich wahrscheinlich noch gegenwärtig befindet. Seines Vaters Tod erfolgte frühzeitig. Seine Mutter erzog ihn bis in das 10. Jahr; und dann nahm ihn seine Base, die alte Geißin, an Kindesstatt auf, wodurch er ein Mitglied der verkehrtesten elendesten Leute wurde. Drei Jahre strich er mit ihr in dem Württembergischen herum und bettelte, bis er 15 Jahre alt wurde. Er schloss sich zufällig an die Mantua an und wurde unter ihrer Anweisung zuerst ein Gänse- und Hühnerdieb; sodann hing er sich seinem feinen Vetter Hannikel an den Arm und wurde nach und nach von ihm so tief in seine Räuberzunft hineingezogen, dass er derselben zuletzt unentbehrlich wurde und sich einen großen Rang dabei erwarb.

Im Jahr 1774 verband er sich mit einer gewissen Käther, die ihm aber der kleine Lielensohn, ein Zigeuner, nach etlichen Tagen wieder entführte. Er entschädigte sich darauf durch eine Wilhelmine. Aber auch mit dieser dauerte seine Buhlschaft nicht länger als ein dreiviertel Jahr. Ein Streif ertappte sie beide, machte sie handfest und lieferte sie in die Gefängnisse nach Baknang.

Wilhelmine wurde als eine sehr gefährliche Diebin erkannt und auf lebenslänglich ins Zuchthaus nach Ludwigsburg verurteilt: Duli hingegen, als ein großer Bösewicht, gebrandmarkt, mit Ruten ausgehauen und nach abgeschworener Urfehde der herzoglichen Landen verwiesen. Allein diese empfindliche Züchtigung ließ er sich so gar nicht zu Herzen gehen, dass er nachgehend noch weit schlimmer und ruchloser wurde, als er zuvor war.

Im Jahr 1778 hing er sich an die Zigeunerin Dudane, welche Ende vorigen Jahres mit ihren drei mit ihm gezeugten noch lebenden Kindern zuerst in Königsbronn in Verhaft kam, nachher aber auch nach Sulz ausgeliefert wurde.

Duli selbst reiste zu der wohlverdienten Strafe seiner Gräueltaten an. Da er sich es am wenigsten versah, wurde er im Jänner vorigen Jahres, zu Rötenberg, Hohenloh-Bartenstein-Limburg-Gröningischer Herrschaft von dem Zigeunerkundschafter Hannß Jerg Reinhardt und seinen Leuten in einem Waschhaus, in welchem er eben Nachtquartier nehmen wollte, eingefangen und sodann am 7. Jänner 1787 nach Sulz gebracht.

Gleich in den ersten Verhören bezeugte er, dass er seine schweren Vergehungen vom Herzen hinweg gestehen wolle. Er hielt auch Wort und verbreitete besonders durch eine freimütige Schilderung über Tonis Mordgeschichte ein helles Licht. Er schonte seiner selbst dabei keineswegs und bezeugte auch, dass er des entleibten Tonis Pistol mit sich genommen und solchen auf seinem Marsch nach Böhmen einem Harfenschläger von Abtsgmünd in Verwahrung gegeben habe. Seine Aussage war richtig, und der Pistol wurde zum Oberamt Sulz von Abtsgmünd zurückgeschickt.

Dulis freiwillig eingestandene Diebstähle sind beträchtlich. Er machte meist mit Vetter Hannikel gemeinschaftliche Sache, half aber auch verschiedene beträchtliche Räubereien ohne ihn begehen.

Sein in der Nacht am 2. März 1781 zu Obermehlingen, Gräflich-Wartembergischer Herrschaft, in des Juden Salomon Maiers Haus mit einer anderen Division gewagter, sehr gewalttätiger Einfall verdient hier besonders bemerkt zu werden. Er gab selbst Folgendes davon ins Protokoll:

Der gegenwärtig zu Zweibrücken festsitzende Erzbösewicht, Zigeuner Fontin, Hannikels treuer Freund und Ratgeber, erfuhr von einem Juden, dass sich zu Obermehlingen einer seiner Glaubensgenossen befinde, der mehr als 9000 fl. Bargeld und über einen Zentner Silber vorrätig habe Dieser fette Braten roch ihm ganz warm in die Nase, und schon beim Erzählen teilte er sich und seinen Anhängern die reichlichsten Portionen davon zu.

Er rief so viele Zigeuner zusammen, wie er in der kurzen Zeit auftreiben konnte, befahl ihnen, sich auf acht Tage mit Proviant zu versehen, und verband sich mit ihnen zum hitzigsten Angriff.

Ein Wald bei dem sogenannten Neuhof war der bestimmte Platz ihrer Zusammenrottung. Sie zogen dort ihre Gewehre aus, versahen sie aufs Neue mit scharfen Pfosten und schraubten auch neue Steine auf.

Nach einem Marsch von 72 Stunden kamen sie, es war nachts um 11 Uhr, vor des Juden Haus. Die Lichter um sie herum waren ausgeblasen, der Mond in seiner milden Glorie noch nicht hinter den grauen Bergen hervorgetreten und die allgemeine Stille ließ vermuten, dass alles in den ersten tiefen Schlaf versunken sei. Dies schien gerade den Dieben die schicklichste Zeit zum Überfall.

Nach einem kurzen Spähen ums Haus herum brach Fontin mit einem Klammhacken und Dodelo mit einem Pflugsech einen Riegel an der Tür aus, und alle krochen durch die Öffnung in das Gemach. Ein altes Mütterchen, oben auf dem Wohnboden, das ohnehin lange schon jedes Mäuschen bei Nacht trippeln hörte, war auf das Getöse, das unten im Haus vorging, besonders aufmerksam. Ganz unruhig kroch es unter seiner Decke hervor, warf sich in die Nachtkleider und krabbelte, mit einer blassen Lampe in der Hand, die Stiege herunter. Aber wie erschrak sie, als sie nicht nur die Tür geöffnet und Licht, sondern auch eine ganze Partie der grimmigsten Schnurrbärte erblickte. Lange stand sie unbeweglich, als ob sie das Erstaunen versteinert hätte. Endlich wollte sie in eine benachbarte Kammer hineinschleichen und die Tür hinter sich zuziehen. Allein Fontin bemerkte sie, schrie sie mit der Stimme eines hohltonigen Kettenhundes an, erwischte sie bei den Haaren, riss sie mit Gewalt zu Boden und schlug sie mit den übrigen Zigeunern ganz barbarisch, wobei sich Wildinger an Unmenschlichkeit besonders auszeichnete.

Sie zogen sodann die alte Jüdin an den Haaren die Treppe hinauf und warfen sie in der Wohnstube aufs Bett. Hierauf fiel Fontin mit drei seiner Gesellen über die junge Jüdin her, welche noch im Bett lag. Sie hatte sich vor Angst in ihre Pfulbe eingewickelt, und jeder ihrer Gesichtszüge schien von der Hand des Todes geformt zu sein. Auch diese traktierten sie sehr hart mit Schlägen und verlangten mit Gewalt von ihr zu wissen, wo das Geld verwahrt sei.

»Au weh, meine Herren! Um Gottes willen! Um Gottes willen, oben im Haus«, zeterte sie unter fürchterlichen Grimassen mit zusammengezogenen, über den Kopf hinausragenden Schultern hervor.

Da nun Duli mittlerweile einen in der Stube stehenden, mit allerhand Waren gefüllten Kasten ausgeleert hatte; sprang ein Jude den Weibsleuten zu Hilfe, den aber Fontin sogleich an der Kehle fasste und zu Boden werfen wollte. Allein der beherzte Jude wehrte sich, wider die Gewohnheit seiner sonst so verzagten Nation ganz desperat, musste aber doch, da ihn Dandene, der Stärkste unter allen, auch anfiel, der Gewalt nachgeben und sich binden lassen. Er machte sich aber selbst wieder los, hielt aufs Neue Widerpart, wurde zum zweiten Mal gebunden und ganz erbärmlich geschlagen.

So lange dieses Handgemenge dauerte, hielt Duli vor dem Bett der beiden Weibsleute Wache und drohte ihnen den Tod mit Ungestüm, wenn sie sich nur rühren würden.

Hierauf schlug Dandene mit einer Axt ein Wandkästlein auseinander, bemächtigte sich der darin befindlich gewesenen, mit 2oo. fl. Angefüllten Gurte, streifte mehrere silberne Löffel, Becher, Schnallen, Messer und Gabeln zusammen, riss ein ganzes Bett, viele Leilachen, Bettziechen, Hemden, Männer- und Frauenkleidung an sich und warf solche seinen Kameraden zum Wegtragen vor die Tür.

Während sich nun einige mit Ausraubung des unteren Stocks beschäftigten, wollten Bronnetscha, Dandene und Dodelo das ihrer Meinung nach, im oberen Stock verwahrte Geld und Silber abholen. Kaum hatten sie die Stiege betreten, als der oben am Geländer stehende Jude ihnen mit einer eisernen Ofenplatte, die er auf sie herunterwarf, ein ganz unerwartetes und unfreundliches Salve gab und den Dodelo hart verwundete, dass ihn seine Kameraden halb tot hinweg und auf die Straße schleppen mussten.

Dieser Vorgang brachte sie in rasende Wut, sodass sie den Juden auf der Stelle totgeschlagen hätten, wenn nicht einige benachbarte Bauern, aufgeweckt durch den entstandenen Lärm, herbeigesprungen wären und sie davon abgehalten hätten. Inzwischen wurde dem Juden dennoch mit einer eisernen Stange von Fontin eine sehr tiefe und gefährliche Schmarre versetzt.

Schon waren die Räuber im Begriff, wieder abzuziehen, allein ihre Wache stieß sie unzufrieden über ihre geringe Ausbeute zu einem neuen Angriff zurück. »Nein«, rief Metzelen, »einen so weiten Weg wollen wir nicht umsonst gemacht haben. Es muss frisch angegriffen werden!«

Sie drangen, des Widerstands der Bauern unerachtet, aufs Neue in des Juden Haus ein. Fontin drückte auf den sich in der Zwischenzeit seiner Fesseln wieder entledigten Juden seinen Pistol ab. Da er sich aber wehren und zuletzt flüchten wollte, fiel ihn Duli abermals an und drohte ihm eine Kugel durch den Leib zu jagen, wenn er sich nur noch einmal mucken würde.

Hierauf wollte Inquist mit einer Wachs- und Unschlittfackel und Metzelen mit einer Holzfackel noch einmal alles durchsuchen. Allein der erhitzte Jude warf abermals mit wilder Frechheit ein eisernes Ofenstück auf sie hinunter, als sie gerade die Treppe hinauf wollten, wodurch Metzelens

Schulter stark gestreift wurde. Dieses Wagstück hätte für den Juden gefährlich werden können; denn nicht nur der verletzte Metzelen, sondern auch Fontin schossen mit ihren Pistolen zum wiederholten Mal auf ihn.

Endlich sah sich diese Räuberbande doch genötigt, mit der bloß im unteren Stock gemachten Beute, von welcher Duli den 23. Teil bekam, wieder abzuziehen.

Nachdem vom Hochgräflich-Wartembergischen Amt Sembach über diesen Vorgang eingetroffenen Bericht wurde nicht nur der Jude und dessen Mutter erschlagen, sondern auch dessen Ehefrau im Bett dermaßen zugerichtet, dass sie nach einem 18- wöchigen, sehr schmerzhaften Lager an den Wunden starb.

Des Juden Verlust bestand in 12 Pfund Silber, 221 fl. 40 kr. Bargeld und sehr vielen Bett- und Kleidungsstücken. Dulis erhabene bekannte Diebstähle belaufen sich auf 7934 fl. 17 kr.

Als er bei der Untersuchung über die Ursachen seines bisher geführten liederlichen Lebens gefragt wurde, und warum er sich die im Jahr 1776 in Baknang an ihm vollzogene Strafe des Prangers, Brandmarkens, und Rutenaushauens lediglich nicht zur Besserung dienen lassen und auch die abgeschworene Urfehde freventlich gebrochen habe, war nach langem Stillschweigen dies seine Ausrede:

»Hannikels gottlose Verführung hat mich nicht nur zum Mordgehilfen beim Toni, sondern auch zu einem so großen Dieb gemacht. Manchmal hat mich auch die Armut zum Stehen genötigt; und der Gedanke, dass die Todesstrafen der Missetäter fast allenthalben aufgehoben werden, dabei sicher gemacht. Die abgeschworene Urfehde zu halten, war mir unmöglich. Es ist auch keiner aus meiner Schicht imstande, derselben eine Genüge zu leisten. Freilich hätte mich meine ausgestandene Strafe bessern sollen; allein dass solches nicht geschehen ist, davor erbitte ich mir jetzt Schonung und Gnade.«

Es ist sonderbar und als ein Beweis anzusehen, dass die Stimme des Allmächtigen, bis hierher und nicht weiter, auch Tonis sämtlichen verruchten Mördern gelten sollte.