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Der Welt-Detektiv Band 6

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Deutsche Märchen und Sagen 81

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

96. Karlstadts Tod

In der letzten Predigt, welche Karlstadt zu Basel hielt, sah er, wie ein großer schwarzer Mann in die Kirche kam und sich neben den Bürgermeister setzte. Beim Ausgang aus der Kirche fragte Karlstadt, wer der Unbekannte gewesen sei, aber das wusste keiner ihm zu sagen, denn keiner hatte den Mann gesehen. Als der Prediger nach Hause kam, erzählte man ihm dort, der große schwarze Mann sei vor wenigen Augenblicken dagewesen und habe sein jüngstes und geliebtestes Kind bei den Haaren ergriffen und hoch aufgehoben von der Erde, dann getan, als wolle er es fallen lassen oder niederwerfen, um ihm den Hals zu brechen. Doch zuletzt habe er es wieder auf die Erde gesetzt und ihm befohlen: »Sage deinem Vater, dass ich binnen drei Tagen zurückkomme und dass er sich also bereithalten mag.«

Karlstadt erschrak sehr, als er das hörte. Er legte sich zu Bett und starb drei Tage danach.

97. Tod vorhersagender Weiher

In der Herrlichkeit des Erzbischofs und Kurfürsten von Trier lag ein Weiher, der jedermann wohl bekannt war. Wenn sich in demselben ein gewisser Fisch von ungewöhnlicher Größe zeigte, dann konnte man sicher sein, dass bald der Kurfürst sterben würde. Das hat sich manche Jahre hintereinander bewährt.

98. Felsen löst sich

Die Baronie oder Herrlichkeit von Hohen-Sar im Schweizerland ist von dem Kanton Appenzell durch hohe Berge geschieden. So oft jemand aus dem freiherrlichen Stamm stirbt, löst sich ein großes Felsstück von diesen Bergen und rollt mit weitschallendem Getöse nieder bis auf den Vorhof des Schlosses Forsteg.

99. Sankt Severins Kasten in Köln

Wenn große Dürre im Land ist und die Not aufs Höchste steigt, dann setzt man in Köln den Reliquienkasten des heiligen Bischofs Severin aus dem Hochaltar in die Mitte der Kirche und hält eine Andacht zu dem Heiligen, um durch seine Fürsprache bei Gott von der Plage befreit zu werden. Das Heraussetzen des Kastens muss aber durch Geistliche geschehen. Einer von denselben stirbt binnen Jahresfrist und das hat sich so oft bewährt, dass bei dem letzten Mal, wo es geschehen sollte, kein Geistlicher sich zu dem Werk verstehen wollte.

100. Das fromme Knäbchen zu Speier

In Speier, der hochberühmten deutschen Stadt, sieht man ein wunderbares Marienbild, welches das Jesuskindlein auf dem Arm trägt. Zu diesem trat einmal ein Knäbchen, welches ein Stück Brot in der Hand trug. Davon brach das Kind ein Bröcklein und reichte es dem Jesuskind bittend hin, mit diesen Worten, deren sich die Kinder gewöhnlich zu bedienen pflegen: »Da, Kindchen, da, beiß einmal.«

Da neigte sich das Bild des Jesukindchens und umfing das Knäbchen, indem es sprach: »Musst nicht mehr weinen, Kindchen, über drei Tage sollst du mit mir zusammen essen.«

Das hörte des Knäbchens Mutter. Sie zitterte und bebte, erzählte auch das Wunder alsbald einem alten Kanonikus, der gerade vorbeiging.

Dieser erkannte den Sinn jener Worte wohl und sprach: »Frau, habt Acht auf Euer Kind, denn es wird kaum noch drei Tage leben.«

So geschah es auch. Das Knäbchen bekam ein Fieber und war am dritten Tag tot.