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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 37

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Römerstein und Nixei

Am Rand des Südharzes, in der nächsten Umgebung des anmutigen Kurortes Sachsa, erhebt sich aus üppig grünenden Feldern ein nackter Hügel, dessen Gipfel von zackigen Felsklippen gekrönt ist. Einen seltsamen Kontrast bildet diese dunkle Felspartie, die, von fern gesehen, einer Burgruine täuschend ähnlich ist, gegen den weißen Alabaster des gegenüberliegenden Sachsensteins, der schimmernd aus seiner grünen Umgebung hervorsieht.

In dieser reizvollen Gegend weiß der Volksmund manch Märlein zu erzählen. Die Felsklippen inmitten des Feldrains sind – wie die Sage berichtet – die Reste einer gewaltigen Burg, die ein Riesengeschlecht zum Schutz gegen seine Feinde auftürmte. Die also Gefürchteten bestanden zwar nur aus einem Völkchen winziger Zwerge, welche mit ihrem König in dem Sachsenstein hausten, aber ihre große Anzahl, ihre Gewandtheit und vor allem die Nebelkappen gaben ihnen den plumpen Riesen gegenüber eine bedeutende Übermacht.

Schon lange hatte diese Fehde gedauert und war bald mehr, bald weniger hartnäckig von beiden Seiten geführt worden, als eines Tages Romar, ein Jüngling aus dem Geschlecht der Riesen, beim heimlichen Pirschen in des Zwergkönigs Gebiet eine wunderbar schöne Jungfrau erblickte, die schlafend unter einem Baum lag.

Entzückt betrachtete er die Schlummernde. Da erwachte sie und wollte, erschreckt durch den Anblick des fremden Mannes, entfliehen. Aber Romar flehte so innig, sie möge keine Furcht vor ihm hegen. Er wusste durch freundliche Worte den Sinn der Jungfrau zu wenden, dass sie blieb und bald großes Wohlgefallen an dem schönen Jüngling fand.

Immer häufiger trafen sich die beiden im versteckten Waldeswinkel und so innige Liebe entbrannte in ihren Herzen, dass selbst das Geständnis der Jungfrau, dass sie Rume, die Tochter einer Nixe und des Zwergkönigs, also das Kind seines ärgsten Feindes sei, Romar nicht davon abhalten konnte, sie zu seiner Frau zu begehren.

Rume wusste wohl, dass der Vater nie seine Zustimmung zu der Verbindung mit einem Sprössling des verhassten Geschlechts geben werde; aber eine Trennung von dem Geliebten schien ihr unerträglich. So willigte sie ein, in heimlicher Ehe mit ihm zu leben. Lange Zeit blieb das Zusammensein des Paares von allen unbemerkt. Sorglos, nichts Böses ahnend, ruhten sie einst kosend im Wald, als plötzlich aus dem dichten, grünen Gestrüpp der Zwergkönig hervortrat. Das Antlitz, weißer als der Alabaster seiner Berge, war von schneeweißen Haaren umgeben. Ein langer weißer Bart wallte zur Erde, vom Haupt erhob sich eine helle Kristallkrone und funkelnde schwarze Augen trafen wie Blitze das entsetzte Paar. Rume wollte sich um Vergebung flehend dem Vater zu Füßen stürzen, aber der Ergrimmte stieß sie zurück und winkte mit der Hand, dass unzählige Zwergscharen erschienen. Diese warfen sich auf Geheiß ihres Gebieters auf Romar, der die Geliebte schützen wollte, aber der Übermacht der Kobolde weichen musste und blutend, abgehetzt wie ein Wild, seine Burg erreichte.

Die Tochter nun strafte der König selbst. Als sie seinem Verlangen, für immer dem Gatten zu entsagen, nicht nachkommen wollte, ergriff er ihr langes, blondes Haar und schleifte sie daran weiter und weiter, bis die Burg des Geliebten in der Ferne verschwand.

Hier stampfte der Gewaltige mit seinem Fuß auf den Boden, ein donnerndes Getöse erfüllte die Luft und eine tiefe Höhle tat sich vor den Augen der erschreckten Rume auf. Dort hinein stieß sie der Vater. Er ließ gewaltige Felsblöcke vor den Eingang wälzen und befahl boshaften Kobolden die strengste Bewachung.

Dennoch ließ die Gefangene nichts unversucht, ihre Freiheit wiederzuerlangen. Sie, die sonst als Nixe in dem klaren Teich im goldigen Sonnenstrahl umherglitt, die frei durch Wald, Hain und Wiesen streifte, sollte für immer in der finsteren Höhle schmachten – unmöglich! Mithilfe der ihr innewohnenden Kunst verwandelte sich die Nixe in ein Bächlein, um so der Gefangenschaft zu entfliehen. Leise huschte sie über Fels und Kies. Endlich lag die Burg des Gatten vor ihr und bald war auch ihr liebes Teichbett erreicht. Aber die Sehnsucht hatte Rume zu rasch vorwärts getrieben, zu hastig rauschte sie davon, sodass die Wächter, die boshaften Kobolde, ihre Flucht entdeckten. Der Vater schleuderte die Unglückliche zurück in ihren Kerker.

Immer wieder versuchte sie zu entkommen, aber jedes Mal wurde ihr Entweichen bemerkt und umso strengere Bewachung folgte der Flucht. Dann drang so lautes, verzweifeltes Jammern und Weinen aus der Höhle her­vor, dass die ganze Gegend davon widerhallte und die Höhle deshalb noch heute den Namen Weingartenloch, d. h. Garten des Weinens führt.

Als sich die Ärmste lange Zeit still und regungslos verhalten hatte, glaubten die Wächter der Gefangenen endlich, sie habe sich in ihr Schicksal ergeben. Jahrelang hörten und sahen sie auch nichts mehr von ihr. Rume aber hatte diese Zeit benutzt, unter rastlosen Mühen sich eine unterirdische Bahn gegraben. Erst außerhalb des Reiches ihres Vaters trat sie als fertiger Strom zu Tage. Dieser Fluss wurde zu ihrem Andenken Rume genannt und das unterirdische Rauschen in der Höhle bezeichnet den Weg, den die Nixe genommen hatte.

Nun waltete aber über dem Zwergkönig ein seltsames Verhängnis. Bei der jedesmaligen Wiederkehr gewisser Konstellationen der Gestirne war er in gänzlicher Ohnmacht gefesselt. Da benutzte Rume diesen Zeitpunkt, um in ihr altes Teichbett zu gelangen. Rauchend eilte dann das Flüsschen herbei, aus dem klaren Wasser streckte die Nixe ihre weißen Arme dem Gatten entgegen, der herabkam von der Burg, um die Teure zu umfangen, bis das Erwachen des Königs ihrem Glück ein jähes Ende bereitete.

Noch heute füllt im Frühjahr das Flüsschen den Nixteich, indessen man im Sommer trockenen Fußes über die rundgeschliffenen Kiesel des Teich-  und Flussbettes zu der Domäne Nixei wandern kann, die als der Ort bezeichnet wird, wo sich die Liebenden zuerst gesehen hatten. Die stolze Felsburg heißt nach Romar der Römerstein, wenigstens führen alle Sagenforscher den Namen auf die eben erzählte Sage zurück. In einer Felsspalte, wo nun ein Fliederstrauch grünt und duftende Blüten treibt und wilde Rosen sich eng an das Stämmchen schmiegen, wollen Hirten oft eine weiße Jungfrau gesehen haben, die sich ihr langes, blondes Haar kämmt, während Goldperlen von ihrem Haupt fallen. Vom Weingartenloch, wo Rume so zahllose Tränen über ihr hartes Schicksal geweint hat, erzählt auch die folgende Sage.