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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 33

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Das versunkene Schloss

Wo jetzt hinter dem Glockenberg im Gerlachsbach der große Bruch ist, soll vor vielen Jahren ein mächtiges Schloss gestanden haben. Die Besitzerin desselben war eine unverheiratete Frau. Unzählige Mädchen und Frauen hatte sie zu ihrer Bedienung. Aber keine dieser Personen sah heiter und zufrieden aus. Alle gingen trübe ihren Beschäftigungen nach und nie schallte Lachen, nie ein munteres Lied durch die weiten Räume.

All die Dienerinnen der Schlossfrau waren nämlich Gefangene, die von ihren Häschern aufgegriffen wurden, sobald sie sich an einem wenig belebten Ort in der Nähe blicken ließen. Sie schleppten die armen Geschöpfe ins Schloss, wo sie unter strengster Bewachung die ihnen zugeteilten Arbeiten verrichten mussten. Waren sie fleißig und willig, so durften sie nach einigen Wochen in den Garten gehen. Aber auch dieser war von hohen Mauern umgeben und am Eingang standen so viele Schildwachen, dass ein Fluchtversuch unmöglich war.

Einst hatten die Häscher der Schlossfrau wieder ein Mädchen gefangen genommen, das ohne Arg im Wald die Schafe hütete. Das Kind geriet ganz außer sich, als es sich plötzlich ergriffen und von seiner Herde fortgeführt sah.

All ihr Jammern und Klagen nützte nichts. Die Schlossfrau erteilte den Befehl, dass das Hirtenmädchen einen großen Kasten mit Schlüsseln tragen sollte. Derselbe wurde der Weinenden umgehängt und außerdem noch ein mächtiges Schlüsselbund hinzugefügt, welches häufig von der Herrin benutzt wurde und daher stets bereit sein musste.

Weil nun das Mädchen sich gut geführt hatte, bekam es ebenfalls die Erlaubnis, in den Garten zu gehen.

Als die Gefangene aber die köstliche Maienluft einatmete, die herrlichen Bäume in ihrem Frühlingsschmuck sah und der Zeit gedachte, da sie täglich in der schönen Natur weilte, wurde ihr so weh ums Herz, dass sie laut weinend in einer Laube niederkniete und den heiligen Antonius, dem sie sich geweiht hatte, um Hilfe anrief.

Nicht lange hatte das Mädchen so inbrünstig gebetet, als ein kleines, graues Männchen den Weg herunterkam und in die Laube trat. Freundlich fragte es, was denn der heilige Antonius solle, warum sie denn so sehnsüchtig nach ihm rufe.

Da klagte die Gefangene dem kleinen Mann ihre Not, dass sie hier fern von ihren Eltern in der Knechtschaft schmachten müsse und doch so gern wieder daheim wäre. Darum habe sie zum heiligen Antonins gebetet, dass dieser sie befreien möge. Er habe immer so gütig über ihr Leben gewacht und sie hoffe, dass er auch nun Hilfe senden werde.

»Ja, du täuschst dich nicht, dein Schutzgeist ist auch dieses Mal bei dir und wird dir helfen. Denn ich selbst bin der heilige Antonius«, rief der kleine Mann. »Ich werde dich und alle übrigen Gefangenen befreien. Die böse Schlossfrau aber soll die Bürde, die sie dir umgehängt hat, selbst tragen und damit vierhundert Jahre auf jenem Berge ruhelos umherwallen. Mit eigenen Augen soll sie sehen, wie ihr Schloss mit allen Schätzen untergeht.«

Kaum hatte der heilige Antonius seine Rede beendet, als ein furchtbarer Knall die Luft erzittern machte und das Schloss mitsamt seinen Gärten in die Tiefe sank. Im selben Augenblick stand aber die Schlossfrau mit ihren Schlüsseln auf dem Glockenberg und starrte auf das versinkende Schloss. Die Gefangenen jedoch waren, ohne dass sie es merkten, auf welche Weise, in ihre Heimat zurückversetzt worden.

Noch oftmals haben Leute die verwunschene Schlossfrau gesehen, die weiter nichts sagen konnte als: »Huk up, huk af.«

Aber allen ist vor der unheimlichen Gestalt mit dem klirrenden Schlüsselbund bange geworden und sie haben schnell das Weite gesucht. Eine unschuldige Jungfrau allein hätte sie retten können, denn wenn diese der Ruhelosen aus Barmherzigkeit die Bürde abgenommen hätte, wäre sie erlöst gewesen und hätte vor Gott Gnade gefunden. Aber kein Mädchen fand sich bereit zu diesem Werk. So musste die Verwunschene die bestimmten vierhundert Jahre umherwallen.

Auch das Schloss ist noch von Zeit zu Zeit wieder erschienen, doch nur immer auf wenige Augenblicke.

Die Tochter eines Köhlers holte einst Wasser aus dem Gerlachsbach, als plötzlich das mächtige Schloss vor ihr stand. Erschreckt lief sie fort, denn sie hatte nie von der alten Geschichte gehört und wusste bei dem Anblick nicht, wie ihr geschah.

Atemlos erzählte das Mädchen dem Vater das Begegnis. Da wurde dieser heftig, schlug und schalt seine Tochter wegen ihrer Dummheit, denn er meinte, dass sie nur ein Tuch oder sonst eine Kleinigkeit hätte von ihrem Zeug darauf werfen sollen und das ganze Schloss mitsamt seinen Schätzen hätte ihr gehört. Da wollte die Maid den Schaden schnell wieder gutmachen und rannte eilends zurück. Aber wie sie am Gerlachsbach ankam, war das Schloss verschwunden und ist nie wieder zum Vorschein gekommen. Hätte das arme Köhlermädchen nur etwas darauf geworfen, so wäre sie eine reiche Schlossfrau geworden.