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Die Riffpiraten – Kapitel 5

Heinrich Klaenfoth
Die Riffpiraten
Verlag Albert Jaceo, Berlin, um 1851

Kapitel 5
Der Sultan-Thronfolger

Ungefähr acht Tage hierauf lief von dem Disponenten auf Veracruz ein Antwortschreiben auf den Brief des Bankiers ein, in welchem er benachrichtigt wurde, dass alles nach Wunsch besorgt wäre, und in welchem genau die Zeit angezeigt wurde, wann der junge Sultan zur Hauptstadt abreise. Auch war der Weg, den der hohe Reisende nehmen würde, ganz genau vorgeschrieben, sodass Abraham Levi den Tag seines Eintreffens berechnen konnte.

Zu einem würdigen Empfang des hohen Fremden wurden die größten Vorkehrungen getroffen. Das Wohnhaus des Bankiers, welches ein neues wertvolles Gebäude war, wurde in Anbetracht seiner Räumlichkeiten so schnell, wie es die dringende Zeit erlaubte, verbessert. Die Zimmer, welche der Prinz mit seiner Umgebung bewohnen sollte, wurden sämtlich mit neuen kostbaren Möbeln versehen und in ihnen Einrichtungen gemacht, die eines so hohen Gastes würdig waren. Auch die beiden Pflegekinder Judith und Cäcilie bereiteten sich auf die Ankunft des junges Prinzen vor. Erstere pflegte mit ihrem Pflegevater oft lange geheime Unterhaltungen, die den Empfang und das Verhalten Judiths zu dem Sultan zum Gegenstand hatten.

Ganz in dem Kostüm und mit dem Ansehen eines spanischen Granden versehen, bestieg der Bankier an dem bestimmten Tag daher seine Gondel, um den Prinzen Mazamba am jenseitigen Ufer des Sees zu erwarten und in Empfang zu nehmen. Das Fahrzeug war zu diesem Behuf prachtvoll ausgerüstet. Ein kostbarer Fußteppich lag auf dem Boden und eine Decke, von Goldstoffen und Seide gewirkt, hing über den Sitzen. Die Masten waren mit bunten Bändern, Blumen und Blumenkränzen geziert und ein Zeltdach, rot und weiß gestreift, spannte sich zum Schutz gegen die Sonne über das ganze Boot. Die sämtlichen Segel waren neu und eine mächtige Flagge und lange Wimpel wehten in den mexikanischen Nationalfarben stolz in einem frischen Wind, der den Bankier schnell den Augen seiner beiden Pflegetöchter entzog, die ihn in einer mit Ponys bespannten Kutsche zum Ufer begleitet hatten und der Gondel von ihrem Fuhrwerk aus nachschauten.

So eilte der Kaufmann einer Ehre entgegen, die ihm in dem Empfang eines Prinzen von Geblüt bevorstand, und wozu ihm sein Reichtum, seine ausgedehnten Handelsverbindungen und seine Mitgliedschaft des mächtigen Bundes Abrahams die Bahn gebrochen hatten. Doch waren in den Augen des Hebräers die Interessen des Besuches und der damit verbundene mögliche Vorteil ihm weit überwiegend über das, was man Ehre nennt, und er war niemals säumig, jedem Gewinn nachzustreben, der ihm nur irgendwie geboten werden konnte.

Auf die glühende Hitze des Vormittags folgte nach einem stattgehabten Gewitter ein angenehmer Nachmittag, und ein buntes, gemischtes Publikum trieb sich am Strand des Sees umher, um die Ankunft des ostindischen Reisenden zu erwarten, über dessen Eintreffen sich das Gerücht in der ganzen Hauptstadt verbreitet hatte.

Selbst Judith, die ihrer Neugierde, den Fremdling zu sehen, nicht widerstehen konnte, hatte sich in Begleitung Cäcilies von Neuem am Strand eingefunden und sich unter die wogende Menge gemischt. Am späten Nachmittag tauchten endlich die Flaggen einer Anzahl Fahrzeuge auf, welche mit einem günstigen Wind heransegelten. Es war bald keinem Zweifel mehr unterworfen, dass es der Sultan Mazamba sei, den eine Menge von Gondeln und Booten, die ihm schon bei guter Zeit entgegengeeilt waren, begleiteten. Das Geschwader kam unter dem Feuer der Bootskanonen immer näher und näher, und endlich legte die Gondel mit dem Bankier und seinem Gast an. Ein maßloser Jubel der Menge begrüßte den fremden Gast, der seinerseits sich über eine so rauschende Volksbewegung nicht im Geringsten zu wundern schien. Die Begleitung des Sultan-Thronfolgers bestand aus seinem Gouverneur, einem geborenen Engländer, aus einem Mameluken und zwei Mauren, seinen Lakaien.

Mazamba war ein junger, schön gewachsener Mann von höchstens zwanzig Jahren, blond mit kurzgeschorenen Haaren und fast weißer Haut.

Auf dem Haupt trug er einen Turban von einer roten und weißen Verschlingung, mit einem Busch von den Federn eines Paradiesvogels. Vorn an dieser Kopfbedeckung prangte ein Diamant. Den Oberkörper umgab eine Art Kaftan von meergrüner Farbe, mit Goldfäden und mit kostbaren Stickereien durchwirkt. Ein Paar weite Beinkleider von roter Farbe und Seidenstoffen mit einer zwei Finger breiten Goldtresse an den Beinen herunter schlossen sich am Knöchel mithilfe einer Schnur um kurze Stiefel von samtartigem Leder. Um seine schlanke Taille lag ein goldenes Koppel mit einem Wehrgehänge, an dem eine echte gekrümmte Damaszenerklinge mit einem wertvollen ziselierten Handgriff von Platina sich befand, welche in einer mit Perlen und echten Steinen ausgelegten Scheide steckte.

Das Antlitz des jungen Sultan-Thronfolgers war männlich schön. Sein himmelblaues Auge verkündete neben einer gewissen Sanftheit Mut und Tatkraft. Ein kleiner blonder Schnurrbart stand ihm sehr gut.

Der Gouverneur, welcher der Erzieher des jungen Sultans gewesen und beziehungsweise noch war, ein Mann von ungefähr fünfunddreißig Jahren mit dem teils tiefsinnigem teils spleenartigen Gesicht eines Engländers.

Er besaß die Schwäche, sich von Zeit zu Zeit von seinem Zöglinge necken zu lassen, und hatte außerdem jeden Einfluss auf denselben verloren.

Übrigens war er ein grundgelehrter Mann, eine Art Universalgenie, und in diesem Chaos von Wissen war der eigentliche praktische, mithin brauchbare Mensch aufgegangen. Unter seiner Leitung war sein Zögling, den er sich zu erziehen nicht die Gabe hatte und der ihn zu begreifen nicht die Ruhe hatte, gewissermaßen vermildert. Die einzige namhafte Ausbeute, welche der Schüler an ihm machte, war die englische Sprache, welche Mazamba von ihm gelernt und sehr geläufig sprach. Der Gouverneur kleidete sich wie ein echter John Bull.

Der nach unserer deutschen Sprach- und Begriffsweise sogenannte Kammerdiener war ein großer breitschultriger Mameluk, noch einen vollen Schatten schwärzen als die gewöhnliche Farbe dieser Menschengattung, mit einer pfiffigen, aber höchst dienstbeflissenen Physiognomie. Er sah alles und antwortete nur durch einzelne Laute, wenn sein Gebieter, der gegen ihn immer sehr herablassend und gnädig war, ihn fragte, wo dann sein scharfer Verstand ihm fast stets die Bürgschaft gab, dass er das Richtige traf. Insofern war er der eigentliche Ratgeber des jugendlichen, oft unbändigen Sultans. Seine Bekleidung hatte ganz den Schnitt der seines Herrn, nur dass sie ganz rot wie ein gekochter Krebs war, dass die Stickereien und der Federbusch auf dem Turban wegfielen und er ein Halsband aus Bronze trug.

Auf gleiche Weise waren die beiden Mauren gekleidet, welche in der Stufe der niedrigsten Dienerschaft standen und streng genommen auf der Insel des Sultan-Thronfolgers Sklaven waren. Der Mameluk war ihr unmittelbarer Vorgesetzter.

Die beste Equipage des Bankiers, welche der Sultan, sein Gouverneur und der Eigentümer sofort bestiegen, sowie ein zweites anständiges Fuhrwerk zur Aufnahme der Dienerschaft des Reisenden und ein drittes für das Gepäck, welches aus einem Begleitboot geladen wurde, hatten schon lange vor dem Eintreffen der Fahrzeuge am Strand bereitgestanden.

Der Sultan, stets gewohnt, sich von jedem Menschen hofiert zu sehen, mit Ausnahme seines Gouverneurs, der keine Unterwürfigkeitskomplimente machte, hatte ohne Weiteres den ihm angewiesenen Ehrenplatz im Wagen eingenommen. Der Engländer hatte sich ebenfalls ohne alle Aufmerksamkeit für den Bankier, der sich sehr bescheiden auf den Rücksitz setzte, an der Seite seines Zöglings niedergelassen. In dieser Ordnung rollte die Equipage durch einige Straßen Mexikos, bis sie vor dem Haus des Bankiers anlangte. Eine Menge gemieteter Lakaien stürzte an den Wagenschlag. Die Gäste traten unter sehr devoter Begleitung ihres Wirts in das Haus. Es widerfuhr hiermit dem Bankier eine Ehre, welche ihm aus seiner irdischen Laufbahn bisher noch nicht begegnet war und weswegen er triumphierend auf seine Nachbarn aus dem Wagen herabgeblickt hatte, welche die Ankunft des Reisenden neugierig betrachteten.

»Sie müssen sich nun in die Notwendigkeit fügen und mit meinem kleinen Haus und seiner armseligen Einrichtung vorläufig vorlieb nehmen«, sagte der Jude zu dem Sultan beim Eintreten. »Der Drang der Zeit machte es mir unmöglich, für die würdige Aufnahme eines so hohen Gasts genügend Sorge zu tragen.«

»Es hat nichts zu sagen«, antwortete der Prinz. »Ihre Freundlichkeit ist mir von Ihrem ostindischen Handelsfreund so vorteilhaft geschildert worden, dass ich glaube, es wird mir jedenfalls recht behaglich bei Ihnen sein. Es sollte mir leid tun, wenn Sie unnötigen Aufwand machten, da ich leicht zufriedengestellt bin.«

»Den Verschwendungen Louis XVI. gegenüber gab es wiederum Monarchen, die bei der Schüssel einer gewöhnlichen Volksspeise mit einem Gläschen gemeinen Getränks groß wurden«, bemerkte der Engländer und zitierte einige solcher Monarchen der Mäßigkeit, deren Namen man aber wegen des regen Treibens im Speisesalon, welchen man eben betreten hatte, nicht verstehen konnte.

»Hier muss ich mir die Ehre nehmen«, sagte der Bankier, »dem hohen Herrn meine Pflegetochter Cäcilie vorzustellen.«

Die kleine Bucklige, welche sich wohlgeschmückt im Speisesalon befand, machte dem Prinzen eine anständige Verbeugung, die derselbe unter einigen verbindlichen Worten erwiderte.

»Aber man sagte mir, Sie hätten eine Tochter?«, fragte der junge Sultan hierauf den Bankier.

»Bitte um Entschuldigung. Meine Kinder verstarben mir alle in zartem Alter. Indessen zähle ich zu meiner Familie noch eine Nichte, bei der ich Vaterstelle vertrete. Vielleicht ist es die, von der man Eurer Hoheit berichtet hat.«

»Ganz recht, von einer jungen Dame!«, rief Mazamba und warf einen langen zweifelhaften Blick auf die kleine Bucklige als ob er sagen wollte, dass dies nicht jene ausgezeichnete Schönheit sein könne, die man ihm so sehr in Veracruz gerühmt hatte.

»Wo haben Sie denn Ihre Nichte?«, fragte der Prinz dann.

»Nun, da muss ich um Entschuldigung bitten, indem ich dieselbe Eurer Hoheit zurzeit nicht vorstellen kann.«

»Und weshalb nicht?«

»Weil sie heute Morgen unwohl geworden ist. Wie befindet sich Judith jetzt, Cäcilie?«

»Etwas besser«, antwortete die kleine Verwachsene. »Doch ist sie nicht imstande, heute bei Tisch zu erscheinen.«

»Nun, es wird hoffentlich bald vorübergehen«, meinte der Bankier.

»Das Kranksein ist das ewige Los der Frauen«, bemerkte der Engländer, »welcher Umstand in tausend Unergründlichkeiten seine Ursache findet. In der eleganten Welt sind es zumeist die Launen, welche den Damen das Blut verdicken und Hypochondrie und Hysterie erzeugen; dann ist zweitens das Kranksein ein modernes und höchst bequemes Mittel, einen launenhaften Willen durchzusetzen, und eine Dame trotzt dem besten Feldherrn durch diese Kriegslist; drittens …«

Hier wurde der Gouverneur durch die Bewegung unterbrochen, welche man machte, um sich zu Tisch zu setzen.

Die Tafel des Bankiers war reich gedeckt. Man speiste nur von silbernem Geschirr, und die Gefäße für Zucker, Salz und Gewürz waren goldene. Zu jedem neuen Gang gab es andere Teller, Messer und Gabel, von denen die folgenden immer die vorigen an Schönheit der Arbeit sowie an Wert übertrafen. In der Mitte der Tafel standen mehrere Weine in Flaschen, mit Etiketten versehen, auf denen man unter anderen die Bezeichnungen Hypokras, Claret, Marvalla, Noirot, Canariensekt, Consiantia-Wein, Tokayer-Essenz usw. las. Die Tafel wurde durch Lakaien bedient, die der Bankier zu diesem Besuch eigens eingekleidet hatte.

Zuerst wurden zur Auswahl verschiedene Suppen aufgetragen, unter denen sich auch eine Bouillonsuppe mit Mostrich und gerösteten Eiern befand. Dann reichte man Pasteten von Wildbret mit gespaltenen Klauen, gebratene und geröstete Vögel und Ananas in Butter.

»Ich weiß nicht«, sagte der Wirt, »ob die Herren auch Wein trinken.«

»O ja«, versetzte der Prinz. »Der Wein ist mir freilich als Bekenner des Islam verboten, aber mir geht es gerade wie den Juden, welche trotz des Verbotes Schweinefleisch essen; man stirbt nicht davon.«

»Ganz richtig«, bemerkte der Bankier, der ein für alle Mal solchen Neckereien vorbeugen wollte. »Ich meinerseits bin ein Anhänger des mosaischen Glaubens und würde unbedingt ebenfalls von diesem so vielfältig wie wohlschmeckend gerühmten Nahrungsmittel genießen, wenn ich in Ihrer Heimat wäre.«

Der Engländer machte bei dieser Erklärung ein aufmerksames Gesicht, fasste den Bankier zum ersten Mal ins Auge und murmelte:  »Goddam, wie treu ist doch mein Geruchssinn. Hat es mir doch immer seit unserer Fahrt mit diesem geahnt und …«

Hier wurde er durch den Prinzen unterbrochen, welcher sagte:  »So sind wir einig, mein Bester, und ich bitte mir ein Gläschen aus. Was für Sorten bringen Sie mir in Vorschlag?«

Der Bankier nannte mehrere Weine und der Prinz sagte:  »So bitte ich um Constantiawein.«

»Ja«, entgegnete der Bankier, »ich habe mehrere, rote und Pontak-Sorten. Es hängt ganz von Ihrer Wahl ab.«

Der Prinz wurde mit seinem Wirt bald über den Wein einig, ebenso der Engländer, und der Prinz brachte der kranken Judith eine Gesundheit aus, bei welcher Gelegenheit der Engländer mit einstimmen musste; aber man sah ihm den Widerwillen an, da er nämlich nicht wusste, wie er vor sich hin murmelte, ob das Subjekt einer solchen Aufmerksamkeit würdig sei oder nicht.

Nach diesem Akt wurden Pasteten mit Birnen, ein Mandelgericht, eine gebratene Gans, hierbei spanisches Brot mit Zwiebeln, ein gesottener Kalkuttahahn und Kalbsleber mit Gewürznelken aufgetragen.

»Eine Seereise von Ostindien nach Mexiko muss wegen der allzu großen Entfernung doch sehr langweilig sein«, bemerkte Cäcilie währenddessen.

»Unter Umständen ja, mein Fräulein«, antwortete der Prinz. »Es kommt hauptsächlich auf die Umgebung an, in welcher man reist. Was mich betrifft, so hatte ich eine sehr unangenehme und langweilige Reisegesellschaft.«

Bei diesen Worten fixierte er den Gouverneur, der eben ein Stück Kalbsleber in den Mund brachte.

»Wenn Sie meine Unterhaltung nicht fesselt«, sagte der Engländer und arbeitete an der Leber, »so ist Ihnen durch meine Person nicht zu helfen. Ich meinerseits habe mich trefflich durch mein eigenes Hinzutun amüsiert.«

»Ich weiß viel von Polarstern und Polhöhe, Quadranten und Meerströmungen, Passatwinden und Deklination der Magnetnadel und wie das alles hieß, wovon Ihr Kopf so voll war«, sagte der Prinz. »Ich genieße lieber Dinge, die mir auf der Hand liegen und die ich nicht erst von den Polen oder von den entferntesten Fixsternen zu holen brauche.«

»Die Liebhabereien der Menschen für Genüsse sind mannigfaltig und wunderbar«, meinte der Engländer. »Der Mangel an edleren Genüssen, an feineren Vergnügungen der Fantasie erklärt die Leidenschaften für grobe und sinnliche Vergnügen, wie der ebenso belesene wie scharfsinnige Meiners sagt.«

Der Bankier lächelte hierbei wie jemand, der es mit keiner Partei verderben will. Er erhob sein Glas und sagte: »Eure Hoheit erlauben mir, Ihre Gesundheit ausbringen zu dürfen. Es ist aufrichtig und herzlich von mir gemeint, und ich will wünschen, dass es Ihnen recht lange in Mexiko gefallen möge.«

Die Übrigen stimmten ein und vollzogen die Gesundheit, worauf der Prinz erwiderte:  »Ich bin überzeugt, dass ich mich in Mexiko und in Ihrem Haus ganz wohl fühlen werde, sobald ich auch für mein Herz diejenige Nahrung gefunden habe, welche mir durch heimatliche Gewohnheit zum Bedürfnis geworden ist.«

»Auch das wird sich finden«, sagte der Bankier. »Mexico wird in dieser Hinsicht nicht zu arm sein, Ihren Wünschen zu genügen.«

Ein neuer Gang, aus Fischen mit Soße bestehend, kam nun auf die Tafel. Ihm folgten ein dänischer Hahn, sehr schönes Obst und eine Torte mit französischen Pflaumen. Zum Dessert endlich gab es in einem anderen Zimmer, nachdem die Tafel aufgehoben war, in prachtvollen Gefäßen trockene und frische Früchte, Kaviar, Trauben und Melonen, Letztere von roter, gelber und blauer Farbe. Hierzu wurden süße starke Weine und eine Menge Likör gegeben, um die Verdauung zu fördern. Echte Virginia und Havanna-Zigarren lagen auf goldenen Tellerchen zum Gebrauch bereit.

Cäcilie hatte sich bereits nach dem Schluss der Tafel empfohlen, und da der Prinz bei den Getränken des Guten fast zu viel getan hatte, so suchte er das Lager, wohin ihn sein Wirt begleitete. Der Engländer war ebenfalls auf sein Zimmer gegangen.

Nachdem der Mameluk seinen Herrn mit vieler Mühe und Not entkleidet, im Bett untergebracht und sich entfernt hatte, ertönte aus einem Nebenzimmer ein reizender weiblicher Gesang mit Begleitung. Es wurden im wohlklingendsten Alt einige Stücke aus beliebten spanischen Opern mit großer Kunstfertigkeit vorgetragen und zum Schluss folgte das Gebet aus der Stummen von Portici.

Mazamba, ein Liebhaber der Tonkunst, war ebenso gespannt auf den Ursprung des Gesangs, wie entzückt über den Reiz desselben. Sein Gefühl blieb lange in wachsamer Aufregung für den Schmelz der Töne, bis endlich Ursache und Wirkung zu einem Ganzen verschmolzen und er einschlief.

Der hierauf folgende Morgen war sehr angenehm für den Prinzen. Er begab sich in sein Wohnzimmer und stellte stille Betrachtungen über die Personen an, welche auf dem Plaza major geschäftig vorüberschritten, an dem das Haus des Bankiers lag. Er hatte dann längere Zeit die Reiterstatue Karls IV. und den großen Kandelaber bewundert, als sein Blick zufällig auf einen Spiegel fiel, welcher außerhalb seines Fensters angebracht war. Dabei machte er nun eine überraschende Wahrnehmung. Er konnte nämlich mithilfe dieses Spiegels das Nachbarzimmer, welches durch eine verschlossene Tür von seiner Wohnung getrennt war, vollständig einsehen. Dieses war dadurch möglich, dass beide Fenster, das seiner Wohnung einerseits und das des anstoßenden Gemachs andererseits, durch eine Außenwand von höchstens anderthalb Werkschuhen voneinander entfernt lagen, von welcher die innere Scheidewand quer ablief. Der oben erwähnte Spiegel konnte von beiden Zimmern aus benutzt werden, und es kam für diesen oder jenen Fall nur auf die Stellung desselben an. Das nächste Fenster des Nebenzimmers war geöffnet und durch das Tageslicht das Gemach vollständig erleuchtet, sodass Mazamba jeden Gegenstand darin genau beobachten konnte.

Eine junge Dame lag schlafend auf einem Kanapee, mit aller Nachlässigkeit ausgestreckt, die man sich nur in seinem sorgfältig verschlossenem Schlafzimmer erlauben kann und welche die Zufälligkeiten und Bewegungen des Schläfers in einem so heißen Klima wie das mexikanische erlauben. Ein Kopfhänger, ein Weiberfeind, vielleicht auch der spleenvolle Gouverneur wären vor diesem Anblick geflohen; allein der Prinz, ein wahrer Naturmensch, ein glutvoller Inder und ein Jüngling mit heißem Blut, setzte seine Beobachtungen mit eben dem Interesse fort, als ob Astronomen einen Kometen oder dergleichen beobachten. Er fand mit der größten Deutlichkeit das frischeste Rosenrot, das ein stärkender und erquickender Schlaf bei jugendlichen Personen nur erzeugen kann, über die Wangen Judiths – diese war nämlich die Schläferin – gegossen. Das Antlitz des jungen Mädchens, welches zwischen Karmesin und der Farbe der Lilie im Morgenlicht erglänzte, erschien dem jungen Sultan himmlisch schön. Judith hatte den einen gänzlich entblößten wundervoll schönen Arm über den Kopf gestreckt. Ihr kleiner Mund mit seinen zarten roten Lippen war so weit geöffnet, dass die weißen Zähne sichtbar waren. Über ihr ganzes Antlitz ergoss sich jenes Lächeln, dessen schon einmal Erwähnung getan worden war.

Von dem Gesicht der jungen Dame glitt der trunkene Blick des Prinzen auf ihren Hals und den nur leicht verhüllten Busen. Ein Teil ihres entfesselten schwarzen Haars wallte über ihre rechte Schulter und über das Kanapee und kontrastierte herrlich gegen das schneeweiße Gewand, welches den Leib der Jungfrau umschloss.

Der jugendliche Sultan-Thronfolger hatte längere Zeit Gelegenheit, sich den Eindrücken des sich ihm darbietenden Anblicks hinzugeben. Endlich indessen erwachte die Schläferin, sie erhob sich langsam vom Kanapee und trat in die Mitte des Zimmers, indem sie einen Blick zum Fenster warf. Der Beobachter erschrak unwillkürlich. Er prallte zurück und stieß hierbei gegen seinen Mameluken, der eben das Frühstück gebracht hatte und auf die Befehle seines Herrn harrte.

»Wie du mich erschreckst, Esel!«, fuhr der Prinz ihn an. »Ich war so in Gedanken versunken.«

Der Mameluk, dessen gerühmter scharfer Verstand sich die Aufregung des Gebieters nicht erklären konnte, trat zurück und fragte: »Haben Eure Hoheit sonst noch etwas zu befehlen?«

Der Prinz entgegnete:  »Hm, was soll ich denn gleich befehlen? Doch – was hast du für eine Meinung von unserem Wirt?«

»Alles verrät Wohlhabenheit«, antwortete der Mameluk. »Indessen vermissen wir wohl die Paläste Eurer Hoheit.«

»Das ist klar. Wir wohnen auch nicht etwa bei einem Fürsten, sondern nur bei einem Kaufmann. Was aber die Tafel betrifft, die ich gestern vorgefunden habe, so muss ich gestehen, dass sie der meinen auf den Malediven wenig nachgibt. Was meinst du ferner über das weibliche Personal hier?«

»Nun, da bemerke ich von denen, die etwas bedeuten wollen, zwei, die vielleicht die Töchter des Hauses sind. Beide bilden ein paar Gegensätze; die eine ist krumm und die andere ist gerade.«

»Den kleinen Krüppel kenne ich; aber was meinst du von der anderen?«

»Sie ist ein herrliches Geschöpf und sticht die Schönste des Harems Eurer Hoheit aus.«

»Wo sahst du sie?«

»In dem Zimmer, das an den Speisesaal stößt. Sie machte sich, während Eure Hoheit bei Tisch saßen, mit uns zu schaffen. Anfangs wollte sie mit den Mauren anbinden, die sie in den verschiedensten Sprachen anredete; aber sie konnte sich nicht mit ihnen verständigen. Dann wandte sie sich an mich, und da ich englisch spreche, so war die Unterhaltung fertig.«

»Worin bestand Eure Unterhaltung?«

»Sie erkundigte sich mit viel Neugierde nach unserer Heimat, insbesondere nach den Verhältnissen Eurer Hoheit, nach Ihrem Alter, Charakter und dergleichen, und ich hoffe, dass mein hoher Gebieter mit der Auskunft, die ich gab, zufrieden sein wird.«

»Was antwortetest du?«

»Ich sagte, dass Eure Hoheit einen alten Vater hätten, der als Sultan sein Land unumschränkt regiere, dass Eure Hoheit sein legitimer Nachfolger auf dem Thron seien, dass Sie einen Harem von mindestens fünfzig Frauen selbstständig hielten und dass die Staatseinkünfte, wonach sich die Dame mit großer Aufmerksamkeit erkundigte, sehr groß wären, ich aber in keiner Weise imstande wäre, eine Summe dafür anzugeben, weil wir nur nach dem Gewicht von Goldbarren und nach der Größe der Edelsteine rechneten, im Übrigen geprägtes Geld nicht gangbar sei, sondern alle gegenseitigen Verbindlichkeiten, mit Ausnahme des Anstandes, mit dem wir wenig Handel trieben, durch Austausch von Waren gelöst würden.«

»Hast du in Erfahrung gebracht, wo die Dame wohnt?«

»Es ist die Nachbarin Eurer Hoheit«, antwortete der Mameluk.

»Gut«, sagte der Prinz. »Du kannst gehen. Wenn ich deiner noch bedürfen sollte, werde ich dich rufen.«

Der Mameluk verließ das Zimmer und der Prinz murmelte vor sich hin:  »Ich ahnte es, dass es dieses herrliche Mädchen sein musste, auf welches man mich aufmerksam gemacht hat.«

Nach diesen Worten trat er wieder an das Fenster, um einen Blick auf den Spiegel zu werfen; allein er fand das benachbarte Fenster geschlossen und durch einen Vorhang verhüllt.

Seine Leidenschaft für die Kreolin wurde dadurch noch verstärkt. Er ging einige Male voller Unruhe im Zimmer auf und ab, dann riss er ein Fenster auf, um durch den Genuss der frischen Luft sein Inneres abzukühlen.

In diesem Augenblicke ertönte die reine schöne Stimme wieder, welche den Prinzen am vorigen Abend so entzückt hatte, und es war ihm kein Zweifel mehr, dass die Nichte seines Wirts auch die bewunderte Sängerin sei.

Mit einer wahren Ruhe, die im Grunde genommen dem stürmischen Charakter des Prinzen nicht eigen war, harrte er aus, bis der seelenvolle Gesang beendet war. Auf die Zeit und auf eine günstige Gelegenheit, seine Angebetete wiederzusehen, sich vertröstend, ging er zu dem Bankier, um diesen zu einem Spazierritt durch die Hauptstadt einzuladen.

Obwohl Abraham Levi nicht reiten konnte, schien es ihm doch nicht anständig zu sein, seinem hohen Gast etwas abzuschlagen. Daher zog er sofort Reiterstiefel an und bestieg ein ihm vorgeführtes Pferd, als ob er im Sattel zu Hause sei.

Der Prinz, ein kühner, geübter Reiter, sowie der Mameluk, welcher sie begleiten sollte, schwangen sich ebenfalls auf die ihnen zugewiesenen Pferde und man ritt ab.

Doch sofort zeigte sich auch die Ungeschicklichkeit des Bankiers in ihrem glänzendsten Licht.

Das Pferd, obwohl von frommer Natur wie ein Lamm, ging durch und der würdige Abraham Levi spielte die lächerlichste Figur von der Welt, zum Ergötzen des Publikums, während der Prinz und sein Leibdiener sich bemühten, das wild gewordene Pferd aufzuhalten.

Dies gelang endlich und der Jude, blass wie eine Leiche, schrie:  »Das ist mein erster und mein letzter Ritt auf dieser Welt, Hoheit. Ich habe mir nie die Reitkunst so groß gedacht.«

»Aller Anfang ist schwer«, sagte der Prinz. »Aber Sie mussten auch nicht gleich so scharf anreiten.«

Auf die Bitte Cäcilies, die ihrem Pflegevater aus der Tür entgegeneilte, und das auf Zureden Judiths, die von ihrem Fenster aus Cäcilies Bitte durch Winke und abgebrochene Worte unterstützt, wurde das Vorhaben des Spazierenreitens mit vollständiger Genehmigung des Prinzen umgestoßen, und man ließ alsbald einen Wagen bespannen, den auch der Engländer bestieg, worauf der Bankier den Befehl zur Abfahrt gab. Man besuchte die Ruinen der aztekischen Dämme und Wasserleitungen und den Opferstein.

Da es die Absicht des Vaters des Prinzen war, dass sein Sohn während seines Aufenthaltes in Mexiko besonders staatswissenschaftliche und andere Studien machte, deren er zu einer vollständigeren Ausbildung seines Geistes bedurfte, so warb der Engländer, welcher mit diesem väterlichen Willen vollkommen einverstanden war, in den nächsten Tagen einige Gelehrte der Hochschule Mexikos an, die dem jungen Sultan Vorträge hielten, aus denen er die reichsten Schätze menschlichen Wissens schöpfen konnte.

Unter diesen Beschäftigungen und mancherlei Vergnügungen, welche die Hauptstadt reichhaltig darbot, verstrich einige Zeit, während welcher der Prinz keine Gelegenheit fand, sich Judith zu nähern und eine Bekanntschaft mit ihr anzuknüpfen, obwohl er nichts unversucht ließ, um zu diesem heiß ersehnten Ziel zu gelangen.

Was den Bankier betraf, so wies er alle Anträge des Prinzen, ihm seine Nichte vorzustellen, mit der Erklärung zurück, dass das andauernde Unwohlsein Judiths leider jeden Gedanken an eine Vorstellung derselben zurzeit untersage, dass es daher für den Prinzen ratsam sein würde, sich mit Geduld zu wappnen, damit er mit weniger Pein des Augenblickes harren könne, wo die Umstände es gestatten würden, seinem Wunsch zu genügen.

Judith ihrerseits hielt sich auf ihrem Zimmer in so strenger Zurückgezogenheit, dass alle wiederholten Annäherungsversuche des Prinzen scheitern mussten. Sie sang viel und erregte dadurch die Sehnsucht ihres verliebten Nachbarn in einem noch größeren Maße, deren Qualen er noch eine ganze Woche hindurch zu ertragen hatte.