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Die Büffeljäger am Lagerfeuer – Kapitel 16

Thomas Mayne Reid
Die Büffeljäger am Lagerfeuer
Reisebilder und Naturschilderungen aus dem Westen
Verlag Schmidt & Spring. Stuttgart.1858

Sechzehntes Kapitel

Die Vicognajagd

Der einzige bemerkenswerte Vorfall, der uns am nächsten Tagemarsch zustieß, war eine Beschädigung unseres Wagens, welche unsere Reise etwas verzögerte. Es gab jedoch in der Nähe reichlichen Vorrat von gutem Hickoryholz. Unter Beihilfe von Redwood, Ike und Lanty besserte Jake den Schaden bald wieder aus und machte den Wagen fester als zuvor. Gleichwohl hatten wir Zeit verloren und legten daher an diesem Tag nur einen Marsch von zehn Meilen zurück.

Sonderbarerweise trafen wir auf diesem ganzen zehn Meilen langen Wege kein einziges jagdbares Tier und hätten keinen Stoff zur Unterhaltung gehabt, wenn nicht unser englischer Freund sich erboten hätte, uns einen Bericht über eine Jagd der Vicogna mitzuteilen, welcher er einst auf dem hohen Tafelland der Anden von Peru beigewohnt hatte. Er begann seine Erzählung folgendermaßen:

»Als Pizarro und seine Spanier zuerst die peruanischen Anden erklommen, staunten sie beim Anblick eines ihnen neuen und merkwürdigen Tieres, des Kamelschafs oder Lamas, welches von den Eingeborenen gezähmt und zum Lasttragen abgerichtet wurde. Ebenso fiel ihnen das Alpaka auf, ein kleinerer Verwandter des Lamas, das wegen seines kostbaren Vlieses geschätzt wird. Außer diesen beiden gab es noch zwei andere Arten dieser merkwürdigen Tiere, die nur im wilden Zustand und in den öden und unbewohnten Teilen der Kordilleren beobachtet wurden, nämlich das Guanako und die Vicogna.

Bis in die neuere Zeit wurde irrtümlich das Guanako für das Lama im wilden Zustand und von einigen für das wildgewordene Lama gehalten. Lama, Alpaka, Guanako und Vicogna sind deutlich voneinander unterschieden. Obwohl das Guanako gezähmt und zum Lasttragen abgerichtet werden kann, so gewährt doch seine Arbeit nicht hinreichenden Vorteil, um sich dieser Mühe zu unterziehen. Das Alpaka wird niemals als Lasttier verwendet, sondern nur wegen seines Vlieses gezähmt und gepflegt. Seine Wolle ist viel feiner und kostbarer als die des Lamas.

Das Guanako wird am wenigsten geschätzt, da sein Haar von geringer Güte und sein Fleisch nicht wohlschmeckend ist. Die Vicogna dagegen gibt die feinste und gesuchteste Wolle, welche in den Städten am Fuß der Anden wenigstens den fünffachen Wert der Alpakawolle hat. Die daraus gewebten Ponchos gelten für die besten und kosten das Stück bis zu zwanzig und dreißig Pfund Sterling. In jenen Gegenden besitzt jedermann einen solchen Überwurf oder Poncho, aber die der ärmeren Schichten in Peru, der indianischen Arbeiter, Schäfer und Bergleute, sind gewöhnlich nur aus der groben Wolle des Lamas gewebt, da allein die Reichen das schöne Fabrikat aus der Vicognawolle bezahlen können.

Bei dem hohen Wert der Vicognawolle begreift es sich leicht, dass die Jagd des Tieres eine sehr gewinneinbringende Beschäftigung ist. In vielen Gegenden der Anden gibt es daher regelmäßige Vicognajäger, während an anderen Orten ganze Stämme der peruanischen Indianer einen Teil des Jahres auf die Jagd dieses Tieres und des Guanako verwenden. Wenn man weiter nach Süden in die Richtung nach Patagonien vordringt, findet man andere Stämme, die hauptsächlich von Guanako, der Vicogna und dem Rhea oder südamerikanischen Strauß leben.

Die Jagd der Vicogna ist übrigens keineswegs ein leichtes Geschäft. Der Jäger muss sich in die höchsten und kältesten Regionen der Anden fern vom zivilisierten Leben und dessen Bequemlichkeiten begeben. Er muss unter freiem Himmel lagern oder in einer Höhle oder einer rohen, von seiner eigenen Hand erbauten Hütte schlafen. Er muss ein Klima ertragen, das nicht selten so kalt ist wie ein lappländischer Winter, und zwar in Gegenden, wo oft kein Span Holz zu finden ist. Wenn er kein Glück auf der Jagd hat, so läuft er Gefahr, zu verhungern und muss seine Zuflucht zu Wurzeln und Beeren nehmen. Außerdem drohen ihn tiefe Abgründe, schwankende Seilbrücken, schlüpfrige Pfade und verräterische Bergströme, welche in der zerklüfteten Cordillera de los Andes keine geringen Gefahren bergen. Das Leben des Vicognajägers ist voller Mühe, Beschwerde und Gefahr.

Während meiner Reise in Peru hatte ich mir vorgenommen, das Vergnügen einer Vicognajagd zu genießen. Zu diesem Zwecke verließ ich eine der Städte am Fuße des Gebirges und kletterte zu den höheren Regionen hinauf, welche unter dem Namen der Puna oder der Desboblada (unbewohnten Gegenden) bekannt sind. Ich erreichte nach vieler Mühe den Rand einer Ebene, zu welcher ich auf manchem beschwerlichen Pfad durch manche düstere Schlucht emporgestiegen war. Dort befand ich mich 12.000 bis 14.000 Fuß über der Meeresfläche und demgemäß, obwohl ich eben erst das Land der Palmen und Orangen verlassen hatte, in einer sehr kalten und unfruchtbareren Region. Vor mir und rings um mich her erhoben sich mächtige Berge, einige kahl und finster, andere glänzend von Schnee und Eis, und noch andere grau und weiß gemischt, als ob kürzlich Schnee auf sie gefallen wäre, aber nicht hinreichend, um ihre steinige Oberfläche zu bedecken. Die Ebene vor mir hatte mehrere Meilen im Umfang, war aber nur ein Teil von einer Reihe ganz ähnlicher Ebenen, die durch Gebirgsausläufer voneinander getrennt sind. Wenn man einen Kamm überstiegen hat, erblickt man eine zweite; eine tiefe Schlucht führt zu einer dritten, und so weiter.

Diese Hochebenen sind zu kalt für den Ackerbau. Es gedeiht dort nur Gerste und einige Wurzeln nebst dem Icha-Gras, welches große Strecken bedeckt und das Lieblingsfutter der Lamas ist, wodurch die Puna nutzbar für den Menschen wird. Dort nun erblickt man Herden halb wilden Viehes unter der Obhut eines noch wilder aussehenden Hirten. Herden von Alpakas, von Lamas mit ihren Jungen und von langschwänzigen peruanischen Schafen streifen auf den Ebenen umher und verschönern einigermaßen ihr ödes Aussehen. Der Riesengeier, der Kondor, kreist hoch über allen oder horstet auf einem hervorspringenden Felsen. Hier und da, an irgendeinem etwas geschützten Orte sieht man die traurige Erdhütte des Vaquero oder Hirten und vielleicht auch ihn selbst mit seinen wilden Hunden, die ihm stets auf dem Fuße folgen, die einzigen Zeichen des Lebens, welche man auf Hunderte von Meilen antrifft.

Die Puna ist der Lieblingsaufenthalt der Vicogna, und infolgedessen auch des Vicognajägers. Ich hatte Weisungen erhalten, wo ich einen dieser Jäger antreffen würde, und trug auch eine Empfehlung an ihn bei mir, wenn ich ihn gefunden hätte. Nachdem ich die Nacht in der Hütte eines Hirten zugebracht hatte, machte ich mich am folgenden Morgen auf, um ihn ungefähr zehn Meilen tiefer im Gebirge aufzusuchen. Ich kam zeitig bei seinem Haus oder vielmehr seiner Hütte an. Trotzdem war mein Wirt schon aus gewesen und soeben mit vollen Händen zurückgekehrt, indem er eine ziemliche Last toter Tiere trug, nämlich Chinchillas und Viscachas, welche er aus seinen, am Abend vorher gelegten Schlingen genommen hatte. Er sagte mir, dass die meisten von ihnen sich eben erst gefangen hätten, da sie am liebsten kurz vor Tagesanbruch aus ihren Höhlen kämen, um ihrer Nahrung nachzugehen.

Diese Tierchen, welche unseren Kaninchen in vieler Beziehung ähnlich sind, gleichen ihnen auch in ihren Gewohnheiten. Sie machen ihre Nester in Felsenspalten, zu welchen sie sich, wenn sie verfolgt werden, zurückziehen, wie die Kaninchen in ihren Bau. Sie werden auch auf ähnliche Art gefangen, indem man Schlingen aus geflochtenen Pferdehaaren auf ihrer Fährte dicht vor dem Eingang ihrer Höhlen aufstellt. Das Chinchilla ist ein viel schöneres Tier als die Viscacha und auch besser bekannt, da ihr weiches und schön marmoriertes Fell in den europäischen Städten sehr geschätzt wird.

Als ich mich der Hütte näherte, hing der Jäger gerade seine Beute, den nächtlichen Ertrag der gelegten Schlingen, neben seiner Wohnung auf und zog den Tieren dann einem nach dem anderen das Fell ab. Ich sah ihn von nicht weniger als zehn kleinen fuchsähnlichen Hunden von der echten eingeborenen Rasse des Landes umringt.

Bald wurde ich mit dem Charakter dieser Tiere bekannt gemacht, denn sie hatten mich kaum erblickt, als auch die ganze Meute mir entgegenlief und sich bellend und knurrend um die Hufe meines Pferdes drängte. Einige von ihnen sprangen sogar nach meinen Füßen und würden mich ohne Zweifel gebissen haben, wenn ich die Beine nicht schnell heraufgezogen und sie eine Zeitlang in dieser Lage gehalten hätte. Ich zweifle nicht, dass mir die Köter arg zugesetzt haben würden, wenn ich zu Fuß gewesen wäre, und kann überhaupt wohl sagen, dass die peruanischen Gebirgshunde von allen Hunden der bekannten Welt die bösartigsten und rachsüchtigsten sind. Sie beißen sogar die Freunde ihres eigenen Herren, und ihre Herren selbst müssen nicht selten den Stock gebrauchen, um sie in Unterwürfigkeit zu erhalten. Nach langem Treten und Knuffen gelang es meinem Wirt, den Bestien endlich verständlich zu machen, dass ich nicht hierhergekommen sei, um aufgefressen zu werden. Nun stieg ich vom Pferd und ging oder kroch eigentlich in die Hütte. Diese war ein bloßer Schuppen. Eine kreisrunde, ungefähr fünf Fuß hohe Mauer von Lehm und Steinen trug eine Zahl Stangen, die als Dachbalken dienten. Diese Stangen waren die Blumenstängel der großen amerikanischen Aloe, dem einzigen in der Nähe wachsenden holzähnlichen Gegenstand. Über die Stangen war eine dicke Lage Puna-Gras ausgebreitet und mit starken Seilen aus demselben Stoff festgebunden, um das Wegfliegen bei starkem Wind zu verhüten. Ein paar große Steine in der Mitte des Fußbodens bildeten den Herd, und der Rauch entwich, so gut er konnte, durch ein Loch im Dach.

Der Eigentümer dieser Wohnung war ein echter Indianer und gehörte zu einem jener Gebirgsstämme, welche niemals recht eigentlich von den Spaniern unterjocht worden sind. Da sie in abgelegenen Gegenden wohnen, so haben viele von ihnen nie die spanische Herrschaft anerkannt. Nur eine Art religiöser Unterwerfung durch die Missionare hat stattgefunden, sodass sie im Gegensatze zu den Indios bravos oder wilden Stämme, die bis zum heutigen Tag unbezwungen und unabhängig geblieben sind, Indios mansos oder zahme Indianer genannt werden.

Ich war, wie bereits erwähnt, nach vorhergegangener Verabredung gekommen, um an diesem Tag einer Jagd beizuwohnen. Zunächst wurde ich aber eingeladen, am Frühstück teilzunehmen. Mein Wirt war als Junggeselle sein eigener Koch, und daher bestand das ganze Mahl aus etwas geröstetem Mais und Maca, nebst eines gebratenen Chinchilla.

Glücklicherweise führte ich eine Flasche katalonischen Branntwein bei mir, und dieser machte, in Verbindung mit einem Glas Wasser aus der eiskalten Bergquelle unser Mahl etwas schmackhafter. Auch fehlte es mir nicht an etwas trockenem Tabak und einem Maulbeerblatt, um ihn darin einzurollen, sodass ich eine Zigarre schmauchen konnte. Meinem Jäger sagte indessen eine Cocada besser zu, denn er war ein regelmäßiger Coca-Kauer und führte stets seinen mit den getrockneten Blättern der Cocapflanze gefüllten Beutel aus Chinchillahaut bei sich, wie denn auch an seinem Hals die mit gebranntem Kalk und Asche von der Wurzel des Pfefferbaumes gefüllte Kürbisflasche hing.

Nachdem alles vorbereitet war, brachen wir auf. Es sollte eine stille Jagd sein, und deshalb gingen wir zu Fuß, indem wir unsere Pferde neben der Hütte angebunden zurückließen. Der Indianer nahm nur einen von seinen Hunden mit, einen treuen und zuverlässigen Burschen, in welchen er volles Vertrauen setzen konnte. Wir gingen am Rand der Ebene hin und erreichten eine Bergschlucht, welche zwischen Felsentrümmern aufwärts führte. Auf dem Grund derselben rauschte ein kalter Bergstrom, der hier und da kleine Wasserfälle bildete und in Schaum und Gischt zerstäubte. Zuweilen war der Weg gefährlich, wo er an schmalen Felsenkanten entlangführte, welche durch mehrere Zoll hohen, gefrorenen Schnee glatt gemacht wurden. Wir beabsichtigten, eine noch höhere Ebene zu erreichen, wo wir, wie mir mein Begleiter versicherte, wahrscheinlich eine Herde Vicognas antreffen würden.

Während wir die Felsen hinaufkletterten, wurde mein Blick durch einen sich weiter oben bewegenden Gegenstand angezogen. Als ich aufmerksamer hinsah, unterschied ich mehrere Tiere von bedeutender Größe und rötlich brauner Farbe. Ich hielt sie anfangs für Hirsche, wurde meinen Irrtum jedoch im Augenblick gewahr. Nicht Hirsche, aber doch ebenso gewandte Tiere waren es. Sie sprangen von Felsen zu Felsen und liefen mit der Schnelligkeit der Gämsen auf den schmalen Grate entlang. Ich glaubte, es müssten Vicognas sein.

»Nein«, sagte mein Begleiter, »Guanakos! Weiter nichts.«

»Ich wünschte, einen Schuss auf sie zu tun.«

»Es ist besser, wenn wir sie jetzt in Ruhe lassen«, meinte der Jäger. »Der Knall würde die Vicognas erschrecken, wenn sie auf der Ebene sind, die ganz in der Nähe ist. Ich kenne diese Guanakos. Ich weiß, wohin sie sich zurückziehen werden, nämlich nach einer nahgelegenen Schlucht, und wir können auf dem Rückweg unser Heil bei ihnen versuchen.«

Ich unterließ also das Schießen, obwohl sich die Guanakos in Schussweite befanden. Im Weitergehen sah ich die Guanakos zu einer düster aussehenden Schlucht zulaufen, welche sich zwischen zwei runden Bergkuppen öffnete.

»Dort werden wir sie finden«, sagte mein Begleiter. »Das ist ihr Aufenthaltsort. Diese Guanakos sind wahrlich ein edles Wild, große, schöne Tier, und eine ebenso edle Jagdbeute wie der beste Rothirsch. Sie unterscheiden sich sehr von den Vicognas und vereinigen sich nur zu kleinen Herden von sechs bis zwölf Stück, während man die Vicognas oft in der vierfachen Anzahl antrifft.

Ihre Gewohnheiten sind wesentlich voneinander abweichend. Die Guanakos hausen zwischen den Felsen und fühlen sich da am meisten zu Hause, wo sie von einer Klippe und von einem Felsenkamm zum anderen springen können. Auf den flachen, mit Gras bewachsenen Ebenen laufen sie schlecht. Ihre merkwürdig verdrehten Hufe scheinen eigens für ihren Lieblingsaufenthalt gebildet zu sein. Die Vicognas dagegen ziehen den weichen Rasen der Hochebenen vor und fliegen mit der Schnelligkeit des Hirsches darüber hin. Beide gehören übrigens zu der nämlichen Familie der Vierfüßler, nur eben mit dem wesentlichen Unterschied, dass diese Bewohner der flachen Ebene jene der Felsenabhänge sind, und dass die Natur beide ihren Wohnplätzen gemäß ausgerüstet hat.

Ein paar weitere Schritte in die Gebirgsschlucht brachten uns an den Rand der Ebene, wo wir die Vicognas zu sehen erwarteten. Unsere Hoffnung wurde auch nicht getäuscht, denn auf der Fläche, wenn auch in ziemlich weiter Entfernung, weidete eine Herde. Sie gewährte einen schönen Anblick und glich in Haltung und Stattlichkeit einem Rudel edler Hirsche. Überhaupt ist die Vicogna dem Hirsch viel ähnlicher als jedes andere Tier, mit Ausnahme der Antilope, und gleicht ihm weit mehr als ihre Geschlechtsgenossen, das Lama, das Alpaka und das Guanako. Ihre Gestalt ist schlank, ihr Gang leicht und behänd, und der langgestreckte Hals und Kopf erhöhen noch die Ähnlichkeit. Nur die Farbe weicht eigentümlich und wesentlich ab, und jeder, wer nur einmal eine Vicogna gesehen hat, kann das Orangerot ihres seidenartigen Felles auf den ersten Blick selbst in großer Entfernung unterscheiden. Es ist so eigentümlich, dass der Name Vicognafarbe in Peru als eine stehende Benennung gebraucht wird.

Mein Begleiter erklärte die Tiere vor uns sogleich für eine Herde Vicognas und zählte im Ganzen ungefähr zwanzig Tiere, die, mit Ausnahme eines einzigen, ruhig auf der grasbedeckten Ebene weideten. Dieses eine stand mit hoch in die Luft erhobenem Hals da und wendete den Kopf von Zeit zu Zeit von einer Seite zur anderen, als ob es für die Übrigen Wache hielt. Dies war auch in der Tat der Fall, es war der Führer der Herde, der Patriarch und Vater der Übrigen. Alle anderen waren, wie mein Begleiter behauptete, entweder Weibchen oder Junge.

»Nun, Señor«, sagte der Jäger, indem er die Herde betrachtete, »wenn ich nur den Führer da töten könnte, so würden mir die anderen keine Mühe machen. Ich würde sie alle zusammen bekommen.«

»Auf welche Art?«, fragte ich.

»Oh! Sie würden … Ha! gerade, was ich wünschte!«

»Was gibt es?«

»Sie gehen nach jenem Felsen zu.«

Er zeigte auf einen Haufen von Felsentrümmern, welche abgesondert an einer Seite der Ebene lagen.

»Dorthin wollen wir gehen, Kamerad. Hurtig!«

Wir schlichen vorsichtig um den Rand des Berges, bis der Felsen zwischen uns und dem Wild lag; dann krochen wir auf ihn zu und nahmen unsere Stellung hinter demselben ein. Wir lagen nun hinter einem zerklüfteten Felsstück, dessen zackige Umrisse ganz so aussahen wie Schießscharten und uns dadurch gerade einen Anstand gewährten, wie wir ihn brauchten.

Vorsichtig spähten wir durch die Spalten des Felsens. Die Vicognas befanden sich schon in der Nähe, fast innerhalb Schussweite. Ich hatte eine Doppelflinte in der Hand, deren beide Läufe mit großen Rehposten geladen waren. Mein Gefährte besaß als Waffe eine lange spanische Büchse. Er flüsterte mir seine Anweisungen zu. Ich sollte nicht eher feuern, bis er geschossen haben würde. Wir mussten beide auf den Führer zielen. Dies empfahl er mir dringend, und ich versprach ihm Gehorsam.

Die arglose Herde kam immer näher. Der Führer, von dessen Brust das lange, weiße, seidenartige Haar tief herabhing, schritt voraus. Auf ihn besonders waren unsere Augen gerichtet. Ich konnte seine funkelnden Blicke und seine stolze Haltung bemerken, wenn er sich von Zeit zu Zeit umdrehte, um die ihm Nahestehenden zum Weitergehen aufzufordern.

»Ich will hoffen, dass er ein wenig Ungeziefer hat«, murmelte mein Begleiter. »In diesem Fall wird es herkommen und sein Fell an dem Felsen scheuern.«

Ohne Zweifel hegte die Vicogna eine solche Absicht, denn fast in demselben Augenblicke streckte es den Hals aus und trabte ein paar Schritte auf uns zu. Plötzlich blieb es wieder stehen. Der Wind war uns günstig, sonst wären wir schon lange gespürt worden, trotzdem hegte das Tier Verdacht. Es blieb also stehen, warf den Kopf zurück, stampfte mit dem Huf auf die Erde und stieß einen sonderbaren, dem Pfeifen des Hirsches ziemlich ähnlichen Ton aus. Unmittelbar auf diesen Schrei erfolgte der Knall der Büchse meines Begleiters. Ich sah die Vicogna in die Höhe springen und tot auf der Ebene niederstürzen. Nun erwartete ich, dass die anderen die Flucht ergreifen würden, und stand im Begriff, unter sie zu feuern, obwohl sie sich noch in weiter Entfernung befanden. Allein mein Gefährte verhinderte mich daran.

»Halt!«, flüsterte er. »Sie werden sogleich ein besseres Ziel haben! Sehen Sie dort! Jetzt, Señor, wenn es Ihnen beliebt.«

Zu meiner Überraschung versuchte die Herde nicht, zu entfliehen, sondern trabte zu der Stelle hin, wo ihr Führer lag, und fing an, die Leiche zu umkreisen und sich zu derselben niederzubeugen, wobei die Tiere ein klägliches Geschrei ausstießen. Es war ein rührender Anblick, aber der Jäger kennt kein Mitleiden für seine Beute. Im nächsten Augenblick schon hatte ich beide Drücker meiner Flinte berührt und den tödlichen Hagelschauer beider Läufe entsendet. Und tödlich war er allerdings, denn als sich der Pulverdampf verzog, sahen wir fast die Hälfte der Herde tot oder verwundet am Boden liegen.

Die Übrigen blieben wie vorher! Ein erneuerter Knall der langen Büchse und wieder fiel eins; eine zweite doppelte Ladung aus der schweren Jagdflinte und mehrere stürzten zu Boden. So ging das wechselnde Feuer mit Kugeln und Posten fort, bis die ganze Herde tot und sterbend über die Ebene verstreut lag.

Unser Werk war getan, ein großes Tagewerk für meinen Begleiter, der für seine heutige Jagdbeute ziemlich 100 Dollar zu erhalten hoffen konnte.

Dies war jedoch seiner Versicherung nach ein sehr außerordentlicher Glücksfall. Oft, wie er sagte, streifte er Tage und selbst Wochen lang durch das Gebirge, ohne nur ein Stück, weder Vicogna noch Guanako, zu schießen. Es war ihm nur erst zweimal gelungen, auf diese Art eine ganze Herde zu erbeuten. Einmal auch hatte er sich, in das Fell eines Guanako gehüllt, einer Herde Vicognas genähert. Es war ihm durch diese List gelungen, den größten Teil derselben zu schießen, ehe sie an die Flucht dachte.

Wir mussten nun zur Hütte zurückkehren und unsere Pferde holen, um die Beute heim zu schaffen, was ein mehrmaliges Hin- und Hergehen erforderte. Um die Wölfe und Kondore abzuhalten, wendete mein Gefährte ein sehr einfaches Mittel an, welches, wie ich glaube, auch im Norden unter den Prärie-Trappern oft benutzt wird. Es wurden nämlich mehrere Blasen aus den Leibern der Vicognas genommen und mit Luft gefüllt. Dann wurden sie an Magua-Stangen gebunden und neben den Leichen aufgestellt, sodass sie frei hingen und im Wind tanzten. So schlau der Wolf der Anden auch ist, so genügt diese Scheuche doch, um sowohl ihn als auch seinen raubgierigen Gefährten, den Kondor, abzuhalten.

Es war völlig Nacht, als wir die Hütte des Indianers mit unserer letzten Ladung erreichten. Beide verspürten wir Hunger und Müdigkeit, aber ein tüchtiges Röststück von einer Vicogna-Keule und ein Schluck von dem katalonischen Branntwein, auf welche dann eine Zigarette folgte, ließ uns bald unsere Beschwerden vergessen. Mein Wirt war durch sein Tagwerk mehr als zufrieden gestellt und versprach mir für den folgenden Tag eine Guanako-Jagd.«