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Leben, Taten und Schicksale der merkwürdigsten englischen Räuber und Piraten … Teil 4

Leben, Taten und Schicksale der merkwürdigsten englischen Räuber und Piraten der frühesten bis auf die neueste Zeit
Nach amtlichen Urkunden und anderen glaubwürdigen Quellen von C. Whitehead
Aus dem Englischen von J. Sparschil
Leipzig. 1834

Sawney Beane

Die folgende Erzählung enthält ein solches Gemälde menschlicher Barbarei, dass man es, wenn nicht die unbezweifelbarsten geschichtlichen Beweise vorhanden wären, als fabelhaft und unglaublich verwerfen müsste.

Sawney Beane war in der Grafschaft East Lothian, unter der Regierung des Königs Jacob I. von Schottland geboren. Sein Vater war ein Teichgräber und hielt auch seinen Sohn zu dieser nützlichen Arbeit an. Allein von Natur aus faul und lasterhaft, entlief er bald mit einer jungen, ebenso nichtsnutzigen Frauensperson und flüchtete in die Einöde von Galloway. Sie wählten zu ihrer Wohnung eine Höhle, die eine halbe Stunde lang, beträchtlich breit war, und so nahe an der See lag, dass die Flut oft über zweihundert Ellen tief eindrang. Der Eingang hatte eine Menge Krümmungen und Windungen, die in das Innere der unterirdischen Höhle führten, welche buchstäblich die Wohnung der schändlichsten Grausamkeit war.

Sawney und sein Weib suchten in dieser Höhle Obdach und begannen ihre Räubereien. Um der Möglichkeit der Entdeckung vorzubeugen, ermordeten sie jede Person, die sie beraubt hatten. Da sie nicht wussten, woher sie sich Nahrung verschaffen sollten, beschlossen sie von Menschenfleisch zu leben. So oft sie daher einen Mann, eine Frau oder ein Kind ermordet hatten, schleppten sie den Leichnam in ihre Höhle, zerstückelten ihn, salzten die Gliedmaßen ein und trockneten sie zur Nahrung. Auf diese Weise lebten sie unter Raub und Mord fort, bis sie acht Söhne und sechs Töchter, achtzehn Enkel und vierzehn Enkelinnen, sämtlich Früchte der Blutschande, hatten.

So zahlreich die Familie aber auch war, fielen doch eine solche Menge Menschen in ihre Hände, dass es ihnen an Vorrat nie fehlte, und oft warfen sie in der Nacht in einiger Entfernung von ihrer Wohnung Beine oder Arme getrockneter Leichen in das Meer. Die Flut trug diese häufig an das Ufer, wo sie zur großen Bestürzung der ganzen Nachbarschaft von den Landleuten aufgelesen wurden. Auch wusste niemand, was aus den vielen Freunden, Verwandten und Nachbarn, die in die Hände der erbarmungslosen Kannibalen gefallen waren, geworden sei.

Jedes Mitglied der Familie Sawneys nahm an diesen schändlichen Mordtaten teil. Zuweilen griffen sie fünf bis sechs Fußgänger an, aber nie mehr als zwei Berittene. Um jedem Entkommen vorzubeugen, legten sie sich nach allen Richtungen in Hinterhalt, damit, wenn die Angegriffenen den ersten Angreifern entkommen waren, sie von einer anderen Abteilung mit erneuter Wut angegriffen und gemordet wurden.

Das Verschwinden so vieler Menschen bewirkte, dass die Bewohner der Gegend sich erhoben und alle Wälder und Verstecke durchsuchten. So oft sie aber auch an der schrecklichen Höhle vorüber kamen, ahnten sie doch nicht im Geringsten, dass darin menschliche Wesen wohnen könnten. Bei dieser Ungewissheit in Betreff der Urheber so häufiger Mordtaten wurden viele unschuldige Reisende und Gastwirte aufgegriffen, weil man die Verschwundenen zuletzt entweder in ihrer Gesellschaft oder in ihrem Haus gesehen hatte. Die Folge davon war, dass die meisten Gastwirte in diesem Landesteil ihr Geschäft zur großen Unbequemlichkeit der Reisenden aufgaben.

Inzwischen wurde der Bezirk immer menschenleerer. Niemand wusste, was man von den zahllosen und unerhörten Mordtaten halten solle, die verübt wurden, ohne dass sich auch nur der geringste Faden darbot, um die abscheulichen Täter zu entdecken. Endlich legte sich die Vorsicht auf folgende Weise in das Mittel, um diesen Untaten ein Ende zu machen. Eines Morgens ritten Mann und Frau auf demselben Pferd von einem Markt, der in der Nachbarschaft gehalten worden war, heim und wurden angegriffen. Der Mann leistete verzweifelten Widerstand, seine Gattin hinter ihm wurde aber vom Pferd gerissen, eine Strecke fortgeschleppt und ihr der Bauch aufgeschlitzt. Schmerz und Abscheu verdoppelten nun seine Anstrengungen, zu entkommen, ja, er überritt dabei mehrere der Mörder. Zum Glück für ihn und die Bewohner der Umgegend kam eine Schar von dreißig berittenen Männern daher, welche gleichfalls von der Messe heimkehrten. Bei ihrer Annäherung floh Sawney mit seinen blutbefleckten Kindern in einen dichten Wald und von da in seine verruchte Höhle.

Dieser Mann, der erste, der ihnen je entronnen war, erzählte, was sich zugetragen hatte und zeigte den Fremden den verstümmelten Leichnam seiner Gattin, welchen die blutdürstigen Tiger nicht hatten fortschaffen können. Alle wurden von Staunen und Entsetzen erfüllt und nahmen den Mann mit nach Glasgow, wo er seine Aussagen vor dem Richter wiederholte. Dieser schrieb sogleich an den König und erstattete ihm Bericht über diese Angelegenheit.

Einige Tage später zog der König an der Spitze von vierhundert Bewaffneten in Person aus, um die Vollbringer so schrecklicher Taten aufzusuchen. Der Mann, dessen Frau ermordet worden war, diente ihnen als Führer. Auch hatten sie eine große Anzahl von Spürhunden bei sich, um kein Mittel, den Zufluchtsort solcher Gräuelmenschen zu entdecken, unversucht zu lassen.

Sie durchforschten die Wälder, besichtigten die Küste, und obwohl sie an dem Eingang der Höhle vorüberkamen, hatten sie doch keine Idee, dass ein so finsterer und trauriger Ort menschlichen Wesen zur Wohnung dienen könne. Glücklicherweise liefen einige der Spürhunde in die Höhle und schlugen so laut und so wütend an, wie sie es zu tun pflegen, wenn sie ihrer Beute nahe sind. Der König kehrte mit seinen Leuten zurück, konnte aber noch immer nicht glauben, dass sich Menschen an einem so finsteren Ort aufhielten. Die Hunde fuhren jedoch mit ihrem Gebell fort und weigerten sich wegzugehen, sodass alle der Meinung waren, die Höhle müsse nach allen ihren Krümmungen und Windungen durchsucht werden. Es wurden Fackeln herbeigeschafft, die Hundegehetzt, weiter vorzudringen und eine bedeutende Anzahl Bewaffneter folgte ihnen, bis sie endlich den Schlupfwinkel der Kannibalen fanden.

Die Übrigen drangen nach, und es bot sich ihnen ein Anblick dar, wie man ihn wohl auf der ganzen Welt nie gehabt hat. Füße, Arme, Schenkel, Hände von Männern, Frauen und Kindern hingen in Reihen, wie Stücke getrockneten Rindfleisches. Andere menschliche Glieder waren eingesalzen, während eine große Menge Geldes, sowohl Gold als auch Silber, Ringe, Kleider und unermesslich viele andere Artikel teils in Haufen aufgeschichtet lagen, teils an der Wand der Höhle hingen.

Die ganze grausame Familie wurde ergriffen, die Überreste von Menschen am Strande begraben und die große Beute samt den Gefangenen nach Edinburgh geschafft. Dieses ebenso seltene wie furchtbare Schauspiel lockte eine zahllose Menschenmenge herbei, um eine so blutbefleckte und unnatürliche Familie zu sehen, welche innerhalb fünfundzwanzig Jahren zu siebenundzwanzig Männern und einundzwanzig Frauen herangewachsen war. In der Hauptstadt wurden sie für die Nacht in das Gefängnis gebracht und den anderen Tag auf dem gewöhnlichen Richtplatz, ohne zuvor förmlich vor Gericht gestellt worden zu sein, weil man dies bei offenkundigen Feinden des gesamten Menschengeschlechtes für überflüssig hielt, vom Leben zum Tode befördert.

Ihre Strafe war der Abscheulichkeit ihrer Verbrechen angemessen. Den Männern wurden zuerst die Eingeweide herausgerissen und in das Feuer geworfen, dann hieb man ihnen Hände und Füße ab und ließ sie verbluten. Die ruchlose Mutter der ganzen Brut, die Töchter und Großtöchter wurden, nachdem sie dem Tod der Männer hatten zusehen müssen, verbrannt. Sie zeigten nicht die geringste Spur von Reue, sondern stießen bis zum letzten Atemzug die schrecklichsten Verwünschungen gegen alle, die sie umgaben, besonders gegen diejenigen aus, welche beigetragen hatten, sie den Händen einer späten, aber gewissen und unvermeidlichen Gerechtigkeit zu überliefern.