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Oberhessisches Sagenbuch Teil 55

Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873

Der schwarze Rabe

Der Waldmüller von Ilbeshausen wollte vorlängst einmal, wie er es allsonntäglich gewohnt war, hinab ins Dorf zur Morgenkirche gehen. Weil er aber gegen Vermuten zu spät kam und es nicht Sitte ist, wenn es schon ausgeläutet hat, noch die Tür des Gotteshauses zu öffnen, so ging er in ein bekanntes Nachbarhaus. Alle Leute desselben waren jedoch in der Kirche. Auf dem Tisch aber lag ein Buch aufgeschlagen, so groß wie ein Gesangbuch, auf dessen Deckel man einen schwarzen Raben mit einem Ring im Schnabel erblickte.

Kaum hatte der Müller das Buch ergriffen und darin angefangen zu lesen, so sprang plötzlich die Tür auf und ein bärtiger Jägersmann in grünem Kleid trat herein, sagte aber kein Wort. Als ihn der Erstaunte vom Kopf bis Fuß betrachtete, merkte er, dass er einen Kuhfuß hatte und der Grünrock niemand anders als der leidige Gottseibeiuns sein könne.

Ganz erschrocken hielt er mit dem Lesen inne und stand höllische Ängste aus. Nicht minder erschrocken war der Mann, als er aus der Kirche kam. Er sah den Teufel, nahm schnell das Buch und las alles, was der Müller gelesen hatte, rückwärts. Da verschwand der böser Geselle.

»Du kannst Gott nicht genug danken«, sprach er tief aufatmend danach, »dass du noch so davongekommen bist. Hättest du noch ein paar Reihen weitergelesen, so hätte dir der Teufel das Genick gebrochen. Du hattest ihn zitiert, und ungestraft lässt er sich nicht berufen!«

Der Waldmüller hat sein Lebtag nie wieder Lust verspürt, in Der schwarzen Rabe, diesem Zauberbuch, zu lesen. Wohin es aber seitdem gekommen ist, das will kein Mensch im Dorf wissen.