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Der Detektiv – Die Festung des Ali Azzim – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920

Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient

Die Festung des Ali Azzim

4. Kapitel

In der Klemme

Ich bekam einen bösen Schreck.

»Aber die Hunde, von denen Vinklair sprach! Und die Mauer mit den elektrisch geladenen Drähten oben! Und die beiden ständigen Wächter!«, stotterte ich hastig. »Bedenke das alles! Die Geschichte kann niemals gut enden! Du bist zu waghalsig.«

»Meinst Du? Ich will ja gar nicht über die Mauer, will nur auf eine Palme hinauf, die außerhalb der Mauer steht. Wenn man einen Strick hat, wenn man daraus eine Schlinge macht, doch du wirst ja sehen, dass ich auch an einem schlankem glatten Palmenstamm hochkomme.«

Und natürlich kam er hoch! Weniger natürlich war, dass mir mit seiner Hilfe dasselbe gelang, freilich unter Strömen von Schweiß. Wir hatten diese Kletterpartie in aller Stille erledigen müssen. Aber die Schweißperlen hatten wenigstens gelohnt. Wir sahen nun über die vier Meter hohe Mauer hinweg in zwei Hochparterrefenster hinein, die erleuchtet waren, sahen in dem kleinen Hofraum auch drei Bulldoggen, die dort lautlos umherstrichen und zuweilen den Mond anheulten.

Die Fenster waren vergittert und Leitungsdrähte zeigten, dass diese Eisengitter nachts tatsächlich ebenfalls elektrisch geladen waren, wie schon der Dysenterie Franzose behauptet hatte.

Die Vorhänge waren nicht zugezogen. In dem einen europäisch eingerichteten Zimmer saß an einem Diplomatenschreibtisch ein Araber in einem seidenen Hausgewand und schrieb. Ein Tischtelefon, eine elektrische Stehlampe mit grüner Glocke, ein großes Schreibzeug aus Onyx und anderes hätten ebenso gut im Arbeitszimmer eines Berliner Herrn stehen können. Im Hintergrund bemerkte ich einen großen Bücherschrank, rechts an der Wand eine Weltkarte von gut drei Meter im Quadrat.

Der Araber hob nun den Kopf. Es war Ali Azzim, der Juwelenhändler, der hier in Suez, wie Vinklair zu berichten wusste, vor einem halben Jahr sich niedergelassen, diese Villa gekauft und sich schnell durch seine Wohltätigkeit überall beliebt gemacht hatte. Sein Beruf zwang ihn zu häufigen Reisen nach Europa, Persien, Indien und Java. Dann bewachte Abraham Paradies das Haus, das früher dem ersten Ingenieur der Kanalschleusen gehört hatte.

Unsere Palme schwankte im Nachtwind recht unangenehm, wenn auch gleichmäßig, hin und her.

Ich mahnte Harst zur Rückkehr auf den festeren Erdboden. Er antwortete nicht.

Ali Azzim ging nun langsam auf und ab, den Kopf tief gesenkt. Dann trat er vor die Wandkarte, schaltete eine darüber hängende Birne ein und starrte lange auf die Mitte der Karte. Da die Meere sich sehr hell auf der Karte abhoben, konnte ich feststellen, dass er offenbar der Gegend um Suez herum seine Aufmerksamkeit widmete.

Plötzlich schnellte sein Kopf höher. Er eilte zum Schreibtisch, nahm den Hörer vom Telefon, bewegte die Lippen, legte den Hörer auf die Stützen und griff nach einem offenen gläsernen Zigarettenbehälter, trat an das rechte Fenster, öffnete es, brannte ein Streichholz an, zündete die Zigarette an, warf das Streichholz brennend in den Hof hinab und pfiff nach den Hunden, die sofort herbeistürmten und winselnd sich hochreckten. Einer der Wächter kam. Azzim rief ihm etwas zu, schloss das Fenster wieder und begann seine Wanderung durch das Zimmer von Neuem.

Abermals mahnte ich Harst an die Rückkehr auf ebenen Boden.

»Leider, es ist zu spät!«, sagte er leise. »Schau hinab, dann …«

Da, eine laute Stimme, englische Worte: »He ihr Halunken dort, herunter mit euch!«

Unter uns an der Palme standen die beiden Wächter der Festung mit Gewehren in der Hand! Es lief noch ein dritter Mann hinzu: Der riesige Neger!

Unwillkürlich glitt mein Blick zu den Fenstern zurück: Ali Azzim stand am rechten offenen Fenster mit einem Fernglas an den Augen! Und das Glas war auf die Krone unserer Palme gerichtet.

Harst begann schon den Abstieg, rief gleichzeitig hinunter: »Well, well, wir sind gleich unten! Schießt nur nicht!«

Gleich darauf hörte ich ganz leise: »Ich springe dem Schwarzen auf den Schädel! Und du musst einen der Wächter erledigen. Stell dich dabei etwas geschickt an, denn hier geht es ums Leben!«

Doch kaum ausgesprochen, änderte er den Plan schon wieder ab.

»Die Bulldoggen sind unten. Ich werde versuchen, die Mauerkrone im Sprung zu erreichen«, flüsterte er. »Spring hinterher. Ich fange dich schon auf.«

»Um Himmels willen, die elektrischen Drähte!«, keuchte ich.

»Verdammt!«

Und da – abermals einer der Wächter: »Schurken, beeilt euch! Sonst helfen wir nach! Wollt ihr eine Ladung Schrot ins Gefäß haben, he?«

»Nein, aber wir haben vor den Hunden Angst. Wenn ihr sie nicht einsperrt, pfeifen wir nach unseren Freunden. Wir sind zu sechst auf der Jagd gewesen. Und der Hafenpolizist Burton ist auch dabei. Der wird euch dann schon zeigen, dass ihr englische Seeleute nicht wie die Diebe behandeln dürft, nur weil sie mal aus Neugier über die Mauer geschaut haben.«

Harst steckte auch zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Trillerpfiff aus, lachte dann höhnisch und brüllte: »Seht ihr, braunes Gesindel, nun werdet ihr bald englische Messer zu kosten bekommen.« Und wieder pfiff er, dass die Hunde laut aufjaulten vor zitternder Wut.

Ali Azzim meldete sich nun.

»Der Ungläubige lügt! Lasst Euch nicht narren!«, schrie er. Aber die Mauer war zu hoch. Selbst wir vernahmen die Worte nur undeutlich. Die Wächter und der Neger konnten sie unmöglich verstanden haben.

»Aha!«, grölte Harst, wie immer auch nun den kleinsten Vorteil ausnutzend. »Euer Herr will, dass ihr ins Haus zurückkehrt. Er hat vor Old England Angst! Schert euch zum Teufel, braune Brut!« Und wieder pfiff er, rutschte wieder ein Meter tiefer.

Ach, mir fiel ein Zentner vom Herzen! Der Feind verzog sich. Kaum waren Mensch und Hund um die Mauerecke verschwunden, als wir auch wie ein paar Blitze herabschossen, schwer aufplumpsten, aufsprangen und rannten, rannten – Harst voran.

Er hielt auf den nächsten Friedhof zu. Nur zu bald jedoch hinter uns das kurze, dumpfe Bellen der Bulldoggen. Harst blieb zurück.

»Ich decke uns den Rücken! Lauf nur zu!«, rief er. Sein Atem ging noch ruhig.

Er hatte den Revolver in der Rechten, in der Linken das lange Klappjagdmesser, dessen Klinge im Mondlicht bläulich funkelte.

Auch ich blieb stehen, griff in die Tasche, zog den Revolver, spannte ihn.

Harst nickte mir zu. Er hatte gewusst, dass ich ihn nicht allein lassen würde.

Die drei Hunde keuchten heran, in einer Linie. Und hinter ihnen bemerkte ich nun zwei Reiter, brüllte entsetzt: »Harst, Achtung! Dort …«

Ein Knall, noch einer.

Den dritten Schuss feuerte ich ab. Doch die stämmigen Bestien mit den scheußlichen Teufelfratzen schienen kugelfest. Nur einen Moment gestutzt hatten sie.

Harst zielte, alle Patronen verschoss er nun. Und ich tat das Gleiche.

Wir warteten den Erfolg nicht ab. Wir jagten weiter. Hinter uns Stille. Dann vor uns die Ziegelmauer des Kirchhofs. Harst war im Nu oben, reichte mir die Hände, zog mich hoch. Zwei Kugeln klatschten gegen die Steine. Splitter spritzten. Es lief mir warm über das Gesicht. Aber es war nur ein Riss auf der linken Wange.

Harst lag oben auf der Mauer auf dem Bauch. Ich stand auf einem Grabhügel. Ich hörte ihn rufen: »Zurück oder ich schieße!«

Er musste im Laufen wieder geladen haben. Er schoss wirklich.

Dann ließ er sich herabgleiten. Wir rannten der kleinen Kapelle zu, einen hellen Weg entlang. Neben der Kapelle stand das Häuschen des Friedhofswärters. Harst donnerte gegen die Tür. Es dauerte ihm wohl zu lange, bis geöffnet wurde. Er schlug ein Fenster ein, griff durch das Loch hindurch, schob die Riegel auf und wir kletterten hinein. Harsts Taschenlampe beleuchtete eine kleine Küche. Dann ging die Tür auf. Ein langer blondbärtiger Mann erschien, nur im Hemd. Vor Schreck ließ er den Leuchter fallen.

Harst beruhigte ihn, berichtete mit wenigen Worten, dass wir harmlose, neugierige Matrosen seien – und so weiter.

Der Aufseher war kein Feigling. Er lachte drohend, als nun an die Haustür geklopft wurde. Harst hatte seine Taschenlampe schnell ausgeschaltet.

Der Aufseher, ein Franzose namens Jean Milperell, trat in den Flur, rief: »Schert euch nach Hause – schleunigst! Dies hier ist französischer Grund und Boden. Ich lasse niemand ein. Die beiden Leute sind Heizer vom Dampfer Liverpool

Da – eine herrische Stimme von draußen: »Hier steht Ali Azzim. Es sind Diebe. Ich habe bereits nach der Polizei geschickt. Und wehe dir, wenn du sie nicht festhältst!«

Milperell wurde ängstlich. Wir hörten es seiner Entgegnung an.

»Gut, gut, mag die Polizei nur kommen. Ich werde abwarten …«

Dann zu uns: »Es ist am besten, dass die Polizei die Sache aufklärt. Kommen Sie bitte mit in meine Stube.«

Wir saßen dann auf einem weichen Sofa und unterhielten uns mit Milperell, der uns mit einer Flasche Rotwein bewirtete.

Draußen stand Ali Azzim mit seinen drei Wächtern.

Nach etwa zwanzig Minuten erschienen zwei Beamte. Einer davon war ein Engländer, der andere ein Araber. Harst schickte Milperell unter einem Vorwand hinaus, zog den linken Schuh vom Fuß und holte unter der Einlegesohle seinen Ausweis mit der aufgeklebten Fotografie heraus.

»Bitte verhaften Sie uns zum Schein«, sagte er hastig. »Aber lassen Sie uns nicht von Ali Azzim und seinen Leuten sehen. Sie haben wohl schon in der Zeitung gelesen, dass ich in Kairo dem Inspektor Mezzan …«

»Gewiss, gewiss. Wird alles besorgt werden, Herr Harst.«

Ali Azzim musste mit den Seinen abziehen. Nur von Weitem konnten sie noch unseren Abtransport beobachten.

Als wir ihnen dann aus dem Blickfeld gekommen waren, sagte Harst zu dem Polizisten:

»Bringen Sie uns ins Polizeigefängnis in eine Zelle. Niemand außer Ihnen beiden und Ihrem höchsten Vorgesetzten hier darf erfahren, wer wir sind. Morgen gehen Sie zu Ali Azzim und bitten um eingehende Auskunft, was gegen uns vorläge. Erklären Sie dann, wir würden dem Richter zugeführt werden. Benehmen Sie sich klug! Sie werden etwas dabei verdienen.«

So kam es, dass wir auch das ungezieferverseuchte Polizeigefängnis der ägyptischen Stadt Suez, in der doch nur England zu befehlen hat, kennen lernten.