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Der Detektiv – Die Festung des Ali Azzim – 3. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920

Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient

Die Festung des Ali Azzim

3. Kapitel

Suleimah

Harst spielte plötzlich den angezechten, großmäuligen Seehelden, grölte dem Kellner zu, uns eine Flasche Vin de Champagne zu bringen — Preis gleichgültig.

Für den Araber waren wir Luft. Er hockte auf seinem hohen Schemel und studierte eine englische Zeitung. Er schien nur einen Arm zu haben, nur den rechten.

Harst trat mir leicht auf den Fuß, brauste dann auf Englisch los: »Eine Sauhitze hier. Schlimmer als im Heizraum unserer Liverpool …«

Der Sekt kam. Wir tranken wie echte Wasserratten, ließen uns Zigaretten und winzige belegte Brötchen geben, taten wie die Millionäre, – wie es eben Jan Maat gewohnt ist, wenn er Geld in der Tasche hat.

Der Araber schrieb nun anscheinend etwas aus der Zeitung ab. Der Schankkellner spülte Gläser.

Wieder trat Harst mir auf den Fuß.

»Du, Chartrieux, — sauf langsamer oder schmeiß noch ’ne Bouteille …«

Ich schmiss eine. Es ging alles auf Harsts Portemonnaie.

»Morris, du säufst noch schneller!«, grunzte ich.

Der Araber hatte sich erhoben, hing die Zeitung an den Ständer und hinkte hinaus. Der Vorhang zum Zuschauerraum fiel hinter ihm zu.

Harst beugte sich vor. »Gib Acht — es wird interessant«, flüsterte er.

Was meinte er nur? Ich fand bisher hier nur den Meisterdetektiv interessant, der auf den Schornstein gekrochen war.

Der schwere Vorhang bewegte sich. Ein Matrose trat ein; jung, stämmig, intelligent aussehend, nur mit sehr unruhigen Augen.

Er setzte sich ans Büfett, bestellte einen Eiskaffee. Dann suchte er offenbar gelangweilt unter den Zeitungen am Ständer herum, nahm eine und blätterte darin.

Und wieder tat mein Heizerkollege Morris meinen Zehen weh. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. Da sah ich in seinem Gesicht die mir nur zu gut bekannten Anzeichen höchster Spannung: die halb zugekniffenen Augen, die über den Backenknochen straff gespannte Haut, die beiden vom Mund zum Kinn hinab verlaufenden dicken Falten.

Der Matrose hing die Zeitung wieder weg, gähnte zwanglos, warf Geld auf den Tisch und nahm von dem Eiskaffee nur einen Schluck, verschwand dann wiegenden Ganges.

Minuten nichts. Harst starrte vor sich hin, qualmte in schnellen Zügen seine Zigarette auf, erhob sich plötzlich und meinte heiser wie aus einer Reibeisenkehle:

»Wenn du zu faul bist, – ich sehe mir doch noch ’n paar Meter Film an.«

Er ging. Ich hatte ihn verstanden: Ich sollte bleiben.

Und nun hatte ich die beste Zeit, mir zu überlegen, was er hier wohl so beachtenswert gefunden haben mochte, dass er meine Zehen so wenig schonte.

Was wohl? Es konnte nur der Araber gewesen sein! Und dann war dieser auch fraglos unser Feind Cecil Warbatty!

Warbatty? Hm, der hatte ja eine reine Knabengestalt, war sehr klein für einen Mann und sehr hager, während dieser Schwarzbärtige gut Mittelgröße hatte und auch dementsprechend breit in den Schultern war.

Nein, hier befand ich mich fraglos auf dem falschen Pfad, ganz fraglos. Und weiter fiel mir nun ein: Harst hatte ja schon draußen auf der Straße von unserer »Arbeit erst um Mitternacht« geredet.

Arbeit – das hieß natürlich: spionieren, beobachten, auskundschaften, das hieß leider stets auch: seine Haut zu Markte tragen! Gerade dies Letztere war so gar nicht nach meinem Geschmack. Ich hätte gern eine Bouteille Vin de Champagne aus meinem eigenen Portemonnaie bezahlt, wenn Warbatty uns den Gefallen getan hätte, sich von irgendeinem Gerichtshof aufhängen zu lassen.

Aber dazu hatte Warbatty offenbar wenig Lust. Weit eher dazu, uns nun endlich zu beweisen, dass wir, Harst und ich, zu viel auf dieser schönen Erde seien!

Kurz, bei meinem Grübeln kam nichts heraus.

Dafür kam etwas anderes: ein sehr stutzerhaft gekleideter Europäer, lang, dünn, blond, blass und derart parfümiert, dass ich es bis in unsere Ecke roch.

Er und der Schankkellner tauschten einen Händedruck. Sie unterhielten sich in leidlichem Englisch. Ich hörte heraus, dass der blonde junge Mensch vor einiger Zeit hier einen Salon für Schönheitspflege alias Barbierstube eröffnet hätte.

Der lange Friseur schlenderte nachher ebenfalls zum Zeitungsständer, holte sich mehrere Blätter und zeigte dem Mixter Anzeigen, die er eingerückt hatte: Reklame für das durchreisende Publikum.

Harst erschien erst, als der dritte Akt vorüber war, berichtete spottend und alkoholheiser vom blödsinnigen Inhalt des Films.

Wieder hatte sich der Schankraum gefüllt. Wieder musterte mein rothaariger Heizerkollege die Leute. Dann rief er einen armseligen, mageren Menschen an, dem man den Büroschreiber auf hundert Schritt anmerkte, einen Mann mit einer Brille und Pockennarben und von jener übergroßen Nervosität, die die Folge der steten Angst vor der hier so gefährlichen Tropendysenterie ist.

Monsieur Vinklair war Franzose und Buchhalter am Zollamt, verheiratet, Vater von sechs lebenden Kindern und die wandelnde Sehnsucht nach der schönen Heimatstadt Paris. All das erzählte er uns bei einer frischen Flasche Champagner, nachdem Morris-Harst ihn gefragt hatte, ob man hier nicht irgendwohin lohnende Ausflüge weiter ins Innere machen könnte.

Viktor Vinklair lebte seit acht Jahren in Suez. Er verfluchte den Tag, an dem er hier Buchhalter geworden. Seine Frau war krank, seine Kinder nur noch Gerippe. Er fluchte über die hohen Preise, über das miserable Trinkwasser – über alles.

Harst brachte ihn auf Umwegen auf ein anderes Thema, immer den halb Bezechten spielend, der den brauen Vinklair so etwas aufziehen wollte.

»Schlagt ’n Reichen tot und kehrt nach Paris zurück«, meinte er nun. »’s wird doch auch hier so ’n paar verdammte Kapitalisten geben, bei denen sich’s lohnt, so ’n kleinen Mord auf die schwarze Seele zu laden.«

Vinklair verschlang geradezu die belegten Brötchen, die Harst bestellt hatte und steckte sich heimlich Zigaretten ein, erwiderte kauend: »Ihr seid ein Spaßvogel, Master. Freilich, Kapitalisten gibt es hier. Zum Beispiel der einarmige Diamantenhändler Ali Azzim wäre ein sehr lohnendes Objekt. Doch an den ist nicht heranzukommen.« Er lachte und stopfte wieder ein Brötchen in den Mund. »Der Azzim ist vorsichtig. Habt Ihr vorhin den Araber mit dem teuren Burnus und den Neger in der weißen Livree gesehen? Das war er, er und sein Leibgardist Abraham Paradies, so nennt sich nämlich der Schwarze, Abraham Paradies, man denke!«

Der gute Vinklair hatte schon etwas im Krönchen. An Sekt war er nicht gewöhnt.

Harst füllte ihm immer wieder das Glas. Und der pockennarbige Buchhalter kramte alles aus, was er von den reichsten Leuten der Kanalstadt wusste.

Inzwischen hatte der vierte Akt längst zu rollen begonnen. Vinklair verzichtete auf den Genuss.

Harst schlug eine Bierreise vor. Wir nahmen einen Wagen und fuhren zu einer Straße in der Nähe des Bahnhofs, wo es eine Kneipe gab, die stark an die Blumensäle in Berlin erinnerte: Wein, Weib, Gesang – und so weiter.

In dem von einer Estrade umgebenen Saal tanzten Seeleute und weiße Kanalarbeiter mit dick geschminkten Araberinnen, die in den europäischen Kleidern wie auf einem Maskenfest wirkten. Wir fanden einen leeren Tisch und auch bald Gesellschaft von zwei ganz netten braunen Huldinnen, denen gegenüber Vinklair eine Galanterie bewies, als wäre er Junggeselle.

Harst fragte die eine, die sich Suleimah nannte und die von der westlichen Kultur schon ganz kräftig angekränkelt war, ob wir nicht im Eingeborenenviertel ein billiges Quartier für 8 Tage bekommen könnten. Er drückte ihr Geld in die Hand und sie nickte sofort verständnisvoll, flüsterte: »Ihr wollt heimlich weglaufen von eure Schiff. Gut, ich habe Versteck für Euch, sehr gutes.«

Um halb zwölf brachen wir auf, packten den nun völlig wracken Vinklair in einen Wagen. Harst steckte ihm noch eine Zehn-Pfund-Note in die Tasche und ließ ihn dann heimfahren.

Suleimah und wir beide benutzten stolz ein Auto. Sie wohnte in der arabischen Vorstadt nordwestlich von dem neuen Suez in einer Lehmziegelbaracke, zu der man erst nach Durchqueren von drei Höfen gelangte. Das Häuschen gehörte ihren Eltern. Der Vater betrieb im Parterre Flickschusterei.

Das braune, schlaue Mädchen führte uns in eine Stube hinter der väterlichen Werkstatt. Die Tür zu diesem winzigen Raum lag im Inneren eines großen Schrankes, der Lederabfälle, Werkzeuge und manches andere enthielt.

Harst bezahlte für eine Woche voraus, nachdem wir uns überzeugt hatten, dass die Bettwäsche sauber und kein Ungeziefer vorhanden war.

Dann wünschte uns Suleimah angenehme Ruhe und kehrte – das Auto hatte in einer Nebengasse warten müssen – in die Blumensäle von Suez zurück.

Kaum war Suleimah zehn Minuten weg, als Harst auch schon das Haus in aller Stille mithilfe seiner Taschenlampe und auf Strümpfen besichtigte. Nachher berichtete er mir, dass das Flickschusterehepaar wirklich oben in dem einzigen Obergeschoss schlafe und dass der Bewohner des zweiten »möblierten Zimmers« (Suleimah hatte diesen Mieter Monsieur Palverlan genannt) hier im Erdgeschoss noch nicht daheim sei.

Dann öffnete Harst, nachdem er die Petroleumlampe ausgelöscht hatte, das einzige, niedrige Fenster, schraubte den Verschluss der vorgelegten Holzladen los und drückte sie vorsichtig zurück. Wir sahen nun, dass diese Lehmbude hart am jetzigen Abhang eines langgestreckten Hügels lag. Jenseits dieser Schlucht begann die Wüste, standen ein paar Palmen; in der Ferne sah ich eine Mauer.

»Es ist der mohammedanische Friedhof«, meinte Harst. »Wir haben Glück gehabt. Dort nach rechts zu in einem Dattelpalmenhain liegt die Villa Ali Azzim, oder, wie der Dysenterie-Franzose sich ausdrückte, die Festung des Diamantenhändlers.«

Plötzlich ging mir ein Licht auf. Ich flüsterte: »Ah, du glaubst, dass Warbatty es auf …«

»Ich glaube gar nichts, gar nichts! Ich weiß bestimmt, dass unser intimer Freund Cecil diesem Azzim gern so einiges von den in der Festung vorhandenen Juwelen rauben möchte.«

Wer will mir verargen, dass ich nun ein wenig geistreiches Gesicht machte. Harst »wusste bestimmt«! Ja, woher denn in aller Welt? Wollte er mich etwa auch »aufziehen«, wie er es mit Viktor Vinklair getan hatte?

Indessen hatte Harst bereits unsere Stubentür von innen verriegelt, hatte die Mütze über den roten Haarwald gezogen und meinte: »Vorwärts, vielleicht erleben wir heute so einiges.«

Wir stiegen zum Fenster hinaus, drückten die Laden zu und kletterten eine sehr primitive, in den Abhang eingehauene Treppe hinab. Der Boden der Schlucht schien der Müllplatz der umliegenden Häuser zu sein. Es stank hier so entsetzlich, dass wir im Laufschritt die nächste Düne hinaufeilten.

Harst schlug die Richtung zu der Friedhofmauer ein. In weiter Ferne heulte eine Hyäne. Wenigstens glaubte ich, es sei eine solche eklige Bestie. Harst belehrte mich, dass diese Hyänen geschäftstüchtige Araber seien, die Touristen zu einer Hyänenjagd verlocken wollten. »Ich bin jetzt zum dritten Mal in Suez«, fügte er hinzu. »Meine beiden ersten Besuche hier liegen vier Jahre zurück.«

Ich wusste, er war in Indien gewesen, selbst in China und Japan. Für einen mehrfachen Millionär schließlich nichts Besonderes.

Nachdem wir den Friedhof hinter uns hatten, ging es nach Nordwest zu. Links tauchte dann ein zweiter Friedhof auf.

»Der römisch-katholische ist es«, erklärte Harst. »Dahinter liegt der griechisch-katholische. Juden und Evangelische müssen sich hier beim Sterben für eine der über einen Kirchhof verfügenden Religionen entscheiden, sonst sieht es mit dem ehrlichen Begräbnis faul aus!«

Er war in guter Laune, und ich wagte deshalb eine Anzapfung. »Woher hast du dich so im Handumdrehen darüber unterrichtet, dass …«

»Aber Schraut, aber Max Schraut!« Ich kannte den Ton. Nun würde ich wieder Gelegenheit haben, mich zu blamieren.

»Hast du denn wirklich im Kino nichts bemerkt?«, fuhr er fort. »Das Benehmen der drei Leute war doch so durchsichtig!«

»Allerdings!«, erklärte ich harmlos. »Sehr durchsichtig. Besonders der lahme Ali Azzim …«

»Ja, ganz recht, er glaubte die Geschichte riesig schlau angefangen zu haben! Du weißt doch, was?«

Da war ich denn glücklich hineingefallen! Ich hatte keine Ahnung.

Harst lachte gutmütig. »Alter Heuchler, du! Na, die Zeitung war es! Der Azzim schrieb scheinbar etwas daraus ab. Hättest du genau hingesehen, so würdest du bemerkt haben, dass er auf der ersten Innenseite etwas unterstrich und nach diesem Unterstrichenen suchte nachher der Matrose mit den scheuen Augen, der vorher unsere gleichfalls im Kino noch anwesende Suleimah begrüßt hatte. Dass Suleimah nachher in dem einzigen Lokal dieser Art zu finden sein würde, damit rechnete ich bestimmt. Wäre sie nicht von selbst an unseren Tisch gekommen, hätte ich sie geholt. Ich wollte wissen, wer dieser Matrose war. Nun, es ist unser Nachbar Monsieur Palverlan. Siehst du, so hängt alles zusammen und so muss man beobachten können, lieber Kerl. Nach Palverlan nahm der blonde Friseur dieselbe Zeitung vor. Ich stand im Zuschauerraum und spähte durch den Vorhang. Dem Friseur folgte ich, als du dir gerade von Viktor Vinklair Witze erzählen ließest. Ich fand die unterstrichenen Worte. In deutscher Übersetzung lauteten sie: »Morgen ein Uhr. Alles bereit.«

Sie waren aus einer Romanfortsetzung herausgesucht. Und diese Worte sprachen Bände, das gibst du doch zu?«

»Hm!« Ich hatte doch so einiges von Harst gelernt. »Hm«, meinte ich, »vorhin sagtest du, Warbatty habe es auf Ali Azzims Juwelen abgesehen. Und, hm, wenn nun Ali Azzim diese Worte durch Unterstreichen für Palverlan und den langen Blonden kenntlich gemacht hat, dann geht daraus doch noch lange nicht hervor, dass Warbatty hier etwas Derartiges plant.«

Harst erwiderte nichts, deutete nun geradeaus. Im halben Zwielicht der sternenklaren Nacht erblickte ich auf einem Hügel vor uns ein Palmenwäldchen, über dessen Kronen ein viereckiger weißer Turm hinwegragte.

»Ali Azzims Festung«, sagte Harst leicht erregt. »Mich reizt es, sie näher zu besichtigen.«