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Aus dem Wigwam – Der Vogel der Ewigkeit

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Vierzig Sagen
Mitgeteilt von Chingorikhoor

Der Vogel der Ewigkeit

er Vogel der Ewigkeit wohnte über den Sternen. Unter ihm war nichts als ein unabsehbarer Ozean, in dem sich kein lebendes Wesen regte. Doch als einst das Wasser desselben unversehens mit seinen Flügeln berührte, schoss plötzlich die Erde hervor und war so frisch und grün wie im herrlichsten Sommer. So weit sein Auge reichte, erblickte er himmelhohe Berge und fruchtbare Täler, die im üppigsten Pflanzenschmuck standen. Nirgends aber sang ein Vogel, noch graste ein Hirsch; auch gab es nirgends Menschen.

»Das muss anders werden!«, sagte der Vogel zu sich und flog auf die höchste Spitze des Donnerberges. Dort setzte er sich nieder, kratzte sich mit seinen mächtigen Krallen den Kopf und besann sich, was zu tun sei. Zuletzt fiel ihm ein, dass sein Vater, der schon lange vor dem Anfang der Zeit gelebt, eines Tages die Bemerkung fallen gelassen hatte, dass irgendeiner seiner Nachkommen, der innerhalb sieben Tagen weiter nichts als den Tau des Lorbeerbaumes zu sich nehme, die Kraft erlange, alles zu vollbringen, was er nur wolle. Da sein Vater ein sehr ehrenwerter und kluger Mann gewesen war, so dachte er, er wolle es einmal versuchen, und fing also an zu fasten.

Am Morgen des achten Tages sprach er zum Wasser: »Belebe dich mit Fischen von jeder Größe!« Und zum Land: »Bringe vierfüßige Tiere, Schlangen und Vögel hervor!« Augenblicklich regte und bewegte es sich überall. Auch die Menschen wurden mit Ausnahme der Chippeway auf diese Weise ins Leben gerufen. Jener Stamm entstand nämlich erst lange nachher, und zwar aus einem Hund. Dies ging so zu:

Unter den Cree lebte einst ein Mann, dessen Oberlippe so weit gespalten war, dass man die ganze, obere Reihe seiner Vorderzähne sehen konnte. Dieser war so furchtsam, dass ihm das Brummen eines Bären oder sogar das Geschrei eines Raubvogels den größten Schreck einjagte. Er hatte immer eine große Anzahl Hunde um sich, die er ungemein liebte. Auch besaß er die Gabe, dieselben für die Dauer eines Tages in Menschen verwandeln zu können. Da er nun gern gesehen hätte, dass einige seiner Hunde auch Menschen geblieben wären, und doch nicht wusste, wie er dies fertig brächte, so stieg er auf den Donnerberg und legte dem Vogel der Ewigkeit seinen Wunsch vor. Dieser gab ihm nun den Rat, an den Wäldersee zu gehen und sich dort den weißen flachen Stein, der an dem südlichen Ufer läge, zu holen. Dieser würde einen jeden Cree befähigen, alles zu tun, was er nur wolle.

Er ging also an den Wäldersee und holte den berühmten Memahoppa oder Medizinstein, der seit jener Zeit Eigentum seines Stammes wurde. Er legte ihn in eine Ecke seines Wigwams und verwandelte seinen schönsten Hund in einen schmucken Jüngling. Dann setzte er denselben auf den heiligen Stein und betete zu diesem, dass er ihn in dieser Gestalt erhalten möge. Und so geschah es auch. Der junge Mann heiratete kurz darauf eine schöne Cree und wurde der Stammvater der gefürchteten Nation der Chippeway.

Als der allmächtige Vogel der Ewigkeit sein Schöpfungswerk vollendet hatte, machte er zur Erinnerung daran einen großen Pfeil und sagte den Chippeway, sie sollten ihn in ihrem Rathaus bis ans Ende der Zeit aufheben. So lange sie ihn in Ehren hielten, würden sie über alle Feinde triumphieren und ihr Wort würde allen Indianern von dem Eissee bis zum Land der Shawnee und von den Städten der Irokesen bis zum Donnerberg Gesetz sein. Würden sie ihn aber durch Nachlässigkeit verlieren, so seien sie der größten Schmach preisgegeben und der verrufene und schwächste Stamm würde sie besiegen.

Lange, lange Jahre befolgten sie die Lehre des Vogels und waren während dieser Zeit die glücklichsten Menschen der Erde. Mit der Zeit aber wurden sie übermütig und nachlässig und ließen sich sogar den Glückspfeil stehlen. Dies ärgerte den Vogel so sehr, dass er wieder zum Donnerberg zurückkehrte und sich seitdem nicht mehr sehen ließ.