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Gold Band 3 – Kapitel 7.4

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 7.4

Doktor Rascher hatte sich in der Nähe des Platzes, an dem die Deutschen lagerten, in ein Zelt eingemietet, da bei Hetson kein Raum für ihn war. Dorthin gingen sie nun, ihn aufzusuchen, fanden ihn aber nicht und kehrten in die Stadt zurück, in den verschiedenen Zelten nachzuforschen.

Möglich, dass er ebenfalls von irgendeinem der Deutschen zu dem Elsässer beschieden war, bei dem sie sich gewöhnlich abends versammelten.

Als sie die Straße hinaufgingen, begegnete ihnen ein Mann, in eine Serape gehüllt, der rasch und ohne sie zu beachten an ihnen vorüberschritt. Es war schon zu dunkel geworden, sein Gesicht deutlich erkennen zu können.

Die ganze Gestalt aber sowie ihr Gang fielen Lanzot auf und er sagte zu Beckdorf: »Den Burschen sollte ich kennen. Weißt du, wer es war?«

»Der ärgste Lump, den je amerikanischer Boden großgezogen hat«, antwortete aber dieser, »ein Spieler, mit Namen Siftly.«

»Ich dachte es mir«, sagte Lanzot, »aber der Teufel auch – was war das?«

Eine dunkle Figur kam die nun fast leere Straße rasch herunter, rannte fast an sie an und glitt, als sie die beiden Männer bemerkte, wie eine Schlange zwischen die nächsten Zelte hinein.

»Hm«, murmelte Beckdorf vor sich hin, während er dem Flüchtigen erstaunt nachsah. »Das sollte fast so vorkommen, als ob der Bursche kein reines Gewissen hätte, und beinahe sah er mir noch dazu wie ein Chinese aus. Die aber haben unsere Flat schon seit einigen Tagen verlassen und kommen überhaupt nie nach Dunkelwerden in die Stadt. Wir wollen jedoch einmal sehen, wo der Bursche geblieben ist, ob er noch zwischen den beiden Zelten steckt oder hinten die rote Flat angenommen hat. Bleib du hier stehen, Lanzot, während ich drüben herumgehe und ihn zurücktreibe.«

Lanzot tat, wie ihm geheißen, und der, mit der Örtlichkeit genau bekannte Beckdorf glitt um das Zelt herum, dem Flüchtigen womöglich den Weg abzuschneiden. Wer es aber auch gewesen, er hatte sich schon vorher davongemacht. Der Raum zwischen den beiden Zelten war leer.

»Ei, so lass ihn laufen«, konstatierte der junge Mann, als er zu dem Freund zurückkam. »Ist er auf böse Streiche aus, so werden sie ihn schon erwischen. Und ging er uns bloß aus dem Weg, um keine neuen Bekanntschaften anzuknüpfen, so brauchen wir uns darüber nicht zu härmen.«

»Und wo ist hier das Zelt des Elsässers?«

»Gleich dort drüben.«

»So lass uns hin, zu sehen. ob wir den Doktor da finden.«

»Baron!,« rief sie in diesem Augenblick eine Stimme an, »sind Sie das?«

»Der Doktor, bei allem was lebt«, rief der junge Mann freudig. »Doktor, wir haben Sie schon wie eine Stecknadel gesucht. Sie sollen uns eine Auskunft geben.«

»Uns?«

»Mir und einem alten Freund, den ich hier zufällig in den Minen getroffen, Graf Beckdorf. Wenn wir ins Licht kommen, stell ich die Herren einander vor. Ich habe mit Manuela gesprochen. Wo wird der Gefangene gehalten?«

»In des Sheriffs Zelt.«

»Und glauben Sie, dass wir Zutritt zu ihm bekommen können?«

»Es kommt auf einen Versuch an. Aber warum wollen Sie ihm helfen, bester Lanzot. Das Einzige, was ihn retten oder wenigstens aus dieser fatalen Lage bringen würde – denn ich kann mir nicht denken, dass die Leute hier auf so schwaches Zeugnis hin Hand an ihn legen dürften – ist, ein paar Männer von Macolomes herüberzuschaffen, die ein Alibi für ihn beweisen.«

»Wenn er nur ihre Namen weiß«, fiel der Graf Beckdorf ein, »so will ich mich verbindlich machen, sie herüberzuschaffen. Selbst in der Nacht kann ich den Weg dort hinüber finden.«

»Aber die weiß er eben leider nicht«, sagte der alte Doktor, »er ist nur imstande, sie zu beschreiben.«

»Dann müssen wir ihn sprechen«, rief Beckdorf rasch, »der Sheriff kennt mich und ich führe Sie dort ein.«

Ohne weiter eine Antwort abzuwarten, schritt er mit den beiden Männern Hales ganz in der Nähe gelegenem Zelt zu.

 

*

 

Hale hatte indessen den Gefangenen unter seine Obhut genommen, in einer solchen Zeltstadt immer ein höchst missliches Ding. Ein Gefängnis besaß das Paradies natürlich nicht, ja nicht einmal ein ordentliches Blockhaus, das einen Menschen hätte halten können. Es blieb deshalb nichts anderes übrig, als ihn fortwährend zu bewachen, bis man ihn eben freigab oder an seine Richter ablieferte.

Freiwillige Wachen fanden sich allerdings genug, aber es war doch immer eine unbequeme Sache, die man sich nur in dringender Notwendigkeit auf kurze Zeit gefallen ließ. Brach der Gefangene nämlich aus und kam nur zwanzig Schritte in die dahinter liegende dunkle Flat hinein, so hätten ihn sämtliche Bewohner des kleinen Zeltstädtchens nicht wieder eingefangen. Das wusste übrigens Hale so gut wie irgendein anderer, und hatte danach seine Vorsichtsmaßregeln getroffen.

Wenn er seinen Gefangenen auch gern so mild wie möglich behandelt hätte, musste er ihm doch die Hände auf den Rücken binden. Er wurde dabei so gesetzt, dass er nach Dunkelwerden ein Licht hinter sich und eins vor sich stehen hatte, wodurch besonders seine Hände als auch seine ganze Gestalt hell beleuchtet blieben. Neben dem Licht saßen dann zwei Posten, die geladenen Gewehre auf den Knien, den Revolver im Gürtel. Eine Flucht war solcher Art unmöglich. Außerdem stand aber auch eine dritte Schildwache vor dem Zelt, unberufene Neugierige zurückzuweisen. Der Sheriff wollte nicht, dass der Angeklagte belästigt wurde. Der müßigen Burschen gab es genug im Ort, die sich stundenlang zu ihm hingesetzt und ihn angestarrt hätten.

Diese Schildwache wies allerdings auch unsere drei Freunde ohne Weiteres ab. Beckdorf aber drang darauf, wenigstens den Sheriff zu sprechen. Dieser, der endlich vor dem Zelt erschien, gestattete den Fremden einzutreten – mit der Bedingung jedoch, dem Gefangenen nicht auf Armeslänge nahzukommen.

Im Zelt selber sah es wild und malerisch genug aus. Die beiden Hinterwäldler mit ihren langen Büchsen, die es für nötig hielten, ihre Wachsamkeit zu verdoppeln, als die Fremden eintraten, bildeten mit dem flackernden Stearinlicht, das jeder neben sich stehen hatte, ein eigentümliches Bild.

Der Gefangene selber saß in düsterem brütenden Schweigen auf der ihm angewiesenen Holzbank und starrte vor sich nieder. Eine Matratze lag neben ihm auf dem Boden, ihm zur Schlafstätte zu dienen, wenn er sich niederlegen wollte, aber er dachte noch nicht an Schlaf. Ein zertretenes Leben lag hinter ihm und mit dem bitteren Gefühl durch nichts in weiter, weiter Welt die Schicksalsschläge verdient zu haben, die über ihn hereingebrochen waren, sog er den finsteren Groll nur fester, nur tiefer in sich ein und fand sogar eine grimme, selbstmörderische Freude daran, sich all die letzten trüben Szenen wieder und wieder auszumalen.

Die drei Deutschen näherten sich ihm nun zwar freundlich. Es bedurfte aber einiger Zeit, ehe der Unglückliche das Misstrauen beseitigte, das er gegen alle Fremde hegte. Erst als sich Doktor Rascher als einen treuen Freund der Mrs. Hetson erklärte, in deren Auftrag er ihn bäte, ihm die Mittel anzugeben, die er zu seiner Rechtfertigung nötig habe, wurde er aufmerksam und entschloss sich ihm zu willfahren.

Die Angaben freilich, die er machen konnte, waren so dürftiger Art, dass Doktor Rascher nur traurig dazu mit dem Kopf schüttelte.

Der Sheriff, der sich daneben wieder auf sein Bett geworfen hatte, sagte: »Wenn Ihr morgen nichts Besseres zu Eurer Verteidigung zu sagen wisst, alter Bursche, als dass Ihr eben nicht hier, sondern woanders gewesen seid, ohne das weiter beweisen zu können, so steht die Geschichte schief, und ich wollte nicht in Eurer Haut stecken.«

Nur Beckdorf hatte aufgefasst, was er von jenem alten Mann sprach, den er dort oben auf dem Berge getroffen haben wollte, und der ebenfalls in das

Paradies geritten sei, hier irgendetwas, was, konnte er nicht mehr sagen, zu besorgen. So gut er sich erinnerte, musste er sein Äußeres beschreiben, das freilich auch auf manch anderen passte, und wie und was er gesprochen hatte. Hale selber hörte aufmerksam dabei zu.

Bis dahin war nun der Sheriff ziemlich fest davon überzeugt gewesen, dass der Engländer wirklich den Mord begangen habe. Der ungebildete Amerikaner, ein so ehrenwerter und vortrefflicher Mann er sonst auch sein mag, hegt doch noch meist immer – ich möchte fast sagen, den Aberglauben – dass England über Amerika dominieren möchte, und hasst deshalb alle Engländer, ja würde einen Krieg mit England als den größten Segen für das Land betrachten. Das niedergeschlagene Benehmen des Gefangenen, das freilich eine ganz andere Ursache hatte, trug denn ebenfalls noch dazu bei, diesen Verdacht zu bestärken. Nun aber, da sich der junge Beckdorf, den er als einen höchst braven, rechtschaffenen und, wo es galt, auch entschlossenen Mann kannte, so sehr für den Engländer interessierte, wurde der Verdacht wieder wankend. Die Möglichkeit tauchte vor ihm auf, dass der Gefangene doch am Ende unschuldig sein könne.

Weshalb hatte er nur solch entsetzliche Eile gehabt, von hier fortzukommen? Für sich selber über legte er sich dabei, wen er wohl mit dem alten Amerikaner meinen könne. Freilich hatte der bisherige wilde Tag in seinen Gesamtszenen seine Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch genommen, sich auf den Einzelnen besinnen zu können.

»Wenn ich nicht irre«, sagte da Golway endlich, »so sprach er davon, dass er seine beiden Söhne im letzten Mexikanischen Krieg verloren habe.«

»Aber du lieber Gott«, sagte Beckdorf, »wenn Ihr nur wenigstens seinen Vornamen als einen Anhaltspunkt wüsstet.«

»Den Teufel auch«, rief Hale, von seinem Bett aufspringend, »das wäre Anhaltspunkt genug, und nun weiß ich auch, wen der Bursche meint – den alten Nolten.«

»Habt Ihr den Namen nie gehört«?, fragte Beckdorf rasch den Engländer.

»Nie«, sagte dieser, »nur erinnere ich mich jetzt, dass er mir das erzählte.«

»Und der ist in Macalomes drüben?«, fragte der Sheriff, »denn fort ist er wieder geritten?«

»Dorthin wollte er zurückkehren.«

»Dann hol ich ihn«, rief Beckdorf entschlossen. »In sechs Stunden reite ich hinüber und bis morgen Mittag kann ich mit ihm zurück sein.«

»Bah«, sagte Hale. Ihr könnt jetzt bei Nacht und Nebel nicht über die Berge, wo unsere tollen Burschen die Indianer heute zum Äußersten getrieben haben.«

»Die brauche ich nicht zu fürchten. Sie kennen mich und wissen, wie freundlich ich ihnen gesinnt bin.«

»Bei Nacht sind alle Katzen grau und sie spicken Euch und das Pferd mit ihren Pfeilen, ehe Ihr Walle Walle sagen könnt«, rief Hale.

»Glaubt Ihr, dass Noltens Zeugnis ihm nützen würde«?

»Na, ich denke es«, sagte Hale, »Nolten ist ein Ehrenmann durch und durch, und wenn der hier vor Gericht beschwört, dass er den Engländer hier die letzten acht Tage in Macalome jeden Tag gesehen hat, wird das einen großen Unterschied in der Sache machen. Ich glaube es nur noch nicht recht.«

»Und wann sollte die Jury zusammenberufen werden?«

»Morgen früh. Macht Ihr Euch aber verbindlich, einen Entlastungszeugen herbeizubringen, so will ich es auf mich nehmen, das Verhör bis morgen Abend hinauszuschieben. Mit wem habt Ihr denn dort zusammengearbeitet?«

»Am Anfang mit einem Landsmann von mir.«

»Der kann uns nicht helfen«, sagte Hale kopfschüttelnd.

»Er ist auch fort von Macalomes – später arbeitete ich aber mit einem Amerikaner mit dem Namen Robins zusammen. Wäre der noch in Macalomes, so bedürfte ich keines anderen Zeugen, denn er war eine Zeit lang krank und wir schliefen in einem Zelt zusammen. Der hat aber leider vor ein paar Tagen, wo er sich wieder wohl fühlte, und zu derselben Zeit mit mir die dortigen Minen verlassen.

Wohin er sich gewendet hat, weiß nur Gott. Jener alte Amerikaner, den Ihr Nolten nennt – und möglich, dass er so heißt – bleibt deshalb meine einzige Hoffnung. Er ist mir auch, wie ich glaube, freundlich gesinnt. Wäre ich seinem Rat gefolgt, hätte ich diesen Unglücksplatz nie betreten. Vielleicht bringt er noch einen seiner Bekannten mit, die mich dort gesehen haben.«

»Ja, Ihr glaubt wohl, die Goldwäscher haben weiter nichts zu tun, als in der Welt herumzureiten«, sprach Hale. »Der alte Nolten tut es aber doch vielleicht, wenn er jemandem damit helfen kann. Und Ihr wollt wirklich heute Abend fort, Beckdorf?«

»Gleich auf der Stelle, wenn ich nur wüsste, wo ich jetzt im Dunklen mein Pferd fände.«

»Ich würde dir sagen, du solltest das meine nehmen«, rief Lanzot, »wenn ich dich nicht selber begleiten wollte.«

»Dann gib es mir ja!«, rief der junge Mann, »denn dich kann ich dabei nicht gebrauchen. Du hieltest mich nur auf, und zu fürchten habe ich nichts. Also auf Wiedersehen, Sir, und haben Sie guten Mut – bis morgen Mittag bringe ich hoffentlich Hilfe.«

Golway nickte ihm mit einem wehmütigen Lächeln zu. Die drei Deutschen verließen nun, keine weitere Zeit zu versäumen, rasch das Zelt.

»Die Fremden hängen zusammen wie ein Sack voll Nägel«, sagte der eine der Amerikaner, der dem Gespräch kopfschüttelnd zugehört hatte.

Der Sheriff erwiderte nichts, aber er ging zu dem Gefangenen und band ihm die Hände los. »So«, meinte er dabei, »fort kann er doch nicht, die Füße sind ihm ja noch gebunden, und er sitzt doch ein bisschen bequemer. Passt mir nur gut auf, Bill, dass er sich nicht nach denen hinunterbückt.«

Als ihm Golway danken wollte, drehte er sich von ihm ab und legte sich auf sein Bett.