Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Review: Spieglein, Spieglein …

Ulrike Stegemann
Spieglein, Spieglein …
Eine Horror-Kurzgeschichte
Erstveröffentlichung auf dem alten Geisterspiegel am 08. November 2006

Müde kniff Anna die Augen zusammen, öffnete sie im nächsten Moment, kniff sie zusammen, öffnete sie wieder. Ihr Spiegelbild zeigte einen Blick aus dunklen, tiefen Höhlen – eine unvermeidbare Begleiterscheinung der vergangenen Nacht.

Mit einer Hand hielt sie sich ihren struppigen Blondschopf aus dem Gesicht, mit der anderen öffnete sie den Wasserhahn. Das eiskalte Nass ließ sie zunächst erschaudern. Doch dann warf sie sich mutig einige Spritzer ins Gesicht.

Ernüchtert stellte sie fest, dass es sie nicht im Entferntesten erfrischte.

Vielleicht würde eine Tasse Kaffee helfen, sagte sie sich, und drehte das Wasser wieder ab.

»Anna?«, hörte sie auch schon eine kratzige Stimme von der anderen Seite der Badezimmertür fragen.

»Es ist offen.«

Mit beiden Händen hielt sie sich am Waschbeckenrand fest, denn sie fürchtete, sich nicht mehr aus eigener Kraft aufrecht halten zu können. Sie musste ihrer Freundin Isabelle, die nun durch die Tür hineinkam, einen jämmerlichen Anblick bieten.

»Ist bei dir alles in Ordnung?« Isabelle sah sie besorgt an.

»Ja, sicher.« Um es ihr zu beweisen, ließ sie mit einer Hand von dem Waschbecken ab. Sie fuhr sich über das eingefallene Gesicht.

»Ich bin nur etwas müde.«

»Das sind wir alle.« Isabelle seufzte. Sie schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Einen Moment lang zögerte sie, doch dann setzte sie erneut zum Sprechen an.

»Anna, ich will nicht … Ich meine …« Sie suchte nach den richtigen Worten. »Glaubst du, es ist klug, noch mehr Zeit in diesem Gott verdammten Haus zu verbringen? Sieh dich doch nur an! Wie weit willst du noch gehen?«

Anna verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Sie bemühte sich, ihren Ärger über Isabelles Worte zu unterdrücken.

»So lange, bis ich das Wesen finde, das in diesem Haus sein Unwesen treibt«, beharrte sie stur.

»Aber Anna …«

»Kein Aber!« Anna ließ ihre Freundin gar nicht erst aussprechen. Sie konnte diese ewigen Widerworte nicht länger ertragen. »Ich werde genau hier in diesem Haus bleiben, so lange, bis ich es gefunden habe!«

Isabelle legte den Kopf schief. Am liebsten hätte sie ihre Freundin an den Schultern gepackt und sie geschüttelt, bis sie wieder zur Vernunft gekommen wäre. Doch sie wusste, dass selbst dies keinen Sinn hatte. Sie beschloss kurzerhand, die Diskussion zu beenden.

»Soll ich dir einen Kaffee machen?«

Nun zeigte Anna endlich ein Lächeln. »Gerne.«

Als Isabelle das Badezimmer verlassen hatte, stützte Anna sich erneut mit beiden Händen am Waschbeckenrand ab. Sie spürte deutlich, wie wenig Kraft ihr noch geblieben war. Die letzten Tage hatten in enormen Maße an ihr gezehrt. Doch sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich ihr Wesen der Nacht ganz in der Nähe befand.

Ihr Kopf fühlte sich schwer an. Sie legte ihn in den Nacken, kreiste langsam nach rechts und nach links. Ihr Blick fiel zurück in den Spiegel. Noch immer wirkte ihr Gesicht müde und eingefallen. Nichts hatte sich geändert, bis auf das zweite Gesicht, das der Spiegel ihr nun zeigte.

»Und ich dachte, Vampire hätten kein Spiegelbild.«

Die spitzen Eckzähne, die nun direkt vor ihren Augen aufblitzten, belehrten sie jedoch eines Besseren …