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Der Konstanzer Hans Teil 24

W. Fr. Wüst
Der Konstanzer Hans
Merkwürdige Geschichte eines schwäbischen Gauners
Reutlingen, 1852

Vierundzwanzigstes Kapitel

Hans wird nach Sulz abgeliefert.

Was Hans schon früher in Gengenbach befürchtet hatte, das traf nun ein. Der Oberamtmann in Sulz hatte erfahren, dass der Konstanzer Hans in Mahlberg gefangen liege. Da ihm wegen früherer Verbindung dieses Diebes mit vielen Sulzer Gefangenen die Habhaftwerdung desselben von größter Wichtigkeit schien, so schrieb er dorthin und erhielt die Nachricht, dass der Gefangene an das Regiment Bender nach Freiburg abgeliefert worden sei. Sogleich bat er das Regimentskommando nachdrücklich um dessen Auslieferung. Dieses trug umso weniger Bedenken, ihn nach Sulz abzugeben, als man des ehrlosen und unzufriedenen Arrestanten ganz überdrüssig war. Er selbst ahnte nichts von dies allem.

Unter seinen rohen Kameraden, die ihre Zeit mit Fluchen, Spielen und ausgelassener Lustigkeit hinbrachten, waren die ernsten Entschließungen bald wieder vergessen, die er während seiner längeren Gefangenschaft gefasst hatte. Keine Ahnung einer Gefahr beunruhigte ihn. Kein ernster Gedanke fand Raum in seiner Seele. Alles wurde durch Wein und Spiel übertäubt.

In solcher Gemütsverfassung war Hans, als am 3. Februar 1784 der Wagen von Sulz ankam, der ihn von Freiburg dahin bringen sollte.

»Was macht euer Oberamtmann, der Blutsauger?«, fragte er den eingetretenen Hatschier und gebärdete sich dabei wie ein Rasender. Zu seinen Kameraden sagte er: »In 14 Tagen haben die Raben mir die Augen ausgehackt.« Als man ihm ein eisernes Halsband anlegte, sprach er mit dem rohesten Scherz: »Das ist bei dieser Kälte gut fürs Halsweh.« Die Gutherzigkeit einer Marketenderin, die ihm aus Mitleid eine Morgensuppe brachte, belohnte er damit, dass er die Schüssel einem Schneider hinwarf, der auch im Arrest saß.

Acht Wächter waren zu seiner Bedeckung von Sulz gekommen. Diesen begegnete er auf die beleidigende Art, gab keinem eine Antwort, der mit ihm reden wollte, und saß mit stillem Trotz auf seinem Wagen. Nach und nach legte sich aber sein Groll, besonders da man ihm in Waldkirch, wo Mittag gemacht wurde, eine gute Mahlzeit vorsetzte und einen bessern Wein gab, als er für sein eigenes Geld kommen lassen und trinken wollte.

Das sind doch auch Menschen, dachte er bei sich selbst, ließ sich mit ihnen in ein Gespräch ein und betrug sich artiger.

Als der Hatschier seine Uhr hervorzog, um nach der Zeit zu sehen, kam es Hans lächerlich vor, dass ein Hatschier eine Uhr führe.

»Nicht wahr«, sagte jener, »Ihr lacht, weil dies keine so schöne Uhr ist, wie die des Pfarrers von Bergfelden?«

Darüber erschrak Hans sehr, denn niemand konnte von diesem Diebstahl wissen, als Peter, und auf dessen Verschwiegenheit hatte er bestimmt gerechnet.

Solcher Anspielungen bekam er unterwegs noch manche zu hören, namentlich auch in Beziehung auf den Vorfall mit dem Blumenfelder Jäger. Diese Entdeckungen machten ihn ganz mutlos und er fürchtete seine baldige Hinrichtung. Er änderte daher seinen ersten Entschluss, nach welchem er alles ableugnen wollte, was nur möglich wäre, und nur das einzugestehen sich vornahm, was etwa schon bekannt sei, und dessen sei es gar wenig, meinte er. Nun aber sah er ein, dass das Leugnen unnütz wäre. Er wolle deshalb – dies war sein Vorsatz – sich zu allem ohne Widersetzlichkeit bekennen, was seine Kameraden bereits von ihm angegeben hatten, und nur das verschweigen, was nicht so leicht bekannt werden könnte.

Wenn eine fürstliche Person eine Gegend durchreist, kann das Aufsehen nicht größer sein als das, welches durch Hans’ Zug veranlasst wurde. Überall strömten die Menschen in Scharen herbei, um den Wundermann zu sehen, von welchem die Sage sogar viel zu erzählen wusste. So sollte er sich zum Beispiel unsichtbar machen können, sobald er auf den Boden komme. Daher wunderte sich die gaffende Menge gar sehr, als man ihn zwischen Schiltach und Alpirsbach vom Wagen steigen ließ, weil man nicht ohne Gefahr über das Eis fahren konnte. Und siehe da, er blieb sichtbar. Der Hatschier löste aber, ob im Ernst oder Scherz, das Rätsel also, er sei ja nicht auf dem Boden gegangen, sondern auf Schnee und Eis, und dies mache seine Kunst unwirksam.

Je näher der Zug gegen Sulz hinkam, desto größer wurde die Menge der Neugierigen. In dieser Stadt selbst war die Straße, die zur Oberamtei führte, so mit Menschen angefüllt, dass der Wagen sich nur schwer und langsam durchdrängen konnte.

Dies alles bewies Hans gleichfalls, wie schlimm seine Sache stehen müsse und wie gegründet seine Besorgnisse seien. Doch tat ihm der Anblick so vieler Menschen, die ja um seinetwillen versammelt waren, gar wohl. Es schmeichelte seinem Stolz, dass er für eine so wichtige Person gehalten wurde. Da ihm die Leute überall, wo der Wagen hielt, einschenken ließen, so wurde er einige Mal sehr lustig. Doch dauerte dies immer nur kurze Zeit. Bei dem Gedanken an seine Einkerkerung in Sulz, vielleicht an seinen Tod, überlief ein kalter Schauer seine Seele und sein Herz pochte vor Angst. Diese Bangigkeit wusste er aber sorgfältig zu verbergen und stellte sich stets herzhaft, unerschrocken und zuversichtlich.

So trat er auch vor den Oberamtmann in Sulz, vor dem er sich schon so lange so sehr gefürchtet hatte. Nach einigen vorläufigen Erinnerungen ließ ihn dieser in sein Gefängnis abführen.

In der Einsamkeit und Stille dieses Ortes wurde er nüchtern. Es drängten sich ihm die Betrachtungen aufs Neue auf, welche er sich schon früher über Sulz gemacht hatte. Bei diesem Beamten, welcher alles so scharf und genau nahm und die Wahrheit durch alle möglichen Mittel zu erforschen sich bemühte, war für ihn keine Rettung denkbar. Galgen und Rad schwebten ihm immer vor, und diese Gedanken drückten ihn tief nieder.

Am zweiten Tag nach seiner Ankunft entdeckte er unter seinem Lager ein langes Seil, aus Teppichen gemacht. Wenn ihm nun dieser Fund zuerst auch einige Hoffnung machte, sich vermittelst derselben in Freiheit zu setzen, so gab er doch bald den Gedanken wieder auf, da ihm ja die Werkzeuge fehlten, sein eisernes Halsband durchzusägen oder durchzufeilen. Um nicht in den Verdacht zu kommen, dass er das Seil gemacht habe, gab er selbst Anlass zur Entdeckung desselben und wollte nun alles auf den Verlauf seines Verhör ankommen lassen.

Drei Wochen war er schon im Sulzer Gefängnis. Nun erst konnte er ins erste Verhör abgeholt werden. Dabei überzeugte sich Hans alsbald, dass es das Beste für ihn sei, wenn er alles unverhohlen gestehe. Der Oberamtmann zeigte ihm die mächtigen Aktenstöße auf dem Tisch, die aus verschiedenen Orten seinetwegen hierhergeschickt worden waren, und sagte ihm, das Leugnen komme überall zu spät. Werde er dagegen aufrichtig gestehen, so habe er eine gelinde Behandlung zu erwarten und werde sich überzeugen, dass er, der Oberamtmann, nicht so schlimm sei, wie er glaube.

In den drei Tagen des ersten Verhörs gab nun Hans der Wahrheit gemäß alles an, worüber man ihn fragte, von seiner Jugend an bis zu seinem letzten Diebstahl in Turbach, wo und wie oft er verhaftet gewesen sei. Diejenigen Verbrechen aber verschwieg er vorläufig, die noch nicht bekannt waren.