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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 20

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Der Brocken

Der höchste Gipfel des Harzes ist der Brocken, der im Volksmund auch Blocksberg genannt wird.

Woher der Name »Brocken« stammt, ist nicht festzustellen und die verschiedensten Vermutungen werden darüber aufgestellt. Die älteste und, wie wohl anzunehmen, richtigste Form ist Brakenberg, von Braken abgeleitet. Das Wort Braken nämlich bedeutet untaugliches Gehölz, wie es auch der Brocken trägt. Drei größere Flüsse, die Bode, die Ecker und die Ilse sowie mehrere kleinere, entspringen am Brocken und trennen denselben von den anderen Bergen des Harzes. Nur der Kleine Brocken und die Heinrichshöhe hängen unmittelbar mit den umliegenden Höhen zusammen.

Der Weg auf den Brocken führt zunächst durch Nadelwald. Je höher man steigt, um so krüppelhafter wird der Baumwuchs, bis er schließlich nur am Boden kriechendes Holz aufzeigt. Schon im Wald findet man wunderbar aufgeschichtete Felsentrümmer, deren größere alle bestimmte Namen haben. Oft sind weite Strecken ganz mit Granitscherben bedeckt, die von Himbeer- und Brombeerranken überwuchert sind, oder zwischen denen das glänzende Kraut der Heidel- und Preiselbeere freundlich hervorschaut. Auch Blumen erfreuen das Auge, sogar in seltenen und schönsten Arten, sowie Farnkräuter und Moose sind in größter Mannigfaltigkeit hier zu finden. Weiter zum Gipfel zu beginnen die Brüche oder Torfmoore, die in weiten Ausdehnungen den Brocken bedecken, wie Schwämme die Wolken aussaugen und so die vielen Flüsse und Bäche speisen. So wohltätig dieselben in dieser Hinsicht wirken, so gefährlich sind sie für den unkundigen Wanderer. Besonders verrufen ist das sumpfige, mit einer trügerischen Moosdecke versehene Brockenfeld. Leicht gerät der Reisende bei dem dichten Nebel, der oft so undurchdringlich auf dem Brocken ruht, dass man nur drei bis vier Schritte weit sehen kann, da hinein. Und je mehr er sich anstrengt, herauszukommen, umso tiefer versinkt er. Darum ist es auch nicht ratsam, ohne Führer, besonders bei nebligem Wetter, sich von den Fuß- oder Fahrwegen zu entfernen. Der Gipfel des Brockens ist nackt und ebenfalls mit Granittrümmern bedeckt, die man Brocken- oder Heidenstein nennt. Edle Metalle, wie man es früher glaubte, birgt der Brocken nicht.

Schon im Jahre 1736 wurde das noch vorhandene Wolkenhäuschen auf Veranlassung des Grafen Stolberg-Wernigerode zum Schutz der Reisenden auf dem Gipfel erbaut. Dann errichtete man ein dürftiges Wirtshaus auf der Heinrichshöhe, eigentlich hauptsächlich für die Torfgräber, bis später, als dieses abbrannte, im Jahre 1800 das erste eigentliche Brockenhaus entstand, das durch viele Umbauten und Verbesserungen zu dem wurde, was es noch heute ist.

Vom Brockenturm aus hat man eine herrliche Rundschau und kann bei klarem Wetter 89 Städte und Flecken sowie 638 Dörfer ganz oder zum Teil übersehen.

Sonnenaufgang oder -untergang bieten ein großartiges Schauspiel, das man leider nicht oft ungetrübt genießen kann, da der Nebel besonders den Sonnenaufgang allzu oft dem Auge verbirgt. Stattdessen hat man dann aber zuweilen einen eigentümlichen Anblick. Wenn nämlich der Nebel die Landschaft umhüllt und der Brocken wie eine Insel aus dem Meer hervortaucht. Nach und nach aber, sobald der Nebel niederschlägt, wird ein Gipfel der Harzberge nach dem anderen sichtbar, bis dann schließlich die ganze Landschaft zum Vorschein kommt. Höchst interessant ist es auch, den Verlauf eines Gewitters vom Brockenhaus aus zu beobachten, gleichviel ob dasselbe sich unterhalb des Gipfels entlädt und man oben vom schönsten Sonnenschein umgeben ist, oder ob es oberhalb mit jagender Hast und furchtbarem Donner dahinfährt.

Zu den selteneren, aber interessantesten Launen des Brockenwetters gehört das Brockengespenst, welches nur bei Sonnenaufgang oder -untergang wahrzunehmen ist, wenn die Sonne mit dem Gipfel des Berges in gleicher Höhe steht. Hat sich nämlich auf der der Sonne entgegengesetzten Seite eine Nebel­wand gebildet und wirft nun die Sonne ihre Strahlen auf dieselbe, so fällt der Schatten aller auf dem Gipfel sich befindlichen Personen oder Gegenstände auf den Nebel. Je nachdem sich aber die Nebelmasse nähert oder entfernt, wird der Schatten größer oder kleiner. Bei feuchtem Nebel ist derselbe von einem farbigem Schimmer umgeben, auch spiegelt der Schatten bei Frostwetter einen gelben, strahlenden Schein zurück.

Berühmt und berüchtigt ist der Brocken durch seine Hexen- und Teufelssagen. Am ersten Mai, in der Walpurgisnacht, kommen alle Hexen aus dem Land auf Heugabeln, Besenstielen oder Ziegenböcken durch die Luft geritten und tanzen den Schnee vom Gipfel fort. Der Teufel steht dann auf der Teufelskanzel, einer Felspartie, die in der Nähe des Brockenhauses liegt, und redet zu den versammelten Hexen. Alle knien um den Hexenaltar, und der Teufel besprengt sie mit Wasser aus dem Hexenwaschbecken, worin sie sich alsbald waschen müssen. Dann wird ein rasender Tanz mit brennenden Fackeln um große Feuer ausgeführt. Nach Mitternacht ist alles vorüber.

Diese Sage entstammt jener Zeit, da Karl der Große das Christentum mit Gewalt bei den Sachsen zur Einführung brachte. Die alten Heiden konnten sich nicht so bald von ihren Göttern trennen. Darum ließen sie nicht ab, ihre Hauptfeste, zu denen vor allen der l. Mai gehörte, nach wie vor durch Opfer zu feiern. Als aber von fränkischer Kriegsmacht Wachen aufgestellt wurden, um die heidnischen Gebräuche zu verhindern, griffen sie zu allerlei Vermummungen, um ihre Wächter zu schrecken. So halfen sie selbst den Aberglauben an Teufel und Hexen verbreiten. Ungestört hielten sie ihre Opferfeier unter seinem Schutze

Lange Jahre, Jahrzehnte und vielleicht Jahrhunderte währten trotz aller Verbote derlei Bräuche fort. Am 1. Mai loderten Freudenfeuer auf den Gipfeln der Berge auf und noch heute erhält sich die alte Sitte, wenn auch nicht überall und wenn auch in neuer christlicher Bedeutung. Von den Kindern wurden früher das ganze Jahr hindurch abgenutzte Besen gesammelt, am ersten Mai aufgeschichtet, entstammt und dann wurde mit den brennenden Reisern jubelnd das Freudenfeuer umtanzt.

Auch im April wurden zu Ehren der Göttin Ostara auf allen Bergen und Hügeln die sogenannten Osterfeuer entzündet. Nach dieser Göttin be­hielt der April auch den Namen Ostermonat bei, wie ja auch unser Osterfest nach der heidnischen Göttin benannt ist. So tief wurzelte die Verehrung dieser Gottheit im Volksbewusstsein, dass man den heidnischen Namen auf ein christliches Fest übertragen musste.

Die Sage von dem Hexenspuk in der Walpurgisnacht hat sich beim Volk so festgesetzt, dass man in den Dörfern des Harzes noch heute die erste Mainacht fürchtet. Selbst Blumen, die auf dem Brocken wachsen, hat man anklingende Namen, wie Hexenbesen, Hexenkraut und dergleichen mehr gegeben und die kleineren Granitscherben auf dem Berg werden Hexensand genannt.