Aus dem Wigwam – Die Abgötter
Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880
Die Abgötter
(Tradition der Ricara)
apferer Krieger, Sohn des Bibers, Mann des schrecklichen Kriegsrufes, den die Maha fürchten und die Pawnee hassen, wohin gehst du?«
»Ich gehe, um den Göttern einen Pfeil, Bogen und Speer zu opfern. Dort stehen sie bei den Weiden am seichten Bach: der Mann, die Frau und der Steinhund. Ich will zu ihnen beten, dass sie mir ein Pantherherz und eine Kinderseele geben und meinen Füßen die Schnelle des Windes verleihen!«
»Spute dich, Krieger!«
»Jäger, Mann des scharfen Auges, den Biber und Panther fürchten, wohin gehst du?«
»Ich gelte, um den Göttern, dem Mann, der Frau und dem Steinhund ein Opfer aus saftigem Hirschfleisch zu bringen. Ich will sie bitten, dass sie meine Pfeile segnen und meine Augen schärfen.«
»Spute dich, Jäger!«
»Priester, Mann der Weisheit, der du die Geheimnisse der Erde und des Himmels kennst, wohin gehst du?«
»Meinen heiligen Bärenmantel will ich den Göttern, dem Mann, der Frau und dem Steinhund am Rand des Baches zu Füßen legen und sie bitten, dass sie mir durch meinen Traumgeist mitteilen, wie ich die Ricara zu besseren und glücklicheren Menschen machen und wie ich sie unterrichten kann, allen Maha die Skalpe abzuziehen und den Blassgesichtern die schwarzen Pferde zu stehlen!«
»Spute dich, Priester!«
»Jungfrau, Taube des Waldes, schön wie der Jägerstern, wohin gehst du?«
»Den Federbusch des Vogels, der in der Nacht, als ich meinen Liebsten zuerst sah, uns freudige Grüße zuflüsterte, und Muscheln, die er mir aus der Ferne brachte, will ich den Göttern, dem Mann, der Frau und dem Steinhund am Bach opfern und sie bitten, dass sie seine Brust gegen die Pfeile der Maha schützen und seinem Arm doppelte Stärke und seinen Füßen doppelte Schnelle verleihen.«
»Spute dich, Jungfrau!
Und wer sind diese Götter? Es lebten einst – fragt mich nicht, wann – im Land ein Jüngling und eine Jungfrau, die sich liebten. Ihre Väter waren Freunde und wohnten in einem großen Wigwam friedlich beisammen. Sie jagten und kriegten gemeinschaftlich, während sich ihre Frauen einträchtig die häuslichen Arbeiten teilten.
Als ihre beiden Kinder noch klein waren, sagte der eine Ricara zu seinem Freund: »Ich habe einen jungen Adler in meinem Horst und du hast eine zarte Taube in deinem Nest, lass sie uns zusammengeben. Sie sind noch jung und klein, aber ehe die Rose achtmal geblüht hat, wird mein Adler seine Wangen mit Kriegsfarben bemalen und mit meinen Waffen die Wälder durchstreifen; dann wird er sich eine Hütte bauen, in welcher deine Taube das Feuer anmacht!«
Der andere war damit zufrieden. Als die zwei groß genug waren, um die Sprache der Augen verstehen zu können, baute sich der Jüngling eine Hütte, und die Leute sagten dem Mädchen, sie solle diese mit ihm bewohnen. Aber der Jüngling schmückte sich nicht mit den Federn des Kriegsadlers, noch stahl er den Bogen seines Vaters. Ruhig blieb er am Feuer des elterlichen Wigwams sitzen und wagte sich nur an hellen Sommertagen vor die Tür, um Blumen zu sammeln oder Singvögel zu fangen.
Als dies der Vater seiner Braut sah, sprach er zu seiner Tochter: »Ich dachte, ich hätte dich in deiner Kindheit mit einem Knaben verlobt, der später der Stolz unseres Stammes werden würde; aber ich habe mich geirrt, denn der Adler meines Freundes hat das Herz eines furchtsamen Rehes und die Wangen eines jungen Mädchens. Hörst du mich? Er singt keine Kriegslieder, noch sehnt er sich nach Heldentaten. Ich werde mein Wort nicht halten. Gehe daher zu ihm und sage ihm, dass die Tochter des Roten Flügels nur die Gattin des Mannes wird, der einen starken Arm und ein kühnes Herz hat. Hörst du mich, meine Tochter?«
»Ich höre, Vater. Deine Worte fallen schwer auf meine Seele. Als mir noch Kinder waren und munter im Wald herumliefen, sprachen die alten Leute untereinander: ›Wisst ihr auch, dass dem Sohn der Gelben Tanne, wenn er ein Mann geworden ist, die Tochter des Roten Flügels das Feuer anmachen soll?‹ Und die Knaben und Mädchen des ganzen Dorfes sangen, ich würde seine Frau werden. Ich weiß, sein Arm ist schwach und sein Auge ist das sanfte Auge einer Taube; aber ich werde mich nicht von ihm trennen.«
Als der Jüngling hörte, dass der Rote Flügel sich bereits einen anderen Mann für seine Tochter ausersehen habe, nahm er seinen Hund und verließ den Wigwam, um im einsamen Wald seine Tränen und Klagen zu verbergen. Vor ihm her ging seine Braut; aber sie ging wie ein Reh, das der Pfeil des Jägers gelähmt hat. Bald war er bei ihr und lag in ihren Armen. Sie beschlossen, im Wald zu bleiben. Aber das Wild war selten und die Beeren waren bereits alle abgepflückt und sie flehten zum Großen Geiste, er möge sie doch zu sich nehmen.
Der Große Geist, der auf dem Rückgrat der Erde saß, hörte ihre Stimme und sprach zu dem neben ihm stehenden Schutzgeist der Indianer: »Siehst du das junge Paar, das sich im Wald verheiratet hat und nun dem Hungertod nahe ist? Eile hin und beende ihre Not!«
Die Nacht neigte sich zur Erde und die Fledermäuse durchkreuzten die Luft. Die beiden Unglücklichen saßen am Rand eines Flusses und aßen saure Trauben, die sie nach langem Suchen gefunden hatten. Da trat plötzlich ein Manitu zu ihnen und beendete ihre Leiden. Sie blieben in der Wildnis stehen als ein ewiges Denkmal ihrer Treue und der Hartherzigkeit des Roten Flügels. Sie sind die Götter, denen der Krieger Pfeil und Bogen, der Jäger saftiges Rehfleisch, der Priester seinen heiligen Bärenmantel und die Jungfrau die Geschenke ihres Geliebten opfert.