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Slatermans Westernkurier12/2019

Auf ein Wort, Stranger, schon mal was von einer Necktie-Party gehört?

Wenn nein, dann tröste dich, du hast trotzdem nichts verpasst.

Mit Necktie ist nicht nur, wie in den meisten Fällen, die bauschige, zumeist rote Seidenkrawatte gemeint, die zum Sonntagsanzug eines jeden anständigen Cowboys dazugehört wie der Truthahn zum Thanksgiving Day. Dieser Ausdruck gilt ebenso, wenn auch umgangssprachlich etwas geschönt, für das Treiben eines Lynchmobs, also ein aus mehreren Männern bestehendes Hanfkrawattenaufgebot, welches einen anderen ohne jedes gerichtliche Urteil aufhängt.

Diese sogenannten Halsbandpartys erfreuten sich in Gegenden, die hauptsächlich von der Viehzucht lebten, bereits Anfang des 19. Jahrhunderts immer größerer Beliebtheit.

Der Historiker Everett Dick schrieb dazu 1962 in seinem Buch They went Thataway Folgendes:

»Pferdediebstahl war im Rinderreich, unter welchen Umständen er auch immer vorkam, ein größeres Verbrechen als Mord. Das Pferd war ein wesentlicher Bestandteil der Viehzucht und das einzige Mittel, die sonst tödlichen Entfernungen des Landes zu überwinden. Ein Mann ohne Pferd war in den Weiten des Westens dem schlimmsten und sichersten aller Tode ausgeliefert. Deshalb wurde der Pferdedieb als Todfeind der ganzen Gesellschaft betrachtet. Es gab für ihn keinerlei mildernde Umstände, noch Gnade und erst recht kein Erbarmen. Seine Verfolgung und Bestrafung war jedermanns Sache.«

Diese und weitere ähnlich klingenden Aussagen, tatkräftig von der Filmindustrie und vielen Westernwritern unterstützt, setzten sich in den Köpfen der Menschen fest, und es gibt selbst in unserer heutigen, aufgeklärten Zeit immer noch viele, die steif und fest behaupten, dass der großzügig ausgelegte Umgang in Sachen Lynchen von Pferdedieben der Mentalität der Südstaatenpflanzer und insbesondere der Sklaven-Aristokratie entsprungen ist und diese Saat der Gewalt in den Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg von den Cowboys des Südwestens bis in den letzten Winkel der gesamten USA getragen wurde.

Eine fatale Fehleinschätzung, reicht doch schon ein flüchtiger Blick auf die Historie des amerikanischen Westens, um solche Thesen in Sekundenschnelle zu widerlegen.

 

*

 

Schon 1837, also bereits neun Jahre, bevor Iowa sich als Territorium der Vereinigten Staaten schimpfen durfte, bildeten Siedler der Mississippi Stadt Bellevue Vigilanz-Gruppen, die Pferdediebe verfolgten und sie auf der Stelle aufhängten.

Zwanzig Jahre später, zu einem Zeitpunkt, an dem noch niemand im Norden je einen texanischen Cowboy gesehen hatte, nannten sich diese Vigilanten Regulatoren und nahmen Massenhinrichtungen Verdächtiger vor, wobei mit Sicherheit auch viele Unschuldige dem Volkszorn zum Opfer fielen.

Nächstes Beispiel Idaho.

Als dort die Pferdediebstähle überhandnahmen, stürmten im Oktober 1863 sogenannte Besserungs-Komitees das Gefängnis in Lewiston und lynchten drei Pferdediebe, die auf ihren Prozess warteten. Ein anderes Vigilanz-Komitee aus der Stadt Payette praktizierte öffentlich gar drei Bestrafungsarten: Verbannung, Auspeitschen, Hängen.

Mit großem Erfolg, denn nachdem man dort einen Anführer der Banditen öffentlich zu Tode geprügelt hatte, suchte man in der Umgebung des Payette Valleys lange Zeit vergeblich nach Pferdedieben.

In Boise veranstaltete man 1864 ähnliche Hanfkrawatten-Partys, um den ausufernden Pferdediebstahl einzudämmen. Das Treiben des Lynchmobs dauerte fast zwei Jahre, bis man herausgefunden hatte, dass ausgerechnet David Updyke, der Sheriff des Ada Countys, der Anführer der Pferdediebe war, welche die gestohlenen Tiere bei den Indianern gegen Pelze tauschte. Die Necktie-Partys endeten erst, nachdem man am 13. April 1866 dem verbrecherischen Sheriff und seinem Gehilfen habhaft geworden war und beide kurzerhand am nächsten Dachbalken aufhängte.

Es würde den Umfang unserer Kolumne sprengen, an dieser Stelle über alle historisch belegten Hanfkrawattenveranstaltungen zu berichten, es ist jedoch unschwer herauszulesen, dass dieser Lynchwahn seinen Ursprung nicht bei den als roh, gewalttätig und verkommen verschrienen texanischen Cowboys und Westmännern hatte, sondern in jenem Umfeld, das sich als ach so gottesfürchtig und gesetzestreu bezeichnete.

Eine Tatsache, die umso deutlicher wurde, je mehr diese heuchlerischen und bigotten Siedler aus den sogenannten zivilisierten Nordstaaten nach Westen drängten.

Gewiss ist es richtig, dass die Texaner im Umgang mit Verbrechern auch nicht gerade zimperlich waren. Zeitungsberichten nach hat man angeblich allein in Texas in den Jahren 1866 bis 1878 etwa siebenhundertfünfzig Männer wegen Pferdediebstahls gelyncht, doch das gleiche Bild bot sich sowohl in den Bundesstaaten des mittleren als auch des nördlichen Präriegürtels, als da wären Kansas, Nebraska, Dakota, Wyoming und Montana. Aber auch Colorado, Nevada, Utah und Kalifornien machten hierbei keine Ausnahme.

Interessant dabei ist, dass es in all diesen Siedlerstaaten dennoch einen großen Unterschied zu Texas gab, das gemeinhin als die Wiege des amerikanischen Cowboys bezeichnet wird.

Während im Individualisten-Cowboyland Texas das Hängen als schimpflichste aller Strafen nur an Pferdedieben, später auch an Viehdieben, aber eben immer nur von den unmittelbar Betroffenen angewandt wurde, lynchte man in den übrigen Staaten alles und jeden, der auch nur irgendwie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Viehdiebe, Bank- Postkutschen-und Eisenbahnräuber genauso wie Taschendiebe und Betrüger, ja sogar Ehebrecher und Wucherer.

 

*

 

War die Lynchjustiz bei Siedlern und Bürgern der nördlichen Regionen des Präriegürtels ganz offensichtlich eine Gelegenheit, mit viel Lärm und Geschrei aufgestaute Aggressionen abzureagieren, ein Schelm, der hierbei Parallelen zu unserer heutigen Zeit erkennt, beobachtete man bei den Cowboys im Allgemeinen sehr viel mehr Ruhe und Gelassenheit.

Es wurde zwar rasch und entschlossen gehandelt, doch pflegte man einen Delinquenten vorher anzuhören, wenn es möglich war, seine Aussage nachzuprüfen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung zu geben.

Der Westernkurier will hier keinesfalls ein Plädoyer für Selbstjustiz halten, sondern an der Erklärung des Wortes Necktie aufzeigen, dass die Gewalt im Wilden Westen nur selten von den revolverschwingenden Cowboys und Westmännern ausging, sondern in der Hauptsache von Städtern und Siedlern. Die Kriminalstatistiken von dicht besiedelten Städten gegenüber den meisten Countys im Westen sprechen Bände. Während für Erstgenannte die Angelegenheit mit dem Tod des Angeklagten beendet war, stellte sich bei vielen der sogenannten ehrbaren Bürger sehr rasch eine geradezu ansteckende Gewohnheit ein. Sobald diese Vigilanten und selbst ernannten Rächer einmal damit begonnen hatten, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen, waren sie nicht selten unfähig, es wieder aus der Hand zu legen.

Stolz, Angst oder Machtrausch, Dinge, die dem wahren Westerner völlig fremd waren, ließ sie weitermachen, bis irgendwann unter der Entschuldigung, dem Gesetz Achtung zu verschaffen, die Eigenhilfe zum Terror wurde, der schließlich wiederum neue Vigilanten und Necktie-Partys auf den Plan rief.

In diesem Sinne

euer Slaterman,
der schon bald wieder über Bandanna, Beecher Bibeln oder Flapjack berichten wird. Banale Dinge, die uns heute fremd sind, aber im Westen alltäglich waren.

Quellenhinweis:

  • H. J. Stammel, Das waren noch Männer, Econ Verlag Düsseldorf, Buch Nr. 1033 1680