Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Wolfsbenjamin – Teil 1

Friedrich Gerstäcker
Der Wolfsbenjamin
Aus den Backwoods Amerikas

Teil 1

Es war im Fahr 1841, als ein junger deutscher Baron, ein Herr von Questen, die Hasenschlächtereien daheim satt bekommen hatte, und, mit einer Menge amerikanischer Jagdgeschichten im Kopf, den Entschluss fasste, im Herzen der dortigen Wildnis sein Glück zu versuchen und vor allen Dingen eine Quantität Bären, Wölfe und Puma zu schießen.

Mit seinem Jäger und reichlich mit den verschiedensten Gewehren und sowie mit genügend Munition versehen, um im schlimmsten Fall eine vierwöchige Belagerung aushalten zu können, schiffte er sich in Bremen nach New Orleans ein, nahm sich, dort angekommen, kaum Zeit, der Weltstadt auch nur einen flüchtigen Blick zu gönnen, und ging schon am nächsten Morgen wieder mit einem Dampfer stromaufwärts gen Litte Rock in Arkansas, wo er, recht mitten im dichten Wald, seine Tätigkeit beginnen wollte.

Es ist hier weder Zeit noch Raum, alle jene kleinen Erlebnisse zu schildern, die einem direkt aus den europäischen Salons und mitten in die Wildnis Springenden natürlich wie ebenso viele Abenteuer vorkamen. Herr von Questen brauchte sogar mehrere Wochen, bis er nur die Möglichkeit einsah, in einem Hotel mit noch einem anderen, ihm vollkommen Fremden in einem Bett zu schlafen, und am anderen Morgen dann zu beobachten, wie dieser sehr ungeniert seine Zahnbürste benutzte. War ihm doch sogar zugemutet worden, ein und dasselbe Bett mit seinem eigenen Jäger zu teilen, mit dem er überdies bei der Table d’hote an einem Tisch essen musste. Er bemerkte auch zu seinem Erstaunen, dass die unwissenden Amerikaner seinen galonierten Diener mit großer Achtung und sogar Rücksicht behandelten, weil sie ihn für einen fremden General hielten, während sie ihn selber gar nicht beachteten oder doch vollständig als ihresgleichen betrachteten. Dass der General morgens Stiefel putzte und Röcke ausklopfte, fiel dabei niemanden auf, denn wer damals in Little Rock geputzte Stiefel und ausgeklopfte Röcke haben wollte, musste das überhaupt immer selbst tun.

Der Zustand wurde ihm aber doch lästig, als die Leute zu ahnen anfingen, dass es kein General, sondern nur ein Servant sei. Da sie ihn nun unausgesetzt mit neugierigen Fragen bestürmten, ja überhaupt mit jedem Tag immer zudringlicher wurden, beschloss er endlich, in den wirklichen Wald aufzubrechen. Hatte er ja doch auch nur seinen Aufenthalt in Little Rock einzig und allein dazu benutzen wollen, um genaue Erkundigungen über die dortigen benachbarten Jagddistrikte einzuziehen, und das war ihm nun, wie er glaubte, vollständig gelungen.

Schon unmittelbar um Little Rock selbst, oder doch nur wenige englische Meilen davon entfernt, sollte es Hirsche und wilde Truthühner geben, an denen überhaupt kein Mangel zu sein schien. Aber Herrn von Questen genügte dieses Wild schon nicht mehr, denn sein Augenmerk war auf Raubzeug gerichtet, unter dem er hier in Arkansas ordentlich aufzuräumen gedachte. Besonders hatte er es auf Bären und Puma abgesehen. Wenn auch beide Tiere in der Nähe vorkamen, riet man ihm doch, falls er eine etwas größere Sicherheit haben wollte, ihnen zu begegnen, zum Red River zu ziehen, der durch die südwestliche Ecke des Staates strömt. In dessen Niederungen sei er sicher, den Verlangten zu begegnen.

Da ihm dieser Rat von verschiedenen und besonders von solchen Leuten gegeben wurde, die kein Interesse dabei haben konnten, wohin er ging, so befolgte er ihn, kaufte für sich und seinen Diener zwei Reitpferde, außerdem noch drei Packtiere, um nur das Notwendigste mit fortzubringen, mietete außerdem noch zwei Irländer, um die nötigen Arbeiten unterwegs zu verrichten, als im Notfall auch zu treiben, und brach zu seinem Jagdeldorado auf.

Acht Wochen später kehrte er nach Little Rock, reich an Erfahrungen, aber sehr arm an wirklicher Jagdbeute zurück. Er hatte allerdings einige geringe Hirsche und eine Anzahl von wilden Truthühnern geschossen, auch verschiedene Puma und Wölfe nachts heulen hören, die Spuren von Bären häufig im Wald gefunden, aber keinem der Letzteren auch nur mit einer Kugel zu Leibe zu rücken, ja sie nicht einmal in Sicht bekommen können. Außerdem war ihm sein Jäger am kalten Fieber dermaßen erkrankt, dass sich der arme Teufel als vollständig nutzlos im Wald erwies, ja viel eher noch Pflege für sich verlangte, als dass er selber hätte eine Handreichung tun können. Von Questen verlor ohnedies noch zwei von seinen Pferden im Wald, da sich die Irländer als so ungeschickte Waldleute zeigten, wie nur irgend möglich, und war zuletzt wirklich seelenfroh, mit dem Rest seiner kleinen Expedition Little Rock wieder zu erreichen.

Dort ruhte er sich vor allen Dingen wieder acht Tage gründlich aus und begann dann kleine Jagdzüge in die Nachbarschaft zu machen, alle aber mit nicht besserem Erfolg als die früheren, und mit den Jagdtrophäen sah es windig aus. Hier aber hörte der junge Mann von anderen, noch viel brillanteren Revieren in den Sümpfen des Cash River bis zum White River hinüber, und selbst diesseits des Bash an der Bay de View und am L’anguille, und beschloss, nur die Genesung seines Jägers abzuwarten, um dorthin aufzubrechen.

Dieser erholte freilich sich nur langsam, aber er erholte sich doch, und drei Tage später befand sich von Questen auf dem Weg nach Strong’s Postoffice, einer einzelnen Farm mitten in Sumpf und Wildnis, aber an einem günstigen Teil des Weges gelegen, wo mit der nach Memphis in Tennessee führenden Straße auch die von Batesville am White River führende County Road zusammenstieß. Dort herum war allerdings noch nicht die beste Jagd, aber es war auch der einzige Punkt in der weiten Nachbarschaft, wo man menschlich existieren konnte, und von Questen beschloss, hier einen Monat auszuhalten. Und wieder vergeblich.

Er kaufte sich ein gutes Jagdpferd und eine Anzahl Hunde und suchte den Wald von Morgen bis Abend ab. Aber wenn er auch jede Nacht Puma und Wölfe hörte und ihre Spuren mit denen des schwerfälligen Bären überall auf dem Boden eingedrückt sah, bei Tag schienen alle diese Bestien wie in die Erde hinein verschwunden und kamen ihm nicht ein einziges Mal vors Rohr. Selbst von den kleineren Raubtieren – Wildkatzen, wie zum Beispiel der Puma – war er nicht imstande, auch nur ein einziges Stück zu erlegen.

Von Questen hatte dabei schon lange die Erfahrung gemacht, dass er mit seinen Schrotgewehren in diesem amerikanischen Urwald gar nichts ausrichten könne, denn selbst für Truthühner taugten sie nichts. Auf der Erde kam man diesen scheuen Vögeln nie nahe genug, und bäumten sie auf, so waren die mächtigen Waldriesen viel zu hoch, um das Schrot wirksam bis hinauf zu tragen. Seine Schrotgewehre hatte er deshalb auch bis auf eines schon in Little Rock verkauft und führte nur noch ein Paar Doppelbüchsen bei sich.

Es geht das übrigens gar häufig so in den wildreichsten Wäldern, dass man monate-, ja jahrelang dort jagen kann, ohne einem Raubwild zu begegnen, und mit Treiben ist dort gar nichts zu machen. Von Questen hatte anfangs seine Irländer dazu benutzen wollen – denn Amerikaner geben sich nicht dazu her. Doch erwiesen sich jene so vollkommen nutzlos zu jeder praktischen Verwendung, dass er es zuletzt in der Verzweiflung aufgab und nur noch mit Pirsch oder Hetze sein Glück versuchte. Aber die Bärenhetzen in diesen dichten Wäldern sind auch kein Kinderspiel, und von Questen kam nie zur rechten Zeit, wenn die Hunde wirklich einmal einen der alten Burschen aufgejagt und für eine Weile gestellt hatten.

So rückte der Winter heran, und unser unglücklicher Jäger hoffte auf den Schnee – aber es schneite nicht, oder doch nur so wenig, dass er keinen Nutzen davon hatte. Er wollte sein ganzes Jagen schon in der Verzweiflung aufgeben, als er zufällig von einer eigentümlichen Persönlichkeit hörte, deren Namen schon ihm neue Hoffnung gab.

Von Questen hatte, da sein Jäger wieder einen neuen, noch viel heftigeren Fieberanfall in diesen Sümpfen bekam, verschiedene Jagdausflüge allein unternommen und kehrte eines Abends spät von einem solchen zurück.

»Heute hätten Sie da sein sollen«, empfing ihn sein Wirt, »heute war der alte Wolfsben da. Mit dem hätten Sie sich hübsch über alle möglichen wilden Bestien unterhalten können.«

»Der alte Wolfsben? Und wer ist das?«

»Ah, Benjamin heißt er eigentlich. Da er aber eine solche Menge von Wolfskalpe an die Regierung abliefert und dafür die gesetzliche Belohnung von drei Dollar per Skalp bekommt, so nennen sie ihn in der ganzen Gegend den Wolfsbenjamin oder der Kürze wegen Wolfsben.«

»Und wo ist er hin?«

»Auf seiner gewöhnlichen Tour durch den Sumpf nach Batesaille, aber es ist eben jetzt erbärmliches Fortkommen dort hinüber zu, des ausgetretenen Wassers wegen. Der Mailrider (der gewöhnlich gehende berittene Postbote) hat neulich über die Bay de View kaum hinübergekonnt.«

»Und der Wolfsbenjamin ist durch?«

»Er wird heute noch nicht weit sein«, versicherte der Mann, »aber morgen Abend denke ich jedenfalls, dass er bei Stuarts übernachten soll. Mit dem hat er immer Geschäfte.«

Von Questens Plan war augenblicklich gemacht. Den Wolfsbenjamin durfte er sich nicht entgehen lassen, und den hatte er noch glücklicherweise kurz vor Toresschluss gefunden; denn erst heute waren Briefe angekommen, die ihn nach Hause zurückriefen. Aber vierzehn Tage blieben ihm vielleicht doch noch Zeit. Wie er hier von Verschiedenen bestätigen hörte, war nun gerade dort, in den halb überschwemmten Sümpfen, die beste Jagd zu machen, wenn man nur das bisschen Wasser nicht scheute, da sich das Wild in der Zeit gern auf die trockenen, von Nord nach Süden hindurchlaufenden, etwas höher gelegenen Randstreifen zog und da am besten zu finden war.

Am Abend noch bereitete er sich zu einem neuen Jagdzug vor und nahm auch nur eine einzige Doppelbüchse mit – er war in Arkansas schon außerordentlich praktisch geworden. Am nächsten Morgen saß er auf seinem besten Pferd und trabte, so rasch ihn dieses bringen konnte, hinter dem berühmten Wolfsbenjamin her, der, wie er noch am Abend erfuhr, sehr oft und nicht selten mit zwei, drei Pferdelasten vorbeikam, um Hirschhäute, Bärenfelle, Pumafelle und besonders Wolfsskalpe zur Erhebung der Prämie nach Little Rock zu führen. Der Mann schien ein wahres Juwel für einen Jäger zu sein. Von Questen verwünschte nur sein böses Geschick, ihn nicht früher getroffen, ja nicht einmal von ihm in Little Rock gehört zu haben. Dass er aber nun wenigstens keine unnötige Zeit mehr versäumte, sollte seine Sorge sein.

Durch jene weiten furchtbaren Sümpfe, die sich zwischen dem White River und Mississippi, und zwar viele hundert Meilen von Nord nach Süd hinablaufend, ausdehnen, ist eine breite sogenannte Countystraße quer von Ost nach West hindurch geschlagen und in den Sommermonaten Juli, August und September, ja oft bis Oktober und November hinein vollkommen trocken. Wenn aber der Winter anbricht und die dortigen Regen einsetzen, da es überhaupt dort nur sehr selten und wenig schneit, dann füllen sich nach und nach diese Niederungen mit Wasser. Die kleinen hindurchströmenden Flüsse treten aus, und der ganze sogenannte Swamp oder Sumpf wird überschwemmt.

Unter Swamp oder Sumpf darf man übrigens das nicht verstehen, was wir in Deutschland unter diesem Namen begreifen. Es ist keineswegs ein weicher, morastiger Boden, sondern in der Tat nichts weiter als eine Niederung, sehr tief liegendes Land, das leicht den Überschwemmungen ausgesetzt ist, und rasch wieder abtrocknet, sobald diese nachlassen. Trockene oder vielmehr höher gelegene Streifen laufen überall hindurch und bieten selbst bei dem höchsten Wasserstand dem ziemlich zahlreichen Wild Schutz. Bestanden ist dieser Swamp dabei mit dem wundervollsten und üppigsten Urwald, den man sich auf der Welt nur denken kann. Eichen besonders stehen darin in der größten Varietät, von der ziemlich niederen Overcup- oder Sumpfeiche bis zu den mächtigsten, Hunderte von Fuß hohen Weiß- und Roteichen, Sassafonsbäume bis zu vier und fünf Fuß im Durchmesser, Hickory und besonders der amerikanische Gumbaum mit seinem prachtvollen schlanken Stamm, aber völlig unspaltbaren Holz, das mit den Fasern ordentlich ineinander verwachsen ist. Das Unterholz bildet dazu, außer dem niederen Sassafons und Spicewood, die wilde Korneliuskirsche, das sogenannte Dogwood, das im Frühjahr eine reizende weiße Blüte treibt und den weiten Wald in einen Garten verwandelt.

Unter dem Unterholz aber treibt der üppige Boden noch ein wahres Meer von Schlingpflanzen, die den Jäger zur Verzweiflung treiben können und den Wald an manchen Stellen fast undurchdringlich machen. Da ist vor allen Dingen der sogenannte Greenbriar oder grüne Dorn mit seiner offizinalen Schwester, der Sarsaparilla, der in solcher Masse wächst, dass man den Pferden auf den Bärenhetzen lederne Leggins an den Beinen befestigt, weil sie sich sonst die Haut von den Knochen reißen. Da ist endlich der entsetzliche Sawbriar oder Sägedorn mit zähen, oft fingerstarken Ranken, dicht besät mit langen, harten, borstenartigen Stacheln, der nicht selten den Reiter aus dem Sattel reißt und mit zerrissenem Jagdhemd und zerfetzter Haut in die Büsche wirft. Giftige Schlingpflanzen, mit einem Eichblatt ähnlichen Laub und milchigen Saft, lassen ihm Hand und Gesicht anschwellen, wenn er sie unvorsichtigerweise aus dem Weg bricht. Es lässt sich deshalb denken, dass eine Hetze durch einen solchen Wald der Hindernisse gerade genug bietet, um sie fast mehr als interessant zu machen.

All diese Hindernisse durchschneidet aber der vorhin erwähnte hindurchgeschlagene Weg, der allerdings dort dem Reisenden weiter nichts bot, als dass eben die Bäume und Büsche weggeschlagen und aus der Bahn geräumt waren; denn da er nicht erhöht worden war, blieb er den Überschwemmungen gerade so gut ausgesetzt, wie der Wald selber.

Am nächsten Morgen trabte also von Questen diese Straße entlang, so rasch ihn sein munteres Pferd vorwärts bringen konnte. Von Strong′s Postoffice aus hatte er auch noch ziemlich trockenen Boden, denn das tiefere Land begann eigentlich erst dort, wo der L′anguille den Weg kreuzte, und von da über Brushy Lake und Bay de View bis zum Cache River, ja eigentlich noch über diesen hinaus bis in die Nähe des White River, wo das Land wieder etwas höher wurde.

Wolfsbenjamin schien sich aber auf seinem Weg nicht besonders beeilt zu haben, denn etwa zehn englische Meilen von Strong′s Postoffice entfernt hatte er übernachtet und war an diesem nämlichen Morgen erst wieder mit seinen beiden Pferden gen Westen aufgebrochen. Er konnte gar keinen so großen Vorsprung mehr haben und würde, wie ihm die Leute sagten, unter jeder Bedingung bei Stuart am L′anguille übernachten. Von dort bis zum Cache River, eine Strecke von über zwanzig englischen Meilen durch den schlimmsten Sumpf, stand kein einziges Haus weiter, weder am Weg noch abseits vom Weg im Wald drinnen, wo sich in dieser Gegend überhaupt niemand ansiedelte. Von Questen konnte sich nun also Zeit nehmen, denn der Wolfsben war ihm sicher.

Er frühstückte mit dem Farmer und erkundigte sich nach der dortigen Jagd. Hirsche gab es dessen Aussage nach genug. Truthühner hielten sich lieber in den Hügeln als im Swamp auf. Bären trabten überall herum, ihre Spuren konnte man an allen weichen Stellen finden. Puma fehlten ebenfalls nicht, die Bestien hielten ihm die Hunde die ganze Nacht über in Alarm, und Wölfe – puh, wie die Schafe liefen sie im Wald umher, ganze Rudel, und heulten, dass es einen Stein hätte erbarmen mögen, wenn eben ein Stein in der ganzen Nachbarschaft zu finden gewesen wäre. Aber es war ihnen eben nicht beizukommen. Sowie es Tag wurde, zogen sie sich in ihre Schlupfwinkel, hohle Bäume und unwegsame Dickichte, zurück. Da lagen sie und kein Teufel konnte sie finden.

Der Mann war übrigens selber kein Jäger und erst etwa vor sechs Monaten von Tennessee, wo es fast gar kein Wild gab, herüber in die Niederung gezogen, um besonders Viehzucht zu betreiben und sein Vieh dann hinüber über den Mississippi zu verkaufen. Er wusste also auch nicht dem scheuen Raubzeug beizukommen. Stuart aber, wie er dem Deutschen versicherte, sollte ein alter, durchaus praktischer Bärenjäger sein, der hier schon wenigstens zwölf oder sechzehn Jahre im Sumpf lebte. Und wenn einer in Arkansas, der konnte ihm Auskunft über alles geben, was er zu wissen wünschte.

Zu Stuart also, und er konnte die Zeit kaum erwarten, bis er das bezeichnete Blockhaus am L′anguille erreichte. In den amerikanischen Wäldern herrscht, wenn man in abgelegener Waldung eine Hütte erreicht, die vollkommenste Gastfreundschaft, und das Wenige, was der Besitzer hat, teilt er gern und freudig mit einem doch so seltenen und immer gern gesehenen Gast. An solchen Countystraßen aber, die noch dazu als einziger Verbindungsweg ein paar benachbarte Staaten miteinander verbinden, ist das freilich etwas anderes. Backwoodsmen siedeln sich an solchen Stellen gar nicht etwa so selten und deshalb an, um durch den Verkehr mit den Reisenden etwas Bargeld in die Hände zu bekommen, da mit ihren Nachbarn doch nur ein Tauschhandel möglich ist.

Zu diesem Zweck halten sie ein paar freie Betten, die eben aus nichts bestehen als einer dünnen, mit Baumwolle gestopften Matratze und ein paar wollene Decken, über die aber eine bunte Steppdecke gebreitet sein musste. Der Reisende aß dann mit, was sie selber hatten: Maisbrot, gebratenen Speck und Bohnen, und trank Kaffee oder Milch dazu. Dafür zahlte er für Abendessen, Frühstück und Bett einen halben Dollar und für sein Pferd – denn Reisende zu Fuß kamen nur in Ausnahmefällen vor – ebenso viel. Blieb er aber eine Woche oder länger bei ihnen, so ließ es sich auch arrangierten, dass er zu einem etwas billigeren Preis beköstigt wurde.

Stuart war einer von diesen Leuten, die ein Geschäft daraus machten, denn an der Grenze des großen Sumpfes musste fast jeder bei ihm übernachten, der hindurch wollte, um am nächsten Abend auch das nächste Haus erreichen zu können. Alle aber, die von der anderen Seite, vom Cache River herüberkamen, waren von der Sumpfpartie so ermattet und durchnässt, dass sie sich ebenfalls freuten, gutes Quartier zu bekommen, und nur in sehr seltenen Fällen noch weiter ritten, um ein anderes Haus aufzusuchen, wo sie überdies das Nämliche bezahlen mussten.

Stuart war dabei wirklich ein alter Bärenjäger, der sich seit seiner frühesten Jugend in den Wäldern umhergetrieben hatte und dabei eine ganz vorzügliche Meute Hunde und sehr gute Pferde besaß. Er trieb allerdings hauptsächlich Viehzucht, wie alle diese Leute, und nebenbei etwas Ackerbau, denn er brauchte Mais für sich zu Brot und für seine Pferde sowie für die der bei ihm einsprechenden Reisenden. Aber die Hauptsache war und blieb doch immer für ihn die Jagd, und zwar die Bärenhetze, der er sich mit vollem Eifer hingab.

Es mochte etwa vier Uhr nachmittags gewesen sein, als von Questen den Platz erreichte. Eine Probe vom Sumpf bekam er aber schon vorher, wo er fast eine englische Meile weit mit seinem Tier durch Schlamm und Wasser zu waten hatte und die Straße selber doch keinen Schritt breit verlassen konnte, denn durch das Gewirr von Schlingpflanzen in der unmittelbaren Nähe des kleinen Flusses wäre gar nicht durchzukommen gewesen. Aber zu lange schon hatte er sich in diesen Niederungen aufgehalten, um darin etwas Außerordentliches zu sehen oder sich gar in seiner Bahn aufhalten zu lassen. Er setzte auch seinen Weg ruhig und unverdrossen fort, bis er wieder hohes Land und damit auch bald das Doppelblockhaus antraf, in dessen rechtem Flügel – wenn man so sagen kann – Stuart seine Wohnung hatte. Das linke Gebäude war eben allein für Reisende bestimmt, und die überbaute Veranda, die beide Häuser voneinander trennte oder eigentlich zusammen verband, diente ihnen im Sommer zum gemeinschaftlichen und kühlen Aufenthalt.

Hier traf er mit dem Wolfsbenjamin zusammen, der etwa eine Stunde vor ihm angelangt war. Sein Pferd wurde von Stuarts kleinem Negerjungen rasch abgesattelt und in die für die Tiere bestimmte Umzäunung getrieben. Stuart selber lud den Gast freundlich ein, zu ihnen ins Haus zu treten und es sich bequem zu machen. Das Wetter war schon zu rau, um sich noch gegen Abend lange im Freien aufzuhalten.

Und der Wolfsbenjamin? Hm, eigentlich hatte er sich den Mann anders vorgestellt. Von Questen war aber schon daran gewöhnt worden, die eigentlichen Jäger der Backwoods anders zu finden, als er sie vermutet hatte, denn etwas nur entfernt Waidmännisches, wie wir es unter dem Namen verstehen, darf man bei ihnen nie erwarten.

Ebenso wenig wie der amerikanische Jäger eine bestimmte Kleidung oder gar eine Jägersprache hat – ein paar einzelne Ausdrücke vielleicht abgerechnet – ebenso wenig weiß er etwas von der Poesie der Jagd oder erkennt selbst nur eine Schonzeit an. Er schießt alles, was ihm vor die Büchse kommt, und ich weiß mich selber noch der Zeit zu erinnern, wo ich zum ersten Mal einen der berühmtesten Jäger von Arkansas sah, der in Hemdärmeln, einen alten zerknitterten Strohhut auf dem Kopf, seine lange Büchse, Kolben nach hinten auf der Schulter, seine Provisionen, in ein rotbaumwollenes Taschentuch geknüpft, daran baumelnd, in den Wald schlenderte.

Auch Benjamin Folkes, wie der Mann hieß, sah eigentlich nach von Questens Begriffen nicht recht waidgerecht aus, denn er trug einen wunderlich altmodischen Frack von blauem Jeans, dem selbstgewebten wollenen Stoff der Backwoods, ein Paar helle, gestreifte und bedeutend zu kurze Hosen, grobe Waldschuhe ohne Strümpfe oder Socken, keine Weste und ein weiß baumwollenes, sauberes Hemd, das durch ein schmales, grellrot seidenes Tuch am Hals zusammengehalten wurde. Dabei war es eine kleine, dicke, untersetzte Gestalt mit einem gutmütigen, aber doch verschmitzten Gesicht, voller Sommersprossen, hellblonden Haaren und ebensolchen, fast unsichtbaren  Augenbrauen, den er nach eben eingenommener Mahlzeit gerade bei seiner Siesta traf.

Benjamin hatte sich in einen Stuhl gesetzt, auf dessen Hinterbeinen er balancierte, während er seine eigenen beiden kurzen Beine auf der niederen Lehne eines anderen vor ihm stehenden Stuhles ruhen ließ. Die dicken, ebenfalls dicht mit Sommersprossen bedeckten Hände waren auf seinem Bauch gefaltet. Er lehnte so halb zwischen Wachen und Schlafen in der einen Ecke, wobei der Zuschauer fortwährend das etwas ängstliche Gefühl behielt, als ob der Stuhl in jedem Augenblick kippen und mit dem kleinen kurzen Mann hintenüber schlagen müsse.

Benjamin kümmerte sich übrigens gar nicht um den Fremden, blinzelte nur einmal nach ihm hinüber, als er das Haus betrat, und rührte und regte sich nicht, bis er etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, wo er seine Siesta beendet zu haben schien, aufstand, seine kurzen Glieder dehnte und reckte und dann hinausging, um nach seinen Tieren zu sehen.