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Der Detektiv – Die verschwundene Million – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920

Die verschwundene Million

4. Kapitel

Bechert und ich nahmen wieder Platz. Wir hatten vorher den Toten ins Schlafzimmer getragen, und der Kommissar hatte das Polizeipräsidium angerufen, damit die Leiche abgeholt würde. Wir rauchten Harsts Spezialzigarette Mirakulum. Er selbst schilderte uns mit knappen Worten den Hergang der beiden Verbrechen im Universum-Klub.

»Der Mörder und der Dieb der Million ist der Mann, der nur vier Finger an der Linken hat. Er hat fraglos, wie er dies in seinem Brief an mich angibt, zwei meiner Wettgegner belauscht, erfuhr so von der Million im Tresor des Vorstandszimmers, beobachtete das Klubhaus und die Dienerschaft eine Weile, wird auch nachts vom Garten aus in das Vorstandszimmer schon vor der Tat wiederholt eingedrungen sein, verschaffte sich so die nötige Kenntnis von den Gepflogenheiten im Universum, ließ sich einem Schneider eine Livree gleich der der Klubdiener anfertigen, fand die Gelegenheit für den Diebstahl gestern Nachmittag überaus günstig, (wahrscheinlich war er schon im Vorstandszimmer unter dem Sofa versteckt, als Kammler es gegen sechs Uhr betrat), kroch ganz leise, während Kammler mit dem Rücken zur Tür am Mitteltisch arbeitete, zum Zimmer hinaus, lauerte im Vorraum dem alten Häske auf und schlug ihn nieder. Er muss dies getan haben, während Häske auf den Tisch im Vorraum das Tablett mit den Brötchen und dem Tee niedergesetzt hatte, die von Kammler bestellt worden waren.

In den Tee schüttete er irgendein Betäubungsmittel, trug dann das Tablett keck und im Vertrauen auf seine vorzügliche Maske als Häske (diese Maske täuschte nachher sogar den Pförtner) in das Vorstandszimmer, wird es schweigend niedergesetzt haben und wieder hinausgegangen sein. Das Weitere ist bis auf die unten im Stahlschrank mit eingeschlossene Dschungelviper leicht zu verstehen: Kammler wird müde, schläft ein. Der Mörder nimmt ihm die Tresorschlüssel ab, stiehlt nur die Million, die noch im Geldspind liegenden 6000 Mark lässt er unberührt. Mit Kleinigkeiten befasst dieser Mann sich nicht. Dann zwängt er den noch immer bewusstlosen Häske unten in den Stahlschrank, legt die kleine Viper mit hinein, schließt ab, steckt Kammler die Schlüssel wieder zu und verlässt durch den Haupteingang das Haus – auch dies wieder mit einer frechen Kaltblütigkeit, die diesen Neunfingrigen zu einem Verbrecher besonderer Art stempelt. Dieser Mensch, dessen Fingerabdrücke ich sowohl auf dem Fensterbrett als auch auf dem gewachsten Fußboden unter dem Sofa fand, muss nebenbei aber auch eine Schlauheit und ein Selbstvertrauen besitzen, wie die englischen Zeitungen diese vor einem halben Jahr etwa dem Oberhaupt einer weit verzweigten Gaunergemeinschaft nachsagten, von dem man nur wusste, dass er sich mal irgendwo Cecil Warbatty genannt hatte, sonst nichts, gar nichts, und die Polizei heute noch vergeblich in allen Erdteilen sucht, wie Ihnen, lieber Bechert, bekannt sein dürfte.«

Der Kommissar schlug sich gegen die Stirn. »Natürlich, natürlich! Nein, dass mir dies nicht gleich einfiel. Der etwas sagenhafte Warbatty, der ja auch aus der Bank von London eine Riesensumme in Gold zu stehlen versuchte!«

»Nun gut!«, fuhr Harst fort, »dieser Cecil Warbatty wird jetzt hier eine Gastrolle gegeben haben. Orkney flüsterte seinen Namen wohl in der Absicht, uns auf dieses Verbrechergenie aufmerksam zu machen, denn nur ein erstklassiger Vertreter der internationalen Gaunerzunft konnte einen Plan wie diesen zur Beraubung des Geldschranks ausklügeln und auch durchführen, konnte nebenbei noch mit teuflischem Raffinement die Absicht verfolgen, mich, den er wohl als gefährlichen Gegner fürchtet, zu beseitigen! Die Dschungelviper sollte nicht nur den armen Häske vollends abtun, sondern auch mich beißen, wenn ich, durch den heute früh eingetroffenen Brief aufmerksam gemacht, meine Ermittlungen bis zur genauen Durchsuchung des unteren Tresorteils fortsetzte. Als ich heil davongekommen war, trat Orkney auf und wollte mich nicht weniger raffiniert für alle Zeit stumm machen. Nachher musste dieser Orkney dann auf Befehl Warbattys in einem von den Verbrechern entweder gemieteten oder ihnen vielleicht gar gehörigen Auto hier an meinem Haus langsam vorüberfahren, um zu spionieren. Es ist ihm schlecht bekommen. Warbatty ist vielleicht selbst der Chauffeur gewesen und hat sich durch den neuen Mord vor einem Verräter geschützt. So, das ist in großen Zügen der Hergang.«

 

*

 

Es war am Morgen des dritten Tages nach Harsts gefährlichem Abenteuer mit Warbattys Spießgesellen Edward Orkney. Wieder saßen wir am Frühstückstisch. Harst hatte sich in diesen letzten zwei Tagen wenig um mich gekümmert und zumeist in seiner Bibliothek gearbeitet. Er war längst wieder bei vollen Kräften. Was er arbeitete, was ihn so sehr fesselte, dass er selbst bei den Mahlzeiten ganz versonnen vor sich hinstarrte, wusste ich nicht. Nun erklärte er ganz unvermittelt: »Wir reisen noch heute Mittag nach England, lieber Schraut. Packe unsere Koffer. Du bist ja genügend vertraut mit meinen Reisebedürfnissen.«

Dann fasste er in die Brusttasche seiner Hausjoppe und reichte mir zwei quadratische Stücke Papier.

»Da, das hat man in Orkneys Brieftasche gefunden«, meinte er. »Du siehst, es sind Teile von Stadtplänen, Bleistiftskizzen in recht sauberer Ausführung. Aber nur Teile von Stadtplänen ohne Straßennamen. Daher habe ich auch vorgestern und gestern nichts anderes getan, als herauszusuchen, mich bemüht, welche Städte hier infrage kommen. Eine böse Arbeit war es! Diese Skizzen geben ja nur zwei sich kreuzende Straßen mit etwa sechs Häuserblöcken wieder. Aber Geduld führt zum Ziel. In der Mitte der einen Skizze ist ein sechseckiger Platz mit einer Kirche darauf sichtbar. Platz und Kirche verrieten mir die Stadt, die infrage kam. Aus der zweiten Skizze wieder sind noch zwei nicht benachbarte Straßenquadrate unbebaut, außerdem ist auch eine Meerküste und ein großer Park angedeutet. Auch dies genügte. Der erste Ort ist Kingston in England, der zweite Palermo auf Sizilien.«

Ich schaute mir die Skizzen genauer an. Mir fiel sofort auf, dass sogar in den Straßen die einzelnen Gebäude sehr sorgfältig eingezeichnet waren und auf jeder Skizze ein einzelnes Haus mit einem dicken Bleistiftkreuz besonders kenntlich gemacht worden war, weiter, dass von diesem angekreuzten Gebäude punktierte Linien zu anderen Straßen und Häusern hin liefen. Dass diese Skizzen eine nicht alltägliche Bedeutung haben dürften, war hiernach ganz klar. Welche Bedeutung aber, blieb mir ganz unklar!

»Wir reisen nach Kingston«, sagte Harst nun und steckte die Skizzen wieder zu sich. »Wir werden aber sehr vorsichtig sein müssen. Wir fahren erst nach Hamburg. Dort verschwinden wir in einer Verkleidung und setzen so die Reise fort. Mit Warbatty ist nicht zu spaßen. Ich möchte gern noch ein paar Jahre leben. Du doch auch, Schraut. Also seien wir vorsichtig und wachsam! Warbatty könnte noch ähnliche Mordwerkzeuge wie Dschungelvipern und Spazierstöcke besitzen.«