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»Kunst bedeutet Kreativität« – Im Gespräch mit Markus Keimel

»Kunst bedeutet Kreativität«

Der österreichische Autor und Musiker, Markus Keimel, war schon des Öfteren zu Gast im Geisterspiegel. Die Anlässe waren und sind vielfältig; Texte wie Gespräche immer eloquent, informativ, persönlich und aufschlussreich.

Vor etwa einem halben Jahr ist das dritte Buch von Markus Keimel erschienen (Sonne, Blut und Wellengang). Zeit, um mit Markus Keimel erneut den Diskurs zu suchen, in dem er u.a. gesellschaftliche und soziologische Entwicklungen reflektiert, sich zu Bildung und Kunst äußert und dabei auch brisante Themen nicht scheut.

Das Interview wurde per Mail geführt.

Stefan Bellack: Hallo Markus, Dein drittes Buch, Sonne, Blut und Wellengang ist am 31. Mai 2019 erschienen.
Nach Wörter haben Seele und Eine Art Mosaiksprache gingen Deine ursprünglichen Pläne wohl Richtung Roman und damit dem Schreiben eines längeren Prosatextes.
Nun ist es doch erneut eine Publikation kurzer und kürzester Texte geworden.
Wie kam es zu dieser Planänderung?

Markus Keimel: Eigentlich war es so, dass mir Anfang des Jahres sehr viele Texte, Gedanken und Inhalte im Kopf herumgeschwebt sind, die im Roman keinen Platz haben, die ich auch anderwärtig nicht verwenden konnte. Kurze prägnante Botschaften. Ich befand sie für zu wertvoll, um sie sozusagen in einer Schublade verschwinden zu lassen. Dann kam so ein plötzlicher und zusätzlicher Ansturm von Gedanken und ich hab`s fast übersehen, waren da an die fünfzig, sechzig Texte. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich eigentlich, dass ich mir die Arbeit zumute, um eine Veröffentlichung zu wagen. Solche Dinge passieren im Leben eines Künstlers. Unvorhersehbarkeit ist ein Dünger für kreative Menschen. Derartige Planänderungen sind also Teil meines Seins. Nicht, weil ich wankelmütig oder nicht zuverlässig bin, sondern weil ich vielseitig begabt bin und an vielen verschiedenen Projekten zugleich arbeite. Ich nehme mir auch bewusst die Freiheit, um der stärksten Intention und Eingabe nachzugeben, an ihr zu arbeiten und lasse dann oft die anderen Projekte für eine Weile liegen. So also kann das passieren.

Stefan Bellack: Der Buchtitel suggeriert dem unbedarften Leser, der Dich und Deine bisherigen Werke nicht kennt, es hier möglicherweise mit einem Beitrag zum populären Krimi Genre zu tun zu haben.
Wofür stehen aber bei Dir die drei titelgebenden Worte?

Markus Keimel: Also, der Titel ist nichts anderes als eine metaphorische Zusammenfassung des Inhalts. Ganz einfach eine Zusammenfassung all der Themen, mit denen ich mich in diesem Buch befasse. Die Sonne betrachte ich als lebensschenkendes und lebensnotwendiges Element, etwas nicht Greifbares. Das Blut ist so etwas wie unser Lebensfluss. Etwas definitiv Greifbares. Ein Zeichen der Verwundbarkeit. Und der Wellengang steht für Bewegung. Im Buch geht es um den Menschen, den ich wieder versucht habe in seine geistlichen, emotionalen und physischen Einzelteile zu zerlegen und zu spiegeln. Erst kürzlich habe ich mit einem Musikerkollegen über meine Bücher gesprochen und angemerkt, dass ich es fast bereue, sie nicht als »Wörter haben Seele 1-3 – und fortlaufend« benannt zu haben. Das wäre zumindest ein einfacher und stimmiger Weg gewesen. Aber so hat jedes der Bücher ein eigenes Gesicht und das finde ich auch ganz schön.

Stefan Bellack: In Deinem aktuellen Buch kritisierst Du vehement und mit aller Schärfe den Umgang der Menschen mit- und untereinander. Den zunehmenden Egoismus, die mangelnde Empathie, die sich immer weiter ausbreitende Kälte und Entfremdung voneinander.
Was sind für Dich die Ursachen dieser zunehmend negativen Entwicklung im zwischenmenschlichen Bereich?

Markus Keimel: Es sei mir erlaubt auszuholen. Da greifen nämlich viele Komponenten ineinander. Die Verrohung, der Verlust gesellschaftlicher Werte, dem Ideal einer Werteordnung, wenn man das so nennen kann, ist kein Prozess, der von heute auf morgen passiert. Um diese wenigen gesellschaftlich gefestigten und zugleich gesunden Werte, die so viel Zeit und Leid in Anspruch genommen haben, um sie zu festigen, um sie wieder zu verlieren, dazu benötigt es schon mehr als bloß ein paar kurzfristige Phänomene. All das passiert über einen längeren Zeitraum und hat damit begonnen, dass im gesamten Erziehungswesen – also jeder prägnante Teil des Einflusses auf heranwachsende Menschen – immer mehr darauf ausgelegt wurde, dem Individuum Grenzen zu nehmen. Im Alltag. Im Generellen. Wenn du selbst, nicht nur in entscheidenden, sondern in allen Belangen wichtiger bist als dein Nächster, dann nimmst du keine Rücksicht mehr auf deine Mitmenschen. Wenn keiner in so essentiell sozialen Verhaltensmustern geschult wird, wie sich in einer Warteschlange hinten anzustellen und so lange geduldig die Fresse zu halten, bis er an der Kasse an die Reihe kommt, dann kommt es zwangsläufig zu Verhaltensauffälligkeiten, die in keiner Gesellschaftsform willkommen sein dürfen. Das ist nur ein banales Beispiel. Wir leben in einer Wirtschaftsdiktatur, einem Endzeitalter des Kapitalismus. Das ist ein Fakt. Der Lebensinhalt der meisten westlichen Menschen besteht im Konsum. Jeder will haben. Jeder muss haben. Es ist doch kein Geheimnis, dass unsere Welt von Geld regiert wird. Deshalb haben jene am meisten Einfluss, die am meisten Geld haben. Und damit schließt sich ein erster Kreis. Den Menschen wird von Kindesalter an eine Wertevorstellung vermittelt, die besagt, dass du als Mensch an Wertigkeit gewinnst, wenn sich dein materialistisches Vermögen vermehrt. Ein Wettkampf, an dem sich die Menschen messen. Jeder glaubt das. Jeder lebt das. Die, um Machterhalt interessierte Parteipolitik, gibt das vor, was die Wirtschaftsdiktatoren ihr vorschreiben. Auch die Medien richten sich nach diesem Muster. Der Pädagoge am Ende ist ja nichts anderes als ein Mensch, der einen ihm vorgelegten Inhalt vermittelt. Ist dieser Lehrer, diese Lehrerin automatisch frei von diesem Irrsinn? Nein. Ein Parteisoldat ohne Uniform. Kein bewusster, selbstverständlich. Ich habe Lehrer kennengelernt, hatte selbst unzählige, die den geistigen Reifegrad einer zerbombten Bahnhofstoilette aufweisen. Schule kann das nicht ausmerzen, weil es dort an Substanz fehlt. Das Internet hat dem Stumpfsinn des Stammtisches eine globale Bühne gegeben. Das ist so ein weiterer Fakt, ein weiteres Phänomen, dass die Verrohung von Generationen vorantreibt. Es war de facto nie nicht möglich, derart viel Schwachsinn zu konsumieren. Es gibt kein Kinderfernsehen mehr. Es gibt kein Heile-Welt-Fernsehen mehr. Es gibt nichts mehr Liebliches. Nichts Herzliches. Herzlichkeit ist zu einer Schwäche degradiert worden. Kinder konsumieren Scheiße und Gewalt und werden durch Social-Media zu Egomanen erzogen. Dein soziales Ansehen hängt unweigerlich von der Anzahl deiner Follower ab. Das erleben junge Menschen dieser Tage. Abseits all dieser Grenzenverschiebung hat selbstverständlich auch die Einwanderungspolitik in Europa etwas mit der Zunahme von Gewalt zu tun. Wenn man glaubt, dass es keinen Einfluss auf das Leben im Generellen hat, Millionen von Menschen, übermäßig junge Männer – ohne Perspektive, ohne Bildung, mit einem steinzeitlichen Weltbild – ins Land zu lassen, dann ist man seinen Sinnen nicht mehr Herr. Diesbezüglich sind auch weitere Phänomene zu beobachten, die mich nur schaudernd zusehen lassen. Aber das sprengt den Rahmen.

Stefan Bellack: Siehst Du trotz aller Kritik und negativer Tendenzen noch Hoffnung für die Menschheit?

Markus Keimel: Nein. Unser System richtet sich nach Quantität. Und dieses System ist zu stark, um aufgebrochen zu werden. Eine Revolution der Mehrheit würde auch kein Heil bringen. Nur das Gegenteil. Irgendwann geht es der Mehrheit schlecht und dann wird es zu einem Chaos ausbrechen.

Stefan Bellack: Wie bereits einleitend erwähnt, sind nunmehr einige Monate seit der Veröffentlichung von Sonne, Blut und Wellengang vergangen. Zeit für eine kurze Bilanz. Wie sind die Reaktionen auf Deines Buch bis dato ausgefallen?

Markus Keimel: Ich habe tolle Kritiken bekommen. Von Zeitungen, Magazinen und von Lesern. Was mich sehr freut ist, dass ich in einigen Fachzeitschriften zitiert wurde. Persönliche Rückmeldungen von Lesern sind meist sehr herzlich und emotional. Ich schätze das auch sehr. 

Stefan Bellack: Warum sollte man Dein Buch – wie auch die vorangegangenen – unbedingt lesen?

Markus Keimel: Vermutlich besitze ich die Fähigkeit, komplexe Dinge verständlich und liebevoll zu vermitteln. Es kann gut sein, dass ich jemanden dazu bringe, den Verstand, das Herz, die Seele, als gemeinsames Gut mit sich zu führen. Wenn man daran interessiert ist, neue Sichtweisen kennenzulernen, ist man gut beraten, mich zu lesen.

Stefan Bellack: Ich bewundere immer wieder die Vielseitigkeit Deines Schaffens.
In der Musik Komponist, Texter, Sänger, Instrumentalist; in der Literatur Lyriker, Poet, Philosoph, Schriftsteller und auch in der grafischen Gestaltung Deiner Texte bist Du bewandert.
Welche Ausbildung hast Du genossen oder bist Du überwiegend Autodidakt?

Markus Keimel: All diese Dinge kann man nicht auf herkömmliche Art erlernen. Nirgends. Auch wenn es theoretisch möglich ist. Ich habe ausgebildete Pianisten kennengelernt, die nichts mit einem Klavier anzufangen wissen, wenn du ihnen die Notenblätter wegnimmst.

Für mich ist das kein Musiker. Er hat nichts verstanden. Kunst bedeutet Kreativität. Und Kreativität bedeutet Selbstverwirklichung. Und eine gelungene Selbstverwirklichung bedeutet besondere Fähigkeiten. Ein Talent zu haben ist nichts außernatürliches, aber es zu schleifen, es zu formen, es zu etwas eigenständigem zu machen, das ist ein langer, harter und persönlicher Weg, der viel mit Arbeit und Selbstfindung zu tun hat. Das hat auch etwas mit Persönlichkeit zu tun. Es wird mir schlecht, wenn Leute heutzutage all diese inspirationslosen Anti-Kunstwerke als genial bezeichnen. Genial war Mozart. Aber kein Unterhaltungsclown unserer Zeit, dem es eine Aufgabe ist, drei Töne in ein Mikrophon zu rülpsen.

Es war für mich immer sehr mühsam, mit bescheidenen Mitteln arbeiten zu müssen. Am Ende war es aber genau das, was mich weiterbrachte. Ich kann dir Musik und Komposition viel nachhaltiger anhand eines Holzstücks und vier Schnüren beibringen, als das mit einem viertausend Euro teuren Cello der Fall wäre.

Stefan Bellack: Welches sind für Dich persönlich die wichtigsten Meilensteine in Deiner Vita?

Markus Keimel: Mir hat einmal ein Mädchen aus Hamburg geschrieben, wie sehr ihr mein Buch über den Todesfall in ihrer Familie verholfen hat. Vor Jahren hat mir ein Mädchen nach einem Konzert erzählt, dass sie durch die Vibration meiner Stimme nah am Höhepunkt war, sich deshalb an einer bestimmten Position vor den Lautsprechern positionierte. Das sind meine Meilensteine. Dinge, an denen Zahlen verblassen.

Stefan Bellack: Wirst Du Dein Romanprojekt weiterverfolgen? Kannst Du hierzu schon irgendwelche konkreten Aussagen treffen? Thema? Genre?

Markus Keimel: Was für eine Frage, Stefan. Natürlich wird der Roman kommen. Bei mir dauerts bloß. Es wird die Mischung aus Komödie und Drama. Ich bin sehr weit im Schreibprozess. Es geht um einen Anfang dreißigjährigen Mann, der es wagt, seinem Leben einen Sinn zu geben. Der es wagt, diesen Sinn zu finden. Dabei verlässt er seinen Alltag und begibt sich kurzzeitig auf Reisen. Ein Vorhaben mit Tücken. Sehr hart und roh geschrieben. Dabei lässt er kein Fettnäpfchen aus und erlebt und belebt so manches Tabuthema. Leicht zu lesen und ein beständiges Wippen zwischen Leichtigkeit und Tiefgang.

Stefan Bellack: In Deinem seit einem Jahr erscheinenden Blog keimelimmonat.blogspot.com widmest Du Dich gesellschaftspolitischen und kulturphilosophischen Themen.
Wir leben in einer „Welt der Gegensätze“ wie Du einmal ausgeführt hast. Wie ist Deine persönliche Meinung zu Gegensätzen wie beispielsweise Genügsamkeit kontra Konsumrausch?

Markus Keimel: Ich kann es nicht nachvollziehen, warum man permanent erneuern muss.

Ich kann nicht verstehen, warum etwas mit Abziehen der unsinnigen Plastikverpackung auf einmal an Wert verliert. Ich halte etwas von Qualität und Beständigkeit. Ich halte etwas davon, wenn man versucht, etwas zu behalten, anstatt es wegzuwerfen. Etwas, das man wegwirft, hat de facto keinen persönlichen Nutzen oder Wert. Warum erwirbt man es dann?

Ich bin ein unglaublich genügsamer Mensch. Ich brauche all die Sachen nicht, die andere brauchen. Ich hab gar kein TV-Gerät zum Beispiel. Ich kaufe gerne „gebrauchte“ Dinge. Ich bekomme was ich will, derjenige der dieses Ding nicht mehr benötigt, bekommt noch ein bisschen Kohle dafür und wir halten es damit von der Müllhalde fern. Zudem entstehen dadurch sogar noch Arbeitsplätze. So etwas gefällt mir. Konsumstörungen habe ich eher beim Essen und Trinken. Obwohl ich da mittlerweile auch sehr diszipliniert agiere. Grundsätzlich macht eine Pizza erst Sinn, wenn sie doppelt erscheint und ein Bier muss aus`m Kasten kommen.

Stefan Bellack: In den letzten Jahren zeigst Du, nach meinem subjektiven Empfinden, in der Öffentlichkeit mehr Präsenz in Form Deines literarischen Schaffens als durch Dein musikalisches.
Gibt es in Deinem ursprünglichen Metier, der Musik, ebenfalls neuen kreativen Output zu vermelden bzw. befindet sich ein solcher in Planung?

Markus Keimel: Ich arbeite hart daran. Beim Alternativ-Rock Projekt bin ich nur noch dabei, die Texte fertig zu schreiben, dann steht die Tür zum Studio offen. Des Weiteren arbeite ich an Filmmusik, was keiner so wirklich mitbekommt. Ich bin ein Perfektionist und möchte etwas veröffentlichen, von dem ich hundertprozentig überzeugt bin. Das war in meiner musikalischen Historie nämlich nur selten der Fall.

Stefan Bellack: Magst Du zum Abschluss noch ein paar persönliche Worte an Deine Leser richten?

Markus Keimel: Befreit euren Geist, dann wiegt die Kette am Herzen nicht mehr so viel!

Stefan Bellack: Vielen Dank, Markus, für dieses umfangreiche Interview, Deine Zeit und Deine sehr persönlichen Antworten!

Markus Keimel: Ich danke dir, lieber Stefan. Für die tollen Fragen und das offene Ohr. Schließlich hab ich ganz schön ausholen müssen.