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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 36

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Sechsunddreißigstes Kapitel

Morgan spielt den Philanthropen, verleiht dem, welchem er einen Dolch beschert hatte, ein prachtvolles Leichenbegängnis. Seine Werbung macht guten Fortgang; aber er steht plötzlich davon ab, gibt sie ganz auf und verlässt die Stadt Panama.

Am nächsten Morgen war die ganze Armee in Aufruhr. Mehrere Personen beeilten sich, die Ersten zu sein, um Francois’ Verschwörung zur Anzeige zu bringen, denn die Konspiranten fürchteten sich voreinander, weil jeder seinen Nachbarn im Verdacht des Mordes hatte. Die Leiche war teilweise entkleidet und geplündert aufgefunden worden. Es herrschte daher ein allgemeines Gefühl des Entsetzens.

Morgan versammelte seine ganze Armee, ließ sie in einem hohlen Viereck antreten und hielt eine Rede. Nie war er wohlwollender erschienen. Er begnadigte nicht nur alle Verschwörer, sondern er sah auch die Gelegenheit, seinen Zuhörern über die verbrecherische Torheit einer unzufriedenen Gesinnung den Text zu lesen. Den Tod des Kapitäns Francois bezeichnete er als ein Beispiel, dass unter Leuten, welche sich gegen eine gesetzliche Autorität empörten, kein Bund der Eintracht bestehen könne. Dann ging er in Lobeserhebungen über die Verdienste des Toten über, nannte ihn seinen lieben Freund und wünschte nur den eigentlichen Mörder zu kennen, um ihn mit der größten Strenge bestrafen zu können. Er empfahl ihnen, Gerechtigkeit, Erbarmen und brüderliche Liebe zu üben, und schloss mit dem Befehl, für den Kapitän ein prachtvolles Leichenbegängnis zu veranstalten.

Mit schmerzendem Kopf und blinzelnden Augen hörte der ehrliche Kapitän Wills diese Rede mit an und konnte kaum dem Zeugnis seiner eigenen Sinne glauben. Soviel wurde ihm übrigens allmählich zur Überzeugung, dass er seine Juwelen wohl nie wieder zu Gesicht bekommen werde. Auch blieb die Bestätigung dieser Annahme nicht lange aus, denn als er ein- oder zweimal versuchte, den General an ihr Gelage und an die begleitenden Umstände zu erinnern, tat dieser ganz unschuldig und nahm es stets für ausgemacht an, dass ein Offizier, welcher seine Pflicht kenne und sie so gewissenhaft erfülle, wie Kapitän Wills, unmöglich habe seinen Posten verlassen können. Der Kapitän zog nun daraus mit Recht die Folgerung, dass es Morgan gefiel, die ganze Sache der Vergessenheit anheimzugeben – Diamanten und alles.

So oft der ehrliche Wills später auf Morgan zu sprechen kam, bezeichnete er ihn stets einen vollendeten Helden und als einen Ausbund-Bukanier, zugleich aber auch als den allerfeinsten Spitzbuben, der sich nur finden lasse.

Nachdem Frieden und Vertrauen in der Armee wiederhergestellt waren, ohne dass eine Züchtigung hatte stattfinden müssen, traf Morgan schleunige Maßregeln, um der Wiederholung einer ähnlichen Meuterei vorzubeugen. Er war nun mit einem Mal wieder ganz Tatkraft und Leutseligkeit. Die von Kapitän François gesammelten Vorräte ließ er zu den Landteilen der Stadt verfrachten und dort unter seine Soldaten verteilen. Er beabsichtigte anfangs, jedes Schiff im Hafen versenken zu lassen. Die spanischen Eigentümer legten jedoch Fürbitte ein. Nachdem er denselben ein möglichst großes Lösegeld abgepresst hatte, begnügte er sich mit der Abtakelung derselben, indem er zugleich ihre Vorräte der Bewachung seiner Soldaten übergab.

Das Land war endlich von Maultieren und Lasteseln ganz rein gefegt und dennoch reichte ihre Zahl lange nicht zu, um den unermesslichen Raub zur Küste des atlantischen Meeres zu bringen. Unser Held ließ nun das Gerücht im Umlauf setzen, dass es ihm unter keinen Umständen einfallen werde, wegen verborgener Schätze eine persönliche Durchsuchung vornehmen zu lassen.

Der Köder wurde mit Begierde aufgenommen. Fast jeder belud sich nun mit Geld und kostbaren Metallen, wohlgemut unter einer Last sich weiterschleppend, zu deren Fortschaffung kein Befehl zureichend gewesen wäre, trotzdem, dass die sengende Sonne auch die leichteste Bürde fast unerträglich machte.

Aber selbst diese listige Maßregel reichte nicht zu, die mangelnden Transportmittel zu ersetzen. Es wurde daher Befehl erlassen, die ganze Beute, mit Ausnahme der Juwelen und der kostbaren Metalle, zu zerstören. Seltene Gefäße, reiche Seidenstoffe und die ausgesuchtesten Stickereien wurde schonungslos den Flammen überantwortet. Die silbernen Flacons, die goldenen Kelche und die silbernen und goldenen Verzierungen der Kirchen und Paläste wurden zusammengehämmert, damit sie einen möglichst kleinen Raum einnähmen, in Ballen gebracht und den Rücken der Maultiere aufgeladen. So ging nun eine ungeheure Menge wertvollen Eigentums mutwilligerweise zu Grunde, denn in zahllosen Fällen hatte die schöne Arbeit den Wert des zusammengeschlagenen Materials mehr als verfünffacht.

Aber während der Oberbefehlshaber diese Vorsichtsmaßregeln traf, um sich seine Schätze und den Rückzug zu sichern, lief im Hauptquartier die sehr beunruhigende Nachricht ein, Don Juan Perez de Guzman habe endlich doch einigen Mut gezeigt und mit seinen ausgehobenen Truppen die Stadt Cruz genommen, wo er nun verschanzt liege und fest entschlossen sei, das ganze Heer der Bukanier abzuschneiden und so mit einem Mal die Gefangenen, die Reichtümer und seinen verlorenen Ruhm wieder zu gewinnen.

Weniger ließ sich nicht, wohl aber viel mehr von dem würdigen Präsidenten Panamas erwarten. Sein Wert bestand jedoch nicht im Schwingen des Schwertes, noch viel weniger im Einhalten seiner Zusagen. Man erinnert sich, dass er Morgan einen Ring und eine Großsprecherei überbringen ließ, in deren Beantwortung sich unser Held selbst nach Panama einlud, um dem Präsidenten in Person seine Hochachtung zu bezeugen. Don Perez hatte den ihn betreffenden Teil des Vertrages nur kläglich erfüllen können. Indessen war einmal das Gerücht im Umlauf, er sei wieder da und werde höchst wahrscheinlich die Moral zu des ehrlichen Kapitän Wills’ Fabel von der Ratte betätigen, welcher, nachdem sie zu fett geworden war, der Hals im Kornspeicher umgedreht wurde.

Nachdem die besagte Kunde eingelaufen war, wurde der Rear Admiral Collier mit der vollen Hälfte der Armee, zweihundert Mann, nach Cruz abgeschickt, um den Weg zu säubern und, im Falle er wirkliche Hindernisse träfe, nach Chagre vorzurücken. Indessen kehrte er bald wieder mit der Nachricht zurück, dass er nirgends von einem Feind etwas gesehen oder gehört habe. Die gemachten Gefangenen sagten aus, der Präsident habe allerdings eine Armee auf die Beine bringen wollen und von Carthagena und anderen spanischen Städten Beistand verlangt, aber es sei keiner Seele eingefallen, sich zu rühren. Diese Leute fügten bei, die Bukanier würden nach der Niederlage der berühmten spanischen Kavallerie von Panama so sehr von den Spaniern gefürchtet, dass sogar ihre Landsleute gegenseitig voreinander flöhen, wenn sie sich an fremden Plätzen begegneten, weil sie fürchteten, die eigenen Leute könnten Engländer sein. In der Tat war in jener Periode die Bestürzung so allgemein, dass Morgan mit den wenigen Truppen, welche ihm zu Gebot standen, leicht das ganze spanische Amerika hätte erobern können.

So hatte sich also der Lärm als grundlos erwiesen. Da sich jedoch alles in Marschordnung befand, ferner die verschiedenen Stellungen der Armeehaufen, des Gepäcks und des Beutetransports bezeichnet waren, so befahl Morgan, einen Tag auf genaue Untersuchung der Waffen zu verwenden. Auch sollte sich jeder Soldat mit der nötigen Munition versehen. Ein weiterer Tag sollte der Ruhe geweiht sein und am dritten mit Sonnenaufgang der Aufbruch stattfinden.

Die halbe Stadt war noch mit Gefangenen angefüllt, an welche nun die schreckliche Erklärung erging, dass sie nur noch zwei Tage Zeit hätten, um ihr Lösegeld beizubringen. Von diesem Befehl sollte keine Ausnahme stattfinden. Auf jeden Mann, jedes Weib und jedes Kind war ein Preis gesetzt worden, welcher ihrem erkannten oder angeblichen Rang entsprach.

Dass Morgan bei dieser Maßregel höchst unparteiisch zu Werke ging, war aus der Tatsache zu entnehmen, dass keine von den Damen, welche zu dem so betitelten Nonnenkloster des Generals gehörten, ausgenommen blieb, und dass der Preis, welcher auf die Senoretta Lynia Guzman gesetzt war – auf die einzige Tochter der Frau also, in welche Morgan zum Sterben verliebt sein wollte – die ungeheure Summe von fünfundzwanzigtausend Piastern betrug.

Diese Ankündigung traf die unglücklichen Spanier wie ein Todesurteil. Sie schrieben an Väter, Brüder, Gatten und Frauen in der rührendsten Sprache um schleunige Befreiung flehend. Man hatte ihnen nämlich mitgeteilt, wenn sie nicht ausgelöst würden, so sollten sie als Sklaven fortgeführt und in den englischen, französischen und holländischen Pflanzungen verkauft werden.

Die Mönche spielten in dieser Sache die Mittelspersonen und mussten bis nach Carthagena, Maracaibo, Portobello und den übrigen Städten des spanischen Festlandes reisen, um die flüchtig gewordenen Panamesen aufzusuchen. Da die Zeit nicht zugereicht haben würde, um die verschiedenen Auslösungssummen vor dem Aufbruch der Armee nach Panama zu bringen, so erteilte Morgan den Befehl, die Sendlinge sollten zu ihm nach Cruz kommen, welches halbwegs zwischen Panama und Chagre lag – zu der Stelle also, wo sich die Kanus und die leichten Fahrzeuge auf dem Fluss desselben Namens befanden, um die Truppen und die Schätze zur Seeküste zu schaffen.

An dem nämlichen Tag, an welchem die Proklamation in Betreff des Lösegeldes erlassen wurde, ließ unser Held mit jener Doppelzüngigkeit, welche ihm statt der Weisheit diente, Lynia aus ihrem Kerker befreien und wieder zu ihrer früheren prächtigen Wohnstätte bringen. Er fand Zeit, sie zu besuchen, und machte sich ein großes Verdienst aus dieser Nachsicht, indem er beteuerte, dass sie ihm nur durch große eigene Gefährdung möglich geworden sei.

Die Donna war nun in ihrem Äußeren furchtbar heruntergekommen, aber ihr großer Geist hatte sie nicht verlassen und mit Ausnahme der körperlichen Schwäche befand sie sich noch immer in guter Gesundheit.

Sie war Morgan gegenüber sehr dankbar, weil sie glaubte, er habe stets als ihr Fürsprecher und Freund gehandelt. Obwohl sie sein rohes Benehmen noch immer empfindlich nahm, lag doch in ihrem Wesen eine Weichheit und ein Vertrauen, welche Morgans schlimmste Wünsche und beste Hoffnungen neu belebten. Der Heuchler versprach, allem seinem Einfluss aufzubieten, um das ihr auferlegte Lösegeld herabzusetzen, und ging sogar so weit, die traurige Notwendigkeit zu beklagen, welche sie zwinge, mit der Armee nach Cruz zu reisen.

Abends besuchte er sie wieder. Sie schien sich über seine Gesellschaft zu freuen. Morgan wiederholte nun alle seine Gelübde und bot den gewinnendsten Schmeichelreden auf. In ihrer Entrüstung zeigte sich kein Ungestüm mehr, wie denn auch seine Annäherungen nicht länger ihren Zorn hervorriefen. Ihre Tugend war zwar noch so fest als je, aber ihre Zärtlichkeit erwachte und ihre Sinne waren, wenn auch nicht gefangen, so doch unterjocht. Mehr als einmal redete sie ihn mit dem gefährlichen Beiwort Freund an.

»Wir müssen uns bald trennen, Lynia. Wenn ich dann fern sein werde, wollt Ihr Euch nicht bisweilen des Gefährten Eurer Jugend, Eures jungen Schülers und Eures ersten Liebhabers erinnern? Gedenkt meiner mit Nachsicht – schenkt nur der Hälfte des Bösen, das Ihr von mir hört, Glauben, und vergebt mir die andere.«

»Morgan, mein Freund, vergeblich und sogar schlimmer als vergeblich – ja sündig muss mein Bedauern sein, aber ich bedaure, dass die Vorsehung uns nicht einen unschuldigen Pfad vorgezeichnet hat, auf dem wir beide miteinander durchs Leben gehen konnten.«

»Ich danke Euch aus dem Grunde meines Herzens für dieses Gefühl. O, meine Geliebte, auf dem Marsch und im Lager werde ich nur wenig Zeit und Gelegenheit haben, bei Euch zu sein. Seid daher weniger traurig – es wäre mir lieber, wenn ich Euch sogar heiter sehen könnte bei dieser unsrer Zusammenkunft, die vielleicht die letzte ist.«

»Mein Freund, kann ich heiter sein in der Gefangenschaft, umgeben von unbarmherzigen Menschen und vor allem in Unwissenheit über das Geschick meiner teuren, schönen, süßen Tochter? Wäre ich von ihrer Sicherheit überzeugt, so könnte es noch ein frohes Winkelchen geben in meinem Herzen und ein Lächeln wirklicher Freude auf meinem Gesicht.«

»Sagt Ihr so, unvergleichliche Lynia? Denn lasst immerhin Euer Herz erwärmen und die Freude auf Eurem Antlitze leuchten. Eure schöne Tochter ist sicher.«

»O, ihr Heiligen des Himmels, steht mir bei! Wisst Ihr dies aus eigener Überzeugung?«

»Ja, denn sie ist schon mehr als einen Monat in meinem Gewahrsam.«

»Einen Monat in Eurem Gewahrsam? Ich zittre … mir wird unwohl … ich sterbe!«

»Und weshalb Lynia?«

Nun erhob sich die schwache Frau. Aus den Augen der Mutter leuchtete der Blick einer Tigerin. Sie fasste den starken Mann vor ihr und rüttelte ihn – ja, sie rüttelte ihn wirklich, während sie entsetzt die Worte ausstieß: »Habt Ihr es gewagt, ein Ungeheuer zu sein?«

Mit ruhiger Würde machte sich Morgan aus ihren Händen los, verbeugte sich kalt gegen sie und erwiderte: »Eure Tochter soll Euch selbst sagen, welch ein Ungeheuer ich bin.« Dann entfernte er sich langsam.

Donna Guzman sank völlig kraftlos und vom peinlichen Gefühl der Ungewissheit fast erstickt auf ihren Sitz zurück. Alle Fähigkeiten ihres Geistes und alle ihre Sinne erlitten eine Spannung, welche sie fast in Wahnsinn hetzte. Die Tür ging auf. Ihre Tochter trat auf sie zu. Gesundheit und Freude strahlten aus ihrem Antlitz. War es aber auch das Licht der Unschuld? O Gott, welcher folternde Zweifel! Die Mutter war außer Stande, sich zu erheben, und hatte nur noch Kraft genug, ihre Arme auszubreiten. Mit der Schnelle des Blitzes stürzte das Mädchen an ihre Brust und für eine Weile ließ sich nichts als hysterisches Lachen und das Schluchzen der Liebe vernehmen.

Dann begann vonseiten der Donna ein ausführliches und peinliches Verhör. Aber wie triumphierend war nicht der mütterliche Entzückensausbruch, als sich ihre Zweifel allmählich in die volle Überzeugung von der Unschuld ihrer Tochter auflösten! Damals wurde ihr Herz vollkommen Morgans Eigentum. Seltsame Inkonsequenz der menschlichen Natur – sie gab ihm ihre Liebe freiwillig, weil er nicht die Liebe ihres Kindes gesucht hatte.

Nachdem Lynia der Einfalt ihrer Tochter alle Einzelheiten ihres ersten Zusammentreffens mit unserm Helden entlockt hatte, erfüllte sie eine lange begeisterte Verwunderung gegen die Hochherzigkeit seiner Nachsicht und die Zartheit seines Benehmens. Ihre Seele zerschmolz in einer Flut von Zärtlichkeit, als sie entdeckte, dass ihr Kind seine Sicherheit nur dem Umstand verdankte, dass es ihr Kind war. Wenn sie zugleich an die Zügellosigkeit dachte, die unter Männern von Morgans Klasse gewöhnlich war, so hätte sie niederfallen und vor dem anbeten mögen, was in Wirklichkeit nur ein sehr wertloses Ideal war.

Die Mutter und Tochter wurden am selben Tag nicht wieder getrennt. Auch versuchte es Morgan nicht, ihre Einsamkeit zu stören. Man kann sich leicht denken, dass beide den größeren Teil der Nacht in unverdienten Lobsprüchen über den Mann verbrachten, in dem sie ihren Wohltäter zu finden glaubten. Noch natürlicher wird es erscheinen, dass sie seines Namens in ihrer Morgenandacht nicht vergaßen.

Als Morgan am anderen Tag die Damen besuchte, fühlte sein Herz einige Rührung über die Szene des Glückes, das er geschaffen hatte. Er geriet in eine so gute Stimmung, dass er auf die Fürbitte der Mutter und Tochter den spanischen Gefangenen vor seinem Aufbruch noch vier Tage weiterer Frist gestattete, während welcher Zeit es vielen möglich wurde, ihr Lösegeld beizuschaffen.

Lynia und ihre Tochter befanden sich nicht unter diesen Glücklichen, aber dennoch waren sie beziehungsweise glücklich in ihrer gegenseitigen Gesellschaft. Morgan widmete sich ihnen nun fast ausschließlich, indem er jeden Augenblick, der nicht von seinen dienstlichen Obliegenheiten in Anspruch genommen war, bei ihnen zubrachte. Die Dankbarkeit der Donna gegen ihn war unbegrenzt. Sie gab sich nun nur wenig Mühe mehr, die Liebe vor ihm geheim zu halten, die sie vor sich selbst nicht länger verhehlen konnte. Morgan ersah seinen Vorteil und schwelgte schon im Vorgenuss eines endlichen Triumphes.

Liebesszenen passen nur wenig zu den stürmischen Handlungen, welche wir zu berichten haben. Am Vorabend der oft anberaumten und oft verschobenen Abreise von Panama verbrachte Morgan fast den ganzen Tag bei den Damen. Der Mönch, welcher das Lösegeld beibringen sollte, war noch immer nicht erschienen, und wenn es auch der Fall gewesen wäre, so ist es doch unwahrscheinlich, dass Morgan seiner Gefangenen, die Tatsache nun schon mitgeteilt haben würde. Lynia sah wohl ein, dass sie die Armee nach Cruz begleiten und dort die Rückkehr ihrer Boten erwarten musste.

In ihrer Arglosigkeit stellte sie sich vor, der General habe bereits seiner äußersten Gewalt aufgeboten. So fügte sie sich nicht nur geduldig in ihr Schicksal, sondern fühlte sich auch gegen Morgan zu innigem Dank verpflichtet. Sie begann sich vor dem Augenblick zu fürchten, den sie trennen sollte.

Die Tochter hatte sich entfernt, denn es galt, noch viele Vorbereitungen für den anberaumten Marsch zu treffen, Es war ein gefährlicher Augenblick. Morgan benahm sich ernst und achtungsvoll, aber doch zugleich sanft und leidenschaftlich. Die Dame gestattete ihm einige unschuldige Liebkosungen. Er wurde kühner. Es folgte ein abermaliger Kampf. Obwohl er beteuerte, dass es ihm nur um eine unbedeutende Freiheit zu tun sei, leistete sie doch Widerstand. Aber sie widerstrebte nicht länger mit zurückstoßender Verachtung und dem Trotz des Hasses – sie bat um Mitleid, um Gnade.

»Erlaubt mir, Euch nur einmal an mein Herz zu drücken – nur diese einzige unschuldige, väterliche Umarmung.«

Er beugte sich über sie, um sie in seine Arme zu schließen, aber während eines matten Rufes von ihrer Seite stieß er plötzlich einen Schrei des Schmerzes aus, sprang von ihr zurück, legte seine Hand auf die linke Brust. Das Blut träufelte durch seine Finger, während sich seine weiße Atlasweste scharlachrot färbte.

Morgan wurde leichenblass und zitterte. Nun zeigte Lynia ihre volle Zärtlichkeit. Sie setzte ihn an ihre Seite, riss seine Kleider auf und begann das Blut aufzufangen, das aus der Wunde hervorrann. Morgan lächelte bitter über diese Aufmerksamkeit und wollte nicht dulden, dass sie Beistand hinzurief.

Die Wunde war allerdings nicht tief, aber doch ziemlich weit. Nachdem die Blutung durch einen Verband, den sie um seine Brust schlang, gestillt war, wurde Morgan sehr niedergeschlagen und rief schaudernd: »Wahrhaftig sogar die Toten können zustoßen.«

»Was meint Ihr damit, mein Freund?«, fragte Lynia beschwichtigend. »Wie konntet Ihr auch diesen Dolch in seiner alten, schlecht passenden Scheide so sorglos tragen?«

»Still, Lynia«, versetzte Morgan feierlich, »und klagt niemand an. Es ist ein Werk des Schicksals. Der Arm des Toten hat mich aus dem Grab erreicht. In allen Stellungen des Körpers und im verzweifeltsten Todesringen ist die Scheide nie zuvor untreu gewesen. Es ist Schicksal in der Wunde. Lynia Glenlyn, Ihr seid Owen zu vielem Dank verpflichtet.«

»Ah, Owen ap Lywarch – der liebe, ehrliche, gute Junge! Erzählt mir von Owen und lassen wir diese unbedeutende Wunde, die bloß ein Kratzer für einen Krieger ist.«

»Nie will ich wieder einem sterbenden Mann oder Weib ein Versprechen leisten, denn dieses rieselnde Blut hat mir eine sichere Überzeugung gegeben. Von Owen ap Lywarch wisst Ihr wohl, dass er mit mir von Glenllyn geflohen ist?«

Er berichtete nun die Hauptereignisse aus dem Leben seines Freundes und erzählte, wie derselbe als der Eroberer von Chagre gestorben sei. Natürlich wurden seine letzten Bitten ebenso wenig, wie irgendetwas berührt, was nicht zu seiner oder des Erzählers Ehre gereichte.

Lynia hatte in Gemeinschaft mit den Spaniern, ihren adoptierten Landsleuten, von Bradleys fast wunderbaren Erfolg gehört und seinen Mut bewundert. Sie ließ seinem Andenken einige Tränen fließen und versuchte, das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu bringen. Aber Morgan war viel zu niedergeschlagen und trug sich mit Vorahnungen irgendeines schrecklichen Unglückes.

Trotz seiner Selbstzuversicht und seines Unglaubens in Betreff einer Macht, welche über die Handlungen der Menschen wacht, war er doch in gewissen Punkten gemein abergläubisch. Das anmaßende Wesen, welches die Gottheit leugnete, zitterte im Innersten seiner Seele über einem seltsamen oder schlimmen Zeichen.

Seine Vorurteile hatten ihm jedoch ein Verbrechen erspart. Im Verlauf des Gesprächs benahm er sich sehr kleinmütig und sprach nicht weiter von Liebe, dagegen aber desto eifriger von seiner Freundschaft gegen die Dame. Als er sich verabschiedete, bat ihn Lynia, wenn er sie wieder mit einen Besuch beehre, möchte er doch seinen Dolch zurücklassen. Der folgende Morgen führte ein reges Gewühl mit sich. Soldatenhaufen zerstreuten sich durch die Stadt, um die Festungswerke zu unterminieren, die Geschütze zu vernageln, die Lafetten zu verscharren oder die armen Panamesen, welche in Betreff des Lösegeldes wertlos waren, nach gesicherten Plätzen zu treiben.

Dann musste das Heer antreten. Die Vorhut bezog ihren Posten, und dann folgte die erste Abteilung. Zwischen diesen und der zweiten kamen die mit Schätzen beladenen Maulesel samt den männlichen und weiblichen Gefangenen. Eine Nachhut beschloss das Ganze.

Die Trompeten schmetterten, die Trommeln wirbelten, und Morgan befand sich, einen kriegerischen Zelter reitend, am linken Flügel seiner Armee einzeln auf einer kleinen Anhöhe. Er feuerte seine Pistole ab und rief: »Matsch!«

Auf diesen Kommandoruf wurden die Lauffeuer angezündet, und eine Explosion um die andere krachte lauter als der Donner durch die verlassenen Straßen, während sich das Getöse fallender Gebäude in das dröhnende Echo mischte. Weiße Rauchsäulen stiegen auf und schienen sich in wehmütiger Zärtlichkeit über der geopferten Stadt zu lagern. Die Stadt der Paläste war nun weiter nicht als eine Masse formloser Trümmer.

Aber noch kläglichere und ergreifendere Töne erschallten aus dem Zentrum der Armee – das Wehklagen der Weiber und die lauten Flüche der Männer. Für die armen Gefangenen war es ein Augenblick des herbsten Schmerzes und der Verzweiflung. Hinter ihnen lagen ihre zerstörten Häuser und die einst so stolzen Marmorgebäude, welche nun nichts mehr waren, als unscheinbare Schutthaufen, während sie eine Reise vor sich hatten, deren Ende sie nicht absahen – dem Erbarmen vor gesetzlosen und blutbefleckten Männern anheimgegeben.

Diese armen Unglückliche beliefen sich auf mehr als sechshundert Köpfe, Männer, Weiber und Kinder zusammengerechnet. Darunter befanden sich viele Mütter mit Säuglingen an der Brust – Frauen, die in der größten Üppigkeit erzogen worden waren und auf deren kleinsten Wink dienstfertige Sklaven zu eilen pflegten. Pferde und Maulesel waren zu wertvoll für die Fortschaffung der Beute, als dass man sogar den edelsten und zartesten Damen ein solches Beförderungsmittel hätte zugestehen können, weshalb auch die Schwägerin des Präsidenten mit ihrer Tochter sich zu Fuß weiterschleppen musste.

Als die Gefangenen den Gipfel eines Berges erreicht hatten und der letzte Anblick von Panama sich vor ihnen schloss, erhob sich ein einstimmiges Wehklagen, das noch lange anhielt. Während sie sich jedoch unter den sengenden Strahlen der Sonne vorwärts mühten, nahm ihr Leid eine verschiedene Ausdrucksweise an. Einige beharrten in einem finsteren Schweigen, andere stöhnten bei jedem Schritt, und wieder andere benetzten den Pfad buchstäblich mit ihren Tränen. Die Kinder an den milchlosen Brüsten ihrer erschöpften Mütter begannen zu schreien und zu stöhnen – mit einem Wort: Es war eine Szene des höchsten Elends.

Auf diesem Marsch erkannte mancher raue Freibeuter zum ersten Mal, dass er ein Herz hatte. Grimmige, bärtige Piraten nahmen, obwohl sie mit verborgenen Schätzen überladen waren, den ohnmächtigen Müttern ihre Säuglinge ab, mischten Mehl mit Wasser und versuchten so das Wimmern der Kinder mit diesem ärmlichen Milchsurrogat zu stillen. Für diese armen Wanderer gab es nur sehr wenig Hoffnung. Sie misstrauten ihren eigenen Landsleuten und viele derselben wussten, dass das ihnen auferlegte Lösegeld zu groß war, um beigeschafft werden zu können. Sie vergegenwärtigten sich bereits Jamaika nebst den anderen Sklaveninseln. Am Ende ihrer unheimlichen Fernsicht standen grausame Gebieter, Ketten und die Peitsche.