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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 34

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Vierunddreißigstes Kapitel

Morgans Saumseligkeit wird gerügt. Er bemäntelt und versucht Zeit zu gewinnen, verfolgt seine Liebeswerbung, welche fast mit einem Mord endet. Im Ganzen gelingt es ihm, sich maßlos elend zu machen.

Fünf Tage lang wähnte Morgan, dass seine Werbung, einen günstigen Fortgang nehme. Die Dame war zu allen Zeiten sorg fältig darauf bedacht, ihn ja nicht dadurch zu reizen, dass sie ihn durch eine Schaustellung ihrer Tugend außer sich brachte. Dennoch konnte ihr nie die Schuld beigelegt werden, als hätte sie ihm Grund zu hoffen gegeben. Allerdings hatte sie längst aufgehört, gegen ihren Gatten Liebe oder auch nur Hochachtung zu fühlen. Der Zahn der Zeit und die Fluktuationen von großem Gedeihen und einem drohenden Unglück, welche sich vom Leben eines Kaufmanns nicht trennen lassen, hatten seinen Leib ausgemergelt und seine Stimmung versauert. Er war furchtbar bigott und bewahrte in seinem Herzen einen ungereimten Hass gegen alles, was den Namen Englisch trug.

All dies war seiner Gattin sehr unangenehm, da sie fast dieselbe Abneigung gegen die spanische Nation hegte, die er gegen ihr Heimatland kundgab. Dazu kam noch von ihrer Seite eine tiefe Verachtung gegen die Spanier als Männer – ein Gefühl, dem Don Antonio Guzman den Engländern gegenüber nicht Raum zu geben wagte, obwohl sie seine Schiffe kaperten, seine Waren raubten und nun nicht nur sein Haus geplündert, sondern auch seine Felder verödet hatten.

Selbst in Betreff des Benehmens waltete zwischen den schlecht zusammenstimmenden Gatten eine ernste Meinungsverschiedenheit vor. Wenn sie dann in ihren Argumentationen und nicht sehr zarten Versuchen, sich gegenseitig zu anderen Ansichten zu bekehren, nicht recht zustande kommen konnten, pflegte sich Don Guzman auf die schreckliche Beihilfe dessen zu berufen, was er ihre Religion zu nennen beliebte, obwohl Donna Lynia dieselbe längst als Aberglauben zu betrachten begonnen hatte.

Ebenso wenig dürfen wir in diesen Rücksichten die physischen Eigenschaften beiseitesetzen: Zeit und Klima hatten ihrem Gatten schwer mitgespielt. Er war ausgemergelt, seine Züge waren scharf und die Knochen seines Gesichtes nur knapp mit einer gelben, dicht angespannten Haut überzogen. Bereits ging er gebückt und das wenige Haar, welches ihm geblieben war, war fast ganz weiß geworden. Er war ein alter Mann mit der ganzen lebhaften Reizbarkeit und Unruhe der Jugend. Zu allen diesen moralischen und körperlichen Mängeln kam auch noch, dass er sehr launisch und (wir brauchen nicht beizufügen höchst grundlos) eifersüchtig war.

Die zehn Jahre jüngere Lynia, welche einen wohlgeregelten Geist und eine der gesündesten englischen Konstitutionen besaß, war wunderbar gediehen und hatte mit ihrem zunehmenden Embonpoint an Schönheit gewonnen. Sie war ein eigentliches Wunder unter den hageren, gelben Spaniern. Ihre Reize, nun in der Fülle ihrer Vollkommenheit, hatten alle Köpfe verdreht und die Herzen der gesamten männlichen Bevölkerung zu Panama gewonnen, während die weibliche sie in demselben Grad bewunderte und beneidete.

Wir geben unseren Lesern mit unserem feierlichen Wort die Versicherung, dass wir uns in unserem Lob keine Übertreibung erlauben, um eine vollkommene Heldin zu schaffen, und berufen uns deshalb auf das ehrliche Zeugnis eines hart lebenden und hart fechtenden Bukaniers, welcher dieses Wunder sah und mit ihm sprach.1 Den ersten Eindruck, den sie auf ihn machte, schilderte er folgendermaßen:

»Elle estait alors fort negligée, émais une grande beauté, accompagnée de tous les charmes, la paroit naturellement; car, avec des cheveux du plus beau noir du monde, on lui voyoit une blancheur à éblouir, et un vermeil étonant, et ses yeux vifs, et son teint de mesme, brilloient encore parmi tout cela Elle avait aussi de la taille, de la gorge, et de l’embompoint, ce qu’il lui en falloit pour estre bien faite: etc., etc. Dann schließt er: En un mot, je n’ay jamais oû, ny dans les Jndes, ny dans l’Europe, une femme plus accomplié.«

Der vizekönigliche Hof des Präsidenten von Panama Don Perez Guzman, ihres Schwagers, zeichnete sich durch seine großartige Pracht aus, und die Bewunderung machte sie hier zur Königin, so gewissermaßen ihrer mehr als vortrefflichen Schönheit und geistigen Überlegenheit, welche so allgemein und freiwillig von allen Klassen anerkannt wurde, einen offiziellen Stempel verleihend.

Unter solchen Verhältnissen darf es nicht überraschen, wenn Lynia in den geheimen Winkeln ihres Herzens eine unausgesprochene Verachtung gegen ihren schwachen und im Beurteilen befangenen Gatten barg. Die Welt wusste freilich nichts davon. Sie wagte es nicht einmal, es sich selbst oder im Gebet ihrem Gott zu bekennen. Aber dennoch war dieses Gefühl vorhanden und nie stärker, als zu der Zeit, in welcher der Eroberer kam. Die Vergleichung wurde ihr aufgedungen – sie konnte dieselbe unmöglich von sich abhalten. In allen Dingen war Morgan das gerade Widerspiel von ihrem Gatten. Aber obwohl der majestätische Bukanier, welcher drei Jahre jünger war, als sie selbst, in der Blüte seiner Mannheit und Schönheit zu ihren Füßen lag, wankte sie sich doch nie in ihrer Tugend. Gleichwohl sündigte sie schwer, indem sie ihr Geschick beklagte.

Morgans Stunden, ja sogar seine Minuten waren sowohl für ihn als auch für die Sicherheit seiner ganzen Bande von hoher Wichtigkeit. Dennoch zögerte er – ein liebesiecher, demütiger Werber – drei Tage. Es war viel für ihn, sehr viel für einen Mann von seinem ungestümen Temperament, der sich von Feinden umgeben sah. In der Geschichte der Leidenschaft hätten sie für Jahre zählen können. Wie glatt, wie weit, wie sanft war damals dieser Mann des Blutes und der kühnen Tat. Mächtige Gehilfen standen ihm zur Seite. Er konnte seiner unbeugsamen Schönen  die herrlichsten Aussichten vor Augen führen – Herrschaft, Ruhm. Alles legte er ihr als Opfergabe zu Füßen. Er ging mit tiefer, einschmeichelnder Sophistik zu Werke. Die Pflichten der Religion, die Vorschriften der Moral schmolzen dahin vor der überredenden Wärme seiner harmonischen Worte.

Als Lynia fand, dass ihr Herz ganz ihm gehörte und dass sie ihn trotz seiner schuldbeladenen Seele liebte, erhob sie sich in aller ihrer Kraft. Nun erst wies sie ihn mit Verachtung zurück. Sobald sie ihre eigene Gefahr erkannte, hörte sie auf, zu temporisieren. Sie gebot ihm streng und bestimmt, alle Hoffnungen aufzugeben. So schieden sie am dritten Abend im Unwillen.

Dieser Unwillen – von ihrer Seite war er zu drei Teilen mit Liebe gemischt! Der blöde Freibeuter entdeckte dies nicht, und der Zorn schwoll furchtbar in seinem Inneren. Er warf seine Höflingstracht beiseite und kleidete sich wieder in die des Krieges.

Seine Umgebung zitterte. Er war zu wild, als dass man ihm nahe zu kommen wagte, zu gefährlich, um vernachlässigt werden zu können.

Aber Morgan ließ sich bald durch seinen Grimm zu weiteren Schritten bewegen und gab sich bis zur Gemeinheit herab. Er schickte seinen Sendboten John Peeke aus und ließ das Ohr der Dame mit beunruhigenden Märchen füllen. Der junge Mann musste ihr mitteilen, die Truppen seien gegen sie aufgebracht. Ihr Gefolge wurde nach und nach gemindert, bis ihr zuletzt nur noch eine einzige, hässliche alte Negerin blieb. Dann kürzte man ihr die Nahrungsmittel und versagte sie ihr zuletzt ganz und gar. Morgan war sehr im Irrtum, wenn er glaubte, in dieser Weise einen Geist besiegen zu können, der ebenso unbeugsam war, wie sein eigener.

Als er von seinem Sekretär vernahm, dass sie sich augenscheinlich im Schmerz verzehre, dass sie durch die Verfolgung kleinmütig geworden und infolge des langen Fastens ganz niedergeschlagen sei, machte er wieder seinen Besuch. Wäre Morgan einer Träne fähig gewesen, so hätte er weinen müssen, als er Zeuge der großen Veränderung war, welche eine Woche Elend und Fasten in ihrem Äußeren hervorgebracht hatte. Aber dennoch war sie noch immer ausnehmend schön.

Der Heuchler begann das Gespräch, indem er sich anstellte, als beklage er aus dem Grunde seines Herzens das Leid, das er ihr so unbarmherzig zugefügt hatte. Er beteuerte, in Betreff ihrer und der übrigen auf Lösegeld festgehaltenen Gefangenen sei ihm von den Offizieren seiner eigenen Armee alle Gewalt genommen worden. Er setze sogar nun seine persönliche Sicherheit durch diese Zusammenkunft in Gefahr.

Lynia glaubte ihn unbedingt. Ihre Augen glänzten in unterdrückter Liebe; aber ihn bewegte nichts, denn er fuhr fort, seinen Anschlag zu verfolgen. Er vertraute ihr sodann einen Plan, den er entworfen habe, um sie beide der Knechtschaft zu entreißen, welche, wie er trüglich behauptete, sie gefesselt halte. Das Gelingen desselben sei nicht anders einzuleiten, als dass sie gemeinschaftlich und allein als Liebende verschwänden. Aber obwohl sie keine Ahnung von dem Trug hatte, wies sie doch kalt die angeratene Flucht zurück und wollte lieber an Ort und Stelle sterben, als ihre Ehre der Gefahr aussetzen.

Morgan war erstaunt und über die Maßen aufgebracht, sodass er nur mit der größten Mühe seinen Zorn zu unterdrücken vermochte. Aber dennoch gewann er es über sich, weitere Verstellung zu üben. Er verlängerte seinen Besuch auf die Dauer von Stunden und es schien, als sei er nie aufrichtiger, leidenschaftlicher und ergebener gewesen. Er drang noch immer in sie, dass sie ihr Geschick für nun und immer an das seine kette, sprach mit ihr von seinen Schätzen, von seiner Macht. Wenn sie sich nach Pracht und Größe sehne, wolle er für sie eine halbe Welt erobern, denn in Vereinigung mit ihr sei ihm nichts unmöglich. Liebte sie eine schöne Einsamkeit, so wollte er für sie ein unentdecktes Paradies aufsuchen – irgendeine grüne, mit Blumen besäte Insel, so abgeschieden, dass keine Sorge dahin reichen konnte. Dort wollten sie zusammen leben in dem ganzen Hochgefühl der Unschuld. Sie sollte ihn Frömmigkeit lehren, ihn mit ihrem Gott versöhnen.

Aber alle seine Bemühungen waren vergeblich. Das letztere Bild würde ihr vielleicht eine unwiderstehliche Versuchung geboten haben, da ihr wohl der ödeste Platz ein Himmel gewesen wäre, hätte sie ihn mit ihm teilen können ohne Verbrechen. Aber dies wagte sie ihm nicht zu sagen, obwohl der Gedanke durch ihren Körper bebte und auf ihrer Zunge zitterte. Sie schauderte, schluchzte konvulsivisch und ihre zarten Hände stießen ihn von sich, während ihr Herz danach glühte, an dem seinen zu schlagen. Damals war es, als sie zum ersten Mal die Schrecken und die Kraft der Liebe in ihrer ganzen Allmacht kennen lernte.

Können wir sie um dieses ungestümen Gefühls willen verdammen? O nein, denn es barg die Erhabenheit der Tugend in sich. Wenn sie nicht geliebt hätte, wo wäre dann der überschwängliche Ruhm ihres Widerstandes? Wiederholt nahm Morgan zu jenem Übermaß menschlicher Rohheit seine Zuflucht – zur Gewalt. Aber er sah sich zu Achtung eingeschüchtert und verließ sie bis zur Bewunderung gedemütigt, aber dennoch nicht verzweifelnd. Er hatte noch andere Hebel im Hinterhalt, die er in Anwendung zu bringen gedachte.

Was Morgan von dem meuterischen Geist seiner Armee gesprochen hatte, war nicht ganz grundlos, denn der Unwille über seine Untätigkeit wurde täglich lauter. Die höheren Offiziere waren zwar noch immer achtungsvoll und gehorsam, aber der gemeine Mann lärmte offen und die französischen Truppen wurden maßlos ungestüm. Es verbreiteten sich Gerüchte, dass zu Carthagena ein großes Heer altspanischer Soldaten gelandet habe, dass zu Portobello große Aushebungen stattfänden und dass der ganze Landstrich zwischen den Bukaniern und ihrer Flotte zu Chagre sich in Masse zu erheben beabsichtige. All dies hatte seine Richtigkeit; aber sowohl die Gelandeten als auch diejenigen, welche zu den Waffen greifen wollten, waren Spanier!

Die wilderen von Morgans Leute beteuerten, er sei nicht länger ein Krieger, sondern ein Weib. Warum folgte er, wenn ihm die Frauensperson gefiel, nicht den guten alten Brauch der Küstenbrüder, die eben nicht ekel wären und es mit den Zeremonien nicht genau nähmen? Sie für ihre Personen können all diese Torheit nicht begreifen. Es sei keine große Entschädigung für die Gefahr der Zögerung, wenn man ihnen stets vorhalte, sie seien nun reguläre Soldaten und Seeleute, die in des Königs Auftrag handelten. Ihnen sage die schwarze Flagge ebenso gut zu, wie das Kreuz, sintemal Letzteres nur eine größere Sündenmenge decken müsse.

Den Morgen nach Morgans eben berichteter Zusammenkunft mit Lynia machte eine Deputation der Kapitäne, den Vizeadmiral Collier an ihrer Spitze, dem Oberbefehlshaber ihre Aufwartung und stellte ihm achtungsvoll die Stimmung der Soldaten, die ihm übrigens nicht unbekannt war, nebst der großen Gefahr einer länger verzögerten Abreise vor.

Unser Held empfing sie höflich und ohne ihren Rat übel zu nehmen, bedeutete ihnen aber, dass er einige sehr gute Gründe für eine kurze weitere Zögerung habe. Er drückte dabei die Hoffnung aus, dass sich der Präsident noch erwischen lasse, dessen Lösegeld ungeheuer sein würde. Die Deputation entfernte sich zufrieden. Die Truppen erhielten das Versprechen, dass sie in Bälde nach Jamaika zurückkehren sollten.

Denselben ganzen Vormittag beschäftigte sich der General emsig mit Vorbereitungen für den Aufbruch und für schleunigere Beitreibung des Lösegeldes, welches für seine viele Gefangenen entrichtet werden sollte. Gegen vier Uhr hielt er mit seinen Hauptoffizieren ein schwelgerisches Bankett, bei welchem er sich wieder seiner alten Gewohnheit des vielen Trinkens hingab. Er schien äußerst heiter zu sein, obwohl je zuweilen eine große Zerstreutheit nicht zu verkennen war. Das Gespräch drehte sich hauptsächlich um den Betrag der zu teilenden Beute. Allgemein sprach sich der Wunsch aus, dass der Rückzug unverweilt angetreten werden möchte.

Morgan hatte darauf Bedacht genommen, dass an denselben Tag Donna Guzman ein reichliches Mahl geschickt werde, aus den besten Speisen und den seltensten Weinen bestehend. Auch wurde Master Peeke beauftragt, mit ihr zu dinieren und dafür Sorge zu tragen, dass sie der Tafel gehörige Gerechtigkeit wiederfahren lasse, im Falle sie nach dem langen Fasten nicht geneigt sein sollte, sich derselben so recht zu erfreuen.

Wir leben in gar ekligen Zeiten, und es wäre heutzutage gefährlich, alle Handlungen eines Bukanier zu berichten. Die Geschichte des Tarquin und der Lucretia würde, wie subtil auch die Worte gesetzt wären, in einer modernen Novelle als sehr geschmacklos erfunden werden. Sei nun dies Affektation oder nicht, wir beugen uns der gebieterischen Anforderung des neueren Geschmacks und wollen

uns Mühe geben, nicht gegen die Begriffe von Zartgefühl, wie sie heutzutage üblich sind, zu verstoßen.

Morgan trat in Lynias Gemach, als die warmen Strahlen der untergehenden Sonne die Fenster erhellten. Er glühte vom vielen genossenen Wein. Auch die Dame war infolge des Mahles, das ihr nach langen Fasten so gutgetan hatte, ein wenig aufgeregt. Der General war eher lärmend als höflich in seiner Begrüßung und ergriff ohne Weiteres ihre beiden Hände, die er wonnetrunken an seine Lippen führte. Er beteuerte dann mit Ungestüm seine Liebe, und zwar in so unkluger Weise, dass ihre Empfindlichkeit, augenblicklich rege wurde. Es folgte nun einen sehr stürmische Szene. Morgan vergaß sich zum ersten Mal so weit, dass er sich Kränkungen erlaubte und zu drohen wagte. Dies rief die volle Gewalt von Lynias Entrüstung hervor. Sie ergoss in einem Strom von Beredsamkeit die Sprache einer Verachtung, die sie nicht fühlte, und eines Abscheus, der ihrer Seele fremd war.

»Ha, stolze, unverschämte Schönheit, ich werde Euch gefangen nach Jamaika führen.«

»Dennoch trotze ich Euch.«

»Nein, dieses Los wäre noch viel zu mild für Euch. Ich werde Euch zu einer Insel bringen, wo kein zivilisiertes Geschöpf ist, um Euch zu bemitleiden, kein Gesetz, um zwischen mich und meinen gerechten Zorn zu treten. Da sollt Ihr arbeiten als eine Sklavin unter Sklaven.«

»Tyrann, du bist nur mächtig über kleine Seelen. Sterben kann ich stets. O, ihr unmenschlichen Seeräuber, Foltern sollen mir nie etwas Feiles erpressen. Und was dich betrifft – o heiligste Maria, gib mir Sprache, um meine Verachtung auszudrücken.«

Und so ging es fort – beiderseitiges Rasen – während über Morgan Wut und Hass ganz die Oberherrschaft gewonnen hatte. Doch bald hörte der Wortstreit auf. Lautes Geschrei hallte durch die königlichen Gemächer. Der Hilferuf erreichte sogar die Ohren der Schildwachen, welche im Palast umher auf ihren Posten standen. Dann war plötzlich alles still. Die stolze Lady hatte bewiesen, dass sie zu sterben wagte. Die Dolchspitze war an ihren gekränkten Busen gesetzt, und der wilde Liebhaber kämpfte um das Leben des Opfers, welches er eben zu überwältigen gesucht hatte, gegen den selbst geführten Stoß zu schützen.2

Nach einem gewaltsamen Ringen kam er in den Besitz ihrer Waffe und stand nun regungslos, beschämt und gedemütigt vor ihr. Erhitzt, keuchend, aber doch mit völlig gesammeltem Geist sandte sie ihm entrüstete Blicke stolzer Verachtung zu. In diesem Augenblick schien ihre Schönheit übermenschlich zu sein. Der himmlische Ausdruck von Hoheit, der ihre Züge überflog, war in Wahrheit ehrfurchtgebietend. Nie zuvor hatte Morgan so sehr ihre Überlegenheit gefühlt, nie zuvor so innig und so hoffnungslos geliebt.

Außer Stande, den Glutblick ihrer Verachtung länger zu ertragen, sank der wilde, ungestüme, stolze Mann auf seine Knie vor ihr nieder und bat sie in kaum hörbarer Stimme um Verzeihung.

»O, entfernt Euch, entfernt Euch, erbarmenloser Tyrann. Es ist niedrig, unaussprechlich niedrig, eine Gefangene so schimpflich zu behandeln. Ich kann in Euch nicht länger den freien, offenen Jüngling erkennen, den ich einst in meines Vaters hinfälligen Hallen begünstigte. Nicht länger entdecke ich in Euch den Mann des Mutes, den Besieger von Flotten, der Eroberer von Königreichen und den Bändiger von Heeren. Ihr steht nun vor mir in Eurer nackten Abscheulichkeit. Den Menschen, welchen ich irrtümlicherweise für einen Helden hielt, muss ich nun als eine Memme erkennen. Gegen ein Weib, gegen ein von Hunger geschwächtes Weib, das Euere Gefangene, ja, und Euer auserlesener Gast ist, gegen ein so geschütztes Weib habt Ihr viehische Gewalt gebraucht!«3

»Hört auf, o Lynia, die Scham bricht mir das Herz!«

»Geht. Ich verlange nichts mehr. Eure Abwesenheit wird mir zu einem Segen gereichen. O, wie schlimm habe ich mich in diesem Mann getäuscht!«

»Lynia, sagt nur, dass Ihr mir mit der Zeit vergeben wollt. Ich war wahnsinnig, wusste nicht, was ich tat. Glaubt, dass es die Trunkenheit der Liebe war, und vergesst.«

»Liebe!«

In ihren gerungenen Händen und in dem Blick, den sie gen Himmel kehrte, steigerte sich ein Gemisch von zwanzig wechselnden Leidenschaften zu einem so tiefes Pathos gekränkter, aber doch triumphierender Erregung, dass Morgan fast vor einem Engel zu knien vermeinte. Die plötzliche Erschütterung schaffte ihr Erleichterung, und sie brach in Tränen aus. Sie weinte reichlich, ohne ihrer Aufregung Zwang anzutun, da sie für ihren Schmerz so viele Gegenstände hatte. Sie beweinte ihre Haft, ihre ermordeten und gefangenen Freunde, ihre verlorene Tochter, ihre schutzlose und der Beschimpfung preisgegebene Lage, namentlich aber auch Morgans eigene Herabwürdigung. Ihm galten die Tränen des Mitleids und noch eines innigeren Gefühls, aber alle diese Dinge wirkten zusammen, um den herben Zährenstrom hervorzurufen, als sie das geschändete Wort Liebe hörte.

»Ja«, nahm Morgan wieder auf, »die Liebe trieb mich zum Wahnsinn. Morgen brechen wir auf. Sagt mir, dass ich auf Vergebung hoffen dürfe.«

»Gut, so verlasst mich denn. Geht und zieht im Frieden.«

»Allzu edelmütige Lynia,« sagte Morgan aufstehend, »ich fühle tief Eure Güte und bewundere unaussprechlich die Erhabenheit Eures Charakters. Aber missversteht mich nicht. Ich bitte nur um Verzeihung wegen meiner unmännlichen Rohheit, nimmer mehr wegen meiner Liebe. Ich bin stolz auf sie. Sie soll das bleibende Gefühl meiner Seele sein, allen meinen Handlungen Farbe verleihen und entweder der Segen oder der Fluch meines Lebens werden. Ich gebe meine Hoffnung nicht auf, weiß aber nun, dass ich mich Eurer würdig machen muss.«

»Verlasst mich, Henry Morgan. Oh, verlasst mich!«

»Ihr vergebt mir also dies, Lynia?«

»Ich will mir Mühe geben, es zu tun.«

»Glorreiches Musterbild der Tugend, möge Euch alles Glück begleiten!«

Morgan verbeugte sich ehrerbietig und ging.

Nachdem sich der Sturm in Donna Guzmans Seele einigermaßen gelegt hatte und der Gegenstand ihrer gerechten Ertröstung fern war, prüfte sie ernstlich ihr eigenes Benehmen. Obwohl ihre Handlungen die strengste Untersuchung aushalten konnten, war es doch mit ihren Gefühlen nicht der gleiche Fall.

»Ach, o der Schwäche der Frau, ich kann diesen Mann nicht hassen«, rief sie auf ihre Knie niederfallend. »An dich, an dich, heilige Mutter des Mensch gewordenen Gottes, wende ich mich und flehe dich um Kraft an, ihn … wie … zu hassen? Ach, nein, denn es ist uns ja geboten, auch unsere Feinde zu lieben. In seinen Blicken, in dem Ton seiner Stimme liegt etwas, was mit meiner Seele verwandt ist. Es däucht mich, als seien wir schon in einem früheren Dasein zusammentroffen. Könnte er die Blutflecken von seiner Hand abwaschen. Doch ich spreche Eitles. Hätte er nur Religion – welche herrliche Laufbahn wäre ihm beschieden gewesen und wie erhaben wäre sein Andenken nach seinem Tod! Ich könnte dann stolz sein auf meinen früheren Zögling; aber ihn zu lieben, ich, eine Frau und eine Mutter!«

Der Kampf war schrecklich und endete, wie er begonnen hatte, in einem leidenschaftlichen Tränenausbruch.

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  1. Alexandre Olivier Oexmelin
  2. Es ist nicht unsere Schuld, dass wir hier einen solchen Gemeinplatz berichten müssen, der von zahllosen Romanen und Schauspielen so sehr abgenutzt ist. Der Vorgang ist wirkliche, ungeschminkte Tatsache und wird von vier verschiedenen Schriftstellern in vier verschiedenen Sprachen, der englischen, der französischen, der spanischen und holländischen, fast auf dieselbe Weise erwähnt. Die Autoren weichen mit einer einzigen Ausnahme nur in den Reden voneinander ab, welche sie der Dame zuschreiben, aber durchaus nicht in Schilderung der Handlung oder in Betreff des Werkzeuges, mit welchem sie vollzogen werden sollte. In solchen Fällen ist eigentlich Selbstmord das einzige Zufluchtmittel der Frau und derselbe nur deshalb ein Gemeinplatz, weil er so ganz natürlich ist. Die vorerwähnte Ausnahme bezieht sich auf den französischen Historiker, welcher Morgan von Herzen hasst und allem aufbietet, um seinen Charakter gemein und verächtlich erscheinen zu lassen. Er gibt an, die Dame habe nach einer vollkommen herodianischen Rede den Dolch nicht auf sich, sondern auf den Angreifer gezuckt und ihn so wie eine besiegte Memme von sich fortgescheucht.
  3. Da Morgan, wie wir später zeigen werden, einmal mit einer nicht unbedeutenden Wunde und mit blutbeflecktem Kleid Lynias Gemach verließ, so vermuten wir, dass diese Tatsache zu dem Bericht des französischen Autors Anlass gab.