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John Sinclair Classics Band 33

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 33
Die Todesgondel

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 04.12.2018, 66 Seiten, 1,80 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 15.06.1976 als Gespenster-Krimi Band 144.

Kurzinhalt:
Was wäre Venedig ohne eine romantische Gondelfahrt? Auch für Bill Conolly ist es selbstverständlich, dass er seine Frau Sheila zu dieser Attraktion einlädt.

Die beiden genießen ihre Fahrt, bis der Gondoliere plötzlich in einen dunklen Seitenkanal einbiegt. Von einer Sekunde zur anderen verändert sich die Atmosphäre. Das Wasser stinkt, unzählige Ratten huschen am Ufer hin und her, und auf der Oberfläche des Wassers treiben – Leichen!

Leseprobe

Über Venedig tobte ein mörderisches Unwetter!

Es war eines jener Frühjahrsgewitter, die die des Spätsommers an Heftigkeit oft weit übertrafen. Pausenlos zuckten Blitze vom Himmel. Wolkenberge jagten aufeinander zu, stießen zusammen, und der gewaltige Donner rollte wie das Gebrüll eines urweltlichen Ungeheuers über die Stadt.

Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet. Wassermassen prasselten auf die Erde nieder, spülten Staub und Matsch von den Straßen und ließen die unzähligen Kanäle zu reißenden Flüssen werden. Das Wasser schäumte hoch, drang in Keller und Wohnungen ein und ertränkte unzählige Ratten, die in Venedig die Anzahl der Einwohner noch übertrafen.

Die Straßen der Touristenstadt waren leergefegt. Die Regenschauer tanzten über den Markusplatz, wurden vom Wind bewegt wie ein riesiger Wasservorhang.

Die Menschen waren vor dem Unwetter geflüchtet. Sie hatten sich in die oberen Etagen ihrer Häuser verkrochen und warteten dort das Ende des Gewitters ab. Manche Kerze wurde angezündet, und die Gebete der Alten galten den Schutzheiligen.

Die Touristen hatten in den Hotels Zuflucht gesucht. Hier ging das lieben weiter, es wurde gelacht, gesungen und getanzt. Während draußen das Unwetter tobte, dinierte man bei Kerzenschein, leiser Musik und in festlicher Garderobe.

Anders das junge, schwarzhaarige Mädchen mit den dunkelbraunen verträumten Augen, in denen jetzt jedoch die Angst leuchtete. Das Mädchen stand in einer schmalen Einfahrt, hüllte sich frierend in den nassen dunklen Mantel und blickte immer wieder gehetzt zurück.

Die Verfolger waren nicht mehr zu sehen. Anscheinend hatten sie es aufgegeben.

Das Mädchen atmete auf. Und doch wusste Carla Bonetti, dass sie noch nicht in Sicherheit war.

Die Schergen des Goldenen Löwen lauerten überall!

Ihnen gehörte Venedig. Sie beherrschten die Stadt mit ihrem satanischen Terror, und wer in ihre Fange geriet, war rettungslos verloren.

Carla Bonetti hatte sich gegen den Goldenen Löwen aufgelehnt. Sie war nicht in die schwarze Todesgondel gestiegen, um dem Goldenen Löwen geopfert zu werden. Doch wer die Todesgondel gesehen hatte, entkam ihr nicht mehr, so erzählten es die Menschen in den Wohnvierteln der Stadt.

Carla hatte sie gesehen. Und dafür sollte sie nun büßen.

Ihr Atem hatte sich langsam wieder beruhigt, und der Herzschlag war auf ein normales Maß zurückgegangen. Carla stand dicht an der rissigen Mauer. Eine Spinne schlüpfte aus einem Spalt und krabbelte über Carlas Handrücken.

Das Mädchen verzog angewidert das Gesicht und schlug mit der freien Hand die Spinne von ihrem Arm. Sie fiel zu Boden, und Carla zertrat sie.

Vor dem Mädchen gurgelte und schmatzte die schmutzig braune Brühe eines Kanals. Auf der Oberfläche trieben allerlei Gegenstände herum, meist Papier und Holz.

Der Kanal stank. Fäkalien und Abfall wurden einfach hineingeleitet. Die Menschen machten es sich bequem. Unrat wurde kurzerhand aus den Wohnungsfenstern in den Kanal gekippt. Irgendwann wurde Venedig noch im eigenen Dreck ersticken, das hatte man vor Kurzem noch in einem Zeitungsartikel prophezeit.

Es war eine finstere Gegend, in der sich Carla Bonetti befand. Die alten, schmalen Hauser klebten dicht aneinander. Abgeblätterte Fassaden verstärkten den morbiden Eindruck des Viertels noch. In manchen Fenstern gab es nicht einmal Scheiben. Und doch wohnten hier Menschen. Familien, die kaum das Notwendigste zum Leben hatten und bei denen die Angst vor dem Goldenen Löwen stetiger Gast war.

Der untere Teil der Häuser war vom Wasser ausgehöhlt und ausgewaschen worden. Moos und Algen waren gewachsen, und das salzige Wasser aus dem Meer fraß sich immer weiter in die Hausfundamente. Um die Hauser kümmerte sich niemand. Sie waren ja auch kein Kulturgut, das Touristengeld brachte.

In diese Gegend verirrte sich kaum ein Fremder. Und wenn, dann wurde er ein Opfer der ansässigen Banden. Seine Brieftasche wurde er immer los.

Das Unwetter war weitergezogen, tobte jetzt über dem Meer. Es regnete auch nicht mehr, und der Wind hatte die dunklen Wolken vertrieben. Ein Dreiviertelmond stand am Himmel und übergoss die Stadt Venedig mit seinem silbern schimmernden Licht.

Carla Bonetti löste sich aus dem Schatten der Mauer. Sekundenlang stand sie halb geduckt auf der Stelle und lauschte in die Dunkelheit, die in den Winkeln und Gassen wie Watte nistete.

Kein fremder Laut drang an Carlas Ohren. Nur das Rauschen und Schmatzen des Kanals.

Waren die Verfolger noch in der Nähe? Oder lauerten sie ihr an einer anderen Stelle auf?

Carla wusste es nicht. Sie wollte nur so schnell wie möglich weg von hier, wollte in eine bessere Gegend gelangen, dort den Tag abwarten und Venedig dann verlassen.

Aber erst musste sie aus diesem Altstadtviertel herauskommen

Und dann sah Carla Bonetti den Schatten.

Er kam aus einer Lücke zwischen zwei Häusern gehuscht und verschwand blitz-schnell in einer Türnische.

Carla begann zu zittern. Augenblicklich war die Angst wieder da. Für Sekundenbruchteile hatte sie etwas aufblitzen sehen. Vielleicht die Klinge eines Messers, die vom Mondlicht getroffen worden war, oder aber die goldene Maske, die jeder Diener des Goldenen Löwen trug und die ihn für einen normalen Menschen unkenntlich machte.

Himmel, was mache ich bloß?, fragte sich Carla Bonetti verzweifelt. Ihre Hoffnungen waren zerplatzt wie eine Seifenblase. Sie hatte gedacht, sie wäre ihren Verfolgern entkommen, doch das Gegenteil war der Fall.

Carlas Blick irrte zurück in die schmale Gasse.

Jetzt war wieder alles ruhig. Ob sie sich die Verfolger nur eingebildet hatte?

Carlas Zunge fuhr aufgeregt über die Lippen, doch im nächsten Moment wurde das Mädchen eines Besseren belehrt.

Über ihr klang plötzlich ein Zischen auf.

Carlas Kopf flog in den Nacken.

Eine Gestalt lehnte aus einer Fensteröffnung. Die goldene Maske leuchtete in der Dunkelheit.

»Wir bekommen dich, Carla«, sagte eine Stimme, und dann klang unter der Maske ein dünnes gefährliches Lachen auf.

»Nein!« Carlas Schrei zerschnitt die Stille, jagte als Echo von Hauswand zu Hauswand und verlor sich in den zahlreichen Winkeln und Gassen der Altstadt.

Auf dem Absatz warf sich das Mädchen herum, rannte aus der Gasse und wäre um ein Haar in den Kanal gestürzt. Im letzten Augenblick konnte sich Carla noch abfangen.

Carla Bonetti hatte Glück im Unglück. An ihrer Uferseite des Kanals führte ein schmaler Pfad entlang. Anders als an der gegenüberliegenden Seite, wo die Häuser direkt am Wasser standen.

Der Pfad war kaum einen halben Meter breit, und Carla musste schon fast balancieren.

Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Überall lagen Steine herum. Einige stieß Carla in die schmutzige Brühe, andere wieder musste sie übersteigen.

Meter um Meter legte sie zurück.

Ihr Herz hämmerte bis zum Hals. Die heiße Angst saß ihr im Nacken. Mit der rechten Schulter schleifte sie an der Haus wand vorbei. Ab und zu tauchte der Ausschnitt eines Fensters auf. Dunkel gähnte ihr die Öffnung entgegen.

Um Hilfe zu rufen, hatte keinen Zweck. Hier würde ihr doch niemand beistehen. Sobald die Männer mit den goldenen Masken auftauchten, zogen sich die Bewohner in ihre Zimmer zurück und verschlossen Türen und Fenster.

Unendlich lang kam Carla Bonetti der Pfad vor. Irgendwann musste dieser Seitenkanal doch ein Ende haben und in einen breiteren Kanal münden. Dort konnte sie dann vielleicht eine Gondel auftreiben, die sie zu einer der großen Anlegestellen brachte.

Doch Carlas Träume wurden zerstört.

Plötzlich stand eine der goldenen Masken vor ihr. Nur wenige Meter trennten sie von dem Mann, der ihr den Weg versperrte.

Wie vor eine Wand gelaufen, blieb Carla Bonetti stehen.

Sie warf den Kopf herum, wollte wieder zurücklaufen, doch auch hinter ihr stand einer der Kerle.

Die beiden mussten aus einem Fenster oder einer Tür gekommen sein, und Carla war klar, dass man sie die gesamte Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte.

Dabei brauchten ihre Verfolger nicht einmal über den Pfad zu gehen. Sie hatten durch die parallel zum Weg verlaufenden Häuser schlüpfen können, denn diese Bauten waren ineinander

verschachtelt, und man konnte ohne Schwierigkeiten von einem Gebäude zum anderen gelangen.

Die beiden Männer kamen näher. Sie hielten lange Springmesser in ihren Fäusten. Die Spitzen der Waffen zeigten nach oben. Die Kleidung war schwarz wie die Nacht, und nur die goldenen Masken auf den Gesichtern glänzten kalt im Mondlicht.

Die Diener des Goldenen Löwen waren lautlose Töter und Meister in der Handhabung ihrer Messer.

Carla Bonetti hatte keine Chance!

Und das wusste sie.

Geschmeidig und gleitend wie Raubtiere gingen sie auf Carla zu. Nicht ein Stein knirschte unter ihren Sohlen.

Carla sank auf die Knie und hob beide Hände.

»Bitte«, flehte sie. »Lasst mich leben, bitte. Ich habe euch doch nichts getan. Ich werde Venedig verlassen, ich …«

Die Männer waren stehen geblieben. Carla spürte eine Hand auf ihrer Schulter und zuckte zusammen.

Noch hatten die beiden kein Wort gesprochen.

Die Hand wanderte weiter zu Carlas Nacken hin, und dann pressten sich kalte Finger um ihren Hals, drehten den Kopf so. dass sie an dem vor ihr stehenden Mann vorbei und auf den Kanal blicken musste.

Auf einmal hatte Carla Bonetti das Gefühl, ihr Herz würde stehen bleiben.

Aus der über dem Wasser liegenden Dunkelheit schälte sich ein schmaler schlanker Schatten.

Lautlos kam er näher.

Carlas Augen wurden weit vor Entsetzen.

Die Todesgondel war gekommen …

 

 

Der Mann hinter Carla lachte.

»Siehst du die Gondel, kleine Signorina? Sie wird dich auf deiner letzten Reise begleiten.«

Carla Bonetti erschauderte. Sie konnte nicht reden. Die würgende Angst schnürte ihr die Kehle zu.

Die Gondel glitt näher. lautlos schien sie über das Wasser zu schweben. Auf dem erhöhten Heck des Schiffes stand der Gondoliere und hielt das lange Ruder mit beiden Händen umklammert.

Die Todesgondel war größer als die normalen Touristen-Gondeln, dazu schwarz angestrichen.

Der prunkvolle Sarg stand in der Mitte der Gondel!

Es war ein schwarzer viereckiger Eichensarg mit Silberbeschlägen verziert, sodass er wirkte wie eine kostbare Truhe. Und neben dem Sarg stand er.

Professor Mandra, erster Diener des Goldenen Löwen!

Er war eine unheimliche Erscheinung. Mit weit ausgebreiteten Armen stand der Professor vor dem Sarg. Er trug keine Maske, doch war sein Gesicht mit einer weißen Puderschicht bestrichen, sodass es über der dunklen Kleidung wirkte wie ein in der Luft schwebender Fleck.

Geschickt steuerte der Gondoliere die Gondel dem Ufer zu. Dabei begann er zu singen. Es war ein altes schwermütiges Lied, das vom Tod und vom Sterben erzählte.

Carla Bonetti kannte die Melodie, und ein kalter Schauer fuhr über ihren Rücken.

Immer noch spürte sie die Hand in ihrem Nacken.

»Genieße die letzten Minuten deines Lebens«, flüsterte die dumpfe Stimme unter der goldenen Maske. »Der Sarg wartet schon auf dich.«

Carlas Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Sie sah alles nur wie durch einen Schleier. Die Hände hatte sie auf den Boden gestützt. Kleine spitze Steine waren durch ihre Handballen gedrungen. Carla spürte den Schmerz gar nicht, den die Wunden verursachten, sie hatte nur Augen für die Todesgondel, die immer näherkam und in wenigen Sekunden neben ihr anlegen würde.

Dann war es zu spät.

Personen

  • Carla Bonetti
  • Diener des Goldenen Löwen
  • Professor Mandra, Erster Diener des Goldenen Löwen
  • Enrico, Gondoliere
  • Sheila Conolly, Bills Ehefrau
  • Bill Conolly, Reporter
  • Tino Ricci, Geheimbundmitglied
  • Goldener Löwe, Dämon
  • Polizeibeamte
  • Commissario Tolini, Leiter der Mordmommission
  • Sir James Powell, Superintendent
  • John Sinclair, Oberinspektor bei Scotland Yard
  • Barkeeper des Hotels Atlanta
  • Mario Stefani, Carlas Verlobter
  • Luigi, Geheimbundmitglied
  • Zimmermädchen
  • Seniora Bonetti, Carlas Mutter
  • Domingo, Tolinis Assistent
  • Hotelarzt
  • Dr. Mensing, Psychiater

Orte

  • Venedig
  • London

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 33. Bastei Verlag. Köln. 04. 12. 2018
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000