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Jack Lloyd Folge 50

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Eine weitere Überraschung

Maria erklärte Pablo, wohin dieser die Kutsche lenken sollte. Sie und ihr Begleiter stiegen wieder in das Gefährt und kehrten den Außenbezirken von Caracas den Rücken. Als die Kutsche die Stadttore passierte, war es bereits so spät am Nachmittag, dass jeder, der in die Stadt hinein wollte, von den Wachen kontrolliert wurde. Als die Männer jedoch die Tochter des Gouverneurs im Inneren der Kutsche erkannten, ließen sie die kleine Gruppe sofort passieren. Pablo lenkte die Kutsche in einen der durchschnittlichen Bereiche der Stadt. Hier wohnte niemand, der wirklich betucht war, aber für die Armen waren die Häuser dennoch zu groß und zu teuer. In diesem Viertel lebten die Arbeiter mit ihren Familien, die Menschen, die schwer für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten hatten, aber dadurch ein Auskommen erzielten, das ausreichte, um sich und ihren Familien ein einigermaßen angenehmes Leben jenseits der Armenviertel mit ihren Krankheiten und ihrem Dreck zu bieten.

Jack, der den Vorhang vor dem Fenster der Kutsche zurückgezogen hatte, verfolgte die Häuser, die draußen vorbei glitten. Er überlegte, wohin Maria ihn wohl führen wollte. In dieser Gegend gab es eigentlich nichts, was sich zu zeigen gelohnt hätte.

Die junge Frau war auf dem Weg zurück in die Stadt ungewöhnlich still gewesen. Sie hatte eine Weile nur die Augen geschlossen gehalten und erst, als Jack das Gefühl gehabt hatte, sie wäre bereits eingeschlafen, öffnete sie diese wieder. Dann hatte sie nur dagesessen und Jack beobachtet. Seiner Aufforderung, ihn in ihre Pläne einzuweihen, die er ausgesprochen hatte, bevor sie den Heimweg angetreten hatten, war sie bislang nicht nachgekommen. Aber Jack spürte, dass sie nachdachte und dass es nicht gut gewesen wäre, sie jetzt zu stören. Sollte sie von selbst zu sprechen anfangen. Er würde ihr die Zeit geben, die sie dazu benötigte. Dazu kam, dass Jack selbst in seinem Inneren gerade zerrissener war, als jemals zuvor. Eigentlich sollte diese junge Frau nur ein Werkzeug sein, eine Marionette, die ihm dazu dienen sollte, seine Pläne zu verwirklichen. Aber mit einem Mal kam ihm dieses Verhalten gegenüber der Edelfrau schlichtweg falsch vor. Elena hatte ihn gewarnt, aber ihre Befürchtungen, Maria könnte von ihrer Seite aus ein falsches und gefährliches Spiel mit ihm spielen, hatten sich nicht bewahrheitet. Es war viel schlimmer. Jack hatte erkennen müssen, dass die junge Spanierin es überaus ernst meinte. Dazu kam das Gefühl, das sie nicht nur eine angenehme Begleiterin, sondern darüber hinaus auch sehr attraktiv und eine gute Gesprächspartnerin war, wenn man sie erst einmal etwas näher kennenlernte. Wenn sie sich unter anderen Umständen begegnet wären, und wenn Jack wirklich der Mann gewesen wäre, für den sie ihn hielt, dann wäre ihr Angebot mehr als verlockend für ihn gewesen. Er konnte sich vorstellen, an der Seite einer solchen Frau nicht nur etwas zu errichten, sondern dabei auch noch glücklich zu sein. Ein Gefühl, das er seit dem Tod seines einstigen Kapitäns und dem Beginn seiner Piratenlaufbahn nur noch sehr selten verspürt hatte. Elenas Gesicht, das ihm bisher immer mahnend vor Augen gestanden hatte, war mit einem Mal etwas in den Hintergrund gerückt. Sein größtes Problem war in diesem Augenblick nicht die Frage, ob er sein Ziel erreichen konnte. Dass er aus Maria de la Vega alles herausbekommen konnte, was er wissen wollte, dessen war er sich mittlerweile sicher. Viel schwieriger war die Frage zu beantworten, ob er das ursprüngliche Ziel überhaupt erreichen wollte. Und so verbrachten die Insassen der Kutsche ihre Fahrt schweigend und in Gedanken versunken. Erst als Pablo die Pferde zum Stehen brachte und Maria ihrem Begleiter ein sanftes Lächeln schenkte, kehrte Jack in die Gegenwart zurück.

»Wir sind angekommen«, hauchte Maria.

Jack, dem sie völlig verändert erschien, wie sie ihn so anlächelte und ihrer Stimme einen beinahe zärtlichen Klang gab, sah die junge Frau einen Moment verwirrt an.

»Lasst es mich Euch zeigen. Ich bitte Euch«, erklärte sie schnell, beinahe ängstlich.

Jack nickte langsam. Er verließ die Kutsche als Erster, dann hielt er Maria seine Hand hin, auf die sie sich stützen konnte, um das Gefährt ebenfalls zu verlassen. Dann sah sie zu Pablo, der noch immer auf dem Kutschbock saß und erklärte: »Fahr nach Hause. Du kannst deinen Herrn morgen früh hier wieder abholen.«

Pablo, der mit dieser Anweisung überhaupt nicht gerechnet hatte, sah Jack erstaunt und zweifelnd an. Der Kapitän, der von diesem Befehl völlig überrascht war, runzelte kurz die Stirn. Ein Blick in Marias Gesicht überzeugte ihn dann jedoch, dass er ihr in diesem Moment einfach vertrauen sollte.

Er nickte Pablo knapp zu. »Morgen an dieser Stelle.«

»Ich werde hier sein«, erwiderte Pablo, seinem Herrn noch einen letzten warnenden Blick zuwerfend. Dann ließ er die Zügel knallen und die Pferde setzten sich wieder in Bewegung.

Es begann bereits zu dunkeln, als Maria sich bei Jack unterhakte und ihm leise erklärte: »Und nun werde ich Euch in mein größtes Geheimnis einweihen. Hiervon weiß nicht einmal mein Vater.«

Jack, der noch nicht so ganz genau wusste, was er von der Situation halten sollte, ließ sich von der jungen Frau von der staubigen Straße bis zu einem kleinen Haus geleiten. Hier zückte Maria sehr zu Jacks Erstaunen einen Schlüssel und öffnete die Haustür. Im Inneren des Hauses brannte kein Licht. Das Haus war warm vom Tage, aber es roch wie an einem Ort, an dem schon länger niemand gewesen war.

Jack und Maria betraten einen Flur, von dem aus mehrere Räume abgingen. Einer davon war ein großer Wohnraum, in dem ein Wandkamin zu finden war. Holz war in diesem aufgeschichtet. Davor standen auf einem Tisch einige Kerzen. Um den Tisch herum standen zwei Sessel und eine mit Polstern überzogene Bank. Auf der Bank lagen mehrere Decken. Maria zog Jack in den Raum und bat ihn mit dem Feuerstein, der vor dem Kamin lag, das Holz in Selbigem zu entzünden. Der junge Freibeuter kam der Bitte nach. In der Zwischenzeit verschwand Maria in einem Nebenraum und kam schon wenige Augenblicke später mit einer bauchigen Weinflasche und zwei Bechern auf einem einfachen Holztablett zurück. Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab und setzte sich auf die Bank, wobei sie Jack beobachtete, wie dieser das Holz entzündete. Dann, als die Funken übergesprungen waren und es im Kamin angenehm knisterte, hielt Jack die Kerzen in die Flammen und zündete auch diese an.

Anschließend stellte er sie wieder auf den Tisch und setzte sich neben Maria, die mittlerweile beide Becher mit Wein gefüllt hatte. Sie reichte Jack einen der Becher und hob ihren eigenen, um mit ihm anzustoßen. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatten, lächelte die junge Frau ihn wieder mit diesem sanften Ausdruck in den Augen an, in den Jack sich langsam zu verlieben drohte. Um den Augenblick nicht zu lange andauern zu lassen, stellte Jack den Becher wieder auf den Tisch und unterbrach den Blickkontakt. Als er den Kopf wieder hob und Maria erneut ansah, nahm er in ihren Augen einen fragenden Ausdruck wahr. Offenbar war sie bereit, viel mehr mit ihm zu teilen, als nur eine Flasche Wein. Ihr stellte sich nun scheinbar die Frage, ob er dazu auch bereit war. Eine Frage, die Jack sich selbst noch nicht abschließend beantwortet hatte, also beschloss er bei sich, den Augenblick, in dem er sich entscheiden musste, so weit wie möglich hinauszuzögern.

»Erklärt Ihr mir nun, wo wir hier sind und warum mein Kutscher mich erst morgen in der Früh wieder abholen soll?«

Maria sah Jack einen Augenblick schweigend an. Dann flüsterte sie: »Dieses Haus gehört mir. Ich habe es schon vor drei Jahren gekauft.«

»Warum kauft Ihr ein Haus wie dieses in diesem unscheinbaren Viertel? Habt Ihr im Palast Eures Vaters nicht genug Raum zur Verfügung?«

Maria lachte kurz auf. Dann erklärte sie: »Natürlich habe ich das. Aber es ist nun einmal der Palast meines Vaters. Dort bin ich immer unter Beobachtung und werde behütet, wie eine dieser Puppen, die in den Häusern reicher alter Frauen auf den Stühlen sitzen und ins Leere starren.«

So hatte Jack es noch nicht betrachtet, aber die Erklärung Marias klang vernünftig. Sie war keine Puppe, die sich behüten und einpacken ließ. Ihm wurde immer deutlicher bewusst, dass sie eine intelligente Frau war, die ziemlich genau wusste, was sie wollte. Ihre Blicke begegneten sich wieder. Ganz leise, fast tonlos flüsterte sie: »Und was Eure zweite Frage angeht, mein Herr …« Nach diesen völlig unerwarteten Worten beugte sie sich schnell vor, legte ihre Hände in Jacks Nacken und küsste ihn. Der Kapitän merkte sofort, dass sie mit dieser Art der Zärtlichkeit keine Erfahrung hatte. Doch die Überraschung war ihr geglückt und noch ehe Jack sich versah, hatte er seine Arme um sie geschlungen, sie fest an sich gedrückt und erwiderte ihren Kuss. Er würde Pablo heute Nacht nicht brauchen, sehr wohl aber die Decken, die auf der Bank lagen.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2012 by Johann Peters